Die einzelnen Linien

[183] Anfangs eine Neun bedeutet:

Man wird eingewickelt in das Fell einer gelben Kuh.


[183] Änderungen darf man erst unternehmen, wenn es nicht mehr anders möglich ist. Darum ist zunächst äußerste Zurückhaltung nötig. Man muß innerlich ganz fest werden, sich mäßigen – Gelb ist die Farbe der Mitte, die Kuh ist das Symbol der Fügsamkeit – und zunächst noch nichts unternehmen; denn jedes vorzeitige Losschlagen hat üble Folgen.


Sechs auf zweitem Platz bedeutet:

Am eigenen Tage, da mag man umwälzen.

Aufbruch bringt Heil. Kein Makel.


Wenn man alles versucht hat, um die Verhältnisse zu reformieren, ohne daß es einen Erfolg hatte, dann ergibt sich die Notwendigkeit einer Revolution. Allein eine solche tiefgreifende Umwälzung muß wohl vorbereitet sein. Es muß ein Mann da sein, der die Fähigkeiten und das öffentliche Vertrauen besitzt. Einem solchen Mann mag man sich dann zuwenden. Das bringt Heil und ist kein Fehler. Es handelt sich zunächst erst um die innere Stellung zu dem Neuen, das kommen muß. Man muß ihm gleichsam entgegengehen. Nur dadurch wird es vorbereitet.


Neun auf drittem Platz bedeutet:

Aufbruch bringt Unheil. Beharrlichkeit bringt Gefahr.

Wenn die Rede von der Umwälzung dreimal ergangen ist,

dann mag man sich ihm zuwenden und wird Glauben finden.


Wenn Wechsel nötig ist, dann gibt es zwei Fehler, die man vermeiden muß. Der eine ist zu rasches und rücksichtsloses Vorgehen, das mit Unheil verbunden ist. Der andere ist überkonservatives Zögern, das ebenfalls gefährlich ist. Man darf nicht auf jede Rede hören, die nach Änderung des Bestehenden ruft. Aber man darf wiederholte und wohlbegründete Beschwerden auch nicht überhören. Wenn dreimal das Wort vom Wechsel an einen kommt und man es wohl überlegt hat, dann mag man ihm Glauben schenken und darauf eingehen. Dann wird man Glauben finden und etwas erreichen1.


Neun auf viertem Platz bedeutet:

Die Reue schwindet. Man findet Glauben.

Die Staatsordnung zu wechseln, bringt Heil.


Grundstürzende Änderungen erfordern die nötige Autorität. Sowohl die innere Charakterstärke muß da sein als auch die einflußreiche[184] Stellung. Es muß einer höheren Wahrheit entsprechen, was man tut, und darf nicht willkürlichen oder kleinlichen Motiven entspringen, dann bringt es großes Heil. Wenn keine solche innere Wahrheit einer Revolution zugrunde liegt, ist sie immer vom Übel und hat keinen Erfolg. Denn die Menschen unterstützen schließlich doch nur solche Unternehmungen, für deren innere Gerechtigkeit sie ein instinktives Gefühl haben.


Û Neun auf fünftem Platz bedeutet:

Der große Mann ändert wie ein Tiger.

Noch ehe er das Orakel fragt, findet er Glauben.


Ein Tigerfell mit seinen deutlich sichtbaren schwarzen Streifen auf gelbem Grund ist weithin sichtbar deutlich gegliedert. So ist es bei Umwälzungen, die ein großer Mann zustande bringt: es werden große, klare Richtlinien sichtbar, die jedermann verstehen kann. So braucht er nicht erst das Orakel zu fragen, denn ganz von selbst fällt ihm das Volk zu.


Oben eine Sechs bedeutet:

Der Edle ändert wie ein Panther.

Der Geringe mausert sich im Gesicht.

Aufbruch bringt Unheil.

In Beharrlichkeit weilen bringt Heil.


Nachdem die großen grundsätzlichen Fragen entschieden sind, sind noch Umgestaltungen im einzelnen und genauere Durchführungen notwendig. Diese sind zu vergleichen mit den ebenfalls deutlichen, aber kleineren Flecken des Pantherfells. Auch bei den Geringen findet infolge davon eine Änderung statt. Sie mausern sich ebenfalls der neuen Ordnung entsprechend. Freilich ist diese Mauserung nicht tiefgehend, aber das läßt sich auch nicht erwarten. Man muß sich mit dem Möglichen zufrieden geben. Wollte man zu weit gehen und zu viel erreichen wollen, so würde das zur Beunruhigung und zum Unheil ausschlagen. Denn was durch eine große Umwälzung erstrebt werden soll, sind klare, gefestigte Zustände, die eine allgemeine Beruhigung bei dem zur Zeit Möglichen gewähren.

Fußnoten

1 Vergleiche dazu in Goethes Märchen das dreimalige: »Es ist an der Zeit«, ehe die große Umwälzung eintritt.


Die einzelnen Linien
Quelle:
I Ging. Köln 141987, S. 183-185.
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