X, 123. [949.] An den Regenbogen, den holden Gandharven.

[400] Der Gandharve bedeutet ursprünglich: den im Dufte (gandhá) wohnenden. Ich glaube jetzt, dass der Regenbogen diejenige Naturerscheinung ist, als deren Repräsentant der Gandharve aufgefasst wurde. In unserm Liede tritt diese Auffassung mit voller Klarheit hervor. Schon in seinen Erläuterungen zum Nirukta (S. 145) sagt Roth in Bezug auf den ersten Vers unseres Liedes: »Die Vermuthung drängt sich auf, dass die Erscheinung, welche der Vers beschreibt, der Regenbogen sei.« Auch die Art wie der Gandharve sonst im Rig-Veda aufgefasst wird (vgl. z.B. mein Wörterbuch unter gandharvá), entspricht sehr gut der Naturanschauung des Regenbogens, nur dass sie wol nirgends so deutlich hervortritt, wie in unserm Liede. Als Gattin oder Geliebte des Gandharven erscheint die Apsaras, auch sonst die Wasserjungfrau (ápiā yóṣaṇā) genannt, die in den Wassern der Luft schwebt; und auch dies stimmt trefflich zu jenem Bilde. Der Gandharve erscheint hier mit dem Beinamen, der holde (liebende, verlangende), und aus diesem Beinamen, der im Sanskrit vená lautet, haben die indischen Erklärer nach ihrer Art einen eigenen Gott Vena gemacht, an den dies Lied gerichtet sei, ja der auch zugleich von ihnen als Verfasser dieses Liedes genannt wird. Die Töchter der bunten Wolke (Vers 1) sind die Wassertropfen, die Mütter des Gandharven, welcher durch Vereinigung des Sonnenglanzes mit diesen Tropfen erzeugt wird. Der ewige in V. 2 ist der Himmel oder das Weltall. Der Büffel in V. 4 ist die donnernde Regenwolke, aus deren Tropfen beim Schein der Sonne der Regenbogen entsteht.


1. Der lichtumhüllte, holde trieb die Töchter

der bunten Wolke an, die Luft durchmessend;[400]

Ihn küssen wie ein Kind mit Lied die Sänger,

wenn Sonnenglanz sich einigt mit den Wassern.

2. Der holde regt die Welle aus dem Meer auf,

man sieht des schönen dunstentstiegnen Rücken,

Der an des ew'gen hoher Wölbung strahlet,

dem gleichen Schoosse jauchzen zu die Scharen.

3. In gleicher Wohnung stehn des Kindes Mütter,

und jauchzen zu die vielen ihm, dem einen;

Die Scharen schlürfen süssen Thau des Himmels,

hinschreitend an des ew'gen Himmels Wölbung.

4. Die Sänger flehten, die Gestalt erkennend,

hineilend zu des wilden Büffels Donnern,

Mit Opfer kommend traten zu dem Strom sie;

denn der Gandharve fand die Himmelswasser.

5. Die Apsaras, anlächelnd den Geliebten,

die Gattin trägt ihn in dem höchsten Himmel,

Der Buhle wandernd zu dem Schooss der Buhlen,

der holde setzt sich auf die goldne Stätte.

6. Als dich den Adler, der am Himmel hinflog,

die Menschen sahn mit Sehnsucht in dem Herzen,

Varuna's Boten dich mit goldnen Flügeln

den Vogel, der zum Sitz des Jama hinflog,

7. Da stand am Himmel aufrecht der Gandharve

entgegentragend seine bunten Waffen,

Gehüllt in duft'gen Mantel schön zu schauen

wie Himmelsglanz liess Liebliches er blicken.

8. Wenn er als Funke zu dem Meere hingeht,

am Himmel blickend mit des Geiers Auge,

Dann zeugt sein Strahl, des hellen Lichts sich freuend,

am dritten Himmel liebliche Gestalten.

Quelle:
Rig-Veda. 2 Teile, Leipzig 1877, [Nachdruck 1990], Teil 2, S. 400-401.
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