Kapitel XXXIX.
De somnispicia
oder
Von Traumdeutungen

[147] Hierzu gehöret auch die Ausdeutung oder Auslegung der Träume, deren Ausleger mit einem sonderlichen Namen Conjektores oder Traumdeuter genennet werden, wie der Poet Euripides saget:


Qui bene conjectat, is vates optimus esto.


Das ist: Welcher wohl raten kann, der soll der beste Wahrsager sein. Dieser Kunst schreiben viel grosse Philosophi nicht wenig zu, und besonders Democritus, Aristoteles und dessen Nachfolger Themistius, wie auch Synesius Platonicus, welche so erpicht sind auf die Exempel der Träume, die etwan ein zufälliger Kasus hat wahr gemacht, dass sie sich unterstanden, die Leute zu überreden, dass einem nichts umsonst träumen könnte.

Denn sie sagen, gleichwie die himmlischen Influenzien in einer korporalischen Materie unterschiedene Gestalten hervorbrächten, also entstünde auch aus solchen Influenzien des Menschen Phantasie und Einbildung, welche ein Instrument ist, dadurch fürnehmlich nach der himmlischen Disposition die Gesichter oder die Gestalt produzieret und ähnlich gemachet[147] würden, und dieses geschehe meistenteils im Schlafe, weil zu derselben Zeit des Menschen Gemüte von allen äusserlichen Sorgen des Leibes frei, und also desto besser solche himmlische Influxus an sich ziehen könne. Dahero kommt es, dass denen Schlafenden beim Träumen viel Sachen bekannt werden, welche ihnen, wenn sie wachen, verborgen sind, und fürnehmlich aus dieser Ursache wollen sie dafürhalten, dass dasjenige, was einem träumet, man für wahr halten sollte.

Doch kommen sie nicht alle überein, sowohl wegen der äusserlichen als innerlichen Ursachen der Träume; denn die Platonici rechnen solche unter die Spezies und rechte Erkenntnis der Seelen. Avicenna unter den Verstand, nach dem sich der Monden beweget; denn durch Hilfe dieses Lichts würde des Menschen Phantasie, indem er schläfet, bestrahlet. Aristoteles zählet es unter die Sensus Communes, und sonderlich unter die Phantasie; der Averroës unter die Einbildung, Democritus unter die Bilder, so von der Sache herkommen; Albertus unter die Influxus der himmlischen Sachen, jedoch mit gewissen Mediis und Speciebus, welche stets vom Himmel herunterkommen; die Medici messen es bei den Humoren der Menschen, andere aber den Affekten und Sorgen, die der Mensch bei seinem Wachen gehabt hat. Die Araber schreiben es zu dem natürlichen Verstand des Menschen, andere sagen, es käme her von der Macht der Seelen und von dem Influxu des Himmels zugleich; die Astrologi aber sagen, dass dieses die Constellationes verursacheten, andere geben es der Luft schuld.

Von Auslegung der Träume haben geschrieben der Daldianer Artemidorus, auch werden Bücher gewiesen unter dem Namen Abrahams, dem Philo in den Büchern von Biesen beigemessen, dass er am ersten erfunden habe, wie man die Träume auflösen solle; andere aber sagen in ihren Büchern, es habe Salomon und Daniel hiezu behilfliche Hand geleistet, in welchen sie von Träumen viel gehandelt und uns nichts als Träume hinterlassen haben.[148]

Aber M. Tullius hat in seinen Büchern von der Wahrsagung wider ihre Vanität und Narrheit, womit sie den Träumen Glauben beimessen, mit schönen Argumenten disputieret, welche ich nicht allhier aufzählen mag.[149]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 147-150.
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