Die einzelnen Linien

[40] Anfangs eine Sechs bedeutet:

Um den Toren zu entwickeln,[40]

ist es fördernd, den Menschen in Zucht zu nehmen.

Man soll die Fesseln abnehmen.

So weitermachen bringt Beschämung.


Am Anfang der Erziehung steht das Gesetz. Die Unerfahrenheit der Jugend ist geneigt, zunächst alles lässig und spielerisch zu nehmen. Da muß ihr der Ernst des Lebens gezeigt werden. Ein gewisses Sichzusammennehmen, wo es durch stramme Zucht erzwungen wird, ist gut. Wer mit dem Leben spielt, kommt nie zurecht. Aber die Zucht darf nicht in Drill ausarten. Fortgesetzter Drill wirkt beschämend und lähmt die Kraft.


Û Neun auf zweitem Platz bedeutet:

Die Toren ertragen in Milde, bringt Heil.

Die Frauen zu nehmen wissen, bringt Heil.

Der Sohn ist dem Hauswesen gewachsen.


Hier ist ein Mann gezeichnet, der keine äußere Macht hat, aber die nötige Geisteskraft, um die auf ihm lastende Verantwortung zu tragen. Er besitzt die innere Überlegenheit und Stärke, die die Unzulänglichkeiten der menschlichen Torheit in Milde zu tragen versteht. Dieselbe Gesinnung gilt den Frauen als dem schwächeren Geschlecht gegenüber. Man muß sie zu nehmen wissen und anzuerkennen in einer gewissen ritterlichen Nachsicht. Nur durch diese Vereinigung von innerer Kraft und äußerer Zurückhaltung wird man die Verantwortung der Leitung eines größeren gesellschaftlichen Organismus übernehmen können und dabei wirklich Erfolg haben.


Sechs auf drittem Platz bedeutet:

Nicht sollst du ein Mädchen nehmen,

das einen ehernen Mann sieht

und sich nicht im Besitz behält.

Nichts ist fördernd.


Ein schwacher, unerfahrener Mensch, der nach oben strebt, verliert leicht seine persönliche Eigenart, wenn er an hoher Stelle eine starke Persönlichkeit sieht, die er sklavisch nachahmt. Er gleicht einem Mädchen, das sich preisgibt, wenn sie einem starken Mann begegnet. Einer solchen unfreien Annäherung gegenüber darf man nicht entgegenkommend sein. Entgegenkommen wäre weder für den Jüngling noch für den Erzieher gut.

Ein Mädchen ist es ihrer Würde schuldig, daß sie auf Werbung wartet. In beiden Fällen ist es unwürdig, sich selbst anzubieten, und es ist nicht gut, ein solches Angebot anzunehmen.
[41]

Sechs auf viertem Platz bedeutet:

Beschränkte Torheit bringt Beschämung.


Für die Jugendtorheit ist es das hoffnungsloseste, sich in leere Einbildungen zu verstricken. Je eigensinniger sie auf solchen wirklichkeitsfremden Einbildungen beharrt, desto gewisser zieht sie sich Beschämungen zu.

Für den Erzieher wird beschränkter Torheit gegenüber oft nichts übrigbleiben, als sie eine Zeitlang sich selbst zu überlassen und die ihr aus ihrem Gebaren entspringende Beschämung nicht zu ersparen. Das ist oft der einzige Weg zur Rettung.


Û Sechs auf fünftem Platz bedeutet:

Kindliche Torheit bringt Heil.


Ein unerfahrener Mensch, der kindlich und anspruchslos Belehrung sucht, ist gut daran. Denn wer vom Hochmut frei sich dem Lehrer unterstellt, der wird sicher gefördert.


Oben eine Neun bedeutet:

Beim Bestrafen der Torheit ist es nicht fördernd,

Übergriffe zu begehen.

Fördernd ist nur, Übergriffe abzuwehren.


Unter Umständen muß ein unverbesserlicher Tor bestraft werden. Wer nicht hören will, muß fühlen. Diese Strafe ist von der Aufrüttlung zu Beginn verschieden. Aber die Verhängung der Strafe darf nicht im Zorn geschehen, sondern muß sich auf eine sachliche Abwehr unberechtigter Übergriffe beschränken. Sie ist nie Selbstzweck, sondern hat nur der Herstellung geordneter Verhältnisse zu dienen.

Das gilt sowohl von der Erziehung als auch von den Maßregeln einer Regierung gegen eine Bevölkerung, die sich Ausschreitungen zuschulden kommen läßt. Das Einschreiten der Regierung muß immer nur abwehrend sein und hat als einziges Ziel die Herstellung der öffentlichen Sicherheit und Ruhe.


Die einzelnen Linien
Quelle:
I Ging. Köln 141987, S. 40-42.
Lizenz:

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