Achtes Buch.
Ueber die intelligible Schönheit

[201] 1. Da wir behaupten, dass derjenige, welcher zum Anschauen der übersinnlichen Schönheit gelangt ist und die Schönheit des wahren Geistes empfunden hat, auch im Stande sei den Ursprung [Vater] dieser und den des göttlichen Verstandes mit seinen Gedanken zu erfassen, so lasst uns zu betrachten und für uns selbst auszusprechen versuchen (soweit dergleichen auszusprechen möglich ist), wie jemand wohl die Schönheit des Geistes und jener übersinnlichen Welt erschauen mag. Denken wir uns meinetwegen zwei Marmorblöcke neben einander liegen, den einen roh und ungestaltet, den andern bereits von der Kunst bewältigt und zum Bilde eines Gottes z.B. einer Muse oder Charis oder eines Menschen, aber nicht eines beliebigen, sondern eines von künstlerischer Hand sehr schön gestalteten geformt, so dürfte der von der Kunst zur schönen Gestalt erhobene offenbar schön sein, nicht weil er ein Marmorblock ist – sonst wäre ja auch der andere in ähnlicher Weise schön – sondern von der Form [Idee] her, welche die Kunst ihm eingebildet hat. Diese Form nun halte nicht der Stoff, sondern sie war, und zwar noch ehe sie in den Stein kam, im Geiste des Bildhauers, und in ihm nicht sofern er Augen und Hände hatte, sondern weil er ein Künstler war. Es wohnte also in der Kunst diese weit höhere Schönheit; doch ging nicht diese in den Marmorblock ein, sondern indem jene bleibt, eine von ihr ausgehende geringere; und auch diese blieb nicht rein in sich selbst und gehorchte dem Willen des Bildners nur insoweit als der Stein der Kunst nachgab. Wenn aber die Kunst das was sie hat und ist bildet – und sie bildet das Schöne nach dem Begriff dessen was sie bildet – so ist sie in höherem und richtigerem Maasse schön, weil eben im Besitz der Schönheit der Kunst, die jedoch noch grösser und herrlicher ist als sie nach aussen hin erscheint. Soweit sie nämlich in den Stoff eingehend sich ausgedehnt hat, um soviel ist sie schwächer als die in sich selbsteinig verharrende. Denn alles sich Ausbreitende giebt etwas von seinem Wesen auf: die Stärke von der Stärke, die Wärme von der Wärme, überhaupt die Kraft von der Kraft, so auch die Schönheit von der Schönheit; und jedes schöpferische Princip muss an und für sich besser sein als das Geschaffene; denn nicht der Mangel an[201] musikalischer Begabung macht den Musiker, sondern die musikalische Kunst, desgleichen die sichtbare Gestalt die vor der Sinnenwelt liegende. Verachtet aber jemand die Künste, weil sie in ihren Schöpfungen die Natur nachahmen, so ist zuerst zu sagen, dass auch die Schöpfungen der Natur Nachahmungen sind; sodann muss man wissen, dass sie die Erscheinung nicht schlechtweg nachahmen, sondern aufsteigen zu den Gedanken, aus denen die Natur stammt; dann, dass sie auch aus dem Eigenen vieles hinzuthun. Sie fügen nämlich als im Besitz der Schönheit allem Mangelhaften etwas hinzu, wie denn auch Phidias den Zeus nach keinem sichtbaren Gegenstände gebildet hat, sondern so wie Zeus aussehen würde, wenn er einmal vor unsern Augen erscheinen wollte.

2. Doch lassen wir die Künste. Die Dinge aber, deren Werke sie nachahmen sollen, das sogenannte Naturschöne wollen wir betrachten: die vernünftigen und vernunftlosen Wesen alle und besonders diejenigen von ihnen, welche der Bildner und Künstler in vorzüglichem Grade zu Stande gebracht, indem er die Materie bewältigte und ihr die ideale Gestalt welche er wollte gab. Was ist nun die Schönheit in diesen? Woher stammt, frage ich, die glänzende Schönheit der Helena, dieses viel umstrittenen Weibes, oder anderer Frauen, die an Schönheit der Aphrodite gleichkamen? Ja woher die der Aphrodite selbst oder irgend eines andern schönen Menschen oder Gottes, die wir etwa zu Gesicht bekamen oder auch nicht bekamen, deren Schönheit uns aber in die Augen fallen würde? Ist dieses denn nicht überall die Idee, welche von dem Schöpfer auf das Geschöpf übergeht, sowie sie auf dem Gebiet der Künste nach unserer früheren Behauptung von den Künsten übergeht auf das Kunstwerk? Wie also? Schön sind die Kunstwerke und der die Materie beherrschende Begriff, und der im Schöpfer, nicht in der Materie wirksame Begriff, dieser erste und stofflose sollte nicht Schönheit sein? Ja wenn die Masse, insofern sie Masse war, schön war, dann müsste der schöpferische Begriff, eben weil er nicht Masse war, nicht schön sein; wenn aber, falls in der gleichviel ob kleinen oder grossen Masse derselbe Gedanke waltete, dieser die Seele des Beschauers in gleicher Weise bewegt und stimmt durch seine eigene Kraft, so ist die Schönheit nicht der Grosse der Masse beizumessen. Ein Beweis dafür ist auch dies: so lange sie ausser uns ist, sehen wir sie nicht, sobald sie inwendig geworden, hat sie uns bereits afficirt. Sie geht durch die Augen ein nur als Form [Idee], wie könnte sie das sonst bei einem so winzigen[202] Gegenstande? Mit hineingezogen wird aber auch die Grosse, nicht gross in der Masse, aber durch die Idee gross geworden. Weiter. Die schöpferische Ursache muss entweder hässlich oder indifferent oder schön sein. Wäre sie hässlich, so würde sie nicht das Gegentheil bewirken; wäre sie indifferent, warum sollte sie denn lieber das Schöne als das Hässliche hervorbringen? Aber in Wahrheit ist die Natur, die das Schöne so hervorbringt, viel früher schön; wir indessen, die wir nicht gewöhnt sind oder nicht verstehen in das Innere zu schauen, jagen dem Aeussern nach ohne zu erkennen, dass das Innere die bewegende Ursache ist; gerade wie wenn jemand, der sein eigenes Bild erblickte und nicht wüsste, woher es kommt, diesem nachjagte. Es beweist ausserdem, dass das Erstrebte ein anderes und die Schönheit nicht in der Grösse zu finden ist, auch die Schönheit in den Wissenschaften und Beschäftigungen und überhaupt in den Seelen. Da ist es denn in der That eine grössere Schönheit, wenn du an jemandem die Weisheit schaust und bewunderst ohne auf sein Antlitz zu blicken; mag dies immerhin hässlich sein, lass du nur die ganze äussere Erscheinung bei Seite und suche die innere Schöne an dem Manne. Fühlst du dich aber noch nicht bewogen, einen solchen schön zu nennen, dann hast du dich auch noch nicht beim Blick in das Innere an deiner eigenen Schöne erfreut. So würdest du dann freilich in solchem Zustande jene vergebens suchen, denn du wirst sie suchen mit hässlichem und nicht mit reinem Sinne. Darum gehen auch die Reden über dergleichen Dinge nicht alle an; hast aber auch da dich schon als schön erblickt, so denke daran.

3. Es giebt also auch in der Natur einen Begriff der Schönheit, das Urbild der in sichtbarer Gestalt erscheinenden; aber schöner als der in der Natur ist der in der Seele, von dem auch der in der Natur stammt. Am hellsten strahlt natürlich der in einer edlen Seele, welcher sich auch bereits in Schönheit manifestirt. Denn nachdem er die Seele geschmückt hat und ihr Licht gebracht vom Lichte der grössern ursprünglichen Schönheit, veranlagst er selbst in der Seele verbleibend sie nachzudenken über das Wesen des voraufliegenden Gedankens, welcher sich nicht mehr einem andern mittheilt, sondern in sich selber verharrt. Deshalb ist er auch nicht einmal Gedanke sondern Schöpfer des ersten Gedankens, indem die Schönheit in der seelischen Materie wohnt. Und dies ist die Vernunft, die ewige, zeitlich unveränderliche Vernunft, da sie nicht von aussen her zu sich selbst gekommen[203] ist. Unter welchem Bilde nun konnte man diese begreifen? Denn ein jedes wird von einem geringeren hergenommen werden. Aber freilich muss man das Bild des Geistes vom Geiste hernehmen und nicht von einem Bilde, ähnlich wie man zur Bezeichnung des Goldes überhaupt dies oder jenes Gold nimmt. Dabei muss man, falls das genommene nicht rein ist, es reinigen, faktisch oder begrifflich, und zeigen, dass nicht alles dies Gold ist sondern nur dieses bestimmte hier innerhalb der Masse. Das nämliche gilt auch bei dem Bilde des reinen Geistes in uns oder wenn man will bei den Göttern, nach der Beschaffenheit des in ihnen wohnenden Geistes. Denn ehrwürdig sind die Götter alle und schön und ihre Schönheit ist unendlich. Aber was ist es, wodurch sie so schön sind? Nur die Vernunft oder vielmehr die in ihnen sich zur Erscheinung auswirkende Vernunft. Nicht also weil sie schöne Körper haben, sind sie schön – denn schöne Körper machen das Wesen der Gottheit nicht aus – sondern gemäss der Vernunft sind auch sie eben Götter. Demnach sind sie nicht heute weise, morgen unweise, sondern stets weise in ihrer ruhigen beständigen, reinen Vernunft und erkennen nicht eigentlich das menschliche sondern ihr selbsteigenes Wesen und alles was die Vernunft sieht. Von den Göttern aber schauen die Himmelsbewohner (denn sie haben Müsse) beständig und wie von fern auch die Dinge in jenem Himmelsraum durch Emporheben ihres Hauptes; und alle die Bewohner dorten, soviele ihrer auf ihm und in ihm ihren Wohnsitz haben, weilen überall in jenem Himmelsraum. Denn alles ist dort Himmel und die Erde Himmel und das Meer und die Thiere und Pflanzen und Menschen: alles himmlisch in jenem Himmel. Und die himmlischen Götter verschmähen die Menschen nicht, noch irgend etwas der dortigen Dinge, weil sie von dort sind, sondern den ganzen Umkreis und Raum durchdringen sie in erhabener Ruhe.

4. Auch das ›leicht leben‹ ist dort anzutreffen und die Wahrheit ihnen Mutter und Amme und Sein und Nahrung, und sie sehen alles, nicht als die werdenden sondern als die seienden, und sehen sich in andern; denn alles ist klar und durchsichtig, nichts dunkel oder widerstrebend, sondern jeder ist jedem offenbar nach innen und durch alles hindurch, denn ›Licht zu Licht‹ heisst's dort. Es hat auch jeder jedes in sich selbst und wiederum sieht er in dem andern alles, so dass überall alles und alles alles und jedes alles und unermesslich der Glanz; denn jedes an ihnen ist gross, so auch das Kleine[204] gross und die Sonne dort die Gesammtheit der Gestirne und jedes Gestirn wieder Sonne und alles. An einem jedem ragt ein anderes hervor, es zeigt aber zugleich alles. Hier ist auch reine Bewegung, denn sie stört auf ihrem Gange nicht eine andere von ihr verschiedene Bewegung, auch die Ruhe wird nicht erschüttert, weil sie nicht getrübt wird durch Unbeständigkeit; und das Schöne ist schön, weil es nicht im Schönen ist. Ein jeder schreitet nicht wie auf fremdem Boden, sondern eines jeden Stätte ist er selbst was er ist, und da sein Lauf sich nach oben richtet, geht sein Ausgangspunkt mit, und nicht ist er selbst ein anderes noch der Raum ein anderes. Denn auch das Substrat ist Vernunft und er selbst Vernunft, etwa wie man auch diesen sichtbaren lichtartigen Himmel ansehen könnte als Erzeuger dieses aus ihm kommenden Lichtes. Hier nun [in der Sinnenwelt] geht wohl ein anderer Theil aus dem Theil hervor und jeder Theil bleibt allein für sich; dort aber geht aus dem Ganzen immer jeder Theil hervor und doch ist immer zugleich der Theil und das Ganze. Zwar erscheint er als Theil, aber das scharfe Auge erblickt ihn als Ganzes, ein Auge wie es Lynkeus gehabt haben muss, der nach der Sage ins Innere der Erde sehen konnte. Für das Schauen dort oben giebt es keine Ermüdung, keine Sättigung noch Aufhören; denn es war ja kein Mangel vorhanden, nach dessen endlicher Erfüllung man Genüge hätte, noch auch Mannigfaltigkeit oder Verschiedenheit, dass etwa dem einen nicht gefallen könnte was des andern ist: unermüdlich, unerschöpft ist alles. Doch giebt es Unerfülltes in dem Sinne, dass die Erfüllung nicht zur Verachtung des Erfüllenden führt; denn im Anschauen vergrössert sich das Schauen, und wer sich selbst und das Gesehene als unendlich schaut, folgt damit nur seiner eigenen Natur. Ferner bringt das Leben, wenn es rein ist, niemandem Ermüdung; und wer das beste Leben lebt, was sollte den ermüden? Das Leben aber ist Weisheit, eine Weisheit die durch Nachdenken keinen Zuwachs erhält, weil sie immer vollständig war, auch keinen Mangel erleidet, dass es der Forschung bedürfte, sondern es ist die erste und ursprüngliche, von keiner andern abgeleitete, ja das Sein selbst ist die Weisheit. Darum ist keine grösser und die Wissenschaft als solche thront dort neben der reinen Vernunft in der Weise, dass sie mit einander in die Erscheinung treten, wie man in einem Gleichniss etwa die Dike zum Zeus (Dis) gesellt [tô Dii tên Dikên]. Denn alle dergleichen Dinge sind dort wie durch sich selbst und in sich selbst sichtbare[205] Bilder, so dass der Anblick ein Genuss überglücklicher Beschauer ist. Der Weisheit Grosse nun und Macht möchte jemand schauen, weil sie alles Seiende in sich befasst und geschaffen fast und alles ihr folgt und sie selbst alles Seiende ist und mit sich verbunden halt und mit ihm eins geworden: kurz das Sein da droben ist Weisheit. Aber wir sind zu jenem, Verständniss noch nicht hindurchgedrungen, weil wir die Wissenschaften für Erzeugnisse der Speculation und für ein Conglomerat aus wissenschaftlichen Prämissen halten, und das trifft doch nicht einmal für die irdischen Wissenschaften zu. Sollte jedoch hierüber jemand in Zweifel sein, so wollen wir diese vor der Hand lassen; was aber jene Wissenschaft betrifft, bei deren Anblick auch Platon sagte »sie ist nicht eine andere in einem andern« (aber wie so, das liess er uns offen zu suchen und zu finden, wenn anders wir uns solcher Rede würdig achten) – damit also machen wir vielleicht besser den Anfang.

5. Also alle Producte der Kunst wie der Natur bringt eine Weisheit hervor und die Werkmeisterin der schaffenden Thätigkeit ist überall die Weisheit. Und wenn in der That jemand unmittelbar nach der Weisheit schafft, so mögen ja die Künste dieser Art sein. Aber der Künstler wendet sich doch wiederum zur Weisheit der Natur, nach der er Künstler geworden, zu einer Weisheit, die nicht aus Theorien zusammengesetzt, sondern ganz in sich eins ist, nicht aus vielen Stücken zu einer Einheit zusammengefasst, vielmehr aus der Einheit zu einer Vielheit aufgelöst ist. Setzt jemand diese als die erste, so mag es genügen, denn wie sie aus keinem andern stammt, so ist sie auch nicht in einem andern. Wenn sie aber Vernunft in der Natur anerkennen und als die Quelle dieser die Natur nennen, so werden wir fragen: woher hat sie dieselbe? Sagen sie: von einem andern, was ist jenes andere? sagen sie: aus sich selbst, so werden wir dabei stehen bleiben. Kommen sie aber auf die Vernunft, so ist hier zu betrachten, ob die Vernunft die Weisheit erzeugt hat; und wenn sie es zugeben, woher? Wenn aber aus sich selbst, so muss sie nothwendig selbst Weisheit sein. Die wahre Weisheit ist also Sein und das wahre Sein Weisheit, und der Werth kommt dem Sein von der Weisheit und weil es von der Weisheit herrührt, ist es wahres Sein. Deshalb sind alle Wesenheiten, welche die Weisheit nicht in sich tragen, zwar Wesenheiten, weil um einer gewissen Weisheit willen entstanden; aber weil sie die Weisheit nicht in sich enthalten,[206] sind sie nicht wahre Wesenheiten. Es ist also nicht anzunehmen, dass die Götter oder andere überglückliche Wesen da droben wissenschaftliche Grundsätze schauen, sondern alles was man dort nennt, sind schöne, ideale Bilder, wie sie sich etwa jemand vorstellt in der Seele eines weisen Mannes, aber nicht aufgezeichnete Bilder sondern seiende. Daher nannten auch die Alten die Ideen Seiendes und Wesenheiten.

6. Es gebrauchten auch, scheint mir, die ägyptischen Weisen, sei es durch die sorgfältigste Erwägung, sei es durch einen gewissen Instinct darauf geführt, zur Mittheilung ihrer Weisheit nicht Schriftzeichen als Vermittler von Worten und Lehrsätzen, sondern sie machten Bilder und jeden einzelnen Gegenstand fassten sie in die Umrisse eines Bildes und zeigten dann in den Tempeln bei Entzifferung desselben, dass ein jedes eine gewisse Wissenschaft und Weisheit sei und zwar in seiner zu Grunde liegenden Totalität, nicht aber das Resultat eines Nachdenkens oder einer Ueberlegung. Erkannte später jemand das aus jener Totalität des Wesens hervorgegangene Bild, wie es sich bereits in einem andern aus sich gleichsam herausgewickelt hat und sich selbst in der Entwickelung kundgiebt und die Gründe, weshalb so, herausfindet, dann gestand er die Weisheit zu bewundern, wie sie ohne die Gründe ihres Seins zu fassen doch dem nach ihr Geschaffenen eine solche Existenz verleiht. Dass also dies Schöne, das infolge einer Untersuchung kaum oder überhaupt nicht zur Erscheinung kommt, sich so, wenn es jemand ausfindig macht, vor der Untersuchung und Ueberlegung verhalten und vorhanden sein muss, wie z.B. – denn ergreifen wir an einem grossen Ganzen was ich meine, das wird dann auch auf alles Einzelne passen.

7. Was also dieses Weltall betrifft, das doch, wie wir zugeben, von einem andern und zwar in dieser Gestalt erschaffen ist, sollen wir da etwa annehmen, der Schöpfer habe bei sich überlegt, dass die Erde und zwar solcher Gestalt in der Mitte dastehen müsse, dann das Wasser sowohl das auf der Erde als das übrige der Reihe nach bis zum Himmel, dann alle lebenden Wesen und zwar jedes in der Gestalt soviel davon jetzt vorhanden, dazu mit diesen inneren und äusseren Organen, dass er dann eines jeden Ordnung bei sich festgestellt und so Hand ans Werk gelegt habe? Aber ein solches Ueberlegen war doch weder möglich, denn woher sollte sie dem kommen, welcher dergleichen niemals gesehen hat? noch konnte er nach einem andern Muster arbeiten, wie jetzt die[207] Werkmeister arbeiten mit Gebrauch von Händen und Füssen, denn später entstanden auch erst Hände und Füsse. Bleibt also nichts übrig, als dass zwar alles in einem andern ist, dass aber, da ein Zwischengebiet zwischen dem Sein und dem Geschaffenen sich nicht findet, gleichsam plötzlich ein Abbild und Symbol jenes in die Erscheinung trat, sei's aus sich selbst heraus, sei's unter Mitwirkung der Seele (denn auf diesen Unterschied kommt gegenwärtig nichts an) oder einer gewissen seelischen Kraft. Gewiss also war von dorther dies alles zusammen und existirte dort in schönerer Weise; denn die Dinge hier und nicht jene sind gemischt. Doch werden sie gewiss von Anfang bis zu Ende durch Formen gebunden: zuerst die Materie durch elementare Formen, dann schliessen sich wieder andere Formen an die Formen u.s.f., daher es auch schwer ist die Materie zu entdecken, die unter vielen Formen sich verbirgt. Da jedoch auch sie gewissermaassen eine letzte Form ist, so ist dies [All] ganz Form und alles Formen; denn auch das Urbild war Form; es schuf aber dieses geräuschlos, weil alles Schaffende Sein und Form ist. Deshalb geht die Schöpfung auch so mühelos vor sich; auch erstreckte sie sich auf alles, da sie ja alles ist. Nicht also gab es ein Widerstrebendes und auch jetzt gewinnt sie die Herrschaft gleichwohl über die einander widerstrebenden Dinge; aber für sie giebt es auch jetzt noch keinen Widerstand, da sie ja alles ist und bleibt. Und ich glaube, wenn wir die Urbilder und das Sein und die Form zugleich wären und die gestaltende Kraft uns als unser Wesen eignete, dann würde auch unser Schaffen ohne Mühe den Sieg gewinnen; aber der Mensch [wie er nun einmal ist] schafft eine von seinem Wesen verschiedene Form. Denn der Mensch, wie er jetzt geworden, hat aufgehört das All zu sein; aber wenn er aufgehört hat Mensch zu sein, sagt Platon, ›dann schwingt er sich auf und regiert die ganze Welt‹; denn eins geworden mit dem Ganzen schafft er das Ganze. Jedoch, wovon die Rede war, du kannst einen Grund angeben, warum die Erde sich in der Mitte befindet und rund ist und warum gerade hier die Ekliptik; dort aber wurde nicht weil es so sein musste ein solcher Beschluss gefasst, sondern weil's so ist, wie's ist, darum ist's so auch schön. Da war gleichsam vor dem Syllogismus der Schlusssatz, der nicht erst aus den Prämissen sich ergab; denn nicht aus Folgerung und Untersuchung ergeben sich die Dinge, sondern vor aller Folgerung und Untersuchung; denn alles dieses: Schluss, Beweis, Bestätigung sind abgeleitete Dinge. Und da es auch Princip ist,[208] so ergiebt sich daraus alles und zwar auf diese Weise; auch heisst es sehr richtig, man solle nicht die Ursachen der Ursache suchen, zumal einer solchen zweckbestimmten, welche identisch ist mit dem Zweck; dasjenige aber, welches Ursache und Zweck ist, das ist alles in allem, mangellos und ohne Aufhören.

8. Es ist also das Urschöne, und zwar ist es ein Ganzes und überall ganz, damit auch nicht an einem einzigen Theile das Schöne mit einem Mangel behaftet sei. Wer also wird es nicht schön nennen? Denn das ist es doch sicherlich nicht, was es nicht ganz ist, sondern nur einen Theil davon oder auch diesen nicht einmal hat. Oder wenn jenes nicht schön ist, was denn sonst? Denn das vor ihm Liegende will nicht einmal schön sein. Was aber zuerst und ursprünglich in die Erscheinung tritt, dadurch dass es Form und Anschauung der reinen Vernunft ist, ist eben dadurch auch wundervoll anzusehen. Daher auch Platon, um dies zu bezeichnen, seinen Weltschöpfer auf etwas unserer Anschauung näher liegendes blicken und mit Rücksicht hierauf sein Werk gutheissen lässt, indem er zeigen will, wie wundervoll die Schönheit des Urbildes und der Idee sei. Denn bei jedem Gegenstand unserer Bewunderung, der nach einem andern gemacht worden, geht die Bewunderung auf dasjenige zurück, wonach er gemacht worden ist. Wenn uns dieses selbst nicht zum Bewusstsein kommt, so ist das kein Wunder. Wissen ja auch die Liebenden, die Bewunderer irdischer Schönheit nicht, dass es um jenes willen geschieht, und doch geschieht's deshalb. Dass er aber jenes ›er bewunderte‹ auf das Urbild bezogen wissen will, zeigt Platon deutlich indem er geflissentlich im Verlauf der Rede hinzufügt: ›er bewunderte sein Werk und wollte es dem Urbild noch ähnlicher machen.‹ So deutet er die Schönheit des Urbildes an dadurch dass er das aus jenem entsprungene Schöne selbst als ein Abbild jenes bezeichnet. Was wäre auch sonst, wäre jenes nicht das Ueberschöne in seiner unbegreiflichen Schönheit, schöner als dieses sichtbare? Daher haben die Tadler dieser sichtbaren Schönheit kein Recht, oder nur insofern als diese nicht jenes Ideal erreicht.

9. Lasst uns also diese Welt, in der jeder Theil bleibt was er ist ohne Confusion, in unsern Gedanken als ein Ganzes auffassen, soweit möglich, in der Weise dass im bunten Wechsel der Erscheinungen, die von aussen wie von dem Rand einer Kugel umschlossen werden, dem Bild der Sonne und aller Sterne zumal der Anblick der Erde und des Meeres und aller lebenden Wesen folgt, gleichsam wie auf einer überall sichtbaren[209] Kugelfläche, und es wird in der That uns alles zu Gesicht kommen. Nehmen wir in der Seele die hellleuchtende Gestalt einer Kugel an, die alles in sich befasst, bewegt oder ruhend, oder zum Theil ruhend, zum Theil bewegt. Indem du dieses festhältst nimm ein anderes Bild, von dem du alles Stoffliche abgestreift hast, in dich auf; nimm auch alles Räumliche und jede Vorstellung von Materie weg und versuche nicht eine andere nur der Masse nach kleinere Gestalt zu fassen, sondern rufe Gott, der die Vorstellung, die du hast, geschaffen, an und bitte ihn zu kommen. Er wird kommen in seiner Pracht mit allen Göttern, die in ihm sind, als ein einiger und alle befassend, wie auch jeder einzelne alle in sich befasst zu einer Einheit; verschieden nur sind sie in ihren Kräften und doch wieder alle eins in jener einen grossen Kraft, oder vielmehr der Eine ist sie alle zusammengenommen. Denn er selbst erfährt keine Verminderung, wenn alle jene erzeugt werden; zusammen sind sie alle und doch wieder jeder für sich auf einem räumlich nicht getrennten Standpunkt, ohne jegliche sichtbare Gestalt, denn sonst würde der eine hier der andre dort sein und jeder nicht ganz in sich selbst; auch hat er nicht andere Theile für andre oder sich selbst, noch ist jedes Ganze dort eine getheilte Macht und etwa nur von solchem Umfang als sie abgemessene Theile hat. Es ist Macht schlechthin ins Unendliche sich erstreckend mit seinen Wirkungen, und insofern ist jener gross als auch seine Theile unendlich sind. Und wo wäre irgend etwas zu nennen, wo jener nicht schon zuvor wäre? Gross also ist auch dieser sichtbare Himmel und alle Kräfte an ihm insgesammt, aber grösser wäre er und gar nicht zu sagen wie gross, wenn nicht an ihm ein geringes Maass von Körperlichkeit haftete. Gleichwohl mochte jemand gross auch die Kräfte des Feuers und anderer körperlichen Dinge nennen, aber darin verräth sich schon die mangelhafte Kenntniss der wirklichen Kraft, wenn wir den äusseren Vorgang betrachtend sagen: sie brennen und zerstören und reiben und wirken mit bei Entstehung der lebenden Wesen. Aber diese Dinge hier zerstören, weil sie auch zerstört werden, und erzeugen, weil sie selbst entstehen; die Kraft dort aber hat ausschliesslich das Sein und das Schönsein. Denn wo wäre das Schöne des Seins beraubt zu finden? Denn wo das Schöne aufhört, da hört auch das Sein auf. Darum ist auch das Sein begehrenswerth, weil es dasselbe ist wie das Schöne, und das Schöne liebenswerth, weil es das Sein ist. Was nutzt es aber zu untersuchen, welches des andern Ursache sei, da die Natur[210] nur eine ist? Denn dieses Pseudosein hier bedarf eines von aussen herzugebrachten schönen Scheinbildes, damit es auch schön scheine und überhaupt nur sei, und insoweit ist es, als es Theil hat an der Schönheit der Idee, und je mehr es Theil genommen, desto vollendeter ist es, denn nur der Idee eignet in höherem Grade die Schönheit an sich.

10. Deshalb bricht auch Zeus, der ja freilich der älteste ist von den Göttern, die er selbst anführt, zuerst auf zum Anschauen der intelligiblen Welt, sie aber folgen, die andern Götter und Dämonen und Seelen, welche diese Dinge zu sehen vermögen. Sie aber erscheint ihnen von einem unsichtbaren Orte her und hoch über ihnen aufgehend leuchtet sie hernieder auf alles und erfüllt es mit ihrem Glänze und scheucht die niedern Seelen auf, und diese wenden sich, nicht im Stande zu schauen, wie man nicht in die Sonne sehen kann; die einen werden von ihr emporgehalten und schauen, die andern gerathen in Verwirrung je weiter sie von ihr entfernt werden. Indem aber die, welche es vermögen, schauen, blicken sie alle auf dieselbe und auf ihren Reichthum, nicht aber gewinnt ein jeder dieselbe Anschauung, sondern der eine sieht unverwandten Auges die Quelle und Wesenheit des Gerechten hervorleuchten, der andere wird mit der Anschauung des besonnenen Maasshaltens erfüllt, doch nicht in der Weise wie die Menschen sie in sich haben, wenn sie sie haben. Denn diese hier ist in gewissem Sinne eine Nachahmung jener, die dort aber, unter allen den ganzen Umkreis derselben so zu sagen beschreibend, wird schliesslich vollkommen von denen gesehen, welche schon vieler deutlichen Anschauungen theilhaftig geworden sind. Es schauen also die Götter ein jeder einzeln und jeder zugleich und auch die Seelen, die alles dort schauen, und aus dem allen entstanden sind, so dass sie selbst alles von Anfang bis zu Ende umschliessen, und sie sind dort soweit es zu ihrer Natur geworden dort zu sein, oft sind sie auch ganz und gar da, wenn sie sich nämlich gar nicht losgesagt haben. Indem dieses also Zeus schaut und wer unter uns von gleicher Liebe getrieben wird, ist er das in allen Dingen zur vollendeten Erscheinung kommende Schöne in seiner Ganzheit und hat Theil an der dortigen Schönheit; denn alles glänzt von dort hervor und erfüllt die dort Angekommenen, dass sie selbst schön werden, wie es wohl geschieht, dass Menschen, die hoch hinaufsteigen in Regionen, wo die Erde gelbe Farbe hat, die Farbe des Elements annehmen, in dem sie sich bewegen. Farbe aber ist dort die gleich einer Blüthe sich ansetzende Schönheit,[211] oder vielmehr alles ist dort Farbe und Schönheit lief von innen heraus, denn die Schönheit ist nicht anderes wie von aussen sich ansetzendes. Aber denen, die nicht das Ganze sehen, erscheint nur die Oberfläche als etwas schönes, die aber, welche ganz und gar gleichsam berauscht und von Nektar trunken sind, denn die Schönheit durchdringt ja die ganze Seele, gehen nicht als blosse Zuschauer davon. Denn nicht ist der Schauende ausserhalb noch auch das Geschaute ausserhalb, sondern der Scharfsichtige hat das Geschaute in sich, und wenn er's hat, weiss er's meistentheils nicht und schaut es wie ein Aeusseres, weil er es wie ein Angeschautes ansieht und ansehen will. Denn alles was jemand als ein sichtbares schaut, sieht er von aussen. Aber man muss es in sich selbst übertragen und anschauen wie ein Ganzes und anschauen wie sich selbst, gleichsam wie jemand, der hingerissen von einem Gott, dem Phoebus oder einer Muse, in sich selbst die Anschauung des Gottes bewirkt, wenn er die Kraft hat Gott in sich selbst zu sehen.

11. Bringt aber jemand von uns, unvermögend sich selbst zu schauen, von jenem Gott zum Schauen er griffen, es zu einer Anschauung, dann bringt er sich selbst zur Anschauung und schaut ein schöneres Bild seiner selbst. Lässt er jedoch jenes Bild, obwohl es schön ist, und geht er ganz in sich selbst zurück ohne mehr eine Trennung wahrzunehmen, dann ist alles zugleich eins mit jenem Gott, der in aller Stille herbeigekommen, und er ist mit ihm eins soweit er kann und will. Wendet er sich aber wieder zur Zweiheit, dann ist er, falls er rein bleibt, in seiner nächsten Nahe, so dass er auf die obige Weise sich wieder mit ihm vereinigen kann, wenn er sich wieder zu ihm wendet. Bei der Hinwendung hat er diesen Gewinn: anfangs wird er seiner selbst inne so lange er ein anderer ist; eindringend aber in das Innere hat er das Ganze, und den Blick nach rückwärts aufgebend aus Furcht vor der Entzweiung ist er immer dort, und wenn er begehrt etwas als ein anderes zu schauen, stellt er sich aus sich selbst heraus. Es muss aber wer dies lernen will dasselbe in stets anhaltender Forschung wie in einem Abriss genau erforschen, und nachdem er gelernt hat, worin er sich versenkt, und sich überzeugt hat, dass er sich in einen preiswerthen Gegenstand versenkt, muss er sich nunmehr ganz in das innere versenken und statt zu schauen die Anschauung eines andern werden, strahlend wie er von dort kommt in reinen Gedanken. Wie mag indessen jemand im Schönen sein ohne es zu sehen? Nun, so lange er es sieht als ein anderes, ist er noch nicht[212] im Schönen, ist er es geworden, dann ist er gerade so am meisten im Schönen. Geht nun das Schöne auf ein Aeusseres, so darf das Schauen kein anderes sein, als das welches mit dem geschauten Gegenstande eins ist; dies ist aber gleichsam ein Innewerden und Empfinden seiner selbst, verbunden mit der Scheu, dass man in dem Bestreben mehr zu schauen von sich selbst abfalle. Man muss aber auch jenes beachten, dass die Empfindungen des Uebels grössere Eindrücke hinterlassen, aber geringere Erkenntnisse, die da durch den Eindruck gleichsam herausgeschlagen werden. Denn die Krankheit giebt mehr einen schlagartigen Eindruck, die Gesundheit aber, welche ruhig bei uns weilt, ein stilles Verstehen ihrer selbst, denn sie wohnt bei uns als unsere, Hausgenossin und wird mit uns eins; jene aber ist etwas fremdes und nicht heimisches, und dadurch ganz wahrnehmbar dass sie uns immer etwas anderes zu sein scheint; das uns eigenthümliche jedoch sind wir selbst, wir werden es nicht gewahr. Sind wir aber wie oben angegeben beschaffen, dann sind wir von allen am meisten uns unserer selbst bewusst, indem wir das Wissen von uns und uns selbst zu einer Einheit gebracht haben. Dort oben indessen, wenn wir am meisten nach der Vernunft und begrifflich erkennen, glauben wir nicht zu wissen, indem wir auf den Eindruck eines innern Sinnes gewiesen sind, welcher meint nicht gesehen zu haben; denn der hat nicht gesellen und dürfte auch dergleichen niemals sehen. Das Misstrauen also hegt die sinnliche Empfindung, der andere aber, der Geist ist der Schauende; oder falls auch jener misstrauen sollte, dann dürfte er auch nicht an seine eigene Existenz glauben, denn allerdings kann er, auch aus sich selbst herausgestellt wie ein sichtbarer Gegenstand, mit leiblichem Auge sich nicht sehen.

12. Doch es ist gesagt, wie jemand als ein anderer und wie als er selbst dieses thun kann. Wenn er nun also geschaut hat, sei's als ein anderer sei's als er selbst, was vermeldet er? Nun, dass er einen Gott gesehen habe, der mit einem schönen Sohn kreiste und in sich alles erzeugt hat und zwar ohne die Wehen der Geburt; denn froh über seine Sprösslinge und voll Bewunderung für seine Kinder trägt er alles in sich und freut sich über seinen und über ihren Schönheitsglanz; er aber, während schön sind und schöner die in ihm verharren, trat allein von den andern als Sohn nach aussen hervor. An ihm als dem letzten Kinde ist auch wie aus einem Spiegelbilde zu sehen, wie gross jener Vater und die bei dem Vater bleibenden Brüder sind. Er aber behauptet nicht umsonst[213] vom Vater gegangen zu sein, denn nunmehr gebe es eine andere Welt, die schön geworden als ein Abbild des Schönen, auch sei es wider alles Recht, dass das Bild des Schönen und des Seins nicht schön sei. So ahmt er also das Urbild in allen Stücken nach. Denn auch das Leben hat er und das Sein als Nachahmung, desgleichen die Schönheit als von dort stammend; er hat auch die ewige Dauer als Abbild, oder soll er das Bild bald haben bald nicht, da doch das Bild nicht durch die Kunst hervorgebracht wird? Durchaus aber ist es von Natur ein Bild, soweit als nämlich das Urbild bleibt. Daher haben diejenigen Unrecht, welche die sichtbare Welt, während die unsichtbare bleibe, für vergänglich halten und ihre Erzeugung ansehen als aus einem Rathschluss des Schöpfers hervorgegangen. Denn die Art einer solchen Schöpfung wollen sie nicht verstehen noch wissen sie, dass soweit jene leuchtet auch die andere niemals aufhört, sondern dass diese denselben Ursprung hat wie jene; denn sie war und wird ewig sein. Inzwischen müssen wir diese Bezeichnungen nothwendig anwenden, wenn wir uns verständlich machen wollen.

13. Der Gott also, der gebunden ist immer derselbe zu bleiben und der seinem Sohne die Herrschaft über dieses All abgetreten – denn es ziemte sich für ihn, der jene Herrschaft abgegeben, nicht eine jüngere als er selbst und eine spätere zu erstreben, da er mit dem Schönen gesättigt ist [koros auch Sohn] – nachdem er also dies aufgegeben, ordnete er seinen eigenen Vater sich selbst über und dehnte sich bis zu ihm hin nach oben aus; dann ordnete er wieder das, was von dem Sohn her bereits begonnen zu einem Anderssein überzugehen, um nach ihm zu existiren. So ist er zwischen beide getreten, einmal dadurch, dass er sich durch sein Anderssein von dem Oben losgerissen hat, sodann dadurch, dass er sich fernhält von der Fessel, die ihn herabzieht zu dem was nach ihm ist: er steht zwischen einem besseren Vater und einem geringeren Sohne. Aber da sein Vater grösser ist als dass man ihn schön nennen könnte, so blieb er selbst ursprünglich schön, obwohl schön auch die Seele ist; aber er ist schöner auch als diese, weil sie eine Spur seiner selbst ist, und dadurch eben ist sie zwar schön ihrer Natur nach, noch schöner aber wenn sie dorthin blickt. Wenn nun die Weltseele, um ein bekannteres Wort zu brauchen, und die Aphrodite selbst schön ist, wer ist jener? Wenn sie nämlich von sich selbst schön sind, wie gross müsste dann jener sein? Wenn aber von einem anderen, von wem hat dann die Seele die ihr zugeführte und[214] mit ihrem Wesen verwachsene Schönheit? Sind doch auch wir, wenn wir schön sind, dadurch schön, dass wir in uns selbst verharren, und hässlich wenn wir zu einem Anderssein übergehen.

Dort also und von da ist das Schöne. Genügt nun wohl das Gesagte, um zu einer klaren Erkenntniss der unsichtbaren Welt zu führen? Vielleicht müssen wir noch einen anderen Weg beschreiten auf diese Weise.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 2, Berlin 1880, S. 201-215.
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Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

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