9. Der Geist der Upanishadlehre (3,9).

[49] 1. Da befragte ihn Vidagdha, der Nachkomme des Çakala.

»Wieviel Götter gibt es, Yâjñavalkya?« – Und er antwortete nach der Nivid [Götterverzeichnis], soviele ihrer in der Nivid des Vaiçvadevam [eines bestimmten Preisrufes beim Somakeltern] gezählt werden, und sprach: »Drei und dreihundert und drei und dreitausend« [3306]. – »Om! [Jawohl!]«, so sprach er; »wieviel Götter gibt es also, Yâjñavalkya?« – »Dreiunddreissig.« – »Om!« so sprach er, »wieviel Götter gibt es also, Yâjñavalkya?« – »Sechs.« – »Om!« so sprach er, »wieviel Götter gibt es also, Yâjñavalkya?« – »Drei.« – »Om!« so sprach er, »wieviel Götter gibt es also, Yâjñavalkya?« – »Zwei.« – »Om!« so sprach er, »wieviel Götter gibt es also, Yâjñavalkya?« – »Anderthalb.« – »Om!« so sprach er, »wieviel Götter gibt es also, Yâjñavalkya?« – »Einen.«

»Er aber, der Âtman, ist nicht so und ist nicht so. Er ist ungreifbar, denn er wird nicht gegriffen; unzerstörbar, denn er wird nicht zerstört; unhaftbar, denn es haftet nichts an ihm; er ist nicht gebunden, er wankt nicht, er leidet keinen Schaden!«


»Nach diesem Geiste der Upanishadlehre frage ich dich! Wenn du mir diesen nicht[50] ansagen kannst, so muss dein Kopf zerspringen!« –

Den wusste der Nachkomme des Çakala nicht. Und sein Kopf zersprang. Und Räuber stahlen seine Gebeine, die sie für etwas anderes [Besseres] gehalten.


27. Und er sprach: »Ehrwürdige Brahmanen, wer unter euch wünscht, der mag mich fragen, oder ihr alle mögt mich fragen; wer unter euch wünscht, den will ich fragen, oder euch alle will ich fragen!« – Aber die Brahmanen wagten es nicht.

28. Da befragte er sie mit diesen Versen:


Gleichwie ein Baum, des Waldes Fürst,

So ist der Mensch, das ist gewiss.

Die Haare sind an ihm Blätter,

Die Haut der Aussenrinde gleicht.

Aus seiner Haut entströmt das Blut,

Wie aus des Baumes Haut der Saft;

Es fliesst aus dem Verwundeten,

Wie Saft des Baums, wenn der verletzt.

Das Fleisch dem Holz vergleichbar ist,

Dem Bast die Sehne, darum stark.

Die Knochen sind das Innenholz,

Das Mark vergleicht dem Marke sich.

Es wächst der Baum, wenn man ihn fällt,

Aus seiner Wurzel wieder neu. –

Aus welcher Wurzel wächst hervor

Der Mensch, wenn ihn der Tod gefällt? –

Sagt nicht, dass es der Same sei;

Denn der entspringt dem Lebenden,[51]

Wie aus dem Samenkorn der Baum,

Noch eh' er tot ist, neu erwächst.

Reisst man ihn mit der Wurzel aus,

So kann der Baum nicht wachsen mehr; –

Aus welcher Wurzel wächst hervor

Der Mensch, wenn ihn der Tod gefällt? –

Nicht wird geboren, wer geboren;

Wer sollte neu erzeugen ihn? –


Brahman ist Wonne und Erkenntnis,

Des Gabenspenders höchstes Gut

Und des, der absteht und erkennt.

Quelle:
Die Geheimlehre des Veda. Leipzig 1919, S. 49-52.
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