Deklination der Atome

[67] Dies noch wünsch' ich hierbei dir recht zur Kenntnis zu bringen:

Wenn sich die Körper im Leeren mit senkrechtem Falle bewegen,

Durch ihr eigen Gewicht, so werden sie wohl in der Regel

Irgendwo und wann ein wenig zur Seite getrieben,

Doch nur so, daß man sprechen kann von geänderter Richtung.

Wichen sie nicht so ab, dann würden wie Tropfen des Regens

Gradaus alle hinab in die Tiefen des Leeren versinken.

Keine Begegnung und Stoß erführen alsdann die Atome,

Niemals hätte daher die Natur mit der Schöpfung begonnen.[67]

Wer nun etwa vermeint, die schwereren Körper, die senkrecht

Rascher im Leeren versinken, vermöchten von oben zu fallen

Auf die leichteren Körper und dadurch die Stöße bewirken,

Die zu erregen vermögen die schöpferisch tätigen Kräfte:

Der entfernt sich gar weit von dem richtigen Wege der Wahrheit.

Denn was immer im Wasser herabfällt oder im Luftreich,

Muß, je schwerer es ist, um so mehr sein Fallen beeilen,

Deshalb, weil die Natur des Gewässers und leichteren Luftreichs

Nicht in der nämlichen Weise den Fall zu verzögern imstand ist,

Sondern im Kampfe besiegt vor dem Schwereren schneller zurückweicht:

Dahingegen vermöchte das Leere sich niemals und nirgends

Wider irgendein Ding als Halt entgegenzustellen,

Sondern es weicht ihm beständig, wie seine Natur es erfordert.

Deshalb müssen die Körper mit gleicher Geschwindigkeit alle

Trotz ungleichem Gewicht durch das ruhende Leere sich stürzen,

Darum können auch nie die schwereren Körper von oben

Auf die leichteren fallen und ihrerseits Stöße bewirken,

Die zum Betrieb der Natur die verschiednen Bewegungen, stiften.

Deshalb (ich schärf' es dir ein) muß etwas zur Seite sich neigen

Jeder fallende Körper, doch nur um ein Allerkleinstes,

Um nicht der Wahrheit zuwiderzureden von Schiefe der Fallbahn.

Denn das liegt doch vor Augen und ist mit den Händen zu greifen:

Wenn sich gewichtige Körper von oben nach unten bewegen,

Fallen sie nie von sich selbst aus schief, soweit man es sehn kann.

Doch wie könnte man je mit den Sinnen bemerken, ob niemals

Etwas vom richtigen Weg auch nur um ein Tüttelchen abweicht?

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 67-68.
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