Der Tod und die Götter

[37] Die kleine Erzählung, die in der den Brâhmanas eigenen Weise die Einsetzung von rituellen Bräuchen zu begründen sucht, ist auch hier nicht ohne Interesse, weil sie von der Schichtung eines Altarfeuers spricht und damit gewissen Anschauungen entspricht, die unten in der Kâthaka-Upanishad zum Ausdruck kommen.


Das Jahr ist der Tod; denn es schmälert durch Tag und Nacht das Leben der Menschen, und sie sterben. Darum ist dies der Tod. Wer in dem Jahr den Tod erkennt, dessen Leben schmälert es nicht durch Tag und Nacht vor dem Alter. Er gelangt zu vollem Alter.

Es ist der ›Beender‹; denn es bereitet den Menschen durch Tag und Nacht ein Ende, und sie sterben. Darum ist es der Beender. Wer in dem Jahr den Tod-Beender erkennt, dessen Leben beendet es durch Tag und Nacht nicht vor dem Alter. Er gelangt zu vollem Alter.

Die Götter waren in Furcht vor diesem Beender, dem Tode, dem Jahre, dem Herren der Geschöpfe: daß es uns nur nicht durch Tag und Nacht das Leben beende.

Sie spannten die Opfergewebe aus: das Agnihotra, das Neu- und Vollmondsopfer, die Quartalsopfer, das Tieropfer und[37] das Somaopfer. Sie opferten damit, aber sie erlangten nicht die Unsterblichkeit.

Sie schichteten einen Feueraltar und setzten in unbestimmter Zahl die Umfassungsziegel ein, in unbestimmter Zahl die yajushmatî genannten, in unbestimmter Zahl die lokamprina genannten, so wie jetzt einige die Ziegel in dem Gedanken einsetzen, daß so die Götter taten. Sie erlangten die Unsterblichkeit nicht.

Sie zogen betend und sich kasteiend, um die Unsterblichkeit zu gewinnen, umher. Prajâpati sprach zu ihnen: ›Ihr setzt nicht alle meine Formen ein; ihr nehmt zu viel oder zu wenig. Darum seid ihr nicht unsterblich.‹

Sie sprachen: ›Sage du uns, wie wir alle deine Formen einsetzen sollen.‹

Er sprach: ›Setzet 360 Umfassungsziegel ein; 360 Yajushmatîziegel und dazu 36; sodann 10800 Lokamprinaziegel. Dann werdet ihr alle meine Formen einsetzen, dann werdet ihr unsterblich sein.‹ Die Götter setzten in dieser Weise ein; daher wurden die Götter unsterblich.

Der Tod sprach zu den Göttern: ›So werden alle Menschen unsterblich sein; aber was für ein Anteil wird mir sein?‹ Diese sagten: ›Hinfort wird keiner zusammen mit seinem Körper unsterblich sein. Wenn du diesen Anteil dir nehmen willst, dann wird, abgesehen von seinem Körper, der unsterblich sein, welcher, sei es durch sein Wissen, sei es durch sein Werk, unsterblich wird.‹ Wenn sie sagten, sei es durch sein Wissen, sei es durch sein Werk, so ist Agni (der Feueraltar) sein Wissen, Agni sein Werk.


(X, 4, 3, 1 ff.)

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 37-38.
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