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[1268] Der Sieg über die Kraft. – Erwägt man, was bisher alles als »übermenschlicher Geist«, als »Genie« verehrt worden ist, so kommt man zu dem traurigen Schlusse, daß im ganzen die Intellektualität der Menschheit doch etwas sehr Niedriges und Armseliges gewesen sein muß: so wenig Geist gehörte bisher dazu, um sich gleich erheblich über sie hinaus zu fühlen! Ach, um den wohlfeilen Ruhm des »Genies«! Wie schnell ist sein Thron errichtet, seine Anbetung zum Brauch geworden! Immer noch liegt man vor der Kraft auf den Knien – nach alter Sklaven-Gewohnheit – und doch ist, wenn der Grad von Verehrungswürdigkeit festgestellt werden soll, nur der Grad der Vernunft in der Kraft entscheidend: man muß messen, inwieweit gerade die Kraft durch etwas Höheres überwunden worden ist und als ihr Werkzeug und Mittel nunmehr in Diensten steht! Aber für ein solches Messen[1268] gibt es noch gar zu wenig Augen, ja zumeist wird noch das Messen des Genies für einen Frevel gehalten. Und so geht vielleicht das Schönste immer noch im Dunkel vor sich und versinkt, kaum geboren, in ewige Nacht – nämlich das Schauspiel jener Kraft, welche ein Genie nicht auf Werke, sondern auf sich als Werk, verwendet, das heißt auf seine eigene Bändigung, auf Reinigung seiner Phantasie, auf Ordnung und Auswahl im Zuströmen von Aufgaben und Einfällen. Noch immer ist der große Mensch gerade in dem Größten, was Verehrung erheischt, unsichtbar wie ein zu fernes Gestirn: sein Sieg über die Kraft bleibt ohne Augen und folglich auch ohne Lied und Sänger. Noch immer ist die Rangordnung der Größe für alle vergangene Menschheit noch nicht festgesetzt.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1268-1269.
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