Sechsundzwanzigstes Kapitel

[59] Nachdem wir nun wissen, um was es sich bei den Schlüssen handelt und wie und auf wie vielerlei Art in jeder Figur der Beweis zu führen ist, so wird sich nun auch ergeben, welche Sätze schwer und welche leicht zu beweisen sind; diejenigen Sätze nämlich, welche in mehreren Figuren und auf mehrere Weisen erschlossen werden können, sind leichter zu beweisen, und die, wo beides weniger statt hat, sind schwieriger zu beweisen. Ein allgemeiner bejahender Satz kann nur durch die erste Figur und hier nur auf eine Art bewiesen werden; ein verneinender allgemeiner Satz kann durch die erste und die zweite Figur, und zwar durch die erste nur auf eine[59] Art, durch die zweite aber auf zwei Arten bewiesen werden. Ein beschränkt-bejahen der Satz kann durch die erste und dritte Figur und zwar durch die erste nur auf eine Art, durch die letzte auf dreifache Art bewiesen werden. Ein beschränkt-verneinender Satz kann durch alle Figuren bewiesen werden, indess in der ersten nur auf eine Art, in der zweiten Figur auf zwei Arten, in der dritten auf drei Arten. Hieraus erhellt, dass ein allgemein bejahender Satz am schwersten festzustellen und am leichtesten umzustossen ist. Ueberhaupt kann ein allgemeiner Satz leichter umgestossen werden, als ein beschränkter; denn er ist widerlegt, wenn der eine Begriff in einem oder in einigen des anderen Begriffes nicht enthalten ist, und davon kann der Fall, dass er in einigen nicht enthalten ist, durch alle Figuren und dass er in keinen enthalten, durch zwei Figuren bewiesen werden. Eben so verhält es sich mit den verneinenden Sätzen; denn sobald der eine Begriff in dem ganzen anderen oder in einigen desselben enthalten ist, ist der aufgestellte Satz umgestossen, und dies kann in zwei Figuren geschehen. Bei den beschränkten verneinenden Sätzen kann es nur auf eine Weise geschehen, wenn man zeigt, dass der eine Begriff in allen oder in keinem des anderen enthalten ist. Aufzustellen sind die beschränkten Sätze leichter, da dies in mehreren Figuren und auf verschiedene Art geschehen kann. Im Allgemeinen darf man nicht übersehen, dass die Widerlegung der Sätze gegenseitig durch einander geschehen kann, nämlich der allgemeinen durch die beschränkten und der beschränkten durch die allgemeinen; feststellen kann man aber die allgemeinen Sätze durch die beschränkte nicht, aber wohl diese durch jene. Zugleich erhellt, dass das Widerlegen leichter ist, als dass Aufstellen.

Aus dem Gesagten ergiebt sich nunmehr, wie jeder Schluss zu Stande kommt und durch wie viel Begriffe und Sätze dieses geschieht und wie diese sich zu einander verhalten müssen; ferner welche aufgestellten Sätze in jeder Figur, welche in mehreren und welche in wenigem Figuren bewiesen werden können.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 59-60.
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