Viertes Kapitel
Ueber das göttliche Gesetz.

[62] Das Wort »Gesetz« an sich bezeichnet das, wonach jeder Einzelne, seien es Alle oder Einige einer Gattung, auf dieselbe feste und bestimmte Weise handelt; es hängt entweder von der Naturnothwendigkeit oder von dem Belieben der Menschen ab. Ersteres folgt aus der Natur oder Definition des Gegenstandes selbst mit Nothwendigkeit; das Gesetz aus dem Belieben der Menschen, was eigentlich das Recht genannt wird, ist dagegen das, was die Menschen zur Sicherheit und Bequemlichkeit des Lebens oder aus andern Gründen sich und Andern aufgelegt haben. So ist es z.B. das Gesetz, wonach alle Körper bei dem Stoss gegen kleinere so viel von ihrer Bewegung verlieren, als sie jenen mittheilen, ein allgemeines für alle Körper, was aus ihrer Natur nothwendig folgt. Ebenso ist es ein aus der menschlichen Natur nothwendig folgendes Gesetz, dass der Mensch bei der Erinnerung einer Sache sich auch sofort der ähnlichen oder der mit jener früher zugleich gehabten Vorstellung erinnert. Dagegen hängt es von dem menschlichen Belieben ab, dass die Menschen ihr natürliches Recht abtreten oder abtreten müssen und einer bestimmten Lebensweise sich unterwerfen.

Wenn ich auch zugebe, dass Alles nach allgemeinen Naturgesetzen sich zum Dasein und zum Wirken in[62] scharfer und fester Weise bestimmt, so meine ich doch, dass diese Gesetze von dem Belieben der Menschen abhängen: 1) weil der Mensch selbst ein Theil der Natur ist und deshalb auch einen Theil ihrer Kraft ausmacht. Was daher aus der Nothwendigkeit der menschlichen Natur folgt, d.h. aus der Natur selbst, soweit wir sie durch die menschliche Natur bestimmt vorstellen, das folgt, obgleich nothwendig, dennoch auch aus der menschlichen Macht. Deshalb kann man ganz richtig sagen, dass die Feststellung jener Gesetze von dem Belieben der Menschen abhängt, weil sie wesentlich von der Macht des menschlichen Geistes so abhängen, dass nichtsdestoweniger der menschliche Geist, soweit er die Dinge unter dem Gesichtspunkt des Wahren und Falschen auffasst, sie auch ohne diese Gesetze klar auffassen könnte, aber nicht ohne das nothwendige Gesetz, wie ich es eben erklärt habe. 2) Ich habe gesagt, dass diese Gesetze auch deshalb von dem Belieben der Menschen abhängen, weil man die Dinge nach ihren nächsten Ursachen bestimmen und erläutern muss, und weil jene allgemeine Auffassung des Schicksals und der Verkettung der Ursachen uns für die Bildung und Ordnung unserer Kenntniss der besondern Dinge nicht weiter bringt. Dazu kommt, dass die Reihenfolge und Verkettung der Dinge, wie sie in Wahrheit sich folgen und verknüpft sind, ganz unbekannt ist, und es ist deshalb für das Leben besser, ja nothwendig, die Dinge als möglich zu nehmen. So viel über das Gesetz an sich betrachtet.

Allein dieses Wort wird durch Uebertragung auch auf natürliche Dinge angewendet, und man versteht meist unter Gesetz nur einen Befehl, den die Menschen befolgen oder vernachlässigen können, weil es die menschliche Macht in gewisse Schranken stellt, über die sie an sich hinausreicht, und weil es nicht etwas darüber hinaus verlangt. Hiernach ist das Gesetz im engem Sinne eine Weise zu leben, die der Mensch sich oder Andern zu einem Zwecke vorschreibt. Da indess der Zweck der Gesetze nur Wenigen bekannt zu sein pflegt, und die Meisten zu dessen Verständniss ganz ungeschickt sind und nichts weniger als nach der Vernunft leben, so haben die Gesetzgeber, um Alle gleich zu verpflichten, ein anderes, von dem aus der Natur des Gesetzes nothwendig folgenden ganz verschiedenes[63] Ziel gesetzt, indem sie den Verfechtern der Gesetze das versprechen, was die Menge am meisten liebt, und den Gesetzesverletzern das androhn, was sie am meisten fürchtet. So haben sie gesucht die Menge, gleich ein Pferd durch den Zügel, soweit als möglich in Ordnung zu halten, und daher ist es gekommen, dass vorzugsweise die Lebensweise, die den Menschen durch Anderer Befehl vorgeschrieben wird, unter Gesetz verstanden wird, und dass von Denen, welche den Gesetzen folgen, es heisst, sie leben unter den Gesetzen und scheinen zu dienen, während in Wahrheit Der, welcher dem Andern nur das Seine giebt, weil er den Galgen fürchtet, lediglich in Folge des in des Andern Befehl und in dem Uebel liegenden Zwanges so handelt und nicht gerecht heissen kann, sondern nur Der, welcher Jedem das Seine giebt, weil er die wahre Natur der Gesetze und ihre Nothwendigkeit kennt und mit Festigkeit und aus eignem, nicht aber aus fremdem Entschluss handelt. Deshalb verdient nur dieser gerecht genannt zu werden. Dies hat wohl auch Paulus mit den Worten sagen wollen, »dass, wer unter dem Gesetz lebe, durch das Gesetz nicht gerechtfertigt werden könne«. Denn die Gerechtigkeit ist nach der gebräuchlichen Definition der feste und beharrliche Wille, Jedem das Seine zu geben. Deshalb sagt Salomo (Sprüchwört. XXI. 15): »Der Gerechte freut sich über das Gericht; aber die Ungerechten sind voll Furcht«.

Wenn sonach das Gesetz nur die Lebensweise ist, welche die Menschen sich oder Andern zu einem Zwecke vorschreiben, so muss das Gesetz in das göttliche und menschliche eingetheilt werden. Unter letzterem verstehe ich die Lebensweise, welche nur dem Schutz des Lebens und dem Staate dient, unter dem göttlichen aber, welche blos auf das höchste Gut, d.h. auf die wahre Kenntniss und Liebe Gottes abzielt. Wenn ich dieses Gesetz das göttliche nenne, so geschieht es wegen der Natur des höchsten Guts, die ich mit Wenigem hier möglichst klar darlegen will.

Da der bessere Theil in uns die Einsicht ist, so müssen wir, wenn wir wahrhaft unserem Besten nachstreben wollen, vor Allem diese Einsicht nach Möglichkeit zu vervollkommnen suchen; denn in deren Vervollkommnung muss unser höchstes Gut bestehen. Da ferner alle unsere[64] Kenntniss und Gewissheit, die allen Zweifel beseitigt nur von der Erkenntniss Gottes abhängt, theils weil ohne Gott Nichts sein und Nichts erkannt werden kann, theils auch, weil man über Alles zweifeln kann, so lange man keine klare und deutliche Vorstellung von Gott hat, so folgt, dass unser höchstes Gut und unsere Vollkommenheit nur von der Erkenntniss Gottes abhängt u.s.w.

Wenn so Nichts ohne Gott bestehn oder erkannt werden kann, so enthält jedes Ding in der Natur den Begriff Gottes nach Verhältniss seines Wesens und seiner Vollkommenheit und drückt ihn nur aus, und je mehr wir also die natürlichen Dinge erkennen, desto mehr steigt auch und vervollkommnet sich unsere Erkenntniss Gottes; oder, da die Erkenntniss der Wirkung durch die Ursache nur die Erkenntniss einer Eigenschaft der Ursache enthält, so erkennen wir das Wesen Gottes, das die Ursache von Allem ist, um so vollkommner, je mehr man die natürlichen Dinge erkennt. So hängt unsere ganze Erkenntniss, d.h. unser höchstes Gilt, nicht blos von der Erkenntniss Gottes ab, sondern besteht Überhaupt darin. Dies ergiebt sich auch daraus, dass ein Mensch nach der Natur und Vollkommenheit einer Sache, die er vor andern liebt, vollkommner ist, und daher derjenige Mensch am vollkommensten ist und an der höchsten Seligkeit am meisten Theil nimmt, welcher die geistige Erkenntniss Gottes, als des vollkommensten Wesens, über Alles liebt und sich daran am meisten erfreut.

So läuft unser höchstes Gut und unsre Seligkeit auf die Erkenntniss und Liebe Gottes hinaus. Deshalb können die Mittel, welche dieses Ziel aller menschlichen Handlungen, nämlich Gott selbst verlangt, soweit dessen Vorstellung in uns ist, die Gebote Gottes heissen, weil sie gleichsam uns von Gott selbst, soweit er in unsrer Seele besteht, vorgeschrieben worden sind, und deshalb heisst die Lebensweise, die dieses Ziel vor Augen hat, mit Recht das göttliche Gesetz. Welche Mittel dies nun sind, und welche Lebensweise dieses Ziel verlangt, und wie daraus die Grundlagen der besten Staatsgemeinschaft, sowie der Verkehr zwischen den Menschen hervorgehen, das gehört zur allgemeinen Ethik; hier fahre ich nur in Darlegung des Gesetzes überhaupt fort.

Wenn sonach die Liebe zu Gott das höchste Glück[65] und die Seligkeit des Menschen bildet und das letzte Ziel und der Zweck aller menschlichen Handlungen ist, so erhellt, dass nur Derjenige das göttliche Gesetz befolgt, welcher sorgt, dass er Gott liebe; nicht aus Furcht vor Strafen, nicht aus Liebe zu andern Dingen, wie Lust, Ruhm u.s.w., sondern nur, weil er Gott kennt, oder weil er weiss, dass die Erkenntniss Gottes und die Liebe zu ihm das höchste Gut ist. Das Wesen des göttlichen Gesetzes und sein oberstes Gebot ist, Gott als das höchste Gut zu lieben, d.h. wie gesagt, nicht aus Furcht vor einem Uebel oder einer Strafe, nicht aus Liebe zu einem andern Gegenstand, an dem man sich ergötzen kann, denn die Vorstellung Gottes sagt, dass Gott unser höchstes Gut ist, oder dass die Erkenntniss Gottes und seine Liebe das höchste Ziel sind, nach dem alle unsere Handlungen sich richten müssen. Der fleischliche Mensch vermag jedoch nicht dies einzusehen, weil er eine zu nüchterne Kenntniss von Gott hat, und weil er in diesem höchsten Gute nichts findet, was er schmecken oder verzehren könnte, oder was das Fleisch, woran er sich am meisten erfreut, erregte, da es in blosser Spekulation und reinem Verstande besteht. Nur Die, welche wissen, dass die Einsicht und der gesunde Verstand das Vortrefflichste sind, werden dies ohne Zweifel als das Beste erkennen.

Somit habe ich dargelegt, worin das Gesetz hauptsächlich besteht, und welches die menschlichen Gesetze sind, die nach einem andern Ziele streben, wenn sie nicht aus der Offenbarung stammen; denn in dieser Hinsicht werden die Dinge auf Gott bezogen, wie ich oben gezeigt habe, und in diesem Sinne kann das Gesetz Mosis, obgleich es kein allgemeines, sondern nur für die Erhaltung eines Volkes eingerichtet war, doch das Gesetz Gottes oder das göttliche Gesetz genannt werden, sofern man nämlich glaubt, dass es durch das prophetische Licht gegeben worden sei.

Achtet man nun auf das Wesen des natürlichen göttlichen Gesetzes, so ergiebt sich, 1) dass es allgemein ist, oder für alle Menschen gültig; denn wir haben es aus der allgemeinen Natur des Menschen abgeleitet; 2) dass es keiner geschichtlichen Beglaubigung bedarf, mag diese sein, welcher Art sie wolle; denn wenn dieses natürliche göttliche Gesetz aus der blossen Betrachtung[66] der menschlichen Natur sich ergiebt, so ist klar, dass wir es ebenso in Adam wie in jedem andern Menschen, und ebenso in dem mit Andern lebenden wie in dem einsamen Menschen erkennen können, und der Glaube an die Geschichten, wenn er auch noch so fest ist, kann uns weder die Erkenntniss Gottes, noch die Liebe zu ihm gewähren. Denn die Liebe zu Gott geht aus der Erkenntniss desselben hervor; diese Erkenntniss muss aber aus den gemeinsamen Begriffen, die in sich gewiss und bekannt sind, geschöpft werden; deshalb ist durchaus der Glaube an Geschichten nicht dazu nöthig, damit wir das höchste Gut erlangen.

Obgleich somit dieser Glaube an die Geschichten uns die Erkenntniss Gottes und die Liebe zu ihm nicht geben kann, so bestreite ich doch nicht, dass das Lesen derselben für das bürgerliche Leben sehr nützlich ist. Denn je besser man die Sitten und Zustände der Menschen beobachtet und kennt, was am besten aus ihren Handlungen geschehen kann, desto vorsichtiger kann man unter denselben leben und seine Handlungen und sein Leben besser nach ihrem Sinn, soweit es die Vernunft gestattet, einrichten. Es ergiebt sich ferner, 3) dass dieses natürliche göttliche Gesetz keine Gebräuche, d.h. keine Handlungen verlangt, die an sich gleichgültig sind und blos durch die Einrichtung für gut gelten, oder die ein zum Heile nöthiges Gut vorstellen oder, wenn man lieber will, Handlungen, deren Grund die menschliche Fassungskraft übersteigt. Denn das natürliche Licht verlangt nichts, was dieses Licht nicht betrifft, sondern nur, was uns deutlich anzeigt, dass es gut oder ein Mittel für unsre Seligkeit ist. Alles aber, was blos auf Anordnung und Einrichtung gut ist, oder weil es etwas Gutes symbolisch darstellt, kann unsre Einsicht nicht vermehren, ist nur ein leerer Schatten und kann nicht zu den Handlungen gerechnet werden, die das Erzeugniss und die Frucht der Einsicht und des gesunden Geistes sind, wie ich nicht weiter auseinander zu setzen brauche; 4) endlich ergiebt sich, dass der höchste Lohn des göttlichen Gesetzes die Erkenntniss des Gesetzes, d.h. Gottes ist und die Liebe zu ihm aus wahrer Freiheit und von ganzem und beharrlichem Gemüthe. Die Strafe ist dagegen die Beraubung[67] dessen und die Knechtschaft des Fleisches, oder ein unbeständiger und schwankender Sinn.

Nach diesem bleibt noch zu ermitteln: 1) ob man nach natürlichem Licht Gott sich als Gesetzgeber oder einen den Menschen Gesetze vorschreibenden Fürsten vorstellen könne; 2) was die Bibel über dieses natürliche Licht und Gesetz lehre; 3) zu welchem Zweck ehedem die Gebräuche eingeführt worden sind, und 4) was die Kenntniss und der Glaube an die heilige Geschichte bedeutet. Heber die beiden ersten Fragen soll in diesem Kapitel, über die beiden andern in dem folgenden gehandelt werden.

Die Antwort auf die erste Frage ergiebt sich leicht aus der Natur des Willens Gottes, der sich von der Einsicht Gottes nur in der Auffassung durch unsere Vernunft unterscheidet; d.h. Gottes Wille und Einsicht sind in Wahrheit ein und dasselbe; sie werden nur in unseren Gedanken zweierlei, welche wir über die Einsicht Gottes bilden. Geben wir z.B. nur darauf Acht, dass die Natur des Dreiecks in der göttlichen Natur von Ewigkeit her als eine ewige Wahrheit enthalten ist, dann sagen wir, dass Gott den Begriff des Dreiecks habe oder die Natur des Dreiecks erkenne; aber geben wir dann darauf Acht, dass die Natur des Dreiecks in dieser Weise nur aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur darin enthalten ist und nicht aus der Nothwendigkeit des Wesens und der Natur des Dreiecks, vielmehr, dass die Nothwendigkeit des Wesens und der Eigenschaften des Dreiecks, als ewige Wahrheiten aufgefasst, blos von der Nothwendigkeit der göttlichen Natur und Einsicht abhängen, so nennen wir dann dies Gottes Willen oder Rathschluss, was wir vorher Gottes Einsicht genannt haben. Deshalb bejahen wir in Bezug auf Gott ein und dasselbe, wenn wir sagen, dass Gott von Ewigkeit beschlossen und gewollt habe, dass die drei Winkel des Dreiecks zweien rechten gleich seien, oder dass Gott dies eingesehen habe. Deshalb enthalten die Bejahungen und Verneinungen Gottes immer eine ewige Wahrheit oder Nothwendigkeit.

Wenn daher Gott z.B. dem Adam gesagt hat, er wolle nicht, dass Adam von dem Baume der Erkenntniss des Guten und Bösen esse, so enthält es einen Widerspruch, wenn Adam doch von diesem Baume essen gekonnt hätte,[68] und es war deshalb dies unmöglich; denn jener göttliche Befehl musste eine ewige Nothwendigkeit und Wahrheit enthalten. Wenn daher die Bibel doch erzählt, dass Gott es dem Adam verboten, dieser aber doch davon gegessen habe, so erhellt nothwendig, dass Gott dem Adam nur ein Uebel offenbart hat, was aus dem Essen von diesem Baume nothwendig folgen würde, aber nicht, dass dieses Uebel nothwendig eintreten müsse. Deshalb ist es gekommen, dass Adam diese Offenbarung nicht als eine ewige und nothwendige Wahrheit auffasste, sondern wie ein Verbot, d.h. als eine Bestimmung, welche einem Vortheil oder einem Nachtheil folgen lässt, nicht aus der Nothwendigkeit und Natur der Handlung des Erzvaters, sondern nach dem Belieben und blossen Befehl eines Fürsten. Deshalb war diese Offenbarung blos für Adam und blos wegen des Mangels seiner Einsicht ein Gebot, und Gott nur deshalb Gesetzgeber oder Fürst; und aus diesem Grunde, wegen Mangels an Einsicht waren die zehn Gebote nur in Bezug auf die Juden ein Gebot. Denn nur weil sie Gottes Dasein und ewige Wahrheit nicht erkannt hatten, mussten sie das, was ihnen in den zehn Geboten offenbart wurde, nämlich dass Gott ist und allein anzubeten ist, als ein Gebot auffassen; hätte aber Gott ohne Anwendung körperlicher Mittel und unmittelbar zu ihnen gesprochen, so würden sie dies nicht als ein Gebot, sondern als eine ewige Wahrheit aufgefasst haben.

Das hier über die Israeliten und Adam Gesagte gilt von allen Propheten, die im Namen Gottes Gebote erlassen haben; sie haben nämlich die Beschlüsse Gottes nicht zureichend, wie ewige Wahrheiten, erfasst. So muss man z.B. selbst von Moses sagen, dass er aus der Offenbarung oder aus den ihm offenbarten Grundlagen die Weise erkannt habe, wie das israelitische Volk in einem gewissen Landstriche am besten vereint werden und eine rechte Gemeinschaft oder Staat errichten könne; ebenso die Weise, wie das Volk am besten zum Gehorsam angehalten werden könne; aber es ist ihm nicht geboten und offenbart worden, dass diese Weise die beste sei, noch dass aus dem gemeinsamen Gehorsam des Volkes in solchem Lande nothwendig das Ziel sich ergeben werde, nach dem sie strebten. Deshalb verordnete Moses dieses Alles nicht als ewige Wahrheiten, sondern als Gebote und[69] Einrichtungen und als Gesetze Gottes, und deshalb wurde Gott als mildthätiger und gerechter Regierer, Gesetzgeber und König vorgestellt, während dies doch Alles nur Eigenschaften der menschlichen Natur und von der göttlichen Natur ganz abzuhalten sind. Dies galt indess nur von den Propheten, die im Namen Gottes Gesetze erliessen, aber nicht von Christus. Vielmehr muss man von Christus, wenn es uns auch scheint, dass er ebenfalls Gesetze im Namen Gottes gegeben, doch annehmen, er habe die Sache wahrhaft und zureichend erkannt; denn Christus war nicht sowohl Prophet, als der Mund. Gottes. Denn Gott hat durch den Geist Christi, wie im ersten Kapitel gezeigt worden, sowie früher durch Engel, d.h. durch eine erschaffene Stimme, durch Gesichte u.s.w. dem Menschengeschlecht Mehreres offenbart. Deshalb wäre es ebenso verkehrt, anzunehmen, dass Gott seine Offenbarungen den Meinungen Christi anbequemt habe, als dass Gott früher seine Offenbarungen den Meinungen der Engel anbequemt hätte, d.h. denen einer erschaffenen Stimme und der Gesichte, um die zu offenbarenden Dinge den Propheten mitzutheilen. Man konnte nichts Verkehrteres annehmen, zumal Christus nicht blos zur Belehrung der Juden, sondern des ganzen Menschengeschlechts abgesandt worden. Deshalb hätte es nicht zugereicht, dass er seinen Sinn nur den Meinungen der Juden anbequemt hätte, sondern er hätte ihn den allgemeinen Ansichten und Urkunden des Menschengeschlechts, d.h. den gemeinsamen und wahren Begriffen anbequemen müssen. Vielmehr muss daraus, dass Gott sich Christus oder dessen Geist unmittelbar offenbart hat und nicht, wie den Propheten, durch Worte und Bilder, entnommen werden, dass Christus die Offenbarungen wahrhaft erfasste oder erkannte; denn eine Sache wird dann eingesehn, wenn sie mit dem reinen Verstande ohne Worte und Bilder aufgefasst wird. Christus hat deshalb die Offenbarungen wahrhaft und zureichend erfasst, und wenn er sie wo als Gesetze ausspricht, so thut er dies wegen der Unwissenheit und Hartnäckigkeit des Volkes. Er handelte in dieser Hinsicht wie Gott, dass er sich dem Verstande des Volkes anbequemt, und er hat deshalb zwar etwas deutlicher als die übrigen Propheten gesprochen, allein er theilte doch die Offenbarungen dunkel und meist in[70] Gleichnissen mit, namentlich wenn er zu Solchen sprach, denen das Verständniss des Himmelreiches nicht gegeben war (Matth. XIII. 10 u. f.). Dagegen hat er unzweifelhaft Denen, welchen die Erkenntniss der Geheimnisse des Himmels gegeben war, die Dinge wie ewige Wahrheiten gelehrt und nicht in Gesetze gekleidet, und er hat sie so von dem Zwange des Gesetzes befreit und dennoch das Gesetz mehr bestätigt und befestigt und ganz ihren Herzen eingeprägt. Auch Paulus scheint dies in einigen Stellen anzudeuten; so im Brief an die Römer VII. 6 und III. 28. Indess will auch er nicht offen sprechen, sondern, wie er selbst III. 5 und VI. 19 dieses Briefes sagt, in menschlicher Weise. Dies sagt er ausdrücklich, wo er Gott gerecht nennt, und so ertheilt er unzweifelhaft wegen der Schwachheit des Fleisches Gott auch die Barmherzigkeit, die Gnade, den Zorn u.s.w. und bequemt seine Worte dem Verstande des Volkes oder, wie er selbst in dem ersten Brief an die Corinther III. 1, 2 sagt, dem Verstande der fleischlichen Menschen an. Denn Rom. IX. 18 sagt er bestimmt, dass Gottes Zorn und Barmherzigkeit nicht von den Werken der Menschen, sondern von der blossen Berufung, d.h. dem Willen Gottes abhänge, und dass Niemand durch seine Werke gerecht werde, sondern blos durch seinen Glauben (Röm. III. 28), worunter er nur die volle Zustimmung der Seele versteht, und endlich, dass Niemand selig werde, der nicht den Geist Christi in sich habe (Röm. VIII. 9), worunter er nämlich die Gesetze Gottes als ewige Wahrheiten versteht.

Hieraus ergiebt sich, dass Gott nur nach der Fassungskraft der Menge und aus blosser Schwäche des Verstandes als Gesetzgeber und Fürst geschildert und gerecht und barmherzig genannt wird; vielmehr wirkt und leitet in Wahrheit Gott Alles nach seiner Natur und nach der Nothwendigkeit seiner Vollkommenheit allein; seine Beschlüsse und Gebote sind ewige Wahrheiten und enthalten immer die Nothwendigkeit.

Dies war der erste Gegenstand, den ich zu erklären und zu beweisen hatte. Ich gehe jetzt zu dem zweiten über und gehe die Bibel durch, um zu sehen, was sie über das natürliche Licht und dieses göttliche Gesetz lehrt. Das Erste, was uns hier begegnet, ist die Geschichte des ersten Menschen, wo es heisst, Gott habe[71] Adam verboten, von der Frucht des Baumes der Erkenntniss des Guten und Bösen zu essen. Dies scheint zu sagen, dass Gott dem Adam geboten, das Gute zu thun und es um sein selbst willen aufzusuchen, und nicht als Gegensatz des Bösen, d.h. er solle das Gute aus Liebe zum Guten suchen und nicht aus Furcht vor dem Uebel. Denn wer das Gute aus wahrer Erkenntniss und Liebe zu demselben thut, der handelt, wie ich gezeigt habe, frei und mit festem Sinn; wer es aber aus Furcht vor dem Uebel thut, handelt vielmehr aus Zwang und knechtisch und lebt unter dem Gebot eines Andern. Hiernach umfasst dieses eine Gebot Gottes an Adam das ganze natürliche göttliche Gesetz und stimmt vollständig mit dem Gebot des natürlichen Lichts. Es wäre nicht schwer, die ganze Erzählung von dem ersten Menschen oder diese Parabel nach diesem Grundsatz zu erklären; allein ich unterlasse es, da ich schwanke, ob meine Auffassung mit der Absicht des Verfassers übereinstimmt. Denn die Meisten fassen diese Erzählung nicht gleichnissartig auf, sondern nehmen sie als eine einfache Geschichte. Es ist deshalb besser, andere Stellen der Bibel herbeizunehmen; insbesondere solche, die von dem verfasst sind, der in Kraft des natürlichen Lichtes spricht, worin er alle Weisen seiner Zeit übertroffen hat, und dessen Aussprüche das Volk ebenso heilig hält wie die der Propheten. Ich meine den Salomo, von dem nicht sowohl die Weissagung und Frömmigkeit, als die Klugheit und Weisheit in der Bibel gerühmt wird. Dieser nennt in seinen Sprüchwörtern den menschlichen Verstand die Quelle des wahren Lebens und setzt das Unglück nur in die Thorheit. So sagt er XVI. 22: »Die Quelle des Lebens (ist) der Verstand seines Herrn und die Strafe der Thoren ist die Thorheit«.1 Es ist hier zu bemerken, dass im Hebräischen mit »Leben« ohne Zusatz das wahre Leben gemeint ist, wie aus Deut. XXX. 19 erhellt.[72]

Hiernach besteht die Frucht der Einsicht lediglich in dem wahren Leben, und die Strafe lediglich im dessen Beraubung, was genau mit dem unter 4) Über das natürliche göttliche Gesetz Gesagte übereinstimmt. Dass aber diese Quelle des Lebens, oder dass die blosse Einsicht, wie gezeigt, den Weisen die Gesetze vorschreibt, wird ausdrücklich von diesem Weisen gelehrt; denn er sagt XIII. 14: »Das Gesetz des Klugen ist die Quelle des Lebens«, d.h. wie aus der vorher erwähnten Stelle sich ergiebt, die Einsicht. Ferner lehrt er III. 13 ausdrücklich, dass die Einsicht der Menschen selig und glücklich mache und die wahre Seelenruhe gewähre; denn er sagt: »Selig ist der Mensch, der die Wissenschaft erfunden, und des Menschen Sohn, welcher die Einsicht ermittelt,« und zwar, wie er v. 16 und 17 fortfährt, weil »sie unmittelbar die Länge der Tage2 und mittelbar Reichthum und Ehre gewährt; dessen Wege (welche nämlich die Wissenschaft zeigt) sind angenehm und all seine Pfade der Frieden.« Also leben auch nach der Ansicht des Salomo nur die Weisen in friedlichem und beharrlichem Geiste; nicht wie die Gottlosen, deren Gemüth in entgegengesetzten Leidenschaften wogt, und die deshalb (wie auch Esaias sagt LVII. 20) weder Frieden noch Ruhe haben. Am wichtigsten aber ist aus diesen Sprüchen Salomonis die Stelle in dem zweiten Kapitel, welche meine Ansicht auf das Klarste bestätigt. Denn er beginnt da v. 3: »Denn wenn Du die Klugheit angerufen haben wirst und Deine Stimme der Einsicht gegeben haben wirst u.s.w., dann wirst Du die Furcht Gottes verstehn und die Weisheit Gottes (oder vielmehr die Liebe, denn das Wort ›Jadaa‹ bezeichnet Beides) finden, denn (man merke wohl) Gott giebt die Weisheit; aus seinem Munde (fliesst) die Wissenschaft und die Klugheit.« Mit diesen Worten sagt er auf das Deutlichste, dass die blosse Weisheit oder Einsicht uns lehrt, Gott weise zu fürchten, d.h. in wahrer Religion zu verehren. Ferner sagt er, dass die Weisheit und Wissenschaft aus Gottes Munde fliesst, dass Gott sie verleiht, wie ich oben auch gezeigt[73] habe, nämlich dass unsere Einsicht und Wissenschaft nur von der Erkenntniss Gottes abhängt, entspringt und sich vollendet. Salomo sagt dann v. 9 ausdrücklich weiter, dass diese Wissenschaft die wahre Ethik und Politik enthalte, und dass beide aus ihr sich ableiten. »Dann wirst Du die Gerechtigkeit und das Gericht verstehn und das Recht und jeden guten Pfad,« und damit noch nicht zufrieden, fährt er fort: »Wenn die Wissenschaft in Dein Herz eingehn wird und die Weisheit Dir angenehm sein wird, dann wird Deine Vorsicht3 und Deine Klugheit Dich bewachen.« – Dies Alles stimmt genau mit der natürlichen Erkenntniss; denn auch diese lehrt das Sittliche und die wahre Tugend, nachdem man die Erkenntniss der Dinge erlangt und den Vorzug der Weisheit geschmeckt hat. Deshalb hängt auch nach der Ansicht Salomo's das Glück und die Ruhe Dessen, der nach natürlicher Einsicht strebt, nicht von der Macht des Glücks (d.h. von der äussern Hülfe Gottes), sondern von seiner, innern Tugend (d.h. von der innern Hülfe Gottes) vorzüglich ab; denn er schützt sich vorzüglich durch Wachsamkeit, Thätigkeit und gute Rathschläge. Endlich darf hier auch eine Stelle Pauli in dem Briefe an die Römer I. 20 nicht unerwähnt bleiben, wo er (nach des Tremellius Uebersetzung aus dem Syrischen) sagt: »Das, was Gott verborgen hat von den Grundlagen der Welt, kann von seinen Geschöpfen durch Einsicht erblickt werden und seine Tugend und Göttlichkeit, die in Ewigkeit ist, so dass sie keine Ausflucht haben.« Damit zeigt er deutlich, dass Jedweder durch sein natürliches Licht Gottes Tugend und ewige Göttlichkeit einsehen und daraus wissen und abnehmen könne, was zu suchen und was zu fliehen sei; deshalb, schliesst er, hat Keiner eine Ausflucht, und Keiner kann sich mit Unwissenheit entschuldigen, was doch der Fall sein würde, wenn er von einem übernatürlichen Lichte spräche und von dem fleischlichen Leiden und Auferstehn Christi u.s.w. Deshalb fährt er in v. 24 fort: »Deshalb hat Gott sie übergeben an die unreinen Begierden des Herzens Derer u.s.w.« Bis zu[74] Ende dieses Kapitels, wo er die Fehler der Unwissenheit beschreibt, sie als deren Strafe aufzählt, was ganz mit dem erwähnten Sprüchwort Salomo's XVI. 22 stimmt, nämlich »die Thorheit ist die Strafe der Thoren«; es ist deshalb nicht auffallend, dass Paulus sagt: »Die Bösen seien nicht zu entschuldigen«, denn sowie ein Jeder säet, so wird er ernten und aus Bösem entsteht nothwendig Böses, wenn es nicht weise verbessert wird, und aus Gutem Gutes, wenn es von der Beständigkeit begleitet ist; danach empfiehlt die Bibel unbedingt das Licht und das natürliche göttliche Gesetz, und damit ist das, was ich mir in diesem Kapitel vorgesetzt, erledigt.

1

Es ist ein Hebraismus. Wer eine Sache hat oder in seiner Natur besitzt, heisst der Herr der Sache; so heisst bei den Juden der Vogel der Herr der Flügel, weil er Flügel hat, und der Verständige der Herr des Verstandes, weil er Verstand hat.

2

Ein Hebraismus, welcher nur das Leben bedeutet.

3

Das hebräische Wort »mezima« bezeichnet eigentlich das Denken, die Ueberlegung und Wachsamkeit.

Quelle:
Spinoza: Theologisch-politische Abhandlung. Berlin 1870, S. 62-75.
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