Kapitel VII.
De dialectica
oder
Von der Vernunft- und Disputierkunst

[57] Diesen kommt zu Hilfe die Dialectica oder Disputierkunst, welche auch nichts anders ist, als ein Kunststücklein voller Zank und Ungewissheit, und durch welche die andern Wissenschaften alle verdunkelt und schwerer gemacht werden. Diese nennt sich auch die Logica, nämlich die Wissenschaft, einen guten Schluss zu machen. Aber das müssen fürwahr elende und unvernünftige Leute sein, die ohne dieser Disziplin nicht wissen ihre Vernunft zu gebrauchen, obgleich der Servius Sulpitius diese die grösste unter allen Künsten und ein Licht der Aufklärung genennet, weil dieselbe, wie Cicero spricht, alle Sachen weiss auszuteilen, und dasjenige, was uns verborgen und dunkel scheint, klar zu machen, von allen Sachen Reguln zu geben, was wahr oder falsch sei. So versprechen nun die Dialectici, dass sie eines jedweden Dinges wahre und rechte Beschreibung und Definition erfinden können, und wissen doch mit ihren Worten solches so wenig klar zu machen, dass das Gemüt nicht ebensowohl in Ungewissheit bleiben und viel mehr sagen[57] sollte: welcher Idiote versteht nicht, dass wenn sie den Menschen ein vernünftig Tier nennen, nicht eben das sei, als wenn sie ihn nur einen Menschen schlechtweg nennten! Von diesen Sachen hat unter den Lateinern am meisten Boëthius geschrieben, dessen Bücher aber man nicht haben kann; doch geht allen vor dasjenige, was Aristoteles von Prädikamenten usw. auf die Bahn gebracht; welchen hernachmals die Peripatetici gefolgt und gemeint haben, man könnte nichts wissen, es könnte auch nichts bestehen, welches nicht durch einen Syllogismum könnte bewiesen werden und zwar durch einen solchen, welchen der Aristoteles gelehrt, da doch dieselben von ihnen durch gewisse Präsupposita verführt werden. Diesem haben auch gefolgt, die durch diese Wissenschaft etwas versprochen, und doch bisher entweder keine oder wenig wahre Demonstrationes uns gezeigt haben; und zwar nicht einmal in natürlichen Sachen, sondern alle haben ihren Witz in dieser Sache hergenommen von den Satzungen, so ihnen Aristoteles oder ein anderer, der vor ihnen gewesen, gegeben hat; dessen Autorität halten sie vor Principia ihrer Demonstrationes. Die wahre Demonstration aber, welche uns nach ihrer Meinung eine Wissenschaft bringen soll, lehrt Aristoteles, sei diejenige, welche geschieht durch die Quidditates, wie die Dialectici reden, und durch solche eigentliche Unterschiede der Sachen, welche uns ganz unbekannt und verborgen sind.

Weil nun der Ursprung solcher Demonstrationen meistenteils unbekannt ist und die Conversion nicht zugelassen wird, so kann man ja keine gewisse Wissenschaft haben; denn man muss glauben den Demonstrationen, welche durch Ungewisse und zerbrechliche Principia hergenommen sind und welchen nur wegen der Autorität des Lehrmeisters geglaubt werden muss, oder welche durch die Erfahrenheit unserer Sinne mag approbiert werden. Denn jedwede Wissenschaft, wie man sagt, kommt von der Vernunft her, und die Erfahrenheit eines wahren Wortes, wie Averroes sagt,[58] ist, dass sie mit den Sinnen übereinstimmet; je mehr Sinne zusammenstimmen, desto wahrer und bekannter die Sache; denn durch unsere Sinnlichkeit werden wir gleichsam als wie mit der Hand geleitet auf alle diejenigen Sachen, welche wir wissen können. Weil aber nun uns unsere Sinne oftermals betrügen, so können sie auch keine reine und wahre Erfahrenheit ausbringen. Wenn überdies die Sinne den rechten natürlichen Verstand einer Sache nicht können begreifen, und die Ursachen, aus welchen der Natur Wirkungen und Eigenschaften hätten sollen demonstriert werden, unserm Verstande ganz unbekannt sind, so ist ja der Weg der Wahrheit den Sinnen ganz verschlossen. Dahero alle diejenigen Ableitungen und Wissenschaften, welche in unsern Sinnen so harte sind eingepräget, die sind alle ungewiss, falsch und betrüglich.

Was haben wir denn nun für Nutzen aus der Dialectica? Was für Früchte haben die Demonstrationes aus denen Principiis und Erfahrungen, welchen wir notwendig Beifall geben sollen? Kann man denn nicht durch die Erfahrenheit mehr als durch diese Demonstration wissen und begreifen? Aber wir wollen nun diese Kunst ein wenig weiter herholen. Die Dialectici haben zehn Praedicamenta, welche sie Genera generalissima nennen, und diese werden genennet Substantia, Quantitas, Qualitas, Relatio, Quando, Ubi, Situs, Habitus, Actio, Passio, aus welchen, wie sie vorgeben, muss alles hergeholt und verstanden werden, was in dem ganzen Umkreise der Welt enthalten ist, und weisen uns dabei noch fünfe, welche von ihnen müssen bejahet werden, als da ist: Genus, Species, Differentia,[59] Proprium und Accidens, welche deswegen Praedicabilia genannt werden.

Mehr haben sie erfunden einer jedweden Sache vier Ursachen: Materialem, Formalem, Efficientem und Finalem, durch welche sie behaupten wollen, dass die Wahrheit und Falschheit aller Sachen könnte erforschet werden, und zwar mit einer untrüglichen Demonstration, wie sie meinen, und dieses wird ein Syllogismus genannt, welchen sie aus drei Terminis hersuchen. Der erste, als das Subjectum, wird genennet Minor; der andere, als das Prädicatum, Major; der dritte ist das Mittel oder Medium concludendi, welches von beiden partizipieret, daraus werden zwei Propositiones formieret, welche von ihnen Prämissä genannt werden, und aus diesen allen entsteht endlich die Konklusion: das ist also ihr Kunststück ganz und gar, und die Grenzsteine, womit sie alle Sachen abzuteilen, zu dezidieren und gleichsam durch gewisse Axiomata oder glaubwürdige Sprüche zu widerlegen gedenken.

Da sehet nun die ungeheuere und vortreffliche Geheimnisse der logistischen Kunst, welche sie mit grosser Arbeit von ihren betrügerischen Lehrmeistern gelernt, auch gleichsam als verborgene Geheimnisse und Arcana nicht jedweden als nur etwan diesen, von welchen sie grosse Belohnung zu hoffen, lernen wollen. Endlich geben sie vor, dass sie die Hunde wären, womit aller Sachen Wahrheit, der physikalischen, der mathematischen und metaphysikalischen, erjagt werden müsste. Da sie doch vielmehr durch dieses vermeinte Kunststück, nach des P. Clodii und Varronis Sprichwort, mit allzuvielem Zanken die Wahrheit verlieren. Und dieses ist vor diesesmal nur in den Schranken der alten Disputierkunst geblieben.[60]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 57-61.
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