§ 42. Die mühelos zu gewinnenden Frauen.

[333] Wie man bei sich selbst zusehen muß, ob man Glück hat, so auch bei den Frauen.


Die mühelos zu gewinnenden Frauen aber sind folgende: Die durch bloßes Werben erreicht werden können; die immer in der Türgegend sich aufhalten; die von dem Hausdache auf die Hauptstraße blicken; die in dem Hause eines hübschen Nachbars1 schwatzen; die beständig gucken; die, angeblickt, von der Seite Blicke werfen; die ohne Grund durch eine Nebenfrau hintangesetzt werdest; die den Gatten hassen und von ihm gehaßt werden; die der Verbote ermangeln; die Kinderlosen; die beständig im Schoße der Angehörigen geweilt haben: deren Kinder gestorben sind; solche, die Gesellschaften feiern; solche, die Liebe erweisen; die Gattinnen der Schauspieler; junge Frauen deren Männer gestorben sind; Arme, die viele Genüsse lieben; erste Gattinnen, die viele Schwäger haben; Ehrgeizige, die unbedeutende Männer haben; auf ihre Gewandtheit Stolze, die über die Torheit des Gatten empört sind; über seine Unbedeutendheit; seine Habgier; solche, die in der Mädchenzeit nur mit Mühe einen Freier fanden, aus irgend einem Grunde nicht abgingen und dann umworben werden, gleich an Einsicht, Charakter, Verstand, Handlungsweise und Gewohnheiten; die von Natur zu derselben Partei gehören; die ohne Verschulden Mißachtung erfahren; die an Schönheit gleichen Frauen untergeordnet werden; deren Gatte verreist ist; Frauen von Eifersüchtigen, Unsauberen, Coksa's, Entmannten, Saumseligen, Weibischen, Buckligen, Zwergen, Häßlichen, Juwelieren, Bauern, Übelriechenden, Kranken und Greisen.
[333]

»Die mühelos zu gewinnenden Frauen aber sind folgende«, die nun genannt werden. »Die durch bloßes Werben erreicht werden können«, die nur die Werbung verlangen, weiter nichts, die nennt man mühelos zu gewinnen. – »Die immer in der Türgegend sich aufhalten«; deren Gewohnheit es ist, in der Türgegend sich aufzuhalten, um Männer zu sehen, die sind leichtfertig und durch bloße Werbung zu gewinnen. – »Die von dem Hausdache«, nachdem sie auf das Hausdach gestiegen sind, »auf die Hauptstraße blicken«: auf der Hauptstraße nämlich sammeln sich die Männer. – »Die in dem Hause eines Nachbars«, wo sich Männer samt Frauen befinden, mit den dort befindlichen Weibern »schwatzen«: diese offenbaren ihre Leichtfertigkeit. – »Die beständig gucken«, die jemanden fortwährend ansehen, sind für diesen zu er reichen. – »Die, angeblickt«, von dem Liebhaber, »von der Seite Blicke werfen«, nach den Seiten blicken, ob sie von dem andern auch gesehen worden sind, auch diese verraten Leichtfertigkeit. – »Die ohne Grund«, ohne bösen Charakter usw. zu haben, »durch eine Nebenfrau hintangesetzt werden«, verlangen in gerechtem Unmute nach einem fremden Manne. – »Die den Gatten hassen«, selbst nach dem vorzügereichen Gatten kein Verlangen tragen, und »von ihm gehaßt werden«: diejenigen, welche der Gatte haßt: diese beiden sind unstät. – »Die der Verbote ermangeln«, in den Dingen, die verboten sind, kein Verbot kennen, die sind von Natur ausschweifend. – »Die Kinderlosen«, die von dem Gatten keine Kinder besehen, wenden sich an andere. – »Die beständig im Schoße der Angehörigen geweilt haben«, fortwährend im Hause der Verwandten gewohnt haben, ändern ihren Wandel, sobald sie freie Hand haben. »Deren Kinder gestorben sind«: da alle Kinder, die sie von ihrem Gatten hat, sterben, so verlangt sie nach fremden Männern; oder, da sie keine Kinder hat. – »Solche, die Gesellschaften feiern«, im eignen Hause oder in dem der Freundin, deuten damit ihre Leichtfertigkeit an. – »Solche, die Liebe erweisen«, mit wem sie lieb tun, für den sind sie zu erreichen. – »Die Gattinnen von Schauspielern«, Mimen, Tänzern usw. sind gewöhnlich Hetären. – »Junge Frauen, deren Männer gestorben sind«, junge Witwen, die im jugendfrischen Alter stehen, geben ihren[334] guten Wandel auf. – »Arme« verlangen nach einem Freigebigen, der viele Genüsse gewährt. – »Erste Gattinnen, die viele Schwäger haben«: diese werden gewöhnlich von ihren Schwägern benutzt. – »Ehrgeizige, die unbedeutende Männer haben«: die von sich selbst eine hohe Meinung haben und einen unbedeutenden Gatten besitzen, finden bei diesem keine Befriedigung. – »Auf ihre Gewandtheit Stolze«, deren Stolz ihre Kenntnis der Künste ist, »die über die Torheit des Gatten«, seine Beschränktheit, »empört sind«, wünschen regelmäßig einen Mann, der darin erfahren ist. – Die »über seine Unbedeutendheit«, des Gatten, empört sind, während sie selbst Hervorragendes wissen, und die »über seine Habgier«, die des Gatten, empört sind, während sie selbst nicht gierig sind, finden da keine Befriedigung. – »Die in der Mädchenzeit«, als sie noch Mädchen waren, »nur mit Mühe einen Freier fanden«, in der Gestalt eines Liebhabers, »aber aus irgendeinem Grunde«, aus Schicksalsfügung, »nicht abgingen«, als von einem andern geheiratet, »und dann umworben werden«, wenn dann dieser Verlangen zeigt, sind sie für denselben zu erreichen, wegen der alten Zuneigung. »Gleich an Einsicht«, deren Einsicht usw. der des Liebhabers gleicht: die sind für ihn zu erreichen. Hier bezieht sich »Einsicht« auf die Objekte der Erkenntnis; »Charakter« ist Wesen, »Verstand« das Aufnahmevermögen auf dem Gebiete von Kunst und Wissenschaft; »Handlungsweise«, die Art des Handelns; »Gewohnheiten«, lokale und persönliche Gepflogenheiten. – »Die von Natur«, ihrem Wesen nach, jemandes Partei ergreifen, die sind für denselben zu erreichen. – »Die ohne Verschulden«, ohne einen Fehltritt begangen zu haben, seitens des Gatten »Mißachtung erfahren«, gedemütigt werden, hängen dem nicht an, sondern verlangen nach einem anderen. – »Die an Schönheit gleichen Frauen untergeordnet werden«, durch Nebenfrauen von gleicher Stellung verdunkelt werden, verlangen aus Abneigung nach einem anderen. – »Deren Gatte verreist ist«: wie sollten diejenigen, die durch das Gelübde der Keuschheit gebrochen sind, nicht nach anderen Verlangen spüren? – Wer ohne Ursache »eifersüchtig« ist, dessen Frau wird bald von den Lebemännern gewonnen. – »Unsauberen«; die Gattin eines Mannes, der die körperliche Pflege vernachlässigt,[335] wird ihm abhold wegen seiner Schmutzigkeit. – »Coksa's«, ein bestimmter Stand: die Frauen solcher sind gewöhnlich Hetären. – »Entmannte«, Eunuchen. – »Saumselige«, die ein Unternehmen überlegen, aber in der Gegenwart nicht beginnen. – »Weibische«, der Männlichkeit Entbehrende. Beider Frauen gehören anderen an. – Die Erwähnung der »häßlichen« Männer, der »Buckligen«, und »Zwerge« geschieht, um besonders hervorstehende Typen von Häßlichkeit zu nennen: beider Frauen sind von schlechtem Rufe. – »Juweliere«, Bearbeiter von Edelsteinen. Deren Frauen, die fortwährend auf dem Markte zu tun haben, stehen in schlechtem Rufe. – Die Frauen von »Bauern« sind für einen Elegant wohl mühelos zu erreichen. – »Übelriechende«, deren Körper einen üblen Geruch verbreitet, bewirken Ekel. – »Kranke«, die an einer langwierigen Krankheit leiden, und »Greise«, die den Beischlaf nicht mehr vollziehen können: deren Frauen sind ausschweifend.

Nun faßt (der Verfasser) den Inhalt dieser drei Paragraphen zusammen, indem er sagt:


Hier gibt es zwei Verse:

Ein Verlangen, welches auf natürliche Weise entstanden ist, durch bestimmte Handlungen gekräftigt und durch Einsicht von der Unruhe geläutert wird, dürfte fest und beständig sein.

Ein Mann, der seine eigenen Aussichten geprüft, die Zeichen der Frauen untersucht und die Gründe der Zurückhaltung beseitigt hat, ist bei den Frauen vom Glücke begünstigt.


»Ein Verlangen, welches auf natürliche Weise entstanden ist«: nach der Regel: »Die Frau empfindet Liebe, wenn sie irgend einen schmucken Mann erblickt«. – »Durch bestimmte Handlungen«, in Gestalt von Bekanntwerden und Werbung, »gekräftigt«, gefördert. – »Durch Einsicht«, Kenntnisse, »von der Unruhe geläutert«: wenn es kein Hilfsmittel für die Vereinigung zu sehen bekommt, dürfte es voller Unruhe sein; durch den Anblick solcher Mittel aber schwindet die Unruhe. Ein solches Verlangen dürfte »fest« sein, da es »beständig« ist. – »Der seine eignen Aussichten geprüft«, ob er bei der Betreffenden Glück haben wird; »und die Zeichen«, die das Verlangen andeuten, d.h., Gebärden und Äußeres, »untersucht«,[336] erkannt hat; »und die Gründe der Zurückhaltung beseitigt hat«, durch Steigerung der Leidenschaft usw. – »Ist bei den Frauen vom Glücke begünstigt«, d.h., findet bei der Werbung seinen Lohn.

Fußnoten

1 Der Kommentar hat; in dem Hause eines Nachbars, wo es junge Leute gibt.

Quelle:
Das Kāmasūtram des Vātsyāyana. Berlin 71922, S. 333-337.
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