§ 53. Die Mittel für den Erwerb von Vermögen.

[413] Wenn nun so der Geliebte in Hingebung lebt, lasse sie sich von ihm Reichtümer geben. Das erreicht sie aber nicht ohne Hilfsmittel, wie oben gesagt wurde: darum wird jetzt über die Mittel über den Erwerb von Vermögen gehandelt. Dieses Erlangen von Geld geschieht auf zweierlei Art, auf natürliche und andere Weise. So sagt (der Verfasser):


Das Erlangen von Reichtümern von dem Hingegebenen geschieht auf natürliche und listige Weise. Hier lehren die Meister, wenn sie auf natürliche Weise oder gar über ihre Berechnung hinaus Geld bekommt, solle sie keine Listen anwenden. Vātsyāyana aber meint: er wird das bekannte, durch Listen vermehrt, doppelt geben.


»Von dem Hingegebenen«, dessen Merkmale genannt worden sind. – »Auf natürliche Weise«, was keine Hilfsmittel erfordert, indem ein hingegebener Liebhaber auf das Geld keine Rücksicht nimmt. – »Auf listige Weise«; was von einem Liebhaber einkommt, der nicht hingegeben ist, erfordert Mühe. »Hier, wenn sie auf natürliche Weise oder gar über ihre Berechnung hinaus Geld bekommt«: Berechnung, wie sie es sich berechnet hat; also was mehr ist als das, was sie berechnet hat. In diesem Falle »solle sie keine Listen anwenden«, da es leicht zu gewinnen ist. Danach erstreckt sich die Praxis auf das Unberechnete und das Berechnete. – »Er wird das bekannte«, so weit es auf natürliche Weise und als Überschuß über die Berechnung hinaus unverkürzt ihr zukommt, »durch Listen vermehrt«, verstärkt, »doppelt geben«; darum ist hier die Anwendung von List angebracht.

Nun gibt der (Verfasser) die Mittel an, durch die sie sich Geld geben lassen kann, ohne daß der Liebhaber merkt, daß sie im Gelde aufgeht:


Das rechtzeitige Beschaffen von Schmucksachen, fester Speisen, flüssiger Nahrung, Getränken, Kränzen, Kleidern, Wohlgerüchen usw., bei den Geschäftsleuten gegen Einzahlung von Geld; das Rühmen seines Vermögens in seiner Gegenwart;[413] das Vorgeben von Gelübden, Bäumen, Gärten, Göttertempeln, Teichen, Lusthainen, Festen und Liebesgaben; Entwendung ihres Schmuckes durch die Wächter oder Diebe, gelegentlich eines Liebesbesuches bei ihm; Verlust ihres Vermögens durch Brand, Durchbrechung einer Wand oder Unachtsamkeit in der Behausung; ebenso der erbetenen Schmucksachen und der Schmucksachen des Liebhabers; Mitteilung durch Kundschafter über den Aufwand für die Liebesbesuche bei ihm; Schuldenmachen um seinetwillen; Streit mit ihrer Mutter wegen des Aufwandes, den er verursacht hat; Meiden der Veranstaltungen der Freunde, da sie keine Gegengaben zu bieten hat; Vorholung der von diesen früher gebrachten wertvollen Gaben und vorherige Erwähnung; Unterlassung der gewohnten Handlungen; Arbeit für die Handwerker um des Liebhabers willen; Dienstleistungen an Ärzte und Minister aus bestimmten Gründen; Unterstützung dienstbereiter Freunde bei Mißhelligkeiten; häusliche Verrichtungen; Ausstattung des Sohnes einer Freundin; Schwangerschaftsgelüste; Krankheit; Beseitigung des Unglückes eines Freundes; Verkauf eines Teiles ihrer Schmucksachen zum Besten des Liebhabers; sie biete einem Kaufmanne die besten Schmucksachen, Geräte und Geschirre zum Verkaufe an; bei einem Vertauschen mit dem gleichen Geräte der anderen Hetären Wahl des ausgezeichneteren; Erinnern und Anpreisen früherer Leistungen; durch Kundschafter lasse sie den außerordentlichen Gewinn anderer Hetären wissen; sie beschreibe ihnen in Gegenwart des Liebhabers ihren außerordentlichen großen Gewinn, tatsächlichen oder erdichteten, verschämt; offene Ablehnung der früheren Bewerber, die mit außerordentlichen Geldern vereint sich wieder bemühen; Hinweisung auf seine freigebigen Nebenbuhler und die Bitte eines Kindes: »Er soll nicht wiederkommen«: das sind die Mittel für den Erwerb von Vermögen.


»Feste Speisen«, Backwerk usw. »Flüssige Nahrung«: fertige und unfertige Reis-Speisen usw. – »Getränke«, Schnaps usw. – »Kleider«: viererlei Art: von Fellen, Früchten, Seidenraupen und Federn stammend. – »Wohlgerüche«, Sandel usw. – »Kränze«, gewundene Blumen usw. – Das Wort »usw.« bedeutet Betel, Früchte, Arekanüsse, Tiere, Geschirr, Geräte usw.[414] Das alles ist zu beschaffen, so ist der Zusammenhang. »Bei den Geschäftsleuten«, den Kaufleuten, ist das zu haben. – »Rechtzeitig«, zur rechten Zeit zu holen. – »Beschaffen«, d.h. zuerst. – »Gegen Einzahlung von Geld«, durch Zahlung des vollen Preises, nicht aber durch die bloße Besorgung der Ware selbst. »In seiner Gegenwart«, in Gegenwart des Liebhabers. Denn wenn er selbst sieht, daß sie an dem Seinigen Gefallen findet und es preist, spendet er auch. – »Gelübde«: ›Am künftigen achten habe ich ein Gelübde: dabei brauche ich es!‹ – ›Ich habe einen »Baum« gepflanzt, dessen Richtfest steht bevor!‹ – ›Ich will einen »Garten« von Mangobäumen oder von Bassia latifolia anlegen‹. Oder: ›Ich muß die Ohrendurchbohrungszeremonie vornehmen‹. (?) ›Ein »Göttertempel« ist zu errichten oder der errichtete einzuweihen‹. ›Ein »Teich« – Lotusteich usw. – ist zu graben oder der gegrabene einzuweihen‹. – ›Ein »Fest« wird übermorgen stattfinden; dabei brauche ich es‹. – ›Da ist ein lieber Besuch gekommen: dem muß ich notwendigerweise eine »Liebesgabe« spenden‹. – Derlei schütze sie vor. – »Liebesbesuch bei ihm«: gelegentlich eines Liebesbesuches bei dem Liebhaber muß ihr von den »Wächtern«, befreundeten, im Einverständnis mit ihr handelnden Polizeidienern, »oder durch Diebe«, die ebenfalls im Einverständnis mit ihr handeln, ihr »Schmuck entwendet werden«, damit er, wenn er sie betrübt kommen sieht, ihr einen (neuen) Schmuck schenkt. – »Durch Brand«, indem (angeblich) durch Unachtsamkeit Feuer ausgebrochen ist, ist das verbrannt: so muß sie ihren Verlust ankündigen. Nicht aber darf sie selbst Feuer anlegen, weil dabei sündhafterweise viele lebende Wesen untergehen könnten. – »Durch Durchbrechung einer Wand«: Verlust durch Räuber, die es geraubt haben, indem sie einbrachen. Oder es ist auch verloren gegangen durch Einbruch seitens nur angeblicher Diebe, – »Durch Unachtsamkeit« meiner selbst oder der Mutter ist daheim das Vermögen verloren gegangen. – »Ebenso«: wie das Vermögen durch Brand usw. verloren gegangen ist, ebenso »die erbetenen Schmucksachen«, die sie aus irgend einem Grunde von anderen geborgt hat »und die Schmucksachen des Liebhabers«, die er dort niedergelegt hat; wenn sie verkündet, daß diese durch Brand usw. verloren gegangen[415] sind, gibt er notgedrungen Geld her; nach seinen eignen fragt er nicht. – »Durch Kundschafter«, durch die ersten Diener, die der Liebhaber abgeschickt hat, lasse sie in Gegenwart des Liebhabers den »Aufwand« für ihn in übertriebener Weise schildern: ›Um dich besuchen zu können, ist ihr an Rum, Betel usw. ein solcher Aufwand erwachsen!‹ – »Um seinetwillen«, um den Aufwand für den Liebhaber bestreiten zu können, »Schuldenmachen«: nämlich in seiner Gegenwart. – »Mit ihrer Mutter«: ›Warum machst du Schulden? Wie willst du die wieder bereinigen?‹ So rede die Mutter, mit der sie »Streit« habe »wegen des Aufwandes, den er verursacht hat«, der den Liebhaber betrifft; nicht um ihres eignen Aufwandes willen: ›Was habe ich mit dir zu schaffen? Ich werde mich selbst verkaufen und davon die Schulden bereinigen!‹ – Der Sinn ist: wenn er derlei sieht, spendet er sicherlich. – »Meidung der Veranstaltungen der Freunde«, Feste usw., die die Freunde des Liebhabers geben: ›Trotz der Einladung gehe ich nicht hin!‹ – (Der Verfasser) gibt den Grund an, den sie dazu hat, wiewohl sie von dem Liebhaber unterhalten wird: »Da sie keine Gegengaben zu bieten hat«: ›Ich habe keine »Gegengabe«, keine Geschenke zum Entgelt‹. – »Der von diesen früher gebrachten«: ›Zu dem Feste, welches ich gab, haben die Freunde bedeutende Gegengaben gebracht!‹ – »Vorholung«, vor den Liebhaber; »und vorherige Erwähnung«, bevor das Fest der Freunde stattfindet. Wenn sie nämlich vorher bittet, gibt er zur Festzeit, spendet er nichts, dann geht sie sicherlich nicht (zu ihm) hin. »Unterlassung der gewohnten Handlungen« ist zu üben, der täglich ausgeführten Taten zur Pflege des Körpers, damit er spendet, in dem Gedanken: ›Jetzt unterläßt sie sogar die Körperpflege!‹ – »Um des Liebhabers willen«, wobei von dem Liebhaber das Geld kommt. – »Arbeit für die Handwerker«: zu ergänzen ist: soll sie anweisen: ›Dieser vorzügliche Handwerker verlangt für seine Arbeit viel: das habe ich nicht! Wenn du es spenden willst, kann die Arbeit ausgeführt werden; sonst muß ich sie sein lassen‹. – »Dienstleistungen«, Diensterweisungen. – »Aus bestimmten Gründen«: der Grund ist der, daß »Ärzte« bei einer Dienstleistung den Liebhaber unter dem Vorwande von Arzneien zum Spenden[416] bringen; und ein »Minister«, dem ein Dienst erwiesen worden ist, bringt ihn, selbst wenn er keine Lust zum Geben hat, mit Gewalt dazu. – »Freunde«: Angehörige des Liebhabers, deren Gewohnheit es ist, »hilfsbereit« zu sein, keine anderen. – »Bei Mißhelligkeiten«, die von den Göttern und den Menschen kommen. »Unterstützung«, Freundesdienste. Denn sie kommen ja auch dem Liebhaber zur Zeit des Mißgeschickes hilfreich entgegen und unterstützen ihn. – »Häusliche Verrichtungen«: Decke, Backsteine usw. sind anzufertigen. – »Ausstattung des Sohnes einer Freundin« von ihr, was bekannt ist als utsavanikā. Das ist für Ausführung und Zeit elliptisch gesagt: das erste Speisen des Kindes mit Reis oder die Zeremonie des Scheitelziehens usw. ist vorzunehmen. – »Schwangerschaftsgelüste«, wobei die Freundin Verlangen hat. »Krankheit«: eine unerwartet aufgetretene ist zu heucheln. – »Beseitigung des Unglücks eines Freundes«: ›Durch den Tod des Sohnes usw. deines Freundes bin ich unglücklich geworden: das muß ich durch ...1 lindern‹. – Hier ist bei den »häuslichen Verrichtungen« usw. zu ergänzen: ist vorzuschützen. – »Verkauf eines Teiles der Schmucksachen«: ein Teil ihrer eignen Schmucksachen ist auszuwählen und in seiner Gegenwart zu verkaufen, damit er denkt: ›Sie verkauft es zu meinem Besten‹ und Geld hergibt. – »Sie«, die Liebhaberin, »zeige einem Kaufmanne«, der mit ihr im Einverständnis ist, »zum Verkaufe«, in Gegenwart des Liebhabers »die besten Schmucksachen«, die am meisten gefallen oder ebensolches »Geräte und Geschirr«, damit er denkt: ›Sie hat gar nichts mehr, so daß sie anfängt, sogar ihre besten Sachen zu verkaufen‹ und Geld hergibt. – (Der Verfasser) gibt nun den Lehrsatz des Dattaka: ›Bei einem Zusammenfluß des Gerätes Auswahl von vorzüglicherem‹ mit deutlichem Sinne in einem neuen Lehrsatze wieder, indem er sagt: »Bei einem Vertauschen mit dem gleichen Geräte der anderen Hetären«: wenn infolge der Ähnlichkeit des Gerätes mit ihrem eignen ein Vertauschen stattgefunden hat, dann nehme sie, damit das nicht wieder geschieht, an Größe und Aussehen ausgezeichnetes, vor jenem abstechendes Geräte aus der Hand[417] eines Kaufmannes nach und nach, in Gegenwart des Liebhabers, damit dieser es kauft und Geld hergibt. Gewöhnlich borgen Hetären von gleichem Range bei besonderen Veranlassungen gegenseitig Hausgerät: daher das Wort: »andere Hetären«. – »Erinnern«: denn, wenn es vergessen würde, was sollte sie dann entgegnen, wenn er zu ihr sagte: ›Damit habe ich dich unterstützt?‹ – »Anpreisen« in seiner Gegenwart: damit er abermals Geld hergibt in dem Gedanken: ›Meine Leistungen hier sind nicht umsonst!‹ – »Durch Kundschafter«, Späher, »lasse sie ihn den außerordentlichen Gewinn anderer Hetären wissen«, der mit ihrem eignen verglichen ungleich ist: in Gegenwart des Liebhabers: ›Aus deiner Wohnstätte hat die Viṣṇumitrā dies viel Bedeutendere bekommen!‹ usw. – »Ihnen«, den anderen Hetären; den »Gewinn«, der noch größer ist als jener. So ist zu verbinden; »tatsächlichen«, den der Liebhaber gespendet hat; »oder erdichteten«, den er nicht gespendet hat; »verschämt«, gleichsam verlegen, »beschreibe sie« ihn, damit auch er verlegen wird und Geld hergibt. – »Frühere Bewerber«, die früher mit ihr gelebt haben und zugrunde gerichtet worden waren, »die mit außerordentlichen Geldern«, noch größeren Spenden, »vereint sich wieder bemühen«, sich Mühe geben, »Offne«, deutliche »Ablehnung« derselben ist vorzunehmen, damit er, wenn er davon hört, denkt: ›Sie ist mir zugetan!‹ und Geld hergibt. – »Hinweisung« durch Kundschafter »auf seine – des Liebhabers – freigebigen Nebenbuhler«. Der Sinn ist: um anzudeuten, daß er nicht allein da ist, damit er, wenn er das hört, mit vollen Händen gibt. Er spendet in dem Gedanken, daß die Betreffende keinen Nachteil hat. (?) »Er soll nicht wiederkommen«: er soll das Haus nicht wieder betreten; so muß von einem angestifteten Kinde gebeten werden: ›Gib mir was!‹ – Oder es ist gemeint, sie soll wie ein Kind ihre Scham aufgeben und bitten. – Diese Mittel für den Erwerb von Vermögen sind unter Berücksichtigung von Ort, Zeit und Gelegenheit anzuwenden.

Fußnoten

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Quelle:
Das Kāmasūtram des Vātsyāyana. Berlin 71922, S. 413-418.
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