2. Vorbereitungen zum Opfer

[275] Zum strengen Fasten ging man in die innere Abteilung des Hauses, zum vorbereitenden Fasten war man in der äußeren Abteilung. Am Tag des Opfers dachte der Sohn an seine Eltern, er vergegenwärtigte sich ihre Wohnung, ihr Lächeln, den Ton ihrer Stimme, ihre Gesinnung; er dachte an das, worüber sie sich freuten, und an das, was sie gerne aßen.[275] Wenn er drei Tage auf diese Weise gefastet und meditiert hatte, so erblickte er die, für die er fastete.

Am Tag des Opfers, wenn er in den Ahnenraum eintrat, war er gespannt darauf, daß er sie sicher an ihrem Ahnensitz erblicken werde; beim Umhergehen, Aus- und Eingehen war er ernst, als werde er sicher hören, wie sie sich bewegen oder reden; wenn er zur Tür hinausging, lauschte er mit verhaltenem Atem, als hörte er sie seufzen.

Darum bestand die Pietät der Alten Könige darin, daß sie das Aussehen ihrer Eltern nicht in ihren Augen erlöschen ließen, daß sie ihre Stimme nicht in ihrem Ohr verklingen ließen, daß sie ihre Gesinnungen und Neigungen nicht in ihrem Herzen vergaßen. Was man aus allen Kräften liebt, das bleibt erhalten; was man aus allen Kräften verehrt, das offenbart sich. Wenn nun auf diese Weise die Abgeschiedenen erhalten blieben, sich offenbarten und im Herzen unvergessen waren, wie hätte man da keine Ehrfurcht empfinden sollen! Der Edle dient seinen Eltern, wenn sie leben, mit Sorgfalt und opfert ihnen, wenn sie tot sind, mit Sorgfalt. Er denkt daran, daß er zeitlebens ihnen keine Schande macht.

Der Edle trauert um seine Eltern sein Leben lang; das ist der Sinn der Erinnerungstage. An solchen Erinnerungstagen hält man sich frei von anderen Beschäftigungen; nicht weil es Unglückstage wären, sondern an diesen Tagen ist der Sinn auf etwas Bestimmtes gerichtet, und man wagt nicht, seinen Privatgeschäften alle Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 275-276.
Lizenz: