Dreizehnter Gesang.

[75] Der Erhabene sprach


Dieser Leib, o Sohn der Kuntî, er wird bezeichnet als das »Feld«,

Wer diesen kennt, den nennet man den »Feldkenner«1 – es ist der Geist!

Wisse, daß ich Feldkenner bin auf allen Feldern, Bhârata!

Vom »Feld« und von dem »Feldkenner« das Wissen ist des Namens wert2.

Doch was das Feld und wie es ist, wie sich verändernd und woher,

Auch des Feldkenners Art und Macht vernimm in Kürze nun von mir.

In manchen Rhythmen sang es einst vielfältig manches Sängers Mund,

In klaren, wohlbegründeten Brahman-Büchern verkündet ist's.

Die Elemente und das Ich, der Verstand, das Unsichtbare,

Zehn Sinne und der inn're Sinn3, auch die fünf Sinnesreiche noch;

Begehren, Hassen, Lust und Leid, Körper, Denken und Festigkeit, –

Zusammen wird's das »Feld« genannt, in dem ein ew'ger Wechsel wohnt4.

Bescheidenheit und Redlichkeit, das Nichtverletzen, die Geduld,

Reinheit, Ehrfurcht vor dem Lehrer, Beständigkeit, Selbstzügelung;

Entsagung von der Sinnenwelt, vor allem auch Selbstlosigkeit,

Ein recht Erwägen, wie Geburt, Tod, Alter, Krankheit Schmerz bewirkt;

Kein Hang zur Welt, noch Sichklammern an Söhne, Gattin, Haus und Hof,

Beständige Gleichmütigkeit bei jedem Schicksal, gut und bös;

Verehrung, die sich nicht verirrt, durch Andacht, die nur mir geweiht,

Das Wohnen in der Einsamkeit, an Gesellschaft sich nicht erfreun;

Stetes Erkennen höchsten Geist's, die Einsicht in des Wissens Zweck,

Das ist es, was man Wissen nennt, – was anders ist, Nichtwissen heißt's.

Ich sag' dir, was man wissen muß, was die Unsterblichkeit verschafft,[76]

Das anfangslose, höchste Brahm, nicht Sein noch Nichtsein wird's genannt.

Hände und Füße, Augen, Köpf' und Münder hat es überall,

Auch Ohren hat's in aller Welt, das All umfassend steht es da;

Strahlend durch aller Sinne Kraft, von allen Sinnen doch ganz frei,

Alltragend, qualitätenlos, und doch der Qualitäten froh;

In- und außerhalb der Wesen, sich bewegend und unbewegt,

Unerfaßbar ob der Feinheit, ganz fern und wiederum ganz nah;

Nicht zerteilet in den Wesen und wie zerteilt doch steht es da,

Als der Wesen Träger kenn' es, der sie verschlingt und wieder zeugt.

Das Licht der Lichter wird's genannt, das über aller Finsternis,

Wissen, wißbar, wissenswürdig, in Jedes Herzen steckt es drin.

So vom »Feld« und von dem Wissen und Wissenswürdgen sagt' ich dir5, –

Wer mich verehrt und dies erkennt, wird teilhaft meines Wesens sein.

Natur und Geist – das wisse du – ohne Anfang sie beide sind;

Doch Veränd'rung und Qualität entspringen beid' aus der Natur.

Bei allem, was das Tun betrifft, dafür ist die Natur Prinzip.

Beim Genießen von Lust und Leid wird der Geist das Prinzip genannt.

Der Geist, in die Natur gebannt, schmeckt, was sie schafft, die Qualität,

Sein Hängen an der Qualität ist Ursach steter Neugeburt.

Der Zeuge, der Gewährer auch, Träger, Genießer, großer Herr

Und höchstes Selbst6 auch wird genannt in diesem Leib der höchste Geist7.

Wer so den Geist und die Natur zusamt den Qualitäten kennt,

Wo und wie er sich auch bewegt, erleidet keine Neugeburt.

Durch Versenkung schauen manche in sich und durch sich selbst das Selbst,

Andre schaun's durch Kraft des Denkens8, durch Werkübung noch andere;

Andre ehren es unwissend, da sie von andern es gehört;

Auch sie besiegen so den Tod, der heil'gen Schrift ergeben ganz.

Sooft ein Wesen auch entsteht, sei es beweglich oder fest,

Es wird durch die Vereinigung des Felds und des Feldkundigen.[77]

Wer in den Lebewesen all denselben höchsten Herrn erblickt,

Der nicht vergeht, wenn sie vergehn, – wer das erkennt, hat recht erkannt.

Denn wer denselben Herrn erkennt als den, der allen innewohnt,

Verletzt das Selbst nicht durch das Selbst und wandelt so die höchste Bahn9.

Und wer die Taten allerwärts durch die Natur nur sieht geschehn,

Das Selbst dabei als nichthandelnd erkennet, der hat recht erkannt.

Wenn er die Sonderexistenz der Wesen all in Einem schaut,

Und von Diesem aus entwickelt, dann wandelt er zum Brahman hin.

Dies ewige und höchste Selbst, ohn' Anfang, ohne Qualität,

Wenn es auch in dem Körper wohnt, doch handelt's nicht, wird nicht befleckt.

Der Äther ist allüberall10, wird nicht befleckt, weil er zu fein, –

So wird das Selbst auch nicht befleckt, auch wenn's in allen Körpern weilt.

Wie die Sonne die ganze Welt allein mit ihrem Licht erhellt,

So erleuchtet das ganze Feld der Herr des Felds, o Bhârata!

Die zwischen Feld und Feldkenner den Unterschied mit Wissensaug'

Erkennen, die Erlösung auch von der Natur, – die gehn zu Gott.

1

Das materielle und das geistige, erkennende Prinzip – Natur einerseits, Geist andererseits – werden sich hier gegenübergestellt unter originellen Namen. Das erstere wird als Feld oder Ort (kshetra) gefaßt und bezeichnet das Gebiet, auf welchem oder in welchem das geistige, erkennende Prinzip sich bewegt. Dieses letztere, die Seele, erhält die merkwürdige Bezeichnung Kenner des Feldes oder des Ortes, der Feldkenner (kshetrajna). Man begreift den Gedanken, doch muß man sich an die originelle Auffassung erst gewöhnen.

2

Das Wissen von jenen beiden großen Prinzipien verdient wirklich Wissen genannt zu werden.

3

Man rechnet fünf Wahrnehmungssinne – Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Gefühl – und fünf Tatsinne – Reden, Greifen, Gehen, Entleeren, Zeugen; dazu kommt als elfter der sogen. innere Sinn (manas), der sie als Zentralorgan regiert.

4

Nur der innerste Kern unseres geistigen Wesens gilt der indischen Philosophie als ewig, unwandelbar, göttlich oder der Vereinigung mit dem Göttlichen fähig. Nicht nur die Sinne, auch der sogen innere Sinn, der Verstand u.a.m. wird als Produkt der Natur, der Prakriti, die hier »das Feld« heißt, angesehen. Jener innerste, ewige, göttliche Kern unseres Wesens ist qualitätenlos; das ganze Reich der Qualitäten gehört der Natur, dem »Feld« an und ist eben darum ewigem Wechsel unterworfen. Das Ewige in uns ist von einem geistigen und einem körperlichen Leibe umgeben, welche beide nicht dauern, sondern sich wandeln, resp. auch zugrunde gehen. Die Erlösung des Ewigen in uns aus den Banden der Natur ist das Ziel, dem wir zustreben sollen.

5

Wieder stehen sich hier die beiden großen Prinzipien gegenüber. Wie das »Feld«, d.i. die Natur, mit dem Nichtwissen (im Vedânta), der Mâyâ, zusammenfällt, so das Wissen mit dem Wissenswürdigen, dem ewigen, geistigen Prinzip, dem alten Brahman-Atman, dem »Feldkenner«, wie es oben heißt, der Seele, die Eins ist und doch in eines Jeden Herzen steckt, scheinbar zerteilt und doch in Wahrheit ewig ungeteilt

6

Der höchste Atman, Paramâtmâ (Atman = Selbst).

7

Der höchste Purusha (purushah parah); Atman und Purusha sind als ein und dasselbe erkannt, nur verschiedene Bezeichnungen derselben Größe, die zu Anfang und Ende des Gesanges »der Feldkenner« genannt wird.

8

Sânkhya-Yoga; ähnlich Deussen: »Durch Hingebung an die Reflexion«.

9

Diese beiden Verse, 27 und 28, sind ein klassischer Ausdruck der schon in den Upanishaden gewonnenen Weisheit des tat tvam asi, der einzig haltbaren philosophischen Grundlage der altruistischen Moral. Sie sind es, auf welche darum Schopenhauer am Schluß seiner berühmten Abhandlung über die »Grundlage der Moral« hindeutet, mit den denkwürdigen Worten: »In allen Jahrhunderten hat die arme Wahrheit darüber erröten müssen, daß sie paradox war: und es ist doch nicht ihre Schuld. Sie kann nicht die Gestalt des thronenden allgemeinen Irrtums annehmen. Da sieht sie seufzend auf zu ihrem Schutzgott, der Zeit, welcher ihr Sieg und Ruhm zuwinkt, aber dessen Flügelschläge so groß und langsam sind, daß das Individuum darüber hinstirbt. So bin denn auch ich mir des Paradoxen, welches diese metaphysische Auslegung des ethischen Urphänomens für die an ganz andersartige Begründungen der Ethik gewöhnten occidentalisch Gebildeten haben muß, sehr wohl bewußt, kann jedoch der Wahrheit nicht Gewalt antun. Vielmehr ist alles, was ich aus dieser Rücksicht über mich vermag, daß ich durch eine Anführung belege, wie jene Metaphysik der Ethik schon vor Jahrtausenden die Grundansicht der indischen Weisheit war, auf welche ich zurückdeute, wie Kopernikus auf das von Aristoteles und Ptolemäos verdrängte Weltsystem der Pythagoreer. Im Bhagavad-Gita, Lectio 13; 27, 28, heißt es nach A.W.v. Schlegels Übersetzung: Eundem in omnibus animantibus consistentem summum dominum, istis pereuntibus haud pereuntem qui cernit, is vere cernit. – Eundem vere cernens ubique praesentem dominum, non violat semetipsum sua ipsius culpa: exinde pergit ad summum iter. –«

10

Der freie Raum oder der Äther (âkâça) gilt bei den Indern als das fünfte Element.

Quelle:
Bhagavadgita: Des Erhabenen Sang. Jena 1959, S. 75-78.
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