Kapitel XV.
De sorte pythagoriga
oder
Vom pythagorischen Lose

[76] Ich halte auch dafür, dass dieses nicht zu verschweigen, was die Pythagorici und andere dafür gehalten, auch der Aristoteles selbst geglaubet hat, dass die Buchstaben auch gewisse Zahlen in sich haben, mit welchen sie durch der Menschen Namen weissagen; und indem sie die Zahlen der Buchstaben eines Namens zusammengesetzet, so haben sie den Vorzug demjenigen zugeteilt, dessen Summa die andere übertroffen hat, es sei entweder vom Kriege oder Streit, vom Ehestand oder vom Leben, oder von einer andern Sache gefragt worden. Und auf solche Art, sagt man, sei der Patroclus vom Hectore, dieser aber vom Achille überwunden worden, wie uns diese Sache der Terentianus in nachfolgenden Versen beschreibt:


Et nomina tradunt ita litteris facta,

Haec ut numeris pluribus, illa sint minutis,

Quandoque subibunt dubia pericla pugnae

Major numeris qua steterit, favere palmam.

Praesagia lethi minima, patere summa.

Sic et Patroclum Hectoris manu perisse.

Sic Hectora tradunt cecidisse mox Achillis.
[76]

Das ist: Das ganze Werk beruht auf gewissen kleinen und grossen Zahlen; und wenn etwa vom Krieg oder Streit, vom Leben oder Tode ist gefraget worden, haben sie den Vorzug dem zugeteilt, dessen Summa der Zahlen die grösseste gewesen. Und auf solche Art soll der Patroclus von dem Hectore, bald darauf aber dieser Hector von dem Achille sein überwunden worden. So sind auch, die mit dergleichen Rechnung die Nativitäten erfinden wollen, wie von denselben Alchandrinus, ein obskurer Philosophus, uns berichtet, der Diszipul des Aristotelis soll gewesen sein. Und Plinius erzählet, dass den Pythagorischen Erfindungen auch dieses zuzueignen, dass aus der ungeraden Zahl der Vokale in einem Eigennamen Blindheit, Beinbruch und ähnliche Unfälle vorausgesagt werden können.[77]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 76-78.
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