Gott Brahmans Welt

[143] Citra, der Sproß des Gângya, wünschte zu opfern und wählte den Âruni zu seinem Priester. Der sandte seinen Sohn Shvetaketu mit dem Auftrag, für Citra zu opfern. Als er gekommen war, fragte er ihn: »Sohn des Gautama, gibt es einen Verschluß (?) zu dieser Welt, in die du mich zu bringen gedenkst, oder gibt es irgendeinen Weg dahin? Bringe mich nicht zur Nichtwelt.«1 Der sprach: ›Ich weiß das nicht; wohl, ich will den Lehrer fragen.‹ Er ging zu seinem Vater und fragte ihn: ›In der Weise fragte er mich; wie soll ich antworten?‹ Der sprach: ›Ich weiß das auch nicht. In einer Sitzung empfangen wir nach dem Studium des Veda, was andere uns geben. Komm, wir wollen beide hingehen.‹ Er nahm Brennholz in die Hand und ging zu Citra, dem Sproß des Gângya. ›Ich will bei dir in die Lehre[143] treten.‹ »Du bist ein des Brahman Würdiger, der sich dem Hochmut nicht hingegeben hat. Komm, ich will dir das auseinandersetzen.«

Er sprach: »Alle, die aus dieser Welt scheiden, die gehen zum Monde. Durch ihr Leben füllt sich die zunehmende Hälfte, in der abnehmenden Hälfte veranlaßt er ihre Wiedergeburt. Der Mond ist die Pforte des Himmels. Wer ihm zu antworten versteht, den läßt er an sich vorüber. Wer ihm nicht zu antworten vermag, den sendet er, in Regen sich verwandelnd, im Regen zur Erde nieder; als Wurm, Motte, Fisch, Vogel, Löwe, Eber, Schakal (?), Tiger, Mensch oder sonst etwas wird er hier und da, je nach seinem Tun und Wissen, wiedergeboren.

Er fragt den Ankömmling: ›Wer bist du?‹ Der muß ihm erwidern: ›Von dem weisen, fünfzehnfachen2, (durch Opfer) geschaffenen, von den Manen bewohnten kommt, ihr Jahreszeiten, der Same her. Als Samen brachtet ihr mich in den zeugenden Mann; durch den zeugenden Mann gießt ihr mich in die Mutter3... Bringet mich, o Ritus, zur Unsterblichkeit. Durch diese Wahrheit, durch diese Kasteiung bin ich die Jahreszeit, bin ich ein Sohn der Jahreszeit. Wer bist du?‹ (fragt er den Mond:) ›Ich bin du.‹ Den läßt der Mond an sich vorüber.

Er gelangt auf den Pfad der Götter und schreitet zur Welt Agnis, zur Welt Vâyus, zur Welt Varunas, zur Welt Indras, zur Welt Prajâpatis, zur Welt Brahmans4...

Ihm kommen dort fünfhundert Apsaras entgegen: hundert mit Früchten in der Hand, hundert mit Salben in der Hand, hundert mit Kränzen in der Hand, hundert mit Kleidern in der Hand, hundert mit wohlriechenden Pulvern in der Hand. Sie schmücken ihn mit Brahmans Schmuck. Geschmückt mit dem Schmucke Brahmans geht der Brahmakundige zum Brahman. Er gelangt zum See Âra und überschreitet ihn mit dem Geist (manas); die aber, die nur die Gegenwart kennen, versinken, wenn sie dahin gekommen[144] sind. Er gelangt zu den Yeshtiha genannten Stunden; sie laufen vor ihm davon. Er gelangt zu dem Strom Vijarâ (›alterlos‹); diesen überschreitet er wiederum mit dem Geiste. Alle guten und bösen Taten wirft er dort von sich; angenehme Verwandte nehmen die guten, nicht angenehme die bösen Taten auf sich. Wie ein zu Wagen Dahinfahrender auf die beiden Wagenräder, so blickt er auf Tag und Nacht, blickt er auf gute und böse Taten, auf alle Gegensätze5 hinab.

Frei von guter, frei von böser Tat naht der Brahmakundige dem Brahman.

Er gelangt zum Baum Ilya und ihn erfüllt Brahmaduft, er gelangt zur Stätte Sâlajya und ihn erfüllt Brahmageschmack. Er gelangt zum Palast Aparâjita (›unbesiegt‹) und ihn erfüllt Brahmamacht; er gelangt zu den Torhütern Indra-Prajâpati; diese laufen vor ihm davon. Er gelangt zur Halle Vibhu und ihn erfüllt Brahmamajestät. Er gelangt zum Thron Vicakshanâ (›weise‹); die Melodien Brihad-Rathantara bilden seine vorderen Füße, die Melodien Shyaita und Naudhasa die hinteren Füße, die Melodien Vairûpa und Vairâja die Längsleisten, die Melodien Shâkvara und Raivata die Querleisten. Er (jener Thron) ist die Einsicht, denn er sieht durch Einsicht. Der (Wanderer) gelangt zu dem Diwan Amitaujas: der ist ›der Prâna‹; Vergangenheit und Zukunft sind seine vorderen Füße, Glück und Labung seine hinteren Füße; die Melodien Bhadra und Yajnâyajniya die Kopfleisten, Brihad-Rathantara die Längsleisten, Verse und Melodien die Kette, die Yajus der Einschlag, Somaschossen das Polster, der Udgîtha sein Überwurf, Schönheit das Kissen. Darauf sitzt Gott Brahman. Zu ihm steigt der also Kundige zuerst mit dem Fuß hinan. Gott Brahman fragt ihn: ›Wer bist du?‹; er soll erwidern:

›Ich bin die Jahreszeit, ich bin ein Sohn der Jahreszeit; aus dem Raum als dem Schoß bin ich entstanden als Samen für das Weib, als Kraft des Jahres, als Seele jeglichen Wesens.[145] Eines jeglichen Wesens Seele bist du; wer du bist, der bin ich.‹ Und der fragt ihn: ›Wer bin denn ich?‹ ›Die Wahrheit‹ (satyam), soll er antworten. ›Was ist die Wahrheit?‹ ›Was verschieden ist von den Göttern und den Lebenshauchen, das ist sat. Götter und Lebenshauche sind tyam6. Das wird durch das Wort satyam ausgedrückt. Das begreift das alles; du bist das alles‹, das sagt er zu ihm ...

›Wodurch erreichst du meine männlichen Namen?‹ Er sage: ›Durch den Hauch.‹ ›Wodurch die sächlichen?‹ ›Durch den Verstand!‹ ›Wodurch die weiblichen?‹ ›Durch die Stimme!‹ ›Wodurch die Gerüche?‹ ›Durch die Nase!‹ ›Wodurch die Erscheinungen?‹ ›Durch das Auge!‹ ›Wodurch die Worte?‹ ›Durch das Gehör!‹ ›Wodurch Speise und Trank?‹ ›Durch die Zunge!‹ ›Wodurch die Arbeiten?‹ ›Durch die Hände!‹ ›Wodurch Glück und Unglück?‹ ›Durch den Leib!‹ ›Wodurch Wonne, Liebeslust und Zeugung?‹ ›Durch den Schoß!‹ ›Wodurch die Gänge?‹ ›Durch die Füße!‹ ›Wodurch Gedanken, Erkennen, Wünsche?‹ ›Durch die Erkenntnis‹: so soll er ihm antworten. Der sagt zu ihm: ›Die Wasser sind meine Welt; dir gehört jene.‹ Jeden Sieg Brahmans ersiegt der, jeden Gewinn Brahmans gewinnt der, der so weiß, der so weiß.«


(I)

1

Bohtlingk, SBKSGW 1895; besser jetzt Hertel, Weisheit der Up. S. 156, dessen Vorschläge ich annehme. Ein Fehler steckt noch in samvritam; Deussen übersetzt: »Abschluß« (der Seelenwanderung).

2

Nach dem Taitt.-Brâhm. I, 5, 10, 5 führt der Mond die Bezeichnung ›fünfzehnfach‹: der Mond ist fünfzehnfach (hat 15 Tage); am 15. Tage nimmt er ab; am 15. Tage füllt er sich.

3

Einige zweifelhafte und unklare Worte weggelassen. Windisch, SBKSGW 59 (1907), hat der Stelle eine eingehende Besprechung gewidmet; die Bedeutung ist auch jetzt noch nicht klar. Die Türhüter sind die Jahreszeiten, wie W. richtig bemerkt.

4

Im Text steht hier eine Aufzählung der Dinge in Brahmans Welt, sie ist aber nur eine Zusammenstellung aus dem folgenden Kapitel und vermutlich eingeschoben.

5

Nach dem Kommentar Hitze und Kälte, Freud und Leid usw.

6

Die schöne Stelle wird durch die Etymologie entstellt.

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 143-146.
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