Vierte Rede
Über das Gesellige in der Religion oder über Kirche und Priestertum

[97] Diejenigen unter Euch, welche gewohnt sind die Religion nur als eine Krankheit des Gemüts anzusehen, pflegen auch wohl die Idee zu unterhalten, daß sie ein leichter zu duldendes, ja vielleicht zu bezähmendes Übel sei, so lange nur hie und da Einzelne abgesondert damit behaftet wären, daß aber die gemeine Gefahr aufs höchste gestiegen und Alles verloren sei, sobald unter mehreren Unglücklichen dieser Art eine allzunahe Gemeinschaft bestände. In jenem Falle könne man durch eine zweckmäßige Behandlung, gleichsam durch eine der Entzündung widerstehende Diät und durch gesunde Luft die Paroxismen schwächen, und den eigentümlichen Krankheitsstoff, wo nicht völlig besiegen, doch bis zur Unschädlichkeit verdünnen; in diesem Falle aber müsse man jede Hoffnung zur Rettung aufgeben; weit verheerender werde das Übel und von den gefährlichsten Symptomen begleitet, wenn die zu große Nähe der Andern es bei jedem Einzelnen hegt und schärft; durch Wenige werde dann bald die ganze Atmosphäre vergiftet, auch die gesundesten Körper werden angesteckt, alle Kanäle, in denen der Prozeß des Lebens vor sich gehen soll, zerstört, alle Säfte aufgelöset, und von dem gleichen fieberhaften Wahnsinn ergriffen, sei es um ganze Generationen und Völker unwiderbringlich getan. Daher ist Euer Widerwille gegen die Kirche, gegen jede Veranstaltung, bei der es auf Mitteilung der Religion angesehen ist, immer noch großer als der gegen die Religion selbst, daher sind Euch die Priester, als die Stützen und die eigentlich tätigen Mitglieder solcher Anstalten die Verhaßtesten unter den Menschen. Aber auch diejenigen unter Euch,[97] welche von der Religion eine etwas gelindere Meinung haben, und sie mehr für eine Sonderbarkeit als eine Zerrüttung des Gemüts, mehr für eine unbedeutende als gefährliche Erscheinung halten, haben von allen geselligen Einrichtungen für dieselbe vollkommen eben so nachteilige Begriffe. Knechtische Aufopferung des Eigentümlichen und Freien, geistloser Mechanismus und leere Gebräuche, dies meinen sie seien die unzertrennlichen Folgen davon, und das kunstreiche Werk derer, die sich mit unglaublichem Erfolg große Verdienste machen aus Dingen, die entweder Nichts sind, oder die Jeder andre gleich gut auszurichten imstande wäre. Ich würde über den Gegenstand, der mir so wichtig ist, mein Herz nur sehr unvollkommen gegen Euch ausgeschüttet haben, wenn ich mir nicht Mühe gäbe Euch auch hierüber auf den richtigen Gesichtspunkt zu stellen. Wieviel von den verkehrten Bestrebungen und den traurigen Schicksalen der Menschheit Ihr den Religionsvereinigungen schuld gebt, habe ich nicht nötig zu wiederholen, es liegt in tausend Äußerungen der Vielgeltendsten unter Euch zu Tage; noch will ich mich damit aufhalten diese Beschuldigungen einzeln zu widerlegen, und das Übel auf andere Ursachen zurückzuwälzen: laßt uns vielmehr den ganzen Begriff einer neuen Betrachtung unterwerfen und ihn vom Mittelpunkt der Sache aus aufs neue erschaffen, unbekümmert um das, was bis jetzt wirklich ist, und was die Erfahrung uns an die Hand gibt.

Ist die Religion einmal, so muß sie notwendig auch gesellig sein: es liegt in der Natur des Menschen nicht nur, sondern auch ganz vorzüglich in der ihrigen. Ihr müßt gestehen, daß es etwas höchst Widernatürliches ist, wenn der Mensch dasjenige, was er in sich erzeugt und ausgearbeitet hat, auch in sich verschließen will. In der beständigen, nicht nur praktischen, sondern auch intellektuellen Wechselwirkung, worin er mit den Übrigen seiner Gattung steht, soll er alles äußern und mitteilen, was in ihm ist, und je heftiger ihn etwas bewegt, je inniger es sein Wesen durchdringt, desto stärker wirkt auch der Trieb, die Kraft desselben auch außer sich an Andern anzuschauen, um sich vor sich selbst zu legitimieren, daß ihm nichts als menschliches begegnet sei. Ihr seht daß hier gar nicht von jenem Bestreben die Rede ist, Andere uns[98] ähnlich zu machen, noch von dem Glauben an die Unentbehrlichkeit dessen, was in uns ist für Alle; sondern nur davon, des Verhältnisses unserer besondern Ereignisse zur gemeinschaftlichen Natur inne zu werden. Der eigentlichste Gegenstand aber für dieses Verlangen ist unstreitig dasjenige, wobei der Mensch sich ursprünglich als leidend fühlt, Anschauungen und Gefühle; da drängt es ihn zu wissen, ob es keine fremde und unwürdige Gewalt sei, der er weichen muß. Darum sehen wir auch von Kindheit an den Menschen damit beschäftigt, vornehmlich diese mitzuteilen: eher läßt er seine Begriffe, über deren Ursprung ihm ohnedies kein Bedenken entstehen kann, in sich ruhen; aber was zu seinen Sinnen eingeht, was seine Gefühle aufregt, darüber will er Zeugen, daran will er Teilnehmer haben. Wie sollte er grade die Einwirkungen des Universums für sich behalten, die ihm als das größte und unwiderstehlichste erscheinen? Wie sollte er gerade das in sich festhalten wollen, was ihn am stärksten aus sich heraustreibt, und ihm nichts so sehr einprägt als dieses, daß er sich selbst aus sich allein nicht erkennen kann? Sein erstes Bestreben ist es vielmehr, wenn eine religiöse Ansicht ihm klar geworden ist, oder ein frommes Gefühl seine Seele durchdringt, auf den Gegenstand auch Andere hinzuweisen und die Schwingungen seines Gemüts womöglich auf sie fortzupflanzen. Wenn also von seiner Natur gedrungen der Religiöse notwendig spricht, so ist es eben diese Natur die ihm auch Hörer verschafft. Bei keiner Art zu denken und zu empfinden hat der Mensch ein so lebhaftes Gefühl von seiner gänzlichen Unfähigkeit ihren Gegenstand jemals zu erschöpfen, als bei der Religion. Sein Sinn für sie ist nicht sobald aufgegangen, als er auch ihre Unendlichkeit und seine Schränken fühlt; er ist sich bewußt nur einen kleinen Teil von ihr zu umspannen, und was er nicht unmittelbar erreichen kann, will er wenigstens durch ein fremdes Medium wahrnehmen. Darum interessiert ihn jede Äußerung derselben, und seine Ergänzung suchend, lauscht er auf jeden Ton den er für den ihrigen erkennt. So organisiert sich gegenseitige Mitteilung, so ist Reden und Hören Jedem gleich unentbehrlich. Aber religiöse Mitteilung ist nicht in Büchern zu suchen, wie etwa andere Begriffe und Erkenntnisse. Zuviel geht verloren[99] von dem ursprünglichen Eindruck in diesem Medium, worin alles verschluckt wird, was nicht in die einförmigen Zeichen paßt, in denen es wieder hervorgehen soll, wo Alles einer doppelten und dreifachen Darstellung bedürfte, indem das ursprünglich Darstellende wieder müßte dargestellt werden, und dennoch die Wirkung auf den ganzen Menschen in ihrer großen Einheit nur schlecht nachgezeichnet werden könnte durch vervielfältigte Reflexion; nur wenn sie verjagt ist aus der Gesellschaft der Lebendigen, muß sie ihr vielfaches Leben verbergen im toten Buchstaben. Auch kann dieses Verkehr mit dem Innersten des Menschen nicht getrieben werden im gemeinen Gespräch. Viele, die voll guten Willens sind für die Religion, haben Euch das zum Vorwarf gemacht, warum doch von allen wichtigen Gegenständen unter Euch die Rede sei so im freundschaftlichen Umgange nur nicht von Gott und göttlichen Dingen. Ich möchte Euch darüber verteidigen, daß daraus wenigstens weder Verachtung noch Gleichgültigkeit spreche, sondern ein glücklicher und sehr richtiger Instinkt. Wo Freude und Lachen auch wohnen, und der Ernst selbst sich nachgiebig paaren soll mit Scherz und Witz, da kann kein Raum sein für dasjenige, was von heiliger Scheu und Ehrfurcht immerdar umgeben sein muß. Religiöse Ansichten, fromme Gefühle und ernste Reflexionen darüber kann man sich auch nicht so in kleinen Brosamen einander zuwerfen, wie die Materialien eines leichten Gesprächs: wo von so heiligen Gegenständen die Rede wäre, würde es mehr Frevel sein als Geschick, auf jede Frage sogleich eine Antwort bereit zu haben, und auf jede Ansprache eine Gegenrede. In dieser Manier eines leichten und schnellen Wechsels treffender Einfälle lassen sich göttliche Dinge nicht behandeln: in einem größern Stil muß die Mitteilung der Religion geschehen, und eine andere Art von Gesellschaft, die ihr eigen gewidmet ist, muß daraus entstehen. Es gebührt sich auf das höchste was die Sprache erreichen kann auch die ganze Fülle und Pracht der menschlichen Rede zu verwenden, nicht als ob es irgendeinen Schmuck gäbe, dessen die Religion nicht entbehren könnte, sondern weil es unheilig und leichtsinnig wäre nicht zu zeigen, daß Alles zusammengenommen wird, um sie in angemessener[100] Kraft und Würde darzustellen. Darum ist es unmöglich Religion anders auszusprechen und mitzuteilen als rednerisch, in aller Anstrengung und Kunst der Sprache, und willig dazu nehmend den Dienst aller Künste, welche der flüchtigen und beweglichen Rede beistehen können. Darum öffnet sich auch nicht anders der Mund desjenigen, dessen Herz ihrer voll ist, als vor einer Versammlung wo mannigfaltig wirken kann, was so stattlich ausgerüstet hervortritt. Ich wollte ich könnte Euch ein Bild machen von dem reichen schwelgerischen Leben in dieser Stadt Gottes, wenn ihre Bürger zusammenkommen, jeder voll eigner Kraft, welche ausströmen will ins Freie, und voll heiliger Begierde alles aufzufassen und sich anzueignen, was die Andern ihm darbieten mögen. Wenn einer hervortritt vor den Übrigen, ist es nicht ein Amt oder eine Verabredung die ihn berechtigt, nicht Stolz oder Dünkel, der ihm Anmaßung einflößt: es ist freie Regung des Geistes, Gefühl der herzlichsten Einigkeit Jedes mit Allem und der vollkommensten Gleichheit, gemeinschaftliche Vernichtung jedes Zuerst und Zuletzt und aller irdischen Ordnung. Er tritt hervor um seine eigne Anschauung hinzustellen, als Objekt für die Übrigen, sie hinzuführen in die Gegend der Religion wo er einheimisch ist, und seine heiligen Gefühle ihnen einzuimpfen: er spricht das Universum aus, und im heiligen Schweigen folgt die Gemeine seiner begeisterten Rede. Es sei nun daß er ein verborgenes Wunder enthülle, oder in weissagender Zuversicht die Zukunft an die Gegenwart knüpfe, es sei daß er durch neue Beispiele alte Wahrnehmungen befestige oder daß seine feurige Phantasie in erhabenen Visionen ihn in andere Teile der Welt und eine andre Ordnung der Dinge entzücke: der geübte Sinn der Gemeine begleitet überall den seinigen, und wenn er zurückkehrt von seinen Wanderungen durchs Universum in sich selbst, so ist sein Herz und das eines Jeden nur der gemeinschaftliche Schauplatz desselben Gefühls. Dann entgegnet ihm das laute Bekenntnis von der Übereinstimmung seiner Ansicht mit dem was in ihnen ist, und heilige Mysterien, nicht nur bedeutungsvolle Embleme, sondern recht angesehen natürliche Andeutungen eines bestimmten Bewußtseins und bestimmter Empfindungen – werden so erfunden[101] und so gefeiert; gleichsam ein höheres Chor, das in einer eignen erhabenen Sprache der auffordernden Stimme antwortet. Aber nicht nur gleichsam: so wie eine solche Rede Musik ist auch ohne Gesang und Ton, so ist auch eine Musik unter den Heiligen, die zur Rede wird ohne Worte, zum bestimmtesten verständlichsten Ausdruck des Innersten. Die Muse der Harmonie, deren vertrautes Verhältnis zur Religion noch zu den Mysterien gehört, hat von jeher die prächtigsten und vollendetsten Werke ihrer geweihtesten Schüler dieser auf ihren Altären dargebracht. In heiligen Hymnen und Chören, denen die Worte der Dichter nur lose und luftig anhängen, wird ausgehaucht was die bestimmte Rede nicht mehr fassen kann, und so unterstützen sich und wechseln die Töne des Gedankens und der Empfindung bis Alles gesättigt ist und voll des Heiligen und Unendlichen. Das ist die Einwirkung religiöser Menschen aufeinander, das ihre natürliche und ewige Verbindung. Verarget es ihnen nicht, daß dies himmlische Band, das vollendetste Resultat der menschlichen Geselligkeit, zu welchem sie nur gelangen kann, wenn sie vom höchsten Standpunkt aus in ihrem innersten Wesen erkannt wird, ihnen mehr wert ist, als Euer irdisches politisches Band, welches doch nur ein erzwungenes, vergängliches, interimistisches Werk ist. – Wo ist denn in dem Allen jener Gegensatz zwischen Priestern und Laien, den Ihr als die Quelle so vieler Übel zu bezeichnen pflegt? Ein falscher Schein hat Euch geblendet: dies ist gar kein Unterschied zwischen Personen, sondern nur ein Unterschied des Zustandes und der Verrichtungen. Jeder ist Priester, indem er die Andern zu sich hinzieht auf das Feld, welches er sich besonders zugeeignet hat, und wo er sich als Virtuosen darstellen kann: jeder ist Laie, indem er der Kunst und Weisung eines Andern dahin folgt, wo er selbst Fremder ist in der Religion. Es gibt nicht jene tyrannische Aristokratie, die ihr so gehässig beschreibt: ein priesterliches Volk ist diese Gesellschaft, eine vollkommne Republik, wo Jeder abwechselnd Führer und Volk ist, jeder derselben Kraft im Andern folgt, die er auch in sich fühlt, und womit auch Er die Andern regiert. – Wo ist der Geist der Zwietracht und der Spaltungen, den Ihr als die unvermeidliche Folge aller Religionsvereinigungen[102] anseht? Ich sehe nichts, als daß alles Eins ist, und daß Alle Unterschiede, die es in der Religion selbst wirklich gibt, eben durch die gesellige Verbindung sanft ineinander fließen. Ich habe Euch selbst auf verschiedene Grade in der Religiosität aufmerksam gemacht, ich habe auf zwei verschiedene Sinnesarten hingedeutet und auf verschiedene Richtungen nach denen die Phantasie sich den höchsten Gegenstand der Religion individualisiert. Meint Ihr daraus müßten notwendig Sekten entstehen, und es müßte die freie Geselligkeit in der Religion hindern? In der idealen Betrachtung gilt es wohl, daß Alles was außereinander gesetzt und unter verschiedene Abteilungen befaßt ist sich auch entgegengesetzt und widersprechend sein muß, macht Euch aber doch davon los, wenn Ihr das Reale selbst anschaut da fließt Alles ineinander. Freilich werden diejenigen, die sich in einem dieser Punkte am ähnlichsten sind, sich auch einander am stärksten anziehen, aber sie können deswegen kein abgesondertes Ganzes ausmachen: denn die Grade dieser Verwandtschaft nehmen unmerklich ab und zu, und bei soviel Übergängen gibt es auch zwischen den entferntesten Elementen kein absolutes Abstoßen, keine gänzliche Trennung. Nehmt welche Ihr wollt von diesen Massen, die sich einzeln chemisch bilden, wenn Ihr sie nicht durch irgendeine mechanische Operation gewaltsam isoliert, wird keine ein eignes Individuum sein: ihre äußersten Teile werden zugleich mit Andern zusammenhängen, die eigentlich schon einer andern Masse angehören. Wenn die sich näher verbinden, welche auf derselben niederen Stufe stehn, so gibt es auch einige unter ihnen, die eine Ahndung des Besseren haben, und Jeder der wirklich höher gestellt ist versteht sie besser, als sie sich selbst; er ist sich des Vereinigungpunktes bewußt, der Jenen verborgen ist. Wenn die sich aneinander schließen, in denen die eine Sinnesart herrschend ist, so gibt es doch Einige, welche beide verstehen und beiden angehören, und der, in dessen Natur es liegt, das Universum zu personifizieren, ist doch im Wesentlichen, im Stoff der Religion gar nicht von dem unterschieden, der dies nicht tut, und es wird nie an solchen fehlen, welche sich auch in die entgegengesetzte Form mit Leichtigkeit hineindenken können. Wenn[103] unbeschränkte Universalität des Sinnes die erste und ursprüngliche Bedingung der Religion, und also wie natürlich auch ihre schönste und reifste Frucht ist, so seht Ihr wohl es ist nicht anders möglich, je weiter Ihr fortschreitet in der Religion, desto mehr muß Euch die ganze religiöse Welt als ein unteilbares Ganzes erscheinen: nur in den niederen Gegenden kann vielleicht ein gewisser Absonderungstrieb wahrgenommen werden, die Höchsten und Gebildetsten sehen einen allgemeinen Verein, und eben dadurch daß sie ihn sehen, stiften sie ihn auch. Indem Jeder nur mit dem Nächsten in Berührung steht, aber auch nach allen Seiten und Richtungen einen Nächsten hat, ist er in der Tat mit dem Ganzen unzertrennlich verknüpft. Mystiker und Physiker in der Religion, Theisten und Pantheisten, die welche sich zur systematischen Ansicht des Universums erhoben haben, und die welche es nur noch in den Elementen oder im dunkeln Chaos anschauen. Alle sollen dennoch nur Eins sein, ein Band umschließt sie Alle, und sie können nur gewaltsam und willkürlich getrennt werden; jede einzelne Vereinigung ist nur ein fließender integrierender Teil des Ganzen, in unbestimmten Umrissen sich in dasselbe verlierend, und fühlt sich auch nur so. – Wo ist die verschriene wilde Bekehrungssucht zu einzelnen bestimmten Formen der Religion, und wo der schreckliche Wahlspruch: kein Heil außer uns? So wie ich Euch die Gesellschaft der Religiösen dargestellt habe, und wie sie ihrer Natur nach sein muß, geht sie nur auf gegenseitige Mitteilung und existiert nur zwischen solchen die schon Religion haben, welche es auch sei: wie könnte es also wohl ihr Geschäft sein diejenigen umzustimmen, die schon eine bestimmte bekennen oder diejenigen herbeizuführen und einzuweihen, denen es noch daran fehlt? Die Religion der Gesellschaft zusammengenommen ist die ganze Religion, die unendliche, die kein Einzelner ganz umfassen kann, und zu der sich also auch keiner bilden und erheben läßt. Hat also Jemand schon einen Anteil davon, welcher es auch sei, für sich erwählt, wäre es nicht ein widersinniges Verfahren von der Gesellschaft, wenn sie ihm das entreißen wollte was seiner Natur gemäß ist, da sie doch auch dieses in sich befassen soll, und also notwendig[104] einer es besitzen muß? Und wozu sollte sie diejenigen bilden wollen, denen die Religion überhaupt noch fremd ist? Ihr Eigentum, das unendliche Ganze kann doch auch sie selbst ihnen nicht mitteilen; also etwa das Allgemeine, das Unbestimmte, welches sich vielleicht ergeben würde wenn man das aufsuchte, was etwa bei allen ihren Gliedern anzutreffen ist? Aber Ihr wißt ja daß überall gar nichts als etwas Allgemeines und Unbestimmtes, sondern nur als etwas Einzelnes und in einer durchaus bestimmten Gestalt wirklich gegeben und mitgeteilt werden kann, weil es sonst nicht Etwas, sondern in der Tat Nichts wäre. An jedem Maßstabe und an jeder Regel würde es ihr also fehlen bei diesem Unternehmen. Und wie käme sie überhaupt dazu aus sich hinauszugehen, da das Bedürfnis aus welchem sie entstanden ist, das Prinzip der religiösen Geselligkeit auf gar nichts dergleichen hindeutet. Was also von dieser Art geschieht in der Religion ist immer nur ein Privatgeschäft des Einzelnen für sich. Genötiget sich aus dem Kreise der religiösen Vereinigung wo Anschauung des Universums ihm den erhabensten Genuß gewährt, und von heiligen Gefühlen durchdrungen sein Geist auf dem höchsten Gipfel des Lebens schwebt, zurückzuziehn in die niedrigen Gegenden des Lebens, ist es sein Trost daß er auch Alles womit er sich da beschäftigen muß, zugleich auf das beziehen kann, was seinem Gemüt immer das Höchste bleibt. Wie er von da herabkommt unter die, welche sich auf irgendein irdisches Streben und Treiben beschränken, glaubt er leicht, und verzeiht es ihm nur, aus dem Umgang mit Göttern und Musen unter ein Geschlecht roher Barbaren versetzt zu sein. Er fühlt sich als einen Verwalter der Religion unter den Ungläubigen, als einen Missionär unter den Wilden, ein neuer Orpheus hofft er manchen unter ihnen zu gewinnen durch himmlische Töne, und stellt sich dar unter ihnen als eine priesterliche Gestalt, seinen höhern Sinn klar und hell ausdrückend in allen Handlungen und in seinem ganzen Wesen. Regt dann der Eindruck des Heiligen und Göttlichen etwas ähnliches auf, wie gern pflegt er dann die ersten Ahndungen der Religion in einem neuen Gemüt, einen schönen Beweis seines Gedeihens auch in einem fremden und rauhen[105] Klima, wie triumphierend zieht er den Neuling mit sich empor zu der erhabenen Versammlung! Diese Geschäftigkeit um die Verbreitung der Religion ist nur die fromme Sehnsucht des Fremdlings nach seiner Heimat, das Bestreben sein Vaterland mit sich zu führen, und die Gesetze und Sitten desselben, sein höheres schöneres Leben überall anzuschauen, das Vaterland selbst in sich selig und sich vollkommen genug kennt auch dieses Bestreben nicht. –

Nach alle diesem werdet Ihr vielleicht sagen, daß ich ganz einig mit Euch zu sein schiene, ich habe die Kirche konstruiert aus dem Begriff ihres Zwecks, und indem ich ihr alle die Eigenschaften, welche sie jetzt auszeichnen, abgesprochen, so habe ich ihre gegenwärtige Gestalt eben so strenge gemißbilliget als Ihr selbst. Ich versichere Euch aber, daß ich nicht von dem geredet habe was sein soll, sondern von dem was ist, wenn Ihr anders nicht leugnen wollt, daß dasjenige wirklich schon ist, was nur durch Beschränkungen des Raumes gehindert wird auch dem gröberen Blick zu erscheinen. Die wahre Kirche ist in der Tat immer so gewesen, und ist noch so, und wenn Ihr sie nicht so sehet, so liegt die Schuld doch eigentlich an Euch und in einem ziemlich handgreiflichen Mißverständnis. Bedenkt nur, ich bitte Euch, daß ich um mich eines alten aber sehr sinnreichen Ausdruckes zu bedienen nicht von der streitenden, sondern von der triumphierenden Kirche geredet habe, nicht von der welche noch kämpft gegen alle Hindernisse der religiösen Bildung welche ihr das Zeitalter und der Zustand der Menschheit in den Weg legt, sondern von der, die schon alles was ihr entgegenstand überwunden und sich selbst konstituiert hat. Ich habe Euch eine Gesellschaft von Menschen dargestellt, die mit ihrer Religion zum Bewußtsein gekommen sind und denen die religiöse Ansicht des Lebens eine der herrschenden geworden ist, und da ich Euch überzeugt zu haben hoffe, daß das Menschen von einiger Bildung und von vieler Kraft sein müssen, und daß ihrer also immer nur sehr wenige sein können, so müßt Ihr freilich ihre Vereinigung da nicht suchen, wo viele Hunderte versammelt sind in großen Tempeln und ihr Gesang schon von fern Euer Ohr erschüttert:[106] so nahe wißt Ihr wohl stehen Menschen dieser Art nicht beieinander. Vielleicht ist sogar nur in einzelnen abgesonderten von der großen Kirche gleichsam ausgeschlossenen Gemeinheiten etwas Ähnliches in einem bestimmten Raum zusammengedrängt zu finden: das aber ist gewiß, daß alle wahrhaft religiöse Menschen, soviel es ihrer je gegeben hat, nicht nur den Glauben, sondern das lebendige Gefühl von einer solchen Vereinigung mit sich herumgetragen und in ihr eigentlich gelebt haben, und daß sie Alle das, was man gemeinhin die Kirche nennt, sehr nach seinem Wert, das heißt eben nicht sonderlich hoch, zu schätzen wußten.

Diese große Verbindung nämlich, auf welche Eure harten Beschuldigungen sich eigentlich beziehen, ist, weit entfernt eine Gesellschaft religiöser Menschen zu sein, vielmehr nur eine Vereinigung solcher, welche die Religion erst suchen, und so finde ich es sehr natürlich, daß sie jener fast in allen Stücken entgegengesetzt ist. Leider werde ich, um Euch dies so deutlich zu machen als es mir ist, in eine Menge irdischer weltlicher Dinge hinabsteigen und mich durch ein Labyrinth der wunderlichsten Verirrungen hindurchwinden müssen: es geschieht nicht ohne Widerwillen, aber es sei darum, Ihr müßt dennoch mit mir einig werden. Vielleicht daß schon die ganz verschiedene Form der Geselligkeit, wenn ich Euch aufmerksam darauf mache. Euch im Wesentlichen von meiner Meinung überzeugt. Ich hoffe Ihr seid aus dem vorigen mit mir einverstanden darüber daß in der wahren religiösen Geselligkeit alle Mitteilung gegenseitig ist, das Prinzip, welches uns zur Äußerung des eigenen antreibt, innig verwandt mit dem was uns zum Anschließen an das Fremde geneigt macht und so Wirkung und Gegenwirkung aufs unzertrennlichste miteinander verbunden. Hier im Gegenteil findet Ihr gleich eine durchaus andere Form: Alle wollen empfangen und nur einer ist da der geben soll; völlig passiv lassen sie auf einerlei Art in sich einwirken durch alle Organe, und helfen höchstens dabei selbst von innen nach soviel sie Gewalt über sich haben, ohne an eine Gegenwirkung auf Andere auch nur zu denken. Zeigt das deutlich genug, daß auch das Prinzip ihrer Geselligkeit ein ganz andres sein muß? Es kann wohl bei ihnen nicht[107] die Rede davon sein, daß sie nur ihre Religion ergänzen wollten durch die der Andern: denn wenn in der Tat welche in ihnen wohnte, würde diese sich wohl, weil es in ihrer Natur liegt, auch auf irgendeine Art tätig auf Andere beweisen. Sie tun keine Gegenwirkung, weil sie keiner fähig sind, und sie können nur darum keiner fähig sein, weil keine Religion in ihnen wohnt. Wenn ich mich eines Bildes bedienen darf aus der Wissenschaft, der ich am liebsten Ausdrücke abborge in Angelegenheiten der Religion, so möchte ich sagen, sie sind negativ religiös, und drängen sich nun in großen Haufen zu den wenigen Punkten hin, wo sie das positive Prinzip der Religion ahnden um sich mit diesem zu vereinigen. Haben sie aber dieses in sich aufgenommen, so fehlt es ihnen wiederum an Kapazität um das neue Produkt festzuhalten; der feine Stoff, der gleichsam nur ihre Atmosphäre umschweben konnte, entweicht ihnen, und sie gehen nun in einem gewissen Gefühl von Leere wieder eine Weile hin, bis sie sich aufs neue negativ angefüllt haben. Dies ist in wenig Worten die Geschichte ihres religiösen Lebens, und der Charakter der geselligen Neigung, welche mit darin eingeflochten ist. Nicht Religion, nur ein wenig Sinn für sie, und ein mühsames auf eine klägliche Art vergebliches Streben zu ihr selbst zu gelangen, das ist Alles, was man auch den Besten unter ihnen, denen die es mit Geist und Eifer treiben, zugestehen kann. Im Lauf ihres häuslichen und bürgerlichen Lebens, auf dem größeren Schauplatz von dessen Ereignissen sie Zuschauer sind, begegnet natürlich vieles, was auch einen geringen Anteil religiösen Sinnes affizieren muß. Aber es bleibt nur eine dunkle Ahndung, ein schwacher Eindruck auf einer zu weichen Masse, dessen Umrisse gleich ins Unbestimmte zerfließen; alles wird bald hinweggeschwemmt von den Wellen des praktischen Lebens in die unbesuchteste Gegend der Erinnerung, und auch dort von weltlichen Dingen bald ganz verschüttet. Indes entsteht aus der öfteren Wiederholung dieses kleinen Reizes dennoch zuletzt ein Bedürfnis: die dunkle Erscheinung im Gemüt, die immer wiederkehrt, will endlich klar gemacht sein. Das beste Mittel dazu, so sollte man freilich denken, wäre dieses, wenn sie sich Muße nähmen, das[108] was so auf sie wirkt gelassen und genau zu betrachten: aber dieses wirkende ist das Universum, und in diesem liegen doch unter andern auch alle die einzelnen Dinge, an die sie in den übrigen Teilen ihres Lebens zu denken, und mit denen sie zu schaffen haben. Auf diese würde sich aus alter Gewohnheit ihr Sinn unwillkürlich richten, und das Erhabene und Unendliche würde sich ihren Augen wieder zerstückeln in lauter Einzelnes und Geringes. Das fühlen sie, und darum vertrauen sie sich selbst nicht und suchen fremde Hilfe: im Spiegel einer fremden Darstellung wollen sie anschauen was sie in der unmittelbaren Wahrnehmung nur verderben würden. – So suchen sie nach Religion: aber sie mißverstehen am Ende dies ganze Streben. Denn wenn nun die Äußerungen eines religiösen Menschen alle jene Erinnerungen geweckt haben, und sie nun von ihnen vereint affiziert mit einem stärkeren Eindruck von dannen gehn: so meinen sie ihr Bedürfnis sei gestillt, der Andeutung der Natur sei Genüge geschehen, und sie haben nun die Religion selbst in sich, die ihnen doch – gerade wie ehedem, nur in einem höheren Grade – nur als eine flüchtige Erscheinung von außen gekommen ist. Dieser Täuschung bleiben sie immer unterworfen, weil sie von der wahren und lebendigen Religion weder Begriff noch Anschauung haben, und wiederholen in vergeblicher Hoffnung endlich auf das rechte zu kommen tausendmal dieselbe Operation, und bleiben immer wo und was sie gewesen sind. Kämen sie weiter, würde ihnen auf diesem Wege die Religion selbsttätig und lebendig eingepflanzt, so würden sie bald die verlassen, deren Einseitigkeit und Passivität ihrem Zustande alsdann nicht länger angemessen wäre, noch auch erträglich sein könnte; sie würden sich wenigstens neben ihr einen andern Kreis suchen wo ihre Religion sich auch tätig zeigen und außer sich wirken könnte, und dieser müßte bald ihr Hauptwerk und ihre ausschließende Liebe werden. Und so wird auch in der Tat die Kirche den Menschen um so gleichgültiger je mehr sie zunehmen in der Religion, und die Frömmsten sondern sich stolz und kalt von ihr aus. Es kann in der Tat nichts deutlicher sein: man ist in dieser Verbindung nur deswegen weil man keine Religion hat, man verharrt darin nur so lange als man keine[109] hat. – Eben das geht aber auch aus der Art hervor, wie sie die Religion behandeln. Denn gesetzt auch es wäre unter wahrhaft religiösen Menschen eine einseitige Mitteilung und ein Zustand freiwilliger Passivität und Entäußerung möglich, so herrscht doch in ihrem gemeinschaftlichen Tun über dies durchaus die größte Verkehrtheit und Unkenntnis der Sache. Verständen sie sich auf die Religion, so würde ihnen doch das die Hauptsache sein, daß der, welchen sie für sich zum Organ der Religion gemacht haben, ihnen seine klarsten individuellsten Anschauungen und Gefühle mitteilte; das mögen sie aber nicht, sondern setzen vielmehr den Äußerungen seiner Individualität Schranken auf allen Seiten, und begehren daß er ihnen vornehmlich Begriffe, Meinungen, Lehrsätze, kurz statt der eigentlichen Elemente der Religion die Abstraktionen darüber ins Licht setzen soll. Verständen sie sich auf die Religion, so würden sie aus ihrem eigenen Gefühl wissen, daß jene symbolischen Handlungen, von denen ich gesagt habe, daß sie der wahren religiösen Geselligkeit wesentlich sind, ihrer Natur nach nichts sein können als Zeichen der Gleichheit des in Allen hervorgegangenen Resultats, Andeutung der Rückkehr zum gemeinschaftlichen Mittelpunkt, nichts als das vollstimmigste Schlußchor nach allem was einzelne rein und kunstreich mitgeteilt haben: davon aber wissen sie nichts, sondern sie sind ihnen etwas für sich Bestehendes und nehmen bestimmte Zeiten ein. Was geht daraus hervor als dieses, daß ihr gemeinschaftliches Tun nichts an sich hat von jenem Charakter einer hohen und freien Begeisterung der der Religion durchaus eigen ist, sondern ein schülerhaftes, mechanisches Wesen ist? und worauf deutet dieses wiederum, als darauf, daß sie die Religion erst von außen überkommen möchten? Das wollen sie auf alle Weise versuchen. Darum hängen sie so an den toten Begriffen, an den Resultaten der Reflexion über die Religion und saugen sie begierig ein, in der Hoffnung daß diese in ihnen den Rückweg ihrer eigentlichen Genesis machen und sich wieder in die lebendigen Anschauungen und Gefühle zurückverwandeln werden aus denen sie ursprünglich abgeleitet sind. Darum brauchen sie die symbolischen Handlungen, die eigentlich das letzte sind in der religiösen[110] Mitteilung, als Reizmittel, um das aufzuregen, was ihnen eigentlich vorangehen müßte.

Wenn ich von dieser größeren und weitverbreiteten Verbindung in Vergleichung mit der vortrefflicheren, die allein nach meiner Idee die wahre Kirche ist, nur sehr herabsetzend und als von etwas gemeinem und niedrigem gesprochen habe, so ist das freilich in der Natur der Sache begründet, und ich konnte meinen Sinn darüber nicht verhehlen: aber ich verwahre mich feierlichst gegen jede Vermutung, die Ihr wohl hegen könntet, als stimmte ich dem immer allgemeiner werdenden Wünschen bei, diese Anstalt lieber ganz zu zerstören. Nein, wenn die wahre Kirche doch immer nur denjenigen offen stehen wird welche schon im Besitz der Religion sind, so muß es doch irgendein Bindungsmittel geben zwischen ihnen und denen welche sie noch suchen, und das soll doch diese Anstalt sein, denn sie muß ihrer Natur nach ihre Anführer und Priester immer aus jener hernehmen. Und soll gerade die Religion die einzige menschliche Angelegenheit sein in der es keine Veranstaltungen gäbe zum Behuf der Schüler und Lehrlinge? Aber freilich der ganze Zuschnitt dieser Anstalt müßte ein anderer sein, und ihr Verhältnis zur wahren Kirche ein ganz andres Ansehen gewinnen. Es ist mir nicht erlaubt hierüber zu schweigen. Diese Wünsche und Ansichten hängen zu genau mit der Natur der religiösen Geselligkeit zusammen und der bessere Zustand der Dinge, den ich mir denke, gereicht so sehr zu ihrer Verherrlichung, daß ich meine Ahndungen nicht in mich verschließen darf. Das wenigstens ist durch den schneidenden Unterschied den wir zwischen beiden festgestellt haben gewonnen, daß wir sehr ruhig und einträchtig über alle Mißbrauche die in der kirchlichen Gesellschaft obwalten, und über ihre Ursachen miteinander nachdenken können; denn Ihr müßt gestehen daß die Religion, da sie eine solche Kirche nicht hervorgebracht hat, von aller Schuld an jedem Unheil welches diese angerichtet haben soll und an dem verwerflichen Zustande worin sie sich befinden mag vorläufig freigesprochen werden muß, so gänzlich freigesprochen, daß man ihr nicht einmal den Vorwurf machen kann sie könne in so etwas ausarten: denn wo sie noch gar[111] nicht gewesen ist kann sie auch unmöglich ausgeartet sein. Ich gebe zu daß es in dieser Gesellschaft einen verderblichen Sektengeist gibt, und notwendig geben müsse. Wo die religiösen Meinungen gleichsam als Methode gebraucht werden um zur Religion zu gelangen, da müssen sie freilich in ein bestimmtes Ganzes gebracht werden, denn eine Methode muß durchaus bestimmt und auch endlich sein, und wo sie als etwas das nur von außen gegeben werden kann, angenommen werden auf die Autorität des Gebenden, da muß jeder Andersdenkende als ein Störer des ruhigen und sichern Fortschreitens angesehen werden, weil er durch sein bloßes Dasein und die Ansprüche die damit verbunden sind, diese Autorität schwächt; ich gestehe sogar, daß er in der alten Vielgötterei, wo das Ganze der Religion von selbst nicht in Eins befaßt war, und sie sich jeder Teilung und Absonderung williger darbot, weit gelinder und humaner war, und daß er erst in den sonst besseren Zeiten der systematischen Religion sich organisiert und in seiner ganzen Kraft gezeigt hat, denn wo Jeder ein ganzes System und einen Mittelpunkt dazu zu haben glaubt, da muß der Wert, der auf jedes Einzelne gelegt wird, ungleich größer sein: ich gebe beides zu; aber Ihr werdet mir einräumen daß jenes der Religion überhaupt nicht zum Vorwurf gereicht, und daß dieses nichts dagegen beweisen kann, daß die Ansicht des Universums als System nicht die höchste Stufe der Religion wäre. Ich gebe zu, daß es in dieser Gesellschaft mehr mit dem Verstehen oder Glauben, und mit dem Handeln und Vollziehn von Gebräuchen, als mit dem Anschaun und Fühlen gehalten wird, und daß sie daher immer, wie aufgeklärt auch ihre Lehre sei, an den Grenzen der Superstition einhergeht und an irgendeiner Mythologie hängt: aber Ihr werdet gestehen: daß sie nur um so weiter von der wahren Religion entfernt ist. Ich gebe zu, daß diese Verbindung nicht bestehen kann ohne einen permanenten Unterschied zwischen Priestern und Laien; denn wer unter diesen dahin käme selbst Priester sein zu können, das heißt wahre Religion in sich zuhaben, der könnte unmöglich Laie bleiben und sich noch ferner so gebärden als ob er keine hätte; er wäre vielmehr frei und verbunden diese Gesellschaft zu verlassen, und die wahre[112] Kirche aufzusuchen: aber das bleibt gewiß, daß diese Trennung mit Allem, was sie unwürdiges hat, und mit allen übeln Folgen, die ihr eigen sein können, nicht von der Religion herrührt, sondern selbst etwas ganz irreligiöses ist.

Jedoch eben hier höre ich Euch einen neuen Einwurf machen, der alle diese Vorwürfe wieder auf die Religion zurückzuwälzen scheint. Ihr werdet mich daran erinnern, daß ich selbst gesagt habe, die große kirchliche Gesellschaft, jene Anstalt für die Lehrlinge in der Religion meine ich, müsse der Natur der Sache nach ihre Anführer die Priester nur aus den Mitgliedern der wahren Kirche nehmen, weil es in ihr selbst an dem wahren Prinzip der Religion fehle. Ist dies so, werdet Ihr sagen, wie können denn die Virtuosen der Religion da wo sie zu herrschen haben, wo alles auf ihre Stimme hört, und wo sie selbst nur die Stimme der Religion hören sollten, so vieles dulden, ja mehr als dulden – denn wem verdankt die Kirche wohl alle ihre Einrichtungen als den Priestern? – was dem Geist der Religion ganz zuwider sein soll? Oder wenn es nicht so ist, wie es sein sollte, wenn sie sich vielleicht die Regierung ihrer Tochtergesellschaft haben entreißen lassen, wo ist dann der hohe Geist den wir mit Recht bei ihnen suchen? warum haben sie ihre wichtige Provinz so schlecht verwaltet? warum haben sie es geduldet daß niedrige Leidenschaften das zu einer Geißel der Menschheit machten, was unter den Händen der Religion ein Segen geblieben wäre? sie, für deren Jeden, wie du selbst gestehst, die Leitung derer, die ihrer Hilfe so sehr bedürfen, das erfreulichste und zugleich heiligste Geschäft sein muß. – Freilich ist es leider nicht so, wie ich behauptet habe, daß es sein soll: wer möchte wohl sagen, daß Alle diejenigen, daß auch nur der größte Teil, daß nachdem einmal solche Unterordnungen gemacht sind, auch nur die Ersten und Vornehmsten unter denen, welche die große Kirchengesellschaft regiert haben. Virtuosen der Religion oder auch nur Mitglieder der wahren Kirche gewesen wären? Nehmt nur, ich bitte Euch, das was ich sagen muß um sie zu entschuldigen, nicht für eine hinterlistige Retorsion. Wenn Ihr der Religion entgegenredet, tut Ihr es gewöhnlich im Namen der Philosophie; wenn Ihr der Kirche Vorwürfe macht,[113] sprecht Ihr im Namen des Staats: Ihr wollt die politischen Künstler aller Zeiten darüber verteidigen, daß durch Dazwischenkunft der Kirche ihr Kunstwerk soviel unvollkommene und übel beratene Stellen bekommen habe. Wenn nun ich, der ich im Namen der religiösen Virtuosen, und für sie rede, die Schuld davon daß sie ihr Geschäft nicht mit besserem Erfolg haben betreiben können, dem Staat und den Staatskünstlern beimesse, werdet Ihr mich nicht im Verdacht jenes Kunstgriffs haben? Dennoch hoffe ich Ihr werdet mir mein Recht nicht versagen können, wenn Ihr mich über die eigentliche Entstehung aller dieser Übel anhört.

Jede neue Lehre und Offenbarung, jede neue Ansicht des Universums, welche den Sinn für dasselbe anregt auf einer Seite wo es bisher noch nicht ergriffen worden ist, gewinnt auch einige Gemüter der Religion, für welche gerade dieser Punkt der einzige war durch welchen sie eingeführt werden konnten in die neue und unendliche Welt, und den meisten unter ihnen bleibt denn natürlich gerade diese Anschauung der Mittelpunkt der Religion, sie bilden um ihren Meister her eine eigne Schule, ein abgesondertes Bruchstück der wahren und allgemeinen Kirche, welches erst still und langsam seiner Vereinigung im Geist mit diesem großen Ganzen entgegenreift. Aber ehe diese erfolgt werden sie gewöhnlich, wenn erst die neuen Gefühle ihr ganzes Gemüt durchdrungen und gesättigt haben, heftig ergriffen von dem Bedürfnis zu äußern was in ihnen ist, damit das innere Feuer sie nicht verzehre. So verkündiget Jeder wo und wie er kann das neue Heil welches ihm aufgegangen ist, von jedem Gegenstande finden sie den Übergang zu dem neuentdeckten Unendlichen, jede Rede verwandelt sich in eine Zeichnung ihrer besondern religiösen Ansicht, jeder Rat, jeder Wunsch, jedes freundliche Wort in eine begeisterte Anpreisung des Weges, den sie als den einzigen kennen zum Tempel der Religion. Wer es weiß wie die Religion wirkt, der findet es natürlich daß sie Alle reden, sie würden fürchten, daß die Steine es ihnen zuvortäten. Und wer es weiß wie ein neuer Enthusiasmus wirkt der findet es natürlich daß dieses lebendige Feuer gewaltsam um sich greift, manche verzehrt, viele erwärmt und Tausenden den falschen oberflächlichen Schein[114] einer innern Glut mitteilt. Und diese Tausende sind eben das Verderben. Das jugendliche Feuer der neuen Heiligen nimmt auch sie für wahre Brüder, »was hindert, sprechen sie nur allzurasch, daß auch diese den heiligen Geist empfahen«, sie selbst nehmen sich dafür und lassen sich im freudigen Triumph einführen in den Schoß der frommen Gesellschaft. Aber wenn der Rausch der ersten Begeisterung vorüber, wenn die glühende Oberfläche ausgebrannt ist, so zeigt sich daß sie den Zustand in welchem die Andern sich befinden nicht aushalten und nicht teilen können, mitleidig stimmen sich diese herab zu ihnen, und entsagen ihrem eignen höheren und innigeren Genuß um ihnen wieder nachzuhelfen, und so nimmt alles die unvollkommne Gestalt an. Auf diese Art bildet sich ohne äußere Ursachen durch das allen menschlichen Dingen gemeine Verderbnis, der ewigen Ordnung gemäß nach welcher dieses Verderben gerade das feurigste und regsamste Leben am schnellsten ergreift, um jedes einzelne Bruchstück der wahren Kirche, welches irgendwo in der Welt isoliert entsteht, nicht abgesondert von jenem, sondern in und mit ihm, eine falsche und ausgeartete Kirche. So ist es zu allen Zeiten, unter allen Völkern und in jeder besondern Religion ergangen. Wenn man aber Alles ruhig sich überließe so könnte dieser Zustand unmöglich irgendwo lange gewährt haben. Gießt Stoffe von verschiedener Schwere und Dichtigkeit und die wenig innere Anziehung gegeneinander haben in ein Gefäß, rüttelt sie auch aufs heftigste durcheinander, daß Alles Eins zu sein scheint, und Ihr werdet sehen, wie Alles, wenn Ihr es nur ruhig stehn laßt, sich allmählich wieder sondert, und nur Gleiches sich zu Gleichem gesellt. So wäre es auch hier ergangen, denn das ist der natürliche Lauf der Dinge. Die wahre Kirche hätte sich still wieder ausgeschieden um der vertrauteren und höheren Geselligkeit zu genießen, welcher die Anderen nicht fähig wären; das Band der letzteren untereinander wäre dann so gut als gelöst gewesen, und ihre natürliche Passivität hätte irgend etwas äußeres erwarten müssen um zu bestimmen was aus ihnen werden sollte. Sie wären aber nicht verlassen geblieben von Jenen: wer hätte wohl außer ihnen das geringste Interesse gehabt sich ihrer anzunehmen? was[115] für eine Lockung hätte wohl ihr Zustand den Absichten Anderer Menschen dargeboten? Was wäre zu gewinnen, oder was für Ruhm wäre zu erlangen gewesen mit ihnen? Ungestört also wären die Mitglieder der wahren Kirche im Besitz geblieben, ihr priesterliches Amt unter ihnen in einer neuen und besser angelegten Gestalt wieder anzutreten. Jeder hätte diejenigen um sich versammelt die gerade ihn am besten verstehen, auf die nach seiner Art am meisten gewirkt werden konnte, und statt der ungeheuren Verbindung deren Dasein Ihr jetzt beseufzt, wären eine große Menge kleinerer und unbestimmter Gesellschaften entstanden, worin die Menschen sich auf allerlei Art bald hier bald dort geprüft hätten auf die Religion, und der Aufenthalt darin wäre nur ein vorübergehender Zustand gewesen, vorbereitend für den, dem der Sinn für die Religion aufgegangen wäre, entscheidend für den, der sich unfähig gefunden hätte auf irgendeine Art davon ergriffen zu werden. O goldnes Zeitalter der Religion, wann werden die Umwälzungen der menschlichen Dinge dich künstlich herbeiführen, nachdem du auf dem einfachen Wege der Natur verfehlt worden bist! Heil denen welche dann berufen werden! Gnädig sind ihnen die Götter, und reicher Segen folgt ihren Bemühungen auf ihrer Mission den Anfängern zu helfen und den Unmündigen den Weg eben zu machen zum Tempel des Ewigen, Bemühungen die Uns heutigen so karge Furcht bringen unter den ungünstigsten Umständen. Es ist wohl ein unheiliger Wunsch, aber ich kann ihn mir kaum versagen. Möchte doch allen Häuptern des Staats, allen Virtuosen und Künstlern der Politik auf immer fremd geblieben sein auch die entfernteste Ahndung von Religion! möchte doch nie einer ergriffen worden sein von der Gewalt jenes epidemischen Enthusiasmus, wenn sie doch ihre Individualität nicht zu scheiden wußten von ihrem Beruf und ihrem öffentlichen Charakter! Denn das ist uns die Quelle alles Verderbens geworden. Warum mußten sie die kleinliche Eitelkeit und den wunderlichen Dünkel, daß die Vorzüge, welche sie mitteilen könnten, überall ohne Unterschied etwas wichtiges sind, mitbringen in die Versammlung der Heiligen? Warum mußten sie die Ehrfurcht vor den Dienern des Heiligtums von dannen mit zurücknehmen[116] in ihre Paläste und Richtsäle? Ihr habt recht zu wünschen daß nie der Saum eines priesterlichen Gewandes den Fußboden eines königlichen Zimmers möchte berührt haben: aber laßt uns nur wünschen, daß nie der Purpur den Staub am Altar geküßt haben möchte; wäre dies nicht geschehen so würde jenes nicht erfolgt sein. Ja hätte man nie einen Fürsten in den Tempel gelassen, bevor er den schönsten königlichen Schmuck, das reiche Füllhorn aller seiner Gunst und Ehrenzeichen abgelegt hätte vor der Pforte! Aber sie haben es mitgenommen, sie haben gewähnt die einfache Hoheit des himmlischen Gebäudes schmücken zu können durch abgerissne Stücke ihrer irdischen Herrlichkeit, und statt eines geheiligten Herzens haben sie weltliche Gaben zurückgelassen als Weihgeschenke für den Höchsten. – So oft ein Fürst eine Kirche für eine Korporation erklärte, für eine Gemeinschaft mit eignen Vorrechten, für eine ansehnliche Person in der bürgerlichen Welt – und es geschah nie anders als wenn bereits jener unglückliche Zustand eingetreten war, wo die Gesellschaft der Gläubigen und die der Glaubensbegierigen, das wahre und das falsche, was sich bald wieder auf immer geschieden hätte, bereits vermischt war, denn ehe war nie eine religiöse Gesellschaft groß genug um die Aufmerksamkeit der Herrscher zu erregen – so oft ein Fürst sage ich zu dieser gefährlichsten und verderblichsten aller Handlungen sich verleiten ließ, war das Verderben dieser Kirche unwiderruflich beschlossen und eingeleitet. Wie das furchtbare Medusenhaupt wirkt eine solche Konstitutionsakte politischer Existenz auf die religiöse Gesellschaft: alles versteinert sich sowie sie erscheint. Alles nicht Zusammengehörige was nur für einen Augenblick ineinander geschlungen war ist nun unzertrennlich aneinander gekettet; alles Zufällige, was leicht hätte abgeworfen werden können ist nun auf immer befestigt; das Gewand ist mit dem Körper aus einem Stück, und jede unschickliche Falte ist für die Ewigkeit. Die größere und unechte Gesellschaft läßt sich nun nicht mehr trennen von der höheren und kleineren, wie sie doch getrennt werden müßte; sie läßt sich nicht mehr teilen noch auflösen; sie kann weder ihre Form noch ihre Glaubensartikel mehr andern; ihre Einsichten, ihre Gebräuche, alles ist verdammt[117] in dem Zustande zu verharren in dem es sich eben befand. Aber das ist noch nicht Alles: die Mitglieder der wahren Kirche die mit in ihr enthalten sind, sind von nun an von jedem Anteil an ihrer Regierung so gut als ausgeschlossen mit Gewalt, und außer Stand gesetzt das wenige für sie zu tun was noch getan werden könnte. Denn es gibt nun mehr zu regieren als sie regieren können, und wollen: weltliche Dinge sind jetzt zu ordnen und zu besorgen, und wenn sie sich gleich auch darauf verstehen in ihren häuslichen und bürgerlichen Angelegenheiten, so können sie sie doch nicht als eine Sache ihres priesterlichen Amtes behandeln. Das ist ein Widerspruch, der in ihren Sinn nicht eingeht, und mit dem sie sich nie aussöhnen können; es geht nicht zusammen mit ihrem hohen und reinen Begriff von Religion und religiöser Geselligkeit. Weder für die wahre Kirche, der sie angehören, noch für die größere Gesellschaft, die sie leiten sollen, können sie begreifen, was sie denn nun machen sollen mit den Häusern und Äckern die sie erwerben und den Reichtümern die sie besitzen können, und was das helfen soll für ihren Zweck. Sie sind außer Fassung gesetzt und verwirrt durch diesen widernatürlichen Zustand; und wenn nun durch dieselbe Begebenheit zugleich Alle, die angelockt werden, die sonst immer draußen geblieben sein würden, wenn es nun das Interesse aller Stolzen, Ehrgeizigen und Habsüchtigen und Ränkevollen geworden ist sich einzudrängen in die Kirche, in deren Gemeinschaft sie sonst nur die bitterste Langeweile empfunden hätten, wenn diese nun anfangen Teilnahme an heiligen Dingen und Kunde davon zu heucheln um den weltlichen Lohn davon zu tragen; wie sollen Jene wohl ihnen nicht unterliegen? Wer trägt also die Schuld wenn unwürdige Menschen den Platz der Virtuosen der Heiligkeit einnehmen, und wenn unter ihrer Aufsicht alles sich einschleichen und festsetzen darf was dem Geist der Religion am meisten zuwider ist? wer anders als der Staat mit seiner übel verstandenen Großmut. Er ist aber auf eine noch unmittelbarere Art Ursach, daß das Band zwischen der wahren Kirche und der äußeren Religionsgesellschaft sich gelöst hat. Denn nachdem er dieser jene unselige Wohltat erwiesen[118] meinte er ein Recht auf ihre tätige Dankbarkeit zu haben, und hat sie belehnt mit drei höchst wichtigen Aufträgen in seinen Angelegenheiten. Der Kirche hat er mehr oder weniger übertragen die Sorge und Aufsicht auf die Erziehung; unter den Auspizien der Religion und in der Gestalt einer Gemeine, will er, daß das Volk unterrichtet werde in den Pflichten, die seine Gesetze nicht fassen, und beredet zu sittlichen Gesinnungen; und von der Kraft der Religion und den Unterweisungen der Kirche fordert er, daß sie ihm seine Bürger wahrhaft mache in ihren Aussagen. Und zur Vergeltung für diese Dienste die er begehrt beraubt er sie nun – so ist es ja fast in allen Teilen der gesitteten Welt, wo es einen Staat und eine Kirche gibt – ihrer Freiheit, er behandelt sie als eine Anstalt die er eingesetzt und erfunden hat, und freilich ihre Fehler und Mißbräuche sind fast alle seine Erfindung, und er allein maßt sich die Entscheidung darüber an, wer tüchtig sei als Vorbild und als Priester der Religion aufzutreten in dieser Gesellschaft. Und dennoch wollt Ihr es von der Religion fordern, wenn es nicht alles heilige Seelen sind. Aber ich bin noch nicht am Ende mit meinen Anklagen: sogar in die innersten Mysterien der religiösen Geselligkeit trägt er sein Interesse hinein und verunreinigt sie. Wenn die Kirche in prophetischer Andacht die Neugebornen der Gottheit und dem Streben nach dem Höchsten weihet, so will er sie dabei zugleich aus ihren Händen empfangen in die Liste seiner Schutzbefohlenen; wenn sie den Heranwachsenden den ersten Kuß der Brüderschaft gibt, als solchen, die nun den ersten Blick getan haben in die Heiligtümer der Religion, so soll das auch für ihn das Zeugnis sein von dem ersten Grade ihrer bürgerlichen Selbständigkeit, wenn sie mit gemeinschaftlichen frommen Wünschen die Verschmelzung zweier Personen heiligt wodurch sie zu Werkzeugen des schaffenden Universums werden, so soll das zugleich seine Sanktion sein für ihr bürgerliches Bündnis; und selbst daß ein Mensch verschwunden ist vom Schauplatz dieser Welt, will er nicht eher glauben, bis sie ihn versichert, daß sie seine Seele wiedergegeben habe dem Unendlichen, und seinen Staub eingeschlossen in den Schoß der heiligen Erde. Es zeigt Ehrfurcht vor der Religion und ein Bestreben sich[119] immer im Bewußtsein seiner eigenen Schranken zu erhalten, daß er sich so jedesmal beugt vor ihr und ihren Verehrern, wenn er etwas empfängt aus den Händen der Unendlichkeit, oder es wieder abliefert in dieselben: aber wie auch dies alles nur zum Verderben der religiösen Gesellschaft wirkt, ist klar genug. Nichts gibt es nun in allen ihren Einrichtungen, was sich auf die Religion allein bezöge, oder worin sie auch nur die Hauptsache wäre: in den heiligen Reden und Unterweisungen sowohl als in den geheimnisvollen und symbolischen Handlungen ist alles voll von moralischen und politischen Beziehungen, alles ist abgewendet von seinem ursprünglichen Zweck und Begriff. Viele gibt es daher unter ihren Anführern die nichts verstehn von der Religion und viele unter ihren Mitgliedern, denen es nicht in den Sinn kommt sie suchen zu wollen.

Daß eine Gesellschaft, welcher so etwas begegnen kann, welche mit einer Demut Wohltaten empfängt, die ihr zu nichts dienen, und mit kriechender Bereitwilligkeit Lasten übernimmt die sie ins Verderben stürzen, welche sich mißbrauchen läßt von einer fremden Macht, welche ihre Freiheit und Unabhängigkeit, die ihr doch angeboren ist, fahren läßt für einen leeren Schein, welche ihren hohen und erhabnen Zweck aufgibt um Dingen nachzugehn die ganz außer ihrem Wege liegen, daß dies nicht eine Gesellschaft von Menschen sein kann, die ein bestimmtes Streben haben und genau wissen, was sie wollen, das denke ich springt in die Augen; und diese kurze Hinweisung auf die Begebenheiten der kirchlichen Gesellschaft ist, denke ich, der beste Beweis davon, daß sie nicht die eigentliche Gesellschaft der religiösen Menschen ist, daß höchstens einige Partikeln von dieser mit ihr vermischt waren, überschüttet von fremden Bestandteilen, und daß das Ganze, um den ersten Stoff dieses unermeßlichen Verderbens aufzunehmen, schon in einem Zustande krankhafter Gärung sein mußte, in welcher die wenigen gesunden Teile bald gänzlich entwichen. Voll heiligen Stolzes hätte die wahre Kirche Gaben verweigert, die sie nicht brauchen konnte, wohl wissend, daß diejenigen welche die Gottheit gefunden haben und sich ihrer gemeinschaftlich erfreuen, in ihrer reinen Geselligkeit in der sie nur ihr innerstes[120] Dasein ausstellen und mitteilen wollen, eigentlich nichts gemein haben, dessen Besitz ihnen geschützt werden müßte durch eine weltliche Macht, daß sie nichts brauchen auf Erden, und auch nichts brauchen können als eine Sprache um sich zu verstehn, und einen Raum um beieinander zu sein, Dinge zu denen sie keiner Fürsten und ihrer Gunst bedürfen.

Wenn es aber doch eine vermittelnde Anstalt geben soll, durch welche die wahre Kirche in eine gewisse Berührung kommt mit der profanen Welt mit der sie unmittelbar nichts zu schaffen hat, gleichsam eine Atmosphäre durch welche sie sich zugleich reinigt und auch neuen Stoff an sich zieht und bildet: welche Gestalt soll diese Gesellschaft denn annehmen, und wie wäre sie zu befreien von dem Verderben welches sie eingesogen hat? Das Letzte bleibe der Zeit zu beantworten überlassen: es gibt zu Allem was irgend einmal geschehen muß tausend verschiedene Wege, und für alle Krankheiten der Menschheit mannigfaltige Heilarten: jede wird an ihrem Ort versucht werden und zum Ziele führen. Nur dies Ziel sei mir erlaubt anzudeuten, um Euch desto klarer zu zeigen daß es auch hier nicht die Religion und ihr Streben gewesen ist, worauf Euer Unwille sich geworfen hat.

Der eigentliche Hauptbegriff davon ist doch dieser, daß denjenigen die in einem gewissen Grade Sinn für die Religion haben, die aber weil sie in ihnen noch nicht zum Ausbruch und zum Bewußtsein gekommen ist, noch nicht fähig sind der wahren Kirche einverleibt zu werden, absichtlich soviel Religion gezeigt werde, daß dadurch ihre Anlage für dieselbe notwendig entwickelt werden muß. Laßt uns sehen was eigentlich verhindert daß dies in der gegenwärtigen Lage der Dinge nicht geschehen kann. – Ich will nicht noch einmal daran erinnern, daß der Staat jetzt diejenigen, die in dieser Gesellschaft Anführer und Lehrer sind – nur ungern bediene ich mich aus Mangel dieses Worts welches für das Geschäft sich nicht schickt – nach seinen Wünschen auswählt, die mehr auf Beförderung der übrigen Angelegenheiten, die er mit dieser Anstalt verbunden hat, gerichtet sind; daß man ein höchst verständiger Pädagog und ein sehr reiner trefflicher Moralist sein kann ohne von der Religion[121] das bitterste zu verstehen; und daß es daher Vielen, die er unter seine würdigsten Diener in dieser Anstalt zählt, leicht ganz daran fehlen mag; ich will annehmen. Alle die er einsetzt wären wirklich Virtuosen in der Religion: so würdet Ihr doch zugeben, daß kein Künstler seine Kunst einer Schule mit einigem Erfolg mitteilen kann wenn nicht unter den Lehrlingen eine gewisse Gleichheit der Vorkenntnisse stattfindet; und doch ist diese in jeder Kunst wo der Schüler seine Fortschritte durch Übungen macht, und der Lehrer vornehmlich durch Kritik nützlich ist, minder notwendig als in der Religion wo der Meister nichts tun kann als zeigen und darstellen. Hier muß alle seine Arbeit vergeblich sein, wenn nicht Allen dasselbe, nicht nur verständlich, sondern auch angemessen und heilsam ist. Nicht also in Reihe und Glied, wie sie ihm zugezählt sind nach einer alten Verteilung, nicht wie ihre Häuser nebeneinander stehn, oder wie sie verzeichnet sind in den Listen der Polizei, muß der heilige Redner seine Zuhörer bekommen, sondern nach einer gewissen Ähnlichkeit der Fähigkeiten und der Sinnesart. – Laßt aber auch nur solche sich bei Einem Meister versammeln die der Religion gleich nahe sind, so sind sie es doch nicht auf gleiche Weise, und es ist höchst widersinnig irgendeinen Lehrling auf einen bestimmten Meister beschränken zu wollen, weil es nirgend einen solchen Virtuosen in der Religion geben kann welcher imstande wäre Jedem der ihm vorkommt durch seine Darstellung und Rede den verborgenen Keim der Religion ans Licht zu locken. Gar zu viel umfassend ist ihr Gebiet. Erinnert Euch der verschiedenen Wege auf denen der Mensch von der Anschauung des Endlichen zu der des Unendlichen übergeht, und daß dadurch seine Religion einen eignen und bestimmten Charakter annimmt; denkt an die verschiedenen Modifikationen unter denen das Universum angeschaut werden kann und an die tausend einzelnen Anschauungen und die verschiedenen Arten wie diese zusammengestellt werden mögen um einander wechselseitig zu erleuchten; bedenkt daß jeder, der Religion sucht, sie unter der bestimmten Form antreffen muß, die seinen Anlagen und seinem Standpunkt angemessen ist, wenn die seinige dadurch[122] wirklich aufgeregt werden sollte: so werdet Ihr finden daß es Jedem Meister unmöglich sein muß Allen Alles und Jedem das zu werden was er bedarf, weil unmöglich Einer zugleich ein Mystiker, ein physischer Gottesgelehrter und ein heiliger Künstler sein kann, zugleich ein Deist und ein Pantheist, zugleich ein Meister in Weissagungen, Visionen und Gebeten, und in Darstellungen aus Geschichte und Empfindung und noch vieles andere, wenn es nur möglich wäre alle die herrlichen Zweige aufzuzählen in welche der himmlische Baum der priesterlichen Kunst seine Krone verteilte. Meister und Jünger müssen einander in vollkommener Freiheit aufsuchen und wählen dürfen, sonst ist Einer für den Andern verloren; Jeder muß suchen dürfen was ihm frommt, und keiner genötigt sein mehr zu geben als das, was er hat und versteht. – Wenn aber auch Jeder nur das lehren soll was er versteht, so kann er ja auch das nicht, sobald er zugleich, ich meine in derselben Handlung, noch etwas anders tun soll. Es kann keine Frage darüber sein, ob nicht ein priesterlicher Mensch seine Religion darstellen, sie mit Fleiß und Kunst, wie sichs gebührt, darstellen, und zugleich noch irgendein bürgerliches Geschäft treu und in großer Vollkommenheit ausrichten könne. Warum also sollte nicht auch, wenn es sich eben so schickt, derjenige welcher Profession macht vom Priestertum, zugleich Moralist sein dürfen im Dienst des Staates? Es ist nichts dagegen: nur muß er beides nebeneinander, und nicht in und durcheinander sein, er muß nicht beide Naturen zu gleicher Zeit an sich tragen und beide Geschäfte in derselben Handlung verrichten sollen. Begnüge sich der Staat, wenn es ihm so gut deucht, mit einer religiösen Moral: die Religion aber verleugnet jeden moralisierenden Propheten und Priester; wer sie verkündigen will der tue es rein. Es widerspräche allem Ehrgeiz eines Virtuosen, wenn ein wahrer Priester sich auf so unwürdige und inkonsequente Bedingungen einlassen wollte mit dem Staat. Wenn dieser andere Künstler in Sold nimmt es sei nun um ihre Talente besser zu pflegen oder um Schüler zu ziehen, so entfernt er von ihnen alle fremden Geschäfte, und macht es ihnen wohl zur Pflicht sich deren zu enthalten, er empfiehlt[123] ihnen, sich auf den besonderen Teil ihrer Kunst vorzüglich zu legen, worin sie am mehresten leisten zu können glauben und läßt da ihrem Genie volle Freiheit; nur an den Künstlern der Religion tut er gerade das Gegenteil, Sie sollen das ganze Gebiet ihres Gegenstandes umfassen, und dabei schreibt er ihnen noch vor von welcher Schule sie sein sollen, und legt ihnen noch unschickliche Lasten auf. Entweder gebe er ihnen auch Muße sich für irgendeinen einzelnen Teil der Religion besonders auszubilden, für den sie am meisten gemacht zu sein glauben, und spreche sie von allem übrigen los, oder nachdem er seine moralische Bildungsanstalt für sich angelegt hat, was er doch in jenem Falle auch tun muß, lasse er sie ihr Wesen ebenfalls treiben für sich, und kümmere sich gar nicht um die priesterlichen Werke, die in seinem Gebiet vollendet werden, da er sie doch weder zur Schau noch zum Nutzen braucht, wie etwa andere Künste und Wissenschaften. Hinweg also mit jeder solchen Verbindung zwischen Kirche und Staat! – das bleibt mein Catonischer Ratspruch bis ans Ende, oder bis ich es erlebe sie wirklich zertrümmert zu sehen. – Hinweg mit Allem, was einer geschlossenen Verbindung der Laien und Priester unter sich oder miteinander auch nur ähnlich sieht! Lehrlinge sollen ohnedies keinen Körper bilden, man sieht an den mechanischen Gewerben und an den Zöglingen der Musen wie wenig es frommt; aber auch die Priester sollen, als solche meine ich, keine Brüderschaft ausmachen unter sich, sie sollen sich weder ihre Geschäfte noch ihre Kunden zunftmäßig teilen, sondern ohne sich um die Andern zu bekümmern und ohne mit einem in dieser Angelegenheit näher verbunden zu sein als mit den Andern tue Jeder das Seine; und auch zwischen Lehrer und Gemeine sei kein festes Band. Ein Privatgeschäft ist nach den Grundsätzen der wahren Kirche die Mission eines Priesters in der Welt; ein Privatzimmer sei auch der Tempel wo seine Rede sich erhebt, um die Religion auszusprechen; eine Versammlung sei vor ihm und keine Gemeine; ein Redner sei er für alle die hören wollen, aber nicht ein Hirt für eine bestimmte Herde. Nur unter diesen Bedingungen können sich wahrhaft priesterliche Seelen derjenigen annehmen, welche die Religion suchen; nur so kann diese vorbereitende[124] Verbindung wirklich zur Religion führen, und sich würdig machen als ein Anhang der wahren Kirche und als das Vorzimmer derselben betrachtet zu werden: denn nur so verliert sich alles, was in ihrer jetzigen Form unheilig und irreligiös ist. Gemildert wird durch die allgemeine Freiheit der Wahl, der Anerkennung, und des Urteils der allzuharte und schneidende Unterschied zwischen Priestern und Laien, bis die Besseren unter diesen dahin kommen wo sie jenes zugleich sind. Auseinander getrieben und zerteilt wird alles was durch die unheiligen Bande der Symbole zusammengehalten ward, wenn es gar keinen Vereinigungspunkt dieser Art mehr gibt, wenn keiner den Suchenden ein System der Religion anbietet, sondern Jeder nur einen Teil, und das ist das einzige Mittel diesen Unfug einmal zu enden. Es ist nur ein schlechter Behelf der frühern Zeit, die Kirche – um auch in diesem schlechtesten aller Sinne das Wort zu brauchen – zu zerschneiden: sie ist eine Polypennatur, aus jedem ihrer Stücke wächst wieder ein Ganzes hervor, und wenn der Begriff dem Geist der Religion widerspricht, so sind mehrere Individuen doch um nichts besser als wenigere. Näher gebracht wird der allgemeinen Freiheit und der majestätischen Einheit der wahren Kirche die äußere Religionsgesellschaft nur dadurch, daß sie eine fließende Masse wird, wo es keine Umrisse gibt, wo jeder Teil sich bald hie bald dort befindet, und Alles sich friedlich untereinandermengt. Vernichtet wird der gehässige Sekten- und Proselyten-Geist der vom Wesentlichen der Religion immer weiter abführt, nur dadurch, wenn keiner mehr fühlen kann, daß er Einem bestimmten Kreise angehört und ein Andersglaubender einem andern.

Ihr seht, daß in Rücksicht auf diese Gesellschaft unsere Wünsche ganz dieselben sind: was Euch anstößig ist, steht auch uns im Wege, nur daß es – vergönnt mir immer dies zu sagen – gar nicht in die Reihe der Dinge gekommen sein würde, wenn man Uns allein hätte geschäftig sein lassen in dem, was doch eigentlich unser Werk war. Daß es wieder hinweggeschafft werde ist unser gemeinschaftlichen Interesse. Wie dies unter uns geschehen wird, ob auch nur nach einer großen Erschütterung wie im nachbarlichen Lande, oder ob der Staat durch eine gütliche Übereinkunft, und ohne daß[125] beide erst sterben um aufzuerstehen, sein mißlungenes Ehebündnis mit der Kirche trennen, oder ob er nur dulden wird, daß eine andre jungfräulichere erscheine neben der welche einmal an ihn verkauft ist, ich weiß es nicht: bis aber etwas von dieser Art geschieht werden von einem harten Geschick alle heiligen Seelen gebeugt, welche von der Glut der Religion durchdrungen auch in dem größeren Kreise der profanen Welt ihr Heiligstes darstellen, und etwas damit ausrichten möchten. Ich will diejenigen welche aufgenommen sind in den vom Staat begünstigten Orden nicht verführen für den innersten Wunsch ihres Herzens große Rechnung auf dasjenige zu machen was sie in diesem Verhältnis redend etwa bewirken könnten. Sie mögen sich hüten immer oder auch nur oft Religion und unvermischt sie nie anders als bei feierlichen Veranlassungen zu reden um nicht untreu zu werden ihrem moralischen Beruf, zu dem sie gesetzt sind. Das aber wird man ihnen lassen müssen, daß sie durch ein priesterliches Leben den Geist der Religion verkündigen können, und dies sei ihr Trost und ihr schönster Lohn. An einer heiligen Person ist alles bedeutend, an einem anerkannten Priester der Religion hat alles einen kanonischen Sinn. So mögen sie denn das Wesen derselben darstellen in allen ihren Bewegungen, nichts möge verloren gehen auch in den gemeinen Verhältnissen des Lebens von dem Ausdruck eines frommen Sinnes, die heilige Innigkeit mit der sie Alles behandeln zeige, daß auch bei Kleinigkeiten, über die ein profanes Gemüt leichtsinnig hinweggleitet, die Musik erhabener Gefühle in ihnen ertöne; die majestätische Ruhe, mit der sie Großes und Kleines gleichsetzen, beweise, daß sie Alles auf das Unwandelbare beziehn, und in Allem auf gleiche Weise die Gottheit erblicken; die lächelnde Heiterkeit, mit der sie an jeder Spur der Vergänglichkeit vorübergehen offenbare Jedem, wie sie über der Zeit und über der Welt leben; die gewandteste Selbstverleugnung deute an, wieviel sie schon vernichtet haben von den Schranken der Persönlichkeit; und der immer rege und öffne Sinn, dem das Seltenste und das Gemeinste nicht entgeht, zeige, wie unermüdet sie das Universum suchen und seine Äußerungen belauschen. Wenn so ihr ganzes Leben und jede Bewegung ihrer innern und[126] äußern Gestalt ein priesterliches Kunstwerk ist, so wird vielleicht durch diese stumme Sprache manchen der Sinn aufgehn für das was in ihnen wohnt. Nicht zufrieden aber das Wesen der Religion auszudrücken müssen sie auch ebenso den falschen Schein derselben vernichten indem sie mit kindlicher Unbefangenheit und in der hohen Einfalt eines völligen Unbewußtseins, welches keine Gefahr sieht und keinen Mut zu bedürfen glaubt, über alles hinwegtreten, was grobe Vorurteile und feine Superstition mit einer unechten Glorie der Göttlichkeit umgeben haben, indem sie sich sorglos wie der kindische Herkules von den Schlangen der heiligen Verleumdung umzischen lassen, die sie ebenso still und ruhig in einem Augenblick erdrücken können. Zu diesem heiligen Dienste mögen sie sich weihen bis auf bessere Zeiten, und ich denke Ihr selbst werdet Ehrfurcht haben vor dieser anspruchslosen Würde und Gutes weissagen von ihrer Wirkung auf die Menschen. Was soll ich aber denen sagen, welchen Ihr weil sie einen bestimmten Kreis eitler Wissenschaften nicht auf eine bestimmte Art durchlaufen haben, das priesterliche Gewand versagt? wohin soll ich sie weisen mit dem geselligen Triebe ihrer Religion sofern er nicht allein auf die höhere Kirche sondern auch hinaus gerichtet ist auf die Welt? Da es ihnen fehlt an einem größern Schauplatz wo sie auf eine auszeichnende Art erscheinen könnten, so mögen sie »ich genügen lassen an dem priesterlichen Dienst ihrer Hausgötter. Eine Familie kann das gebildetste Element und das treueste Bild des Universums sein; wenn still und mächtig alles ineinander greift, so wirken hier alle Kräfte die das Unendliche beseelen; wenn leise und sicher Alles fortschreitet, so wallet der hohe Weltgeist hier wie dort; wenn die Töne der Liebe alle Bewegungen begleiten, hat sie die Musik der Sphären unter sich. Dieses Heiligtum mögen sie bilden, ordnen und pflegen, klar und deutlich mögen sie es hinstellen in sittlicher Kraft, mit Liebe und Geist mögen sie es auslegen, so wird mancher von ihnen und unter ihnen das Universum anschauen lernen in der kleinen verborgenen Wohnung, sie wird ein Allerheiligstes sein worin mancher die Weihe der Religion empfängt. Dies Priestertum war das erste in der[127] heiligen und kindlichen Vorwelt, und es wird das letzte sein wenn kein Anderes mehr nötig ist.

Ja wir warten am Ende unserer künstlichen Bildung einer Zeit, wo es keiner andern vorbereitenden Gesellschaft für die Religion bedürfen wird als der frommen Häuslichkeit. Jetzt seufzen Millionen von Menschen beider Geschlechter und aller Stände unter dem Druck mechanischer und unwürdiger Arbeiten. Die ältere Generation erliegt unmutig und überläßt mit verzeihlicher Trägheit die jüngere in allen Dingen fast dem Zufall, nur darin nicht, daß sie gleich nachahmen und lernen muß dieselbe Erniedrigung. Das ist die Ursach, warum sie den freien und öffnen Blick nicht gewinnen mit dem allein man das Universum findet. Es gibt kein größeres Hindernis der Religion als dieses, daß wir unsere eignen Sklaven sein müssen, denn ein Sklave ist Jeder, der etwas verrichten muß, was durch tote Kräfte sollte bewirkt werden können. Das hoffen wir von der Vollendung der Wissenschaften und Künste daß sie uns diese toten Kräfte werden dienstbar machen, daß sie die körperliche Welt, und alles von der geistigen was sich regieren läßt in einen Feenpalast verwandeln werde, wo der Gott der Erde nur ein Zauberwort auszusprechen nur eine Feder zu drücken braucht, wenn geschehen soll was er gebeut. Dann erst wird jeder Mensch ein Freigeborener sein, dann ist jedes Leben praktisch und beschaulich zugleich, über keinem hebt sich der Stecken des Treibers und Jeder hat Ruhe und Muße in sich die Welt zu betrachten. Nur für die Unglücklichen, denen es daran fehlte, deren Organen die Kräfte entzogen waren, welche ihre Muskeln in seinem Dienst unaufhörlich verwenden mußten, war es nötig daß einzelne Glückliche auftraten, und sie um sich her versammelten, um ihr Auge zu sein und ihnen in wenigen flüchtigen Minuten die Anschauungen eines Lebens mitzuteilen. In der glücklichen Zeit wenn Jeder seinen Sinn frei üben und brauchen kann, wird beim ersten Erwachen der höheren Kräfte, in der heiligen Jugend unter der Pflege väterlicher Weisheit Jeder der Religion teilhaftig, der ihrer fähig ist; alle einseitige Mitteilung hört dann auf und der belohnte Vater geleitet den kräftigen Sohn nicht nur in eine fröhlichere Welt und in ein leichteres Leben, sondern[128] auch unmittelbar in die heilige, nun zahlreichere und geschäftigere Versammlung der Anbeter des Ewigen.

In dem dankbaren Gefühl, daß wenn einst diese bessere Zeit kommt, wie fern sie auch noch sein möge, auch die Bemühungen denen Ihr Eure Tage widmet etwas beigetragen haben werden sie herbeizuführen, vergönnt mir Euch auf die schöne Frucht auch Eurer Arbeit noch einmal aufmerksam zu machen; laßt Euch noch einmal hinführen zu der erhabenen Gemeinschaft wahrhaft religiöser Gemüter, die zwar jetzt zerstreut und fast unsichtbar ist, deren Geist aber doch überall waltet, wo auch nur Wenige im Namen der Gottheit versammelt sind. Was daran sollte Euch wohl nicht mit Bewunderung und Achtung erfüllen. Ihr Freunde und Verehrer alles Schönen und Guten! – Sie sind untereinander eine Akademie von Priestern. Die Religion die ihnen das Höchste ist behandelt Jeder unter ihnen als Kunst und Studium, aus ihrem unendlichen Reichtum erteilt sie dazu einem Jeden ein eignes Los. Mit allgemeinem Sinn für Alles, das in ihr heiliges Gebiet gehört, verbindet Jeder, wie es Künstlern gebührt, das Streben sich in irgendeinem einzelnen Teile zu vollenden; ein edler Wetteifer herrscht, und das Verlangen etwas darzubringen das einer solchen Versammlung würdig sei läßt Jedem mit Treue und Fleiß einsaugen Alles was in sein abgestecktes Gebiet gehört. In reinem Herzen wird es bewahrt, mit gesammeltem Gemüt wird es geordnet, von himmlischer Kunst wird es geschmückt und vollendet, und so erschallt auf jede Art und aus jeder Quelle Preis und Erkenntnis des Unendlichen indem Jeder die reifsten Früchte seines Sinnens und Schauens, seines Ergreifens und Fühlens mit fröhlichem Herzen herbei bringt. – Sie sind untereinander ein Chor von Freunden. Jeder weiß daß auch Er ein Teil und ein Werk des Universums ist, daß auch in ihm sein göttliches Wirken und Leben sich offenbart. Als einen würdigen Gegenstand der Anschauung sieht er sich also an für die übrigen. Was er in sich wahrnimmt von den Beziehungen des Universums, was sich in ihm eigen gestaltet von den Elementen der Menschheit, alles wird aufgedeckt mit heiliger Scheu, aber mit bereitwilliger Offenheit, daß Jeder hineingehe und schaue. Warum sollten sie auch etwas verbergen[129] untereinander? Alles menschliche ist heilig, denn alles ist göttlich. – Sie sind untereinander ein Bund von Brüdern – oder habt Ihr einen innigeren Ausdruck für das gänzliche Verschmelzen ihrer Naturen, nicht in Absicht auf das Sein und Wollen, aber in Absicht auf den Sinn und das Verstehen? Je mehr sich Jeder dem Universum nähert, je mehr sich Jeder dem Andern mitteilt, desto vollkommner werden sie Eins, keiner hat ein Bewußtsein für sich. Jeder hat zugleich das des Andern, sie sind nicht mehr nur Menschen, sondern auch Menschheit, und aus sich selbst herausgehend, über sich selbst triumphierend sind sie auf dem Wege zu wahren Unsterblichkeit und Ewigkeit.

Habt Ihr etwas Erhabeneres gefunden in einem andern Gebiet des menschlichen Lebens oder in einer andern Schule der Weisheit, so teilt es mir mit: das Meinige habe ich Euch gegeben.[130]

Quelle:
Friedrich Schleiermacher: Über die Religion. Hamburg 1958, S. 97-131.
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