Kapitel XXXII.
De divinationibus in genere
oder
Von den Wahrsagungen insgemein

[136] Hier an diesem Orte gibet es auch von andern Künsten der Weissagungen Gelegenheit zu reden, welche nicht sowohl aus der Observation der himmlischen Gestirne kommen, als aus denjenigen Sachen, welche unten bei uns sind und mit den Himmlischen eine Gleichheit haben; und wenn wir jene verstehen, so können wir desto besser den astrologischen Baum, von welchem die Früchte herkommen, wahrnehmen.

Unter diese Künste, so auf nichts als auf einen Gewinst ihr Absehen haben, wird gezählet die Physiognomia, Metoposcopia, die Chiromantia, von welcher wir droben etwas gesaget haben, auch die Aruspicia, Speculatoria, und die Onirocritica oder die Auslegung der Träume, zu welchen auch können gesetzet werden der Wütenden oder Rasenden Oracula und Wahrsagungen.

Aber alle diese Kunststücke kommen nicht aus einer rechtschaffenen Doctrin her, bestehen nicht auf guten und gewissen Gründen und Rationen, sondern sind blosse Mutmassungen aus verborgenen Sachen, zufälligem Glücke oder des Geistes Eingebungen, welche[136] aus täglichen und von langer Zeit wahrgenommenen Observationen hergesuchet werden. Und pflegen alle diese Wunderkünste nichts als mit dem Vorwand der Erfahrung sich zu defendieren und dadurch sich rauszuwickeln, so oft sie etwas statuieren, das wider die Vernunft oder den Glauben ist, von welchen allen in der Heiligen Schrift geboten ist: Non inveniatur in te, qui collustret filium ducens per ignem, ariolos sciscitetur, aut observet somnia atque auguria, nec sit maleficus, nec incantator, quoniam haec abominatur Dominus. Das ist: Es soll nicht unter dir gefunden werden, der seinen Sohn oder Tochter durchs Feuer gehen lasse, oder ein Weissager, oder ein Tagewähler oder der auf Vogelgeschrei achte, oder ein Zauberer, oder Beschwörer, oder Zeichendeuter, oder der die Toten frage, denn wer solches tut, der ist dem Herrn ein Greuel.[137]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 136-138.
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