1. Die Sitte als Religion

[66] Die alten Könige benützten die Orakel der Schafgarbe und der Schildkröte. Sie ordneten die Brandopfer an und die Opfer, die vergraben wurden, und die Spenden an Seidenstoffen. Sie gaben die Worte bekannt, die Beter und Segner zu sprechen hatten. Sie legten bestimmte Regeln fest, so daß die Staaten die Sitte kannten, die Beamten alle ihre Aufgaben hatten, für jede Arbeit ein Amt da war und die Sitten ihre Reihenfolge hatten. Die alten Könige waren besorgt, daß die Sitte auch allgemein verstanden würde; darum spendeten sie Gott auf dem Anger, um dadurch dem Himmel seine Ehre zu geben. Sie opferten dem Geist des Bodens in der Hauptstadt, um den Segen der Erde zu erlangen. Sie brachten das große Opfer im Ahnentempel dar, um die Menschenliebe zu begründen. Sie besuchten die Berge und Flüsse, um mit Geistern und Göttern in Beziehung zu treten. Sie opferten den fünf Geistern des Hauses, um den Arbeiten eine feste Grundlage zu geben. Zu diesem Zwecke waren der Ahnenpriester und der Gebetspriester im Ahnentempel, die drei höchsten Würdenträger bei Hofe, die drei Klassen von Alten in der Akademie. Beim Opfer gingen vor dem Könige her die Beschwörer und hinter ihm die Schreiber. Die Orakelpriester für die Schildkröte und Schafgarbe, Musiker und Gehilfen waren rechts und links. Der König war in der Mitte. Er hielt sich frei von allen Nebengedanken, um höchste Andacht zu wahren.

Wenn die Sitte beim Angeropfer beobachtet wird, so walten alle Götter ihres Amts. Wenn die Sitte beim Opfer auf dem Landesaltar beobachtet wird, so wird Fülle an allen Gütern erreichbar. Wenn die Sitte beim Opfer im Ahnentempel beobachtet wird, so fügen sich alle Leute der Pflicht der Liebe und kindlichen Ehrfurcht. Wenn die Sitte beim Opfer für die Hausgeister beobachtet wird, so kommen Gesetze und[66] Regeln in Ordnung. Darum sind die Opfer auf dem Anger, auf dem Landesaltar, im Ahnentempel, für die Geister der Berge und Flüsse, für die fünf Hausgeister das beste Mittel zur Pflege der Gerechtigkeit und das kostbarste Kleinod der Sitte.

Die Sitte wurzelt im Großen Einen. Dies teilt sich in Himmel und Erde; es beginnt seinen Kreislauf und erscheint als das Kräftepaar von Schattigem und Lichtem; es wandelt sich und zeigt sich als die vier Jahreszeiten; es tritt auseinander und erscheint als Geister und Götter. Seine Offenbarung heißt Bestimmung. Sein Wirken ist im Himmel.

Die Sitte hat ihre Wurzel stets im Himmel; bewegt, gelangt sie auf die Erde; geordnet, zeigt sie sich bei den Arbeiten; angepaßt, folgt sie den Zeiten und richtet sich nach Stellung und Geschicklichkeit eines jeden. Als dem Menschen innewohnende Kraft heißt sie das, was seinen Wandel fördert und ihm die Kraft gibt zu Nachgiebigkeit beim Trinken und Essen, bei Verleihung des Männerhuts und Eheschließung, beim Opfern, beim Gauschießen, beim Wagenfahren, bei Hofe und beim Empfang der Gäste.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 66-67.
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