Neuntes Capitel

[100] Es sind aber Einige, die aus dem Dünnen und Dichten ersichtlich glauben, daß es giebt ein Leeres. Wenn nämlich es kein Dünnes und Dichtes giebt, so kann auch kein Zusammengehen und Zusammendrücken stattfinden. Ist aber dieses nicht, so giebt es entweder überhaupt keine Bewegung, oder das All wird wogen, wie Xuthus sagt, oder es muß stets eine gleiche Verwandlung in Luft und Wasser geschehen. Ich meine es aber so, wie wenn aus einem Becher Wassers Luft wird, so muß zugleich aus einem gleichen Theile Luft eben so viel Wasser werden oder nothwendig ein Leeres sein. Denn ein Zusammendrücken und Auseinanderziehen kann nicht auf andere Art stattfinden. – Wenn sie nun unter dem Dünnen verstehen, was viele abgesondert bestehende leere Räume in sich faßt, so sieht man, daß, wenn es kein Leeres für sich bestehend geben kann, so wie auch keinen Raum der nur sich selbst zum Inhalt hätte, auch kein Dünnes auf diese Weise. Soll aber nicht zwar ein abgesondertes, aber doch irgendwie ein Leeres darin sein, so ist dieß zwar minder unmöglich. Allein es folgt erstens zwar, daß nicht aller Bewegung Ursache das Leere ist, sondern nur der nach oben. Das Dünne nämlich ist ein Leichtes: deshalb nennt man auch das Feuer dünn. Sodann ist der Bewegung Ursache nicht so das Leere, wie das Worin; sondern wie die Schläuche, indem sie selbst sich nach[100] oben bewegen, zugleich das, was an ihnen hängt, mit bewegen, eben so ist auch das Leere aufwärts steigend. Allein wie kann es eine Bewegung des Leeres geben, oder einen Ort des Leeren? Vom Leeren nämlich leer würde das, wo es sich hin bewegte. – Weiter aber wie wollen sie bei dem Schweren folgern, daß es sich nach unten bewegt? Und es erhellt, daß wenn, je dünner und leerer etwas ist, um so schneller es nach oben sich bewegt, ein vollkommen Leeres, wenn es eines giebt, am schnellsten sich bewegen müßte. Vielleicht aber möchte dieß gar nicht bewegt werden können. Der Grund aber ist derselbe, wie daß auch in dem Leeren alles unbeweglich, so auch daß das Leere unbeweglich ist. Denn nicht verglichen werden könnten die Schnelligkeiten.

Da nun aber wir von dem Leeren zwar sagen, es sei nicht, die übrigen Bedenklichkeiten aber mit Recht aufgeworfen sind: so muß es entweder keine Bewegung geben, wenn es keine Verdichtung oder Verdünnung giebt, oder der Himmel wogen, oder stets gleich viel Wasser aus Luft werden, und Luft aus Wasser. Denn es erhellt, daß mehr Luft aus Wasser wird. Es muß also, wenn es kein Zusammendrücken giebt, entweder hinweggetrieben das Angrenzende des Aeußern sie wogen machen, oder anderswo gleich viel aus Luft in Wasser verwandelt werden, damit der gesammte Umfang des All gleich sei; oder nichts darf sich bewegen. Denn stets wird, so oft etwas den Platz wechselt, sich dieß begeben, es müßte sich denn im Kreise bewegen. Nicht alle Bewegung aber ist im Kreise, sondern auch in gerader Linie. – Einige nun möchten aus dergleichen Gründen behaupten, daß ein Leeres sei. Wir aber sagen in Folge der Voraussetzungen, daß da ist Ein Stoff des Entgegengesetzten, des Warmen und des Kalten und der übrigen in der Natur vorkommenden Gegensätze. Und aus der Möglichkeit nach Seiendem wird der That nach Seiendes. Und nicht selbstständig[101] zwar ist der Stoff, dem Sein nach aber verschieden, und Einer der Zahl nach, mag er es nun sein von Farbe oder von Warmen und Kaltem. Es ist aber der Stoff des großen und des kleinen Körpers derselbe. Dieß erhellt daraus, daß, wenn aus Wasser Luft wird, derselbe Stoff ohne anderweiten Zusatz bleibt. Sondern was der Möglichkeit nach war, wird der That nach. Und umgekehrt Wasser aus Luft, auf dieselbe Weise: das einemal in Größe aus Kleinheit, das anderemal in Kleinheit aus Größe. Gleicherweise also wenn die Luft, die viel ist, zu einer geringern Masse wird, und wenn sie aus einer kleineren eine größere, wie der der Möglichkeit nach seiende Stoff beides. Denn wie aus Kaltem ein Warmes und aus Warmen ein Kaltes derselbe, weil er der Möglichkeit nach war, so auch aus Warmen ein Wärmeres, ohne daß etwas in dem Stoffe warm wird, was nicht warm war, als er weniger warm war. Gleichwie auch nicht, wenn die Rundung und Krümmung des größeren Kreises zu der eines kleineren Kreises wird, mag sie nun dieselbe sein, oder eine andere, auf irgend eine Weise etwas krumm wird, was vorher nicht krumm war sondern gerade. Denn nicht in dem theilweisen Nichtdasein besteht das Minder oder das Mehr; noch kann man von der Flamme irgend eine Größe nehmen, worin nicht weiße Farbe und Wärme wäre. So nun verhält sich auch die frühere Wärme zu der späteren. Also wird auch die Größe und die Kleinheit der sinnlich wahrnehmbaren Masse nicht indem dem Stoffe etwas zuwächst, erhöht; sondern indem der Möglichkeit nach der Stoff für beide ist. Also ist das Nämliche Dichtes und Dünnes, und Einer ihr Stoff. Es ist aber das Dichte ein Schweres, das Dünne ein Leichtes. [Ferner gleichwie der Umfang des Kreises, indem er in das Kleinere zusammengezogen wird, nicht etwas anderes hinzunimmt, welches krumm war, sondern das was war, zusammengezogen ward; so[102] auch ist von dem Feuer, was man nimmt, alles warm; so besteht auch das All in dem Zusammenziehen und Ausbreiten des nämlichen Stoffes.] Zweierlei nämlich ist an beiden, dem Dichten und dem Dünnen: das Schwere nämlich und das Harte gilt für dicht; und umgekehrt für dünn das Leichte und das Weiche. Es entfernt sich aber von einander das Schwere und das Harte an dem Blei und an dem Eisen.

Aus dem Gesagten nun ist ersichtlich, daß es weder abgesondert ein Leeres giebt, noch schlechthin; weder in dem Dünnen, noch der Möglichkeit nach. Es müßte denn jemand durchaus Leeres nennen wollen, was Ursache der Ortveränderung ist. So aber wäre der so beschaffene Stoff des Schweren und Leichten das Leere. Denn das Dicht und das Dünn nach diesem Gegensatze sind das hervorbringende der Ortveränderung. Nach dem Hart und Weich aber Zustände und Zustandlosigkeit, und nicht der Ortveränderung, sondern der Umbildung vielmehr. – Ueber das Leere nun, wie fern es ist und wiefern es nicht ist, mögen auf diese Weise Bestimmungen gegeben sein.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 100-103.
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