b) Der Sparren

[144] »Mensch, es spukt in Deinem Kopfe! – – Du hast eine fixe Idee!« donnert der heilige Max seinen Sklaven Szeliga an. »Denke nicht, daß Ich scherze«, droht er ihm. Untersteh Dich nicht zu glauben, daß der feierliche »Max Stirner« scherzen könne.

Der Mann Gottes hat wieder seinen getreuen Szeliga nötig, um vom Objekt auf das Subjekt, vom Spuk auf den Sparren zu kommen.

Der Sparren ist die Hierarchie im einzelnen Individuum, die Herrschaft des Gedankens »in ihm über ihm«. Nachdem die Welt dem phantasierenden Jüngling von p. 20 als Welt seiner »Fieberphantasien«, als Gespensterwelt gegenübergetreten ist, wachsen ihm die »eignen Geburten seines Kopfs« innerhalb seines Kopfs über seinen Kopf. Die Welt seiner Fieberphantasien -das ist sein Fortschritt – existiert nun als die Welt seines zerrütteten Kopfes. Sankt Max, der Mann, der die »Welt der Neuen« als den phantasierenden Jüngling sich gegenüberstehen hat, muß notwendig erklären, daß »beinahe die ganze Menschenwelt aus veritablen Narren, Narren im Tollhause bestehe«. (p. 57.)

Der Sparren, den Sankt Max in den Köpfen der Menschen entdeckt, ist nichts als sein eigner Sparren, der Sparren »des Heiligen«, der die Welt sub specie aeterni betrachtet und sowohl die heuchlerischen Phrasen wie die Illusionen der Menschen für die wirklichen Motive ihrer Handlungen versieht; weswegen auch der naive, gläubige Mann getrost den großen Satz ausspricht: »Fast die ganze Menschenwelt hängt am Höheren.« (p. 57.)

Der »Sparren« ist »eine fixe Idee«, d.h. »eine Idee, die den Menschen sich unterworfen hat«, oder, wie später populärer gesagt wird, allerlei Abgeschmacktheiten, die die Leute »sich in den Kopf gesetzt haben«. Mit spielender Leichtigkeit ergibt sich für Sankt Max, daß Alles, was die Menschen sich unterworfen hat, z.B. die Notwendigkeit zu produzieren, um zu leben, und die davon abhängigen Verhältnisse eine solche »Abgeschmacktheit« oder »fixe Idee« ist. Da die Kinderwelt die einzige »Welt der Dinge« ist, wie wir in der Mythe vom »Menschenleben« sahen, so ist Alles, was »für das Kind« (von Zeit zu Zeit auch für das Tier) nicht existiert, jedenfalls »eine Idee« und »leicht auch« eine »fixe Idee«. Wir sind den Jüngling und das Kind noch lange nicht los.

Das Kapitel vom Sparren hat bloß den Zweck, die Kategorie des Sparrens in der Geschichte »des Menschen« zu konstatieren. Der eigentliche Kampf[144] gegen die Sparren zieht sich durch das ganze »Buch« und wird namentlich im zweiten Teil geführt. Wir können uns deshalb hier mit ein paar Beispielen von Sparren begnügen.

p. 59 glaubt Jacques le bonhomme, daß »unsere Zeitungen von Politik strotzen, weil sie in dem Wahne gebannt sind, der Mensch sei dazu geschaffen, ein Zoon politikon zu werden«. Also nach Jacques le bonhomme wird Politik getrieben, weil unsre Zeitungen davon strotzen! Wenn ein Kirchenvater die Börsennachrichten unserer Zeitungen ansähe, so könnte er gar nicht anders urteilen wie Sankt Max und müßte sagen: Diese Zeitungen strotzen von Börsennachrichten, weil sie in den Wahn gebannt sind, der Mensch sei dazu geschaffen. In Fonds zu spekulieren. Also nicht die Zeitungen haben den Sparren, sondern der Sparren hat den »Stirner«.

Die Verpönung der Blutschande und die Institutionen der Monogamie werden aus »dem Heiligen« erklärt, »sie sind das Heilige«. Wenn bei den Persern die Blutschande nicht verpönt ist und die Institution der Polygamie bei den Türken sich vorfindet, so sind dort also Blutschande und Polygamie »das Heilige«. Zwischen diesen beiden »Heiligen« wäre kein Unterschied anzugeben, als daß Perser und Türken sich andres dummes Zeug »in den Kopf gesetzt haben« als die christlich germanischen Völker. – Kirchenväterliche Manier, sich »zeitig genug« von der Geschichte »loszumachen«. – Jacques le bonhomme ahnt so wenig die wirklichen, materialistischen Ursachen der Verpönung der Polygamie und Blutschande unter gewissen sozialen Verhältnissen, daß er sie nur für einen Glaubenssatz erklärt und sich in Gemeinschaft mit jedem Spießbürger einbildet, wenn einer für derartige Vergehen eingesperrt werde, so sperre ihn »die Sittenreinheit« in ein »Sittenverbesserungshaus« (p. 61), wie denn die Kerker ihm überhaupt – und hierin steht er unter dem gebildeten Bourgeois, der dies besser weiß, vgl. die Gefängnisliteratur – als Sittenverbesserungshäuser erscheinen. »Stirners« »Kerker« sind die allertrivialsten Illusionen des Berliner Bürgers, die Indes für ihn schwerlich ein »Sittenverbesserungshaus« genannt zu werden verdienen.

Nachdem Stirner durch eine »episodisch eingelegte« »geschichtliche Reflexion« entdeckt hat, daß »es dahin kommen mußte, daß der ganze Mensch sich mit allen seinen Fähigkeiten als religiös erwies« (p. 64), »so ist auch in der Tat« – »nicht zu verwundern«, »weil wir jetzt so durch und durch religiös sind« – – »daß« der Eid »der Geschwornen uns zum Tode verdammt und der Polizeidiener uns als guter Christ durch ›Amtseid‹ ins Loch bringt«. Wenn ihn ein Gensdarme wegen Rauchens im Tiergarten anhält, so schlägt ihm nicht[145] der kgl. preuß. dafür bezahlte und an den Strafgeldern beteiligte Gensdarme, sondern der »Amtseid« die Zigarre aus dem Munde. Geradeso verwandelt sich für ihn die Macht des Bourgeois im Geschwornengerichte, wegen des scheinheiligen Aussehens, das sich die amis du commerce hier geben, in die Macht des Schwörens, des Eides, in »das Heilige«. Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch: solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden. (Matth[äi] 8, 10.)

»Bei so Manchem wird ein Gedanke zur Maxime, so daß nicht Er die Maxime, sondern diese vielmehr ihn hat, und mit der Maxime hat er wieder einen festen Standpunkt.« Aber »so liegt es nun nicht an jemandes Wollen, Sollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen«. Röm[er] 9, 16. Darum muß der heilige Max sogleich auf derselben Seite einige Pfähle ins Fleisch bekommen und uns selbst mehrere Maximen geben: nämlich erstens die Maxime, keine Maxime, damit zweitens die Maxime, keinen festen Standpunkt zu haben, drittens die Maxime: »Wir sollen zwar Geist haben, aber der Geist soll Uns nicht haben«; und viertens die Maxime, daß man auch sein Fleisch vernehmen soll, »denn nur wenn ein Mensch sein Fleisch vernimmt, vernimmt er sich ganz, und nur wenn er sich ganz vernimmt. Ist er vernehmend oder vernünftig«.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 144-146.
Lizenz:
Kategorien: