1. Einleitung (4,3,1–9).

[52] 1. Einstmals kam zu Janaka, dem Könige der Videha's, Yâjñavalkya mit dem Vorsatze, nicht zu reden. Es hatte aber, als einst Janaka, der König der Videha's, und Yâjñavalkya sich beim Feueropfer unterredeten, Yâjñavalkya jenem eine Gabe bewilligt, und er hatte als solche die Beantwortung einer Frage gewählt, und diese hatte er ihm zugestanden. Darum richtete der Grossfürst an ihn zuerst das Wort:

2. »Yâjñavalkya!« so sprach er, »was dient dem Menschen [oder Geiste, purusha] als Licht?«[52] – »Die Sonne dient ihm als Licht, o Grossfürst«, so sprach er, »denn bei dem Lichte der Sonne sitzt er und gehet umher, treibt seine Arbeit und kehret heim.« – »So ist es, o Yâjñavalkya.

3. Aber wenn die Sonne untergegangen ist, o Yâjñavalkya, was dient dann dem Menschen als Licht?« – »Dann dient ihm der Mond als Licht; denn bei dem Lichte des Mondes sitzt er und gehet umher, treibt seine Arbeit und kehret heim.« – »So ist es, o Yâjñavalkya.

4. Aber wenn die Sonne untergegangen ist, o Yâjñavalkya, und der Mond untergegangen ist, was dient dann dem Menschen als Licht?« – »Dann dient ihm das Feuer als Licht; denn bei dem Lichte des Feuers sitzt er und gehet umher, treibt seine Arbeit und kehret heim.« – »So ist es, o Yâjñavalkya.

5. Aber wenn die Sonne untergegangen ist, o Yâjñavalkya, und der Mond untergegangen ist, und das Feuer erloschen ist, was dient dann dem Menschen als Licht?« – »Dann dient ihm die Rede als Licht; denn bei dem Lichte der Rede sitzt er und gehet umher, treibt seine Arbeit und kehret heim. Darum, o Grossfürst, wenn man seine eigene Hand nicht unterscheiden kann, und es erhebt sich irgendwoher eine Stimme, so gehet man auf dieselbe zu.« – »So ist es, o Yâjñavalkya.

6. Aber wenn die Sonne untergegangen ist, o Yâjñavalkya, und der Mond untergegangen[53] ist, und das Feuer erloschen, und die Stimme verstummt ist, was dient dann dem Menschen als Licht?« – »Dann dient er sich selbst (âtman) als Licht; denn bei dem Lichte des Selbstes (der Seele) sitzt er und gehet umher, treibt seine Arbeit und kehret heim.«

7. »Was ist das für ein Selbst?« – »Es ist unter den Lebensorganen der aus Erkenntnis bestehende, in dem Herzen innerlich leuchtende Geist. Dieser durchwandert, derselbe bleibend, beide Welten [diese Welt im Wachen und Traume, jene, die Brahmanwelt, im Tiefschlafe und Tode]; es ist, als ob er sänne, es ist, als ob er umherschweifte [in Wahrheit ist der Âtman ohne individuelle Erkenntnis und Bewegung]; denn wenn er Schlaf geworden ist, so übersteigt er [im Tiefschlafe] diese Welt, die Gestalten des Todes [der Vergänglichkeit, des Übels].

8. Nämlich, wenn dieser Geist geboren wird, wenn er eingeht in den Leib, so wird er mit den Übeln zusammengeknetet; wenn er auszieht, wenn er stirbt, so lässet er die Übel hinter sich.

9. Zwei Zustände sind dieses Geistes: der gegenwärtige und der in der andern Welt; ein mittlerer Zustand, als dritter, ist der des Schlafes. Wenn er in diesem mittlern Zustande weilt, so schaut er jene beiden Zustände, den gegenwärtigen [im Traume] und den in der andern Welt [im Tiefschlafe]. Je nachdem[54] er nun [einschlafend] einen Anlauf nimmt gegen den Zustand der andern Welt, diesem Anlaufe entsprechend bekommt er beide zu schauen, die Übel [dieser Welt, im Traume] und die Wonne [jener Welt, im Tiefschlafe].

Quelle:
Die Geheimlehre des Veda. Leipzig 1919, S. 52-55.
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