Das Urteil

[46] Der Streit: Du bist wahrhaftig und wirst gehemmt.

Sorgliches Innehalten auf halbem Weg bringt Heil.

Zu Ende führen bringt Unheil.

Fördernd ist es, den großen Mann zu sehen.

Nicht fördernd ist es, das große Wasser zu durchqueren.


Streit entsteht, wenn man im Gefühl seines Rechts auf Widerstand stößt. Ohne die Überzeugung des eigenen Rechts führt Widerstand zu Hinterlist oder gewaltsamem Übergriff, aber nicht zum offenen Streit.

Ist man in Streit verwickelt, so ist machtvolle Besonnenheit, die jederzeit zur Beilegung des Streites und zum Vergleich auf halbem[46] Weg bereit ist, das einzige Heilbringende. Ein Verfolgen des Streites bis zum bitteren Ende ist, selbst wenn man recht behält, vom Übel, weil man dadurch die Feindschaft verewigt. Es ist wichtig, den großen Mann zu sehen, d.h. einen unparteiischen Mann, dessen Autorität hinreicht, um den Streit friedlich beizulegen oder gerecht zu entscheiden. Auf der andern Seite ist es zu vermeiden, in Zeiten des Unfriedens »das große Wasser zu durchqueren«, d.h. gefahrvolle Unternehmungen zu beginnen, denn die bedürfen einheitlich zusammengefaßter Kräfte, wenn sie gelingen sollen. Streit im Innern lähmt die Kraft, die Gefahr im Äußeren zu besiegen.

Quelle:
I Ging. Köln 141987, S. 46-47.
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