Kapitel IX.
De arte lullii
oder
Dass man von allen Dingen zu diskurieren weiss

[66] Aber es hat Raymundus Lullius noch in unserer Epoche eine Wunderkunst, die der Dialectica nicht ungleich scheint, erfunden, durch welche er, wie vor Zeiten Gorgias Leontinus, von einer jedweden Sache, wie er gewollt, weitläuftig diskurierte. Mit einer artlichen Verwirrung der Namen und Wörter hat er nicht ohne sonderbares Kunststück auf beiderlei Arten durch seine Wissenschaft zu disputieren, und die kleinsten Sachen mit einer Ruhmredigkeit weit auszubreiten gewusst, auch keinen mit Reden unter ihnen aufkommen lassen. Es ist aber nicht vonnöten, dass wir diese Sachen weit herholen, wir haben dieser Kunst schon anderswo weitläuftiger gedacht, gleichwohl aber will ich[66] nicht, dass einer gross Prahlens oder Wesens davon machen soll, also dass man nicht vonnöten hat, deswegen viel Streitens anzufangen. Nur dieses muss ich erinnern, dass diese Kunst mehr zur Pracht und zum Scheine eines rechtschaffenen gelehrten Kopfs, als zu Erlangung rechter Gelehrsamkeit was tue, und dass sie mehr Kühnheit als rechtschaffene Wirkung in sich habe, auch dass solche mehr für ein grob ungeschicktes Wesen und fast für ein barbarisch Werk zu halten, wenn sie nicht mit einer schönen und sonderlichen Art der Sprache ausgeziert wird.[67]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 66-68.
Lizenz:
Kategorien: