Kapitel XCV.
De jurisprudentia
oder
Von der Rechtsgelehrsamkeit

[135] Hierher gehören auch diejenigen ungeheuer grossen Riesen, welche wider des Justiniani Gebot soviel unzählige Bände Glossen, Commentarios und Explicationes, die doch immer widereinander laufen, geboren und an den Tag gebracht haben. Denn es gibet soviel Scharmützel, so unterschiedene Meinungen, soviel arglistige Consilia, soviel Kautelen und Ränke, welche diese Leute mit einer unglückseligen Fruchtbarkeit uns für die Augen stellen, dadurch ihre Bosheit unterhalten, und, wie wir fast durch alle Paragraphos und Periodos sehen, ihre Schande und Schalkheit an den Tag geben, gleich als wann die Wahrheit nicht vielmehr in der Vernunft, als in ihrem verwirreten Beweis bestünde, welchen sie nirgends anders hernehmen, als aus dem Unflat solcher zankhaftigen Leute, denen Streit und Zank eine Ehre ist und nichts Angenehmeres widerfahren kann, als wann sie mit andern nicht übereinstimmen, sondern nur immer kontradizieren und alles in Zweifel ziehen. Auch die guten Gesetze durch zweifelhafte Erklärung bloss nach ihrem Gehirne applizieren und alles nach ihrem Gefallen[135] rumdrehen. Daher ist es kommen, dass die ganze Jurisprudenz nichts anders ist, als ein perverser und heimtückischer Rat und ein betrügerisch Netz voller Unbilligkeit.

Sehet, das sind nun die schönen Künste und Erfindungen, womit heutiges Tages die ganze christliche Welt regiert wird, dadurch werden ganze Königreiche, Länder und Fürstentümer stabilieret; und aus diesen nichtswürdigen Leuten werden von den Königen, Fürsten und Päpsten die Dienste und Ämter besetzet. Gerichtsherren, Geheime-Räte, Kanzler und Präsidenten geordnet, und werden also diejenigen, welche zuvor böse Advokaten, und Leutbescheisser gewesen, angesehene Häupter und Richter der Königreiche und Länder, vor welchen die Könige selbsten oftermals, wie vor Zeiten vor den Titanes Jupiter getan, sich fürchten müssen.

Aus diesen kommen nun auch der Kaiser und Könige dickbäuchigte und aufgeblasene und ganz purpurierte Erzschreiber herfür, auf welchen das ganze Land beruhet, bei welchen der Fürsten Befehle, Ämter, Beneficia, Pescripta und Diplomata, ja, was noch mehr ist, die Rechte selbsten, die Gesetze, die Billigkeit und Ehrbarkeit zu feilem Kauf ist und ums Geld erlanget werden kann. Nach deren Gutdünken müssen diese oder jene der Könige und Fürsten Feinde oder Freunde sein, nach ihrem Gefallen werden Bündnisse gemacht, Friede oder Krieg angefangen; und wann sie aus dem untersten Kote durch Prostitution ihrer Sprache zu dergleichen hoher Dignität kommen sind, so werden sie oftermals zu einer solchen Kühnheit und Frechheit gebracht, dass sie sich unterstehen, den Fürsten selbst in Bann zu tun, und denselben ohne Ratschluss abzusetzen. Und sind also diese der Reiche und Stände rechte Verwirrer und Aufwiegler, und bloss zu dem Ende, damit sie sich mit ihren Diebstählen und Räubereien aufblähen können.[136]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 2, S. 135-137.
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