1. Der Fürst braucht keine Fachkenntnisse

[120] Der Herzog sprach: »Ich möchte die Fachkenntnisse (kleinen Unterscheidungen) lernen, um danach die Regierung zu kontrollieren. Geht das?«

Der Meister sprach: »Nein, das geht nicht. Der Herr des gesamten Staatswesens (der Landes- und Kornaltäre) muß mit seinen Tagen sparen. Der Tage sind zu wenige; da darf er seine Studien nicht diesen Unterscheidungen zuwenden. Darum lernten einst die alten Könige die gleichmäßige Anwendung des Großen Weges, um danach die Regierung zu kontrollieren. Der Himmelssohn lernte die Musik, um nach den Volksliedern der verschiedenen Gegenden die Volksarten zu unterscheiden. Er schuf die Sitten, um die Regierung durchzuführen.

Die Landesfürsten lernten die Sitten und die Unterscheidung der Regierungsaufgaben der Beamten, um so in Ehrfurcht dem Himmelssohn zu dienen.

Die Großwürdenträger lernten die Geisteskräfte und die Unterscheidungen der Pflichten und ihre gewissenhafte Durchführung, um dem Fürsten zu dienen.

Die Staatsmänner lernten, wie alles fügsam sich aneinanderreihte, und unterschieden die Worte, um die Absichten auszuführen.

Die Leute aus dem Volke hörten auf ihre Ältesten und unterschieden die Verbote und taten ihre Feldarbeit mit aller Kraft.

Selbst bei dieser Regierungsweise ist noch zu fürchten, daß nicht alles gleichmäßig geht; wie soll es erst gehen bei kleinen exakten Unterschieden!«

Der Herzog sprach: »Aber wie kann man ohne diese Unterscheidungen die Regierung führen?«

Der Meister sprach: »Man soll Unterscheidungen machen, aber keine kleinen. Kleine Unterscheidungen verderben die Worte. Kleine Worte verderben die Gerechtigkeit. Kleine[120] Gerechtigkeit verdirbt den Weg. Wenn der Weg klein ist, ist er nicht gangbar. Ein gangbarer Weg ist immer einfach.

Darum: Wenn man die Saiten rühren läßt, um die Musik zu betrachten, so ist das genug, um die Sitten des Volks zu unterscheiden. Wenn man das Wörterbuch Erl Ya benutzt, um die alte Aussprache zu betrachten, so genügt das für die Unterscheidung der Worte. Die Worte werden überliefert durch Bilder; dann mögen die Welschen20 alle herankommen, und es ist doch alles einfach. Wenn der Weg nicht einfach ist, so ist er nicht gangbar. Ist er nicht gangbar, so macht er keine Freude.

Man kann, wenn man versucht, zehn Brettsteine zu unterscheiden, es noch nicht immer erreichen; wieviel weniger ist das möglich allen Worten der Welt gegen über!«

Der Herzog sprach: »Ohne Eure Worte würde ich auch eine besondere Freude an der Unterscheidung von Worten haben.«

Der Meister sprach: »Die Freude am Unterscheiden von Worten kommt der Freude, die Regierung in Ordnung zu bringen, nicht gleich. Die Freude an der Unterscheidung von Worten geht in ihren Wirkungen nicht über die Matte, auf der Ihr sitzt, hinaus. Die Freude an der Ordnung der Regierung ist erhaben und reicht bis an die vier Weltmeere. Wenn die Regierung gut ist, so freut sich das Volk. Wenn das Volk sich freut, so wendet es sich einem zu wie fließendes Wasser und liebt einen wie Vater und Mutter. Die Fürsten kommen zuerst herbei, und nachher werden sie seine Untertanen. Was braucht es dazu Unterscheidung der Worte!«

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Fan Schê, wörtlich: die Fremden, denen die Zunge umgekehrt angewachsen ist; so wurden gewisse Südstämme bezeichnet.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 120-121.
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