Belehrung des Upakosala über das Brahman und den Weg zu ihm.

[86] Chândogya-Upanishad 4,10–15.


10,1. Upakosala, der Spross des Kamala, wohnte als Brahmanschüler bei Satyakâma, dem Sohne der Jabâlâ. Zwölf Jahre hatte er ihm seine Opferfeuer bedient, da liess er die andern Schüler ziehen, ihn aber wollte er nicht ziehen lassen.

2. Da sprach zu ihm sein Weib: »Der Schüler härmt sich; er hat die Feuer wohl bedient; siehe zu, dass die Feuer nicht an dir vorbei zu ihm reden, lehre ihm die Wissenschaft.« – Er aber wollte sie ihm nicht lehren, sondern zog über Land.

3. Da ward der Schüler krank und wollte nicht essen. Da sprach das Weib des Lehrers zu ihm: »Iss doch, Schüler; warum issest du nicht?« – Er aber sprach: »Ach, in dem Menschen sind so vielerlei Lüste! Ich bin ganz voll Krankheit; ich mag nicht essen.«

4. Da sprachen die Feuer untereinander: »Der Schüler härmt sich und hat uns doch wohl bedient. Wohlan! lasst uns ihm die Wissenschaft lehren!« – Und sie sprachen zu ihm:[86]

5. »Brahman ist Leben, Brahman ist Freude, Brahman ist Weite.« – Er aber sprach: »Ich weiss, dass Brahman das Leben ist; aber die Freude und die Weite, die weiss ich nicht.« – Sie aber sprachen: »Wahrlich, die Weite, das ist die Freude, und die Freude, das ist die Weite.« Und sie legten ihm aus, wie da wäre Brahman das Leben und der weite Raum.

11,1. Da belehrte ihn das eine Feuer, das da heisset Gârhapatya: »Die Erde, das Feuer, die Nahrung und die Sonne [sind meine Gestalten]. Aber der Mann, den man in der Sonne siehet, der bin ich, und ich bin er.«

2. [Chor der Feuer:] »Wer dieses [Feuer], also wissend, verehrt, der wehret ab die Übeltat, dem wird es weit, der kommt zu vollem Alter, der lebet lange, dessen Stamm erlischt nicht, dem helfen wir in dieser Welt und in jener Welt, wer dieses, also wissend, verehrt.«

12,1. Da belehrte ihn das andre Feuer, das da heisset Anvâhâryapacana: »Das Wasser, die Weltgegenden, die Sterne und der Mond [sind meine Gestalten]. Aber der Mann, den man im Monde siehet, der bin ich, und ich bin er.«

2. [Chor der Feuer:] »Wer dieses, also wissend, verehrt, der wehret ab die Übeltat, dem wird es weit, der kommt zu vollem Alter, der lebet lange, dessen Stamm erlischt nicht, dem helfen wir in dieser Welt und in jener Welt, wer dieses, also wissend, verehrt.«[87]

13,1. Da belehrte ihn das dritte Feuer, das da heisset Ahavanîya: »Der Odem, der Äther, der Himmel und der Blitz [sind meine Gestalten]. Aber der Mann, den man in dem Blitze siehet, der bin ich, und ich bin er.«

2. [Chor der Feuer:] »Wer dieses, also wissend, verehrt, der wehret ab die Übeltat, dem wird es weit, der kommt zu vollem Alter, der lebet lange, dessen Stamm erlischt nicht, dem helfen wir in dieser Welt und in jener Welt, wer dieses, also wissend, verehrt.«

14,1. Und sie sprachen zu ihm: »Nun weisst du, Upakosala, o Teurer, die Lehre von uns und die Lehre vom Âtman. Den Weg zu ihm aber wird dir der Lehrer zeigen.«

Als nun sein Lehrer wiederkam, da sprach zu ihm der Lehrer: »Upakosala!«

2. Und er antwortete und sprach: »Herr Lehrer!« – Er aber sprach: »Dein Angesicht erglänzt, mein Lieber, wie eines, der das Brahman kennt. Wer hat dich belehrt?« – Und er verstellte sich und sprach: »Wer sollte mich belehrt haben? Diese hier freilich sehen so aus und auch anders aus«; so sprach er und wies auf die Feuer. – »Was haben sie dir gesagt, mein Lieber?«

3. Und er antwortete ihm: »So und so.« – Da sprach der Lehrer: »Sie haben dir nur seine [d.h. die zu ihm führenden] Welträume gesagt; ich aber will dir es selber sagen; wie[88] an dem Blatte der Lotosblüte das Wasser nicht haftet, so haftet keine böse Tat an dem, der solches weiss.« – Und er sprach: »Der Herr Lehrer wolle es mir sagen!« – Und er sprach zu ihm: 15,1. »Der Mann, den man in dem Auge siehet, der ist der Âtman«, so sprach er, »der ist das Unsterbliche, das Furchtlose, der ist das Brahman. Darum auch, wenn Fett oder Wasser ins Auge kommt, so fliesset es ab nach den Rändern.

2. Ihn nennet man den Liebeshort, denn er ist ein Hort alles Lieben. Ein Hort alles Lieben ist, wer solches weiss.

3. Er heisset auch der Liebesfürst [wörtlich: Liebesführer], denn alles Liebe führet er; alles Liebe führet, wer solches weiss.

4. Er heisset auch der Glanzesfürst, denn in allen Welten erglänzet er; in allen Welten erglänzet, wer solches weiss. –

5. Darum [wenn solche gestorben], mag man sie nun bestatten oder auch nicht, so gehen sie ein in einen Strahl, aus dem Strahl in den Tag, aus dem Tage in die lichte Hälfte des Monats, aus der lichten Hälfte des Monats in das Halbjahr, wo die Sonne nordwärts gehet, aus dem Halbjahr in das Jahr, aus dem Jahr in die Sonne, aus der Sonne in den Mond, aus dem Mond in den Blitz; – daselbst ist ein Mann, der ist nicht wie ein Mensch; 6. der führet sie hin zu Brahman. Das ist der Götterweg,[89] der Brahmanweg. Die den gehen, für die ist zu diesem irdischen Strudel keine Wiederkehr, – keine Wiederkehr.«

Quelle:
Die Geheimlehre des Veda. Leipzig 1919, S. 86-90.
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