Abtheilung XI.
Ueber die besondere Vorsehung und ein zukünftiges Leben.

[123] Ich unterhalte mich täglich mit einem Freunde, der skeptische Paradoxen liebt. Obgleich ich vielen seiner Behauptungen nicht beistimmen kann, so sind sie doch interessant und betreffen jene Kette von Beweisen, welche in der gegenwärtigen Untersuchung benutzt worden sind. Ich werde sie daher aus der Erinnerung so genau, als ich vermag, wiedergeben, damit der Leser selbst urtheilen möge.

Ich begann die Unterhaltung, indem ich das besondere Glück der Philosophie bewunderte. Sie fordert, sagte ich, volle Freiheit als ihr höchstes Recht und erblüht nur aus dem freien Kampfe der Ansichten und Beweise. Wie glücklich daher, dass sie zu einer Zeit und in einem Lande der Freiheit und Toleranz zur Welt kam, wo sie selbst bei ihren ausschweifendsten Lehren nie durch Glaubenssätze, Bekenntnisse und Strafgesetze eingezwängt wurde. Denn mit Ausnahme der Verbannung des Protagoras und den Tod des Sokrates, welcher zum Theil andere Veranlassungen hatte, giebt es in der alten Geschichte kaum ein Beispiel von der überfrommen Eifersucht, von welcher die jetzige Zeit so zu leiden hat. Epikur lebte bis zu hohem Alter friedlich und ruhig in Athen, und seine Schüler wurden sogar als Priester zugelassen, um bei dem Altar und in den heiligsten Gebräuchen der geltenden Religion mitzuwirken. [Lucian im Symposian und Dio.] Ebenso wurden Gehalte und Pensionen durch die Weisesten der römischen Kaiser den Lehrern aller philosophischen Sekten zur allgemeinen Anregung ertheilt. Wie sehr die Philosophie einer solchen Behandlung in ihrer frühen Jugend bedurfte, kann man daraus abnehmen, dass sie noch jetzt, wo sie doch härter und stärker[123] geworden sein muss, nur schwer die Rauheit der Zeit und die auf sie einbrechenden scharfen Stürme der Verleumdung und Verfolgung ertragen kann.

Sie sehen das als ein Glück der Philosophie an, sagte mein Freund, was vielmehr das Ergebniss des natürlichen Laufs der Dinge ist und in keiner Zeit und bei keinem Volke vermieden werden kann. Diese hartnäckige Frömmelei, über welche sie sich beklagen, weil sie der Philosophie so verderblich ist, sie entspringt vielmehr aus letzterer selbst, verbindet sich mit dem Aberglauben, trennt sich dann ganz von ihrer Mutter und wird ihr ausdauernder Feind und Verfolger. Tiefsinnige Religionssätze, welche jetzt so wüthenden Streit veranlassen, konnten in den frühesten Zeiten von den Menschen weder begriffen noch fest gehalten werden; sie mussten bei ihrer Unwissenheit die religiösen Vorstellungen ihrer schwachen Fassungskraft anpassen und ihre heiligen Glaubenssätze nach solchen Erzählungen bilden, welche mehr der Gegenstand eines überlieferten Glaubens, als das Ergebniss von Beweisgründen und Streitigkeiten waren. Als daher der erste Schreck vorüber war, welcher die neuen Paradoxien und Grundsätze der Philosophen veranlassten, scheinen diese Lehrer im Alterthume immer in grosser Eintracht mit dem bestehenden Aberglauben gelebt und die Menschen zuletzt unter sich vertheilt zu haben; die ersteren nahmen die Gelehrten und Gebildeten, und der letztere das gemeine ungebildete Volk.

Sie scheinen, erwiderte ich, die Politik ganz aus dem Spiele zu lassen und anzunehmen, dass eine weise Obrigkeit über gewisse Sätze der Philosophie, wie die des Epikur, nicht besorgt zu werden brauche; obgleich diese das Dasein eines Gottes, und folglich seine Vorsehung und ein künftiges Leben, nicht- anerkennen, damit in starkem Maasse die Bande der Moralität lockern und deshalb als für den Frieden der bürgerlichen Gesellschaft gefährlich erachtet werden können.

Ich weiss, erwiderte er, dass diese Verfolgungen allerdings zu keiner Zeit von der ruhigen Vernunft ausgegangen sind; auch nicht davon, dass man die verderblichen Folgen der Philosophie durch Erfahrung kennen gelernt. Sie entspringen lediglich aus Leidenschaften und Vorurtheil. Wie aber, wenn ich weiter ginge und behauptete, dass Epikur, im Falle er durch einen Schmeichler oder einen Denuncianten des jetzigen Schlages vor dem Volke angeklagt worden[124] wäre, sich leicht hätte vertheidigen und beweisen können, dass die Sätze seiner Philosophie ebenso heilig seien als die seiner Gegner, obgleich sie mit so viel Eifer ihn dem öffentlichen Hass und Misstrauen preiszugeben suchten.

Ich wünschte, sagte ich, Sie versuchten Ihre Beredsamkeit für einen so ungewöhnlichen Gegenstand und hielten eine Rede für Epikur, welche nicht blos den Pöbel von Athen befriedigte, wenn sie erlauben, dass diese alte und gebildete Stadt einen Pöbel gehabt hat, sondern auch dem philosophischeren Theil seiner Zuhörer, welche im Stande waren, seine Beweisführung zu verstehen.

Unter solchen Bedingungen, erwiderte er, ist dies nicht schwer. Gefällt es Ihnen, so will ich für eine kurze Zeit mich zu Epikur und Sie zu dem Volk von Athen machen und solch eine Vertheidigungsrede zum Besten geben, dass die Urne nur mit weissen Bohnen sich füllen soll, und keine schwarze meine boshaften Gegner erfreuen soll.

Sehr schön! Beginnen Sie unter diesen Voraussetzungen.

Ich komme hierher, o Athener! um in Eurer Versammlung das zu vertheidigen, was ich in meinem Hörsaale gelehrt habe; aber anstatt mit ruhigen und leidenschaftslosen Richtern zu streiten, finde ich mich von wüthenden Gegnern angeklagt. Eure Berathungen, welche von Rechts wegen den Fragen des öffentlichen Wohles und den Interessen des Staates zugewendet sein sollten, werden auf die Prüfung einer tiefsinnigen Philosophie abgeleitet, und diese grossartigen, aber vielleicht fruchtlosen Untersuchungen nehmen die Stelle Eurer gewöhnlicheren, aber nützlicheren Beschäftigungen ein. Soweit es auf mich ankommt, will ich diesem Missbrauch zuvorkommen. Wir wollen hier nicht über den Ursprung der Welt streiten; wir wollen nur untersuchen, inwiefern solche Fragen das öffentliche Interesse berühren; und wenn ich Euch überzeugen kann, dass sie für den Frieden des Staates und die Sicherheit der Gesellschaft ganz ohne Bedeutung sind, so hoffe ich, Ihr werdet mich gleich in die Hörsäle zurückschicken, um dort in Musse die erhabenste, aber auch schwierigste Frage aller Philosophie zu erörtern.

Die gottesfürchtigen Philosophen begnügen sich nicht mit den Ueberlieferungen der Voreltern und mit der Lehre Eurer Priester (bei der ich mich gerne beruhige), sondern geben einer voreiligen Neugierde nach und versuchen, wie weit sie die Religion auf die Gesetze der Vernunft zu gründen[125] vermögen. Somit erwecken sie Zweifel, anstatt sie zu befriedigen; Zweifel, die aus einer sorgfältigen und genauen Untersuchung hervorgehen müssen. Mit den herrlichsten Farben malen sie erst die Ordnung, Schönheit und weise Einrichtung der Welt; dann fragen sie, ob eine solche glänzende Entfaltung von Einsicht je aus zufälligen Verbindungen der Atome hätten hervorgehen können; oder ob Zufall das hervorbringen könne, was der grösste Geist nicht genug bewundern könne. Ich werde die Richtigkeit dieses Grundes nicht untersuchen. Ich werde zugeben, dass er so zureichend sei, als meine Gegner und Ankläger nur wünschen können. Es genügt, wenn ich gerade durch diesen Grund darlegen kann, dass diese Frage durchaus dem tiefem Nachdenken angehört, und dass, wenn ich in meinen philosophischen Untersuchungen eine Vorsehung und ein zukünftiges Leben leugne, ich nicht die Grundvesten der Gesellschaft unterwühle, sondern nur Grundsätze geltend mache, welche Jene selbst in ihren Beweisen, wenn sie konsequent sein wollen, als fest und genügend anerkennen müssen.

Ihr, meine Ankläger, habt also selbst anerkannt, dass der wichtigste oder einzige Beweis eines göttlichen Daseins (was ich nie in Frage gestellt habe) sich aus der Ordnung der Natur ableitet. In ihr bestehen solche Zeichen von Verstand und Absicht, dass Ihr es für unsinnig haltet, den Zufall oder die blinde und ungeleitete Kraft des Stoffes als deren Ursache zu behaupten. Ihr gesteht zu, dass dieser Beweis von der Beziehungsform der Ursachlichkeit entlehnt ist; Ihr folgert aus der Anordnung des Werkes, dass es von einem Werkmeister entworfen und vorbedacht worden sein müsse. Könnt Ihr diesen Punkt nicht festhalten, so erkennt Ihr an, dass Euer Schluss verfehlt ist; auch wollt Ihr den Schluss nicht in grösserer Ausdehnung ziehen, als die Naturerscheinungen ihn rechtfertigen. Dies sind Eure Zugeständnisse. Nun merkt auf die Folgen.

Wenn man eine bestimmte Ursache aus einer Wirkung folgert, so muss man die eine der andern anpassen und darf niemals der Ursache Eigenschaften zutheilen, die zur Hervorbringung der Wirkung nicht genau nöthig sind. Wenn ein Gewicht von zehn Loth sich in einer Wagschale hebt, so beweist das, dass das Gegengewicht von der andern schwerer ist; aber der Fall ist kein Grund, dass das Gegengewicht über hundert Loth schwer ist. Ist die für eine[126] Wirkung angenommene Ursache unvermögend, sie hervorzubringen, so muss man entweder die Ursache verwerfen, oder ihr solche Eigenschaften zusetzen, die der Wirkung genau entsprechen. Giebt man ihr aber noch andere Eigenschaften oder die Fähigkeit, noch andere Wirkungen hervorzubringen, so giebt man nur dem Spiel der Vermuthungen nach und behauptet ohne Grund und Anhalt, blos nach Belieben das Dasein von Eigenschaften und Kräften.

Diese Regel gilt ebenso bei dem unvernünftigen und unbewussten Stoff, wie bei vernünftigen und einsichtigen Wesen, sofern man sie als Ursachen betrachtet. Wird die Ursache nur aus der Wirkung abgeleitet, so darf man ihr nie mehr Eigenschaften zutheilen, als zur Hervorbringung der Wirkung gerade nöthig ist, und ebensowenig darf man nach den Regeln der gesunden Vernunft nun wieder von der Ursache ausgehn und ihr Wirkungen zuschreiben, die über die uns bekannten hinausgehn. Niemand konnte, wenn er nur ein Gemälde von Zeuxis sah, daraus entnehmen, dass er auch ein Bildhauer und Baumeister war, und in Stein und Marmor so geschickt, wie in Farben. Nur die Talente und der Geschmack, der in dem besondern Werke vor uns enthalten ist, können mit Sicherheit von dem Künstler ausgesagt werden. Die Ursache muss der Wirkung entsprechen, und wenn wir sie ihr genau anpassen, so wird man nie Eigenschaften in ihr finden, die weiter führen oder einen Schluss auf neue Absichten und Thaten gestatten. Solche Eigenschaften gehen über das hinaus, was die untersuchte Wirkung zu ihrer Erzeugung erfordert.

Räumt man also ein, dass die Götter die Urheber von dem Dasein und der Ordnung der Welt sind, so folgt, dass sie genau das Maass von Macht, Einsicht und Güte besitzen, was in ihrem Werke enthalten ist; aber nichts weiter kann damit bewiesen werden, wenn man nicht die Uebertreibung und Schmeichelei zu Hülfe nehmen will, um die Mängel des Beweises und der Begründung zu ergänzen. So weit, als die Spuren einer Eigenschaft sich jetzt zeigen, so weit kann man auf das Dasein dieser Eigenschaften schliessen. Die Annahme weiterer Eigenschaften ist reine Willkür und noch mehr die Annahme, dass in fernen Räumen und Zeiten noch eine glänzendere Entfaltung dieser Eigenschaften und eine solche Einrichtung der Verwaltung gewesen ist oder sein wird, welche solchen eingebildeten Tugenden mehr entspricht.[127] Es ist niemals zulässig, von der Welt, als Wirkung, zu Jupiter, als Ursache, aufzusteigen, und dann wieder abwärts von dieser Ursache neue Wirkungen abzuleiten, als wenn die vorhandenen Wirkungen nicht ganz dem Werthe jener ruhmvollen Eigenschaften entsprächen, die wir dieser Gottheit zuschreiben. Wenn die Kenntniss der Ursache nur allein aus der Kenntniss der Wirkung entlehnt ist, so müssen sie genau auf einander passen, und das eine kann nie weiter führen und nicht die Grundlage für neue Schlüsse und Folgerungen abgeben.

Ihr bemerkt Erscheinungen in der Natur. Ihr sucht nach einer Ursache oder einem Urheber. Ihr meint ihn gefunden zu haben. Allmählich werdet Ihr so verliebt in diesen Sprössling Eures Gehirns, dass Ihr meint, er müsse noch Grösseres und Vollkommneres hervorbringen als den gegenwärtigen Schauplatz dieser Welt, die so voll von Uebel und Unordnung ist. Ihr vergesst, dass dieser höchste Verstand und Güte nur eingebildet sind, oder mindestens ohne vernünftige Grundlage, und dass Ihr nicht berechtigt seid, ihm weitere Eigenschaften zuzutheilen, als die, welche in seinen Werken sich wirklich entfaltet und wirksam darstellen. Lasst deshalb, Ihr Philosophen, Eure Götter dem gegenwärtigen Zustand der Natur entsprechen, und unternehmt nicht, diesen Zustand durch willkürliche Zusätze zu ändern, um ihm die Eigenschaften anzupassen, die Ihr so gern Euern Gottheiten zutheilt.

Wenn Priester und Dichter durch Euer Ansehn, o Athenienser! unterstützt, vom goldenen oder silbernen Zeitalter sprechen, welches dem jetzigen Zustand von Laster und Elend vorhergegangen sei, so höre ich auf sie mit Aufmerksamkeit und Ehrfurcht; wenn aber Philosophen, welche das Ansehn der Person nicht gelten lassen wollen und die Vernunft verehren, dieselbe Sprache führen, so zolle ich ihnen, wie ich einräume, nicht dieselbe gehorsame Unterwürfigkeit und fromme Hochachtung. Ich frage, was sie in diese himmlischen Regionen geführt hat; wer sie in den Rath der Götter zugelassen hat; wer ihnen das Buch des Schicksals geöffnet hat, um so voreilig versichern zu können, dass ihre Gottheiten ein Ziel über das wirklich Wahrgenommene hinaus vollführt haben oder vollführen werden. Wenn sie mir sagen, dass sie mittelst der Stufen oder allmählichen Erhebung der Vernunft und durch Rückschlüsse von den[128] Wirkungen auf Ursachen zu dieser Höhe aufgestiegen sind, so beharre ich dabei, dass sie die Erhebung der Vernunft mit den Flügeln der Phantasie unterstützt haben; sonst hätten sie nicht in dieser Art ihre Folgerungen ändern und von Ursachen zu Wirkungen übergehn können. Sie setzten voraus, dass ein vollkommneres Werk, als die jetzige Welt, solchen vollkommnen Wesen wie den Göttern mehr entspreche, und vergassen, dass sie diesen himmlischen Wesen keine Vollkommenheit oder Eigenschaft beilegen dürfen, die nicht in der jetzigen Welt gefunden wird.

Daher kommt all der fruchtlose Eifer, die schädlichen Erscheinungen der Natur zu rechtfertigen und die Ehre der Götter zu retten, während wir doch das Dasein dieser Uebel und Unordnung, von denen die Welt überfliesst, anerkennen müssen. Man sagt uns, dass die widerspenstigen und unhandlichen Eigenschaften des Stoffes, oder die Erhaltung der allgemeinen Gesetze, oder ein Anderes der Art allein die Ursache gewesen sei, welche die Macht und Güte des Jupiter beschränkte und ihn nöthigte, die Menschen und alle lebenden Geschöpfe so unvollkommen und unglücklich zu schaffen. Es scheint also, dass diese Eigenschaften in der weitesten Ausdehnung im Voraus für zugestanden angenommen worden sind, und ich gebe zu, dass dann solche Annahmen vielleicht als leidliche Entschuldigung übler Zustände zugelassen werden könnten. Aber ich frage wieder: Weshalb soll man diese Eigenschaften als gewiss annehmen und mehr Eigenschaften in die Ursache verlegen, als in der Wirkung hervortreten. Weshalb quält Ihr Euer Gehirn, um den Lauf der Natur unter Voraussetzungen zu rechtfertigen, die meines Wissens nur eingebildet sind, und von denen keine Spur in dem Naturlauf angetroffen wird.

Diese religiöse Hypothese mag deshalb als eine eigenthümliche Weise gelten, um die sichtbaren Erscheinungen der Welt zu rechtfertigen; aber kein Verständiger wird daraus irgend einen besonderen Umstand ableiten und die Erscheinungen im Einzelnen verändern oder vergrössern. Wenn Ihr meint, dass die wahrgenommenen Dinge solche Ursachen beweisen, so mögt Ihr einen Schluss auf das Dasein solcher Ursachen ziehen. In solchen verwickelten und erhabenen Fragen mag Jeder sich in Vermuthungen und Beweisen frei ergehen. Aber hier müsst Ihr anhalten. Wenn Ihr umkehrt und aus Euren gefolgerten Ursachen rückwärts beweiset, dass[129] etwas Anderes in der Natur bestanden habe oder kommen werde, was zur volleren Entfaltung besonderer Eigenschaften diene, so erinnere ich Euch, dass Ihr Euch von der dem Gegenstande zukommenden Beweismethode entfernt habt, und der Ursache an Eigenschaften etwas über das, was die Wirkung zeigt, zugesetzt habt; sonst hättet Ihr niemals in erträglicher und passender Weise der Wirkung etwas hinzufügen können, um sie der Ursache würdiger zu machen.

Wo ist also das Hassenswerthe meiner Lehre, die ich in meinem Hörsaale verkündige oder vielmehr in meinen Gärten erörtere? Findet Ihr in der ganzen Frage etwas, was das Bestehen der Sittlichkeit oder der gesellschaftlichen Ordnung und Ruhe im Geringsten gefährdet?

Ihr sagt, dass ich die Vorsehung und den obersten Leiter der Welt leugne, welcher den Lauf derselben bestimmt, den Lasterhaften mit Schande und Fehlschlägen straft, und den Tugendhaften mit Ehre und Erfolg seiner Unternehmungen belohnt. Aber ich leugne sicherlich nicht den Lauf der Dinge selbst, welcher der Untersuchung und Prüfung eines Jeden offen liegt. Ich erkenne an, dass in der jetzigen Ordnung der Dinge die Tugend mit einer grössern Seelenruhe verbunden ist als das Laster und eine günstigere Aufnahme von der Welt erhält. Ich weiss sehr wohl, dass nach dem, was man bis jetzt von den Menschen erfahren hat, die Freundschaft der Hauptgenuss des Lebens, und die Mässigkeit die einzige Quelle von Ruhe und Glück ist. Ich schwanke nie zwischen dem tugend- und lasterhaften Leben und weiss, dass für ein gutgeartetes Gemüth aller Vortheil auf der Seite des ersten ist. Und was könnt Ihr mit all Euren Voraussetzungen und Folgerungen mehr sagen? Allerdings sagt Ihr mir, dass diese Einrichtung der Dinge aus Weisheit und Absicht hervorgegangen sei. Aber möge die Quelle sein, welche sie wolle, die Anordnung selbst, von der unser Glück und Elend, und folglich unsere Führung und Verhalten im Leben abhängt, bleibt immer dieselbe. Es steht immer mir wie Euch frei, mein Benehmen nach meiner früheren Erfahrung zu regeln. Und wenn Ihr behauptet, dass bei Annahme der göttlichen Vorsehung und einer höchsten vertheilenden Gerechtigkeit im Weltall ich über den gewöhnlichen Lauf der Dinge noch einen besonderen Lohn für das Gute und Strafe für das Böse erwarten müsse, so finde ich hier dieselbe Täuschung, die ich oben aufgedeckt habe. Ihr bleibt[130] bei der Einbildung, dass, wenn ich jene göttliche Existenz für welche Ihr so ernstlich streitet, zugebe, Ihr dann getrost Folgerungen ziehen und der wahrgenommenen Ordnung der Natur vermittelst der Euren Göttern zugeschriebenen Eigenschaften etwas zusetzen könnt. Ihr vergesst, dass alle eure Beweise nur von Wirkungen auf Ursachen gehn, und dass deshalb jede Rück-Folgerung von den Ursachen auf die Wirkung nothwendig eine grosse Täuschung enthalten muss, weil Ihr nur das von der Ursache wissen könnt, was Ihr vorher in der Wirkung nicht vermuthet, sondern deutlich wahrgenommen habt.

Was soll ein Philosoph von den eiteln Schwätzern denken, welche nicht den gegenwärtigen Schauplatz der Dinge zu ihrem alleinigen Gegenstand der Betrachtung nehmen, sondern den Lauf der Natur so ganz verkehren, dass ihnen dieses Leben nur als ein Durchgang zu etwas Weiterem gilt; als ein Portal, was zu einem grösseren und ganz verschiedenem Bauwerk führt; als ein Prolog, welcher das Stück nur einführen und es nur anziehend und passender machen soll. Woher glaubt Ihr, dass solche Philosophen ihre Begriffe über die Götter entnehmen? Gewiss von ihrer eigenen Einbildung und Phantasie. Denn wenn sie sie von den gegenwärtigen Erscheinungen ableiteten, so kämen sie nicht weiter, sondern müssten sie diesen genau anpassen. Dass die Gottheit möglicherweise Eigenschaften besitze, deren Aeusserungen wir niemals wahrgenommen haben; dass sie in ihrem Handeln von Grundsätzen geleitet werde, deren Geltendmachung wir nicht entdecken können; alles dies kann man getrost einräumen. Aber es ist eben nur Möglichkeit und Voraussetzung. Wir haben niemals einen Grund, auf eine Eigenschaft oder auf einen Grundsatz in dem Handeln der Gottheit zu schliessen, deren Aeusserung und dessen genügende Verwirklichung wir nicht erkennen.

Giebt es in der Welt ein Zeichen für eine vertheilende Gerechtigkeit? Wenn Ihr mit Ja antwortet, so schliesse ich, dass die Gerechtigkeit, wie sie hier sich äussert, auch sich genügt; wenn Ihr Nein sagt, so schliesse ich, dass Ihr dann keinen Grund habt, die Gerechtigkeit in unserm Sinne den Göttern zuzuschreiben. Wollt Ihr Euch in der Mitte zwischen Ja und Nein halten und sagen, dass die Gerechtigkeit der Götter sich jetzt zwar zum Theil, aber nicht in ihrem vollen Umfang äussere, so antworte ich, dass[131] Ihr kein Recht habt, ihr eine andere Ausdehnung zu geben, als in der Ihr seht, dass sie selbst jetzt sich geltend macht.

So bringe ich, o Athener! den Streit mit meinen Gegnern zu einem schnellen Ende. Der Lauf der Natur liegt offen vor meinen Augen, wie vor den ihrigen. Die wahrgenommene Folge der Begebenheiten ist der grosse Maassstab, nach dem wir Alle unser Benehmen einrichten. Nichts weiter kann in das Feld oder in die Berathung geführt werden. Von nichts Anderem darf man im Hörsaale und im Zimmer hören. Unser beschränkter Verstand kann diese Grenze nicht durch brechen, die für unsere verwöhnte Phantasie zu enge ist. Wenn wir aus dem Lauf der Natur den Beweis entnehmen und eine besondere verständige Ursache folgern, welche die Ordnung in der Welt gründete und forterhält, so stellen wir ein Prinzip auf, was sowohl ungewiss als nutzlos ist; ungewiss, weil es ganz jenseit menschlicher Erfahrung liegt; nutzlos, weil unsere Kenntniss dieser Ursache lediglich von dem Naturlauf abgeleitet ist, und wir daher nach den Regeln der gesunden Vernunft nicht rückwärts von der Ursache neue Folgerungen ableiten und neue Grundsätze für ihr Benehmen und Führung dadurch gewinnen können, dass zu dem gewöhnlichen und wahrgenommenen Lauf der Natur Etwas hinzugesetzt wird. –

Ich sehe (sagte ich, wie er seine Rede geendet hatte), dass Sie das Kunststück der alten Demagogen benutzen. Da es Ihnen beliebte, mich zum Volke zu machen, so suchen sie meine Gunst dadurch zu gewinnen, dass sie Grundsätze vertheidigen, welchen ich mich, wie sie wissen, immer gern angeschlossen habe. Aber wenn ich Ihnen gestatte, die Erfahrung (wie ich denke, dass Sie gethan) zum alleinigen Maassstab unseres Urtheiles über diese und alle andern Thatfragen zu machen, so möchte es doch gerade mittelst der Erfahrung, auf die Sie sich berufen, möglich sein, die Beweisführung zu widerlegen, welche Sie dem Epikur in den Mund legen. Wenn Sie z.B. ein halb fertiges Bauwerk mit Haufen von Ziegeln, Steinen und Mörteln und allem Maurerhandwerkzeug sehen, können Sie da nicht aus der Wirkung entnehmen, dass es ein Werk der Absicht und Ueberlegung ist? Und können Sie dann nicht rückwärts von dieser erschlossenen Ursache neue Zusätze für die Wirkung ableiten und schliessen, dass das Gebäude bald beendet sein[132] und alle die weitern Verbesserungen erhalten werde, welche die Kunstfertigkeit ihm ertheilen kann? Wenn Sie am Meeresufer die Spur eines Fusstapfens sehen, würden Sie nicht schliessen, dass ein Mensch diesen Weg gegangen sei, und dass er auch die Spuren von seinem andern Fusse zurückgelassen habe, obgleich sie durch das Spülen des Sandes oder das Ueberströmen des Wassers verlöscht worden sind? Weshalb wollen Sie also nicht dieselbe Beweisführung für die Ordnung der Natur zulassen? Weshalb wollen Sie nicht die Welt und das jetzige Leben nur als ein unvollendetes Bauwerk betrachten, von dem man auf einen höhern Verstand schliesst, und weshalb wollen Sie nicht den Rückschluss von diesem höhern Verstande, der nichts unvollkommen lassen kann, auf eine vollkommnere Absicht oder Plan ziehn, der seine Erfüllung in einer entferntern Zeit und Ort erhalten wird? Sind dies nicht Beweisführungen, die einander ganz gleich sind? Aus welchem Grunde kann man deshalb die eine annehmen und die andere verwerfen?

Der ungeheure Unterschied in dem Gegenstand, erwiderte er, ist ein genügender Grund für diesen Unterschied in meinen Folgerungen. Bei menschlichen Werken und Einrichtungen ist es gestattet von der Wirkung auf die Ursache zu schliessen, und rückwärts aus dieser neue Folgerungen in Betreff der Wirkung zu ziehen und die Veränderungen zu prüfen, die sie vielleicht erlitten hat oder noch erleiden wird. Denn was ist hier die Grundlage dieser Folgerungen? einfach die, dass der Mensch ein Wesen ist, das wir aus Erfahrung kennen, mit dessen Beweggründen und Absichten wir vertraut sind, und dessen Pläne und Neigungen eine gewisse Verbindung und Zusammenhang mit den Gesetzen haben, welche die Natur für die Leitung eines solchen Geschöpfes festgesetzt hat. Findet man also, dass ein Werk von der Geschicklichkeit und Thätigkeit eines Menschen herrührt, so kann man eine Menge Folgerungen über das daraus ziehen, was man von ihm zu erwarten hat, weil die Natur dieses Wesens bereits von anderwärts her bekannt ist, und alle diese Folgerungen sich auf Erfahrung und Beobachtung stützen. Kennte man aber den Menschen nur aus dem einzigen Werke, welches man vor sich hat, so wäre es unmöglich, in dieser Weise zu schliessen. Da alle Kenntniss der Eigenschaften, die man ihm zutheilt, in diesem[133] Falle nur aus diesem Werke abgeleitet würde, so könnten sie unmöglich zu etwas Neuem führen und zur Grundlage neuer Folgerungen dienen. Die Fussspur im Sande kann für sich allein nur beweisen, dass ein ihr entsprechender Körper dagewesen ist, der sie hervorgebracht hat; aber die Spur eines Menschenfusses beweist ausserdem nach unserer sonstigen Erfahrung, dass wahrscheinlich ein zweiter Fuss dagewesen ist, welcher auch eine Spur hinterlassen hat, die nur die Zeit oder andere Umstände verlöscht haben. Hier steigen wir allerdings von der Wirkung zur Ursache und schliessen wieder rückwärts von der Ursache auf Aenderungen in der Wirkung. Aber dieses ist keine Fortsetzung derselben einfachen Schlusskette. Wir fassen in diesem Falle eine Menge Erfahrungen und Beobachtungen rücksichtlich der gewöhnlichen Gestalt und Glieder dieser Art von Geschöpfen zusammen, ohne welches dieses Beweisverfahren als trügerisch und spitzfindig gelten müsste.

Der Fall ist bei unsern Folgerungen aus Werken der Natur nicht derselbe. Wir kennen die Gottheit nur aus ihren Werken; sie ist in der Welt nun einmal da und kann nicht unter eine Art oder Gattung begriffen werden, aus deren wahrgenommenen Eigenschaften und Bestimmungen man mittelst der Aehnlichkeit auf eine Eigenschaft oder Bestimmung in jener schliessen könnte. Da das Weltall Weisheit und Güte zeigt, so folgern wir Weisheit und Güte. Da es ein bestimmtes Maass dieser Vorzüge zeigt, so folgern wir ein solches Maass derselben, was genau den erprobten Wirkungen entspricht. Aber weitere Eigenschaften oder ein grösseres Maass derselben ist man nach den Regeln des richtigen Schliessens zu folgern oder anzunehmen nicht berechtigt. Sind aber solche Annahmen nicht gestattet, so können wir mit der Ursache nicht weiter kommen und keine andere Zustände in der Ursache folgern als die unmittelbar wahrgenommenen. Grössere, von diesem Wesen hervorgebrachte Güter müssen einen höhern Grad von seiner Güte beweisen, eine unparteiischere Austheilung von Lohn und Strafe muss aus einer grössern Berücksichtigung der Gerechtigkeit und Billigkeit hervorgehn. Jeder blos willkürlich angenommene Zusatz zu den Werken der Natur giebt zwar einen Zusatz zu den Eigenschaften des Urhebers der Natur; da er aber durch keinen Grund oder Beweis unterstützt ist,[134] so kann er nur als leere Vermuthung und Voraussetzung gelten.A11

Die grosse Quelle des Irrthums und der schrankenlosen Freiheit von Vermuthungen, der wir in solchem Falle nachgeben, ist, dass wir stillschweigend uns an die Stelle des höchsten Wesens setzen und folgern, dass es überall sich ebenso benehmen werde, wie wir selbst es in solcher Lage für rathsam und vernünftig halten würden. Aber schon der gewöhnliche Lauf der Natur belehrt uns, dass beinahe jedes Ding durch Kräfte und Regeln bestimmt wird, die von den unsrigen sehr abweichen, und ausserdem widerspricht es allen Regeln der Analogie, aus den Absichten und Plänen eines Menschen auf die eines so verschiedenen und so viel höheren Wesens zu schliessen. In der menschlichen Natur besteht ein bekannter Zusammenhang der Absichten und Neigungen, so dass, wenn man aus einem Umstand die Neigung des Menschen entnommen hat, es vernünftig ist, nach der Erfahrung weiter zu schliessen und eine lange Reihe von Folgerungen über sein vergangenes und künftiges Benehmen zu ziehen. Aber diese Schlussweise gilt nicht bei einem so entfernten und unbegreiflichen Wesen, welches den andern im Weltall weniger ähnelt, als die Sonne einer[135] Wachskerze, und welches sich nur durch einige schwache Spuren und Züge erkennbar macht, über die hinaus wir ihm keine Eigenschaft oder Vollkommenheit beilegen können. Was wir für eine höhere Vollkommenheit halten, kann in Wahrheit ein Mangel sein, und selbst wenn es eine Vollkommenheit wäre, so kann man sie doch dem höchsten Wesen nicht zutheilen, wenn ihre volle Aeusserung in seinem Werke nicht wahrzunehmen ist; dies würde mehr nach Schmeichelei und Lobhudelei schmecken, als nach einem richtigen Schliessen und nach gesunder Philosophie. Alle Philosophie der Welt und alle Religion, die ja nur eine Art der Philosophie ist, kann uns nicht über den gewöhnlichen Lauf der Erfahrung hinaus heben oder uns einen Maassstab für unser Benehmen und Betragen geben, der von dem aus der Betrachtung des gewöhnlichen Lebens entnommenen abweicht. Aus der religiösen Hypothese kann keine neue Thatsache gefolgert, kein Ereigniss vorher gesehen und vorher verkündet, keine Strafe oder Belohnung gefürchtet oder gehofft werden über das hinaus, was Erfahrung und Beobachtung ergeben. Meine Vertheidigung des Epikur bleibt deshalb fest und genügend; die politischen Interessen der Gesellschaft haben keinen Zusammenhang mit den philosophischen Erörterungen über Metaphysik und Religion.

Einen Umstand, erwiderte ich, scheinen Sie doch übersehen zu haben. Ich gebe Ihre Vordersätze zu; aber ich leugne den Schluss. Sie folgern, dass religiöse Lehren und Erörterungen keinen Einfluss auf das Leben haben können, weil sie keinen haben sollen, und erwägen nicht, dass die Menschen nicht so, wie Sie, schliessen, sondern Vieles aus dem Glauben an ein göttliches Wesen ableiten, und dass sie annehmen, es werde dieses Strafen über das Laster verhängen und den Lohn der Tugend ertheilen, über das hinaus, was der gewöhnliche Lauf der Natur ergiebt. Es ist gleich, ob diese Folgerung richtig ist oder nicht; der Einfluss auf ihr Leben und Benehmen bleibt derselbe, und wer es unternimmt, sie von diesen Vorurtheilen zu befreien, ist meines Erachtens wohl ein guter Logiker, aber kein guter Bürger und Politiker; denn er befreit die Menschen von einem Zügel ihrer Leidenschaften und erleichtert, ja ermuthigt in gewisser Hinsicht zur Verletzung der bürgerlichen Gesetze.

Nach Allem trete ich Ihnen also in Ihrem allgemeinen Ausspruche zu Gunsten der Freiheit wohl bei; aber aus[136] anderen Vordersätzen, als die Sie dazu benutzen. Ich meine, der Staat muss jede philosophische Lehre zulassen, und es giebt kein Beispiel, dass eine Regierung durch solche Nachsicht in ihren politischen Interessen gelitten hätte. Unter den Philosophen herrscht keine Begeisterung; ihre Lehren sind nicht verlockend für das Volk, und man kann ihre Erörterungen nicht ohne Nachtheil für die Wissenschaften und selbst für den Staat beschränken; denn man ebnet damit den Weg für Verfolgung und Unterdrückung auch in solchen Dingen, bei denen die Menschheit mehr betheiligt und tiefer interessirt ist.

Indess treffe ich hier (fuhr ich fort) bei Ihrem Hauptsatze auf eine Schwierigkeit, die ich nur berühre, ohne darauf besondern Werth zu legen, damit wir nicht in zu feine und zarte Erörterungen gerathen. Kurz, ich muss bezweifeln, ob es überhaupt möglich ist, eine Ursache aus ihrer Wirkung zu erkennen (wie Sie immer angenommen haben); oder dass etwas von so eigenthümlicher und besonderer Beschaffenheit sei, dass es keine Vergleichung oder Analogie mit andern Ursachen oder Dingen gestatte, welche in der Erfahrung je vorgekommen sind. Nur wenn zwei Arten von Dingen immer verbunden angetroffen werden, kann man von dem Einen auf das Andere schliessen. Ist aber eine Wirkung ganz eigenthümlich und unter keine bekannte Art zu befassen, so lässt sich überhaupt keine Vermuthung oder Folgerung in Betreff ihrer Ursache aufstellen. Wenn Erfahrung, Beobachtung und Analogie in Wahrheit die einzigen Führer sind, denen man in Erkenntniss der Natur sich anvertrauen kann, so muss eine bestimmte Wirkung und Ursache andern bekannten Wirkungen und Ursachen gleichen, die in vielen Fällen verbunden angetroffen worden sind.

Ich überlasse es Ihrem eigenen Nachdenken, den Folgen dieses Grundsatzes nachzugehen. Ich sollte meinen, dass, wenn die Gegner des Epikur annehmen, das Weltall, als eine ganz besondere und unvergleichliche Wirkung, beweise das Dasein der Gottheit, also eine nicht weniger eigenthümliche und unvergleichliche Ursache, Ihre Bedenken gegen solche Folgerungen sicher alle Berücksichtigung verdienen. Es besteht allerdings eine Schwierigkeit für den Rückschluss von der Ursache zur Wirkung und für eine Veränderung oder Vermehrung der letztern vermittelst Folgerungen aus Vorstellungen über die erstere.[137]

A11

Im Allgemeinen muss es, meiner Ansicht nach, als Regel gelten, dass, wenn eine Ursache nur aus besonderen Wirkungen ernannt wird, dann keine neue Wirkungen aus der Ursache abgeleitet werden dürfen; weil die Eigenschaften, die zur Hervorbringung dieser Wirkungen neben jenen nöthig sind, entweder verschieden oder bedeutender oder von ausgedehnterer Wirksamkeit sein müssten als die, welche einfach die Wirkungen hervorgebracht haben, aus denen allein die Ursache abgeleitet worden ist. Man hat deshalb kein Recht, solche Eigenschaften vorauszusetzen. Diese Schwierigkeit wird auch dadurch nicht beseitigt, dass die neuen Wirkungen als eine Fortsetzung der Wirksamkeit dargestellt werden, die man schon aus den ersten Wirkungen kenne. Denn selbst wenn man dies zugiebt (obgleich es selten angenommen werden kann), so bleibt doch die Aeusserung einer gleichen Wirksamkeit (denn genau dieselbe kann es unmöglich sein) in einer andern Zeit oder Raumstelle eine willkürliche Annahme, und die Wirkungen, aus denen die Kenntniss der Ursache ursprünglich abgeleitet worden ist, enthalten keine Spur davon. Die geschlossene Ursache muss genau der bekannten Wirkung entsprechen; deshalb kann sie keine Eigenschaften haben, aus der man neue oder andere Wirkungen folgern könnte.

Quelle:
David Hume: Eine Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes. Berlin 1869, S. 123-138.
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