Kapitel XCIII.
De arte advocatoria
oder
Von Advokaten und ihrer Kunst

[131] Aber es ist bei der Rechten noch ein ander Exerzitium oder Übung, welche man die Plauderei oder das Advozieren nennet; höchst nötig, wie sie sagen, eine alte, aber recht betrügerische Kunst, welche mit dem Deckmantel der Überredung arglistig und schön geziert ist. Sie ist aber nichts anders als eine Kunst, den Richter mit einer süssen Schmeichelei zu überreden und denselben nach seinem Gefallen zu gebrauchen; sie lehret uns, wie man das Recht verkehren, erdichtete Glossen darzu machen, die Gesetze nach seinem Gefallen drehen und wenden, listige Ränke und Schwanke einschieben und betrügerische Prozesse verlängern soll. Sie lehret uns die Leges so zu zitieren, dass das Recht und die Billigkeit umgekehrt werden, die Glossatoren so anzuführen, dass der Sensus verkehrt wird und die Meinung des Gesetzgebers eine ganz andere Auslegung bekommt. Bei dieser Kunst hilft viel, wacker zu schreien, waschhaftig und lästig zu sein. Für den besten Advokaten wird gehalten, wer seine Klienten zum Zank[131] nur wacker anreizt und ihnen Hoffnung machte, dass er ihre Sache vor Gericht wohl ausführen werde; wer durch Appellationen fein lange aufzuhalten weiss, wer ein Zungendrescher und Streiturheber ist, wer alle andern niederschreit, wer die kläreste und geradeste Sache krumm und streitig machet, wer die heilsame Justiz selbsten vertreibet, verkehret und von sich stösset, so dass die Gerechtigkeit zu einem öffentlichen Handel wird, und der Richter sie oftermals ums Geld verkaufet. Selbsten das Schweigen hat da seinen Preis; denn so wie da keiner redet, wenn er nicht bezahlt wird, so schweigt er auch nicht, wenn man ihm nicht das Maul mit Geschenken zustopfet.

Nach dem Exempel des Demosthenes, welcher den Aristodemum, einen Fabelerzähler, fragte, was er für Lohn bekäme, dass er so redete; ein Talent, sprach der. Ich, antwortete der Demosthenes, bekomme viel mehr, dass ich stillschweige. Denn die Rede des Zungendreschers ist so schädlich, dass, wenn sie nicht mit beschenken verhindert wird, es kaum fehlen kann, dass sie nicht schaden sollte.[132]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 2, S. 131-133.
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