Zweite Periode.

Die Philosophie der Aufklärung.

[85] Wie im Altertum, so folgt auch in der Neuzeit auf eine wesentlich kosmologisch-metaphysische eine vorwiegend anthropologische Periode der Philosophie: dort die Sophistik, hier die Aufklärung. Und auch darin ähneln sich beide Zeitalter, daß die großen von der ersten Periode, in der Neuzeit allerdings ungleich stärker, in Angriff genommenen Erkenntnisfragen in der zweiten zugunsten populärer Probleme zurücktreten, um erst in den durch beide vorbereiteten Systemen Platos bezw. Kants ihre klassische Lösung zu erhalten. Dagegen verflechten sich in den beiden mittleren Perioden (Sophistik – Aufklärung) die philosophischen besonders stark mit den allgemeinen Bildungs- und Kulturfragen, mit den literarischen, sozialen und politischen Interessen. Die fast ein Jahrhundert29 andauernde Bewegung, die man als die Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts zu bezeichnen gewohnt ist, nimmt ihren Anfang in England, wo der Sturz der Stuarts und die »glorreiche« Revolution des Jahres 1688 die Bahn für eine mächtige Entfaltung der geistigen und materiellen Interessen frei machte. Sie verpflanzt sich von da nach Frankreich, wo sie unter dem politischen, kirchlichen und sozialen Drucke des Ancien régime eine vorwiegend negativ-oppositionelle Färbung erhält. Sie ergreift dann zuletzt auch das dritte der drei großen Kulturländer, Deutschland, wo sie sich mit den Tendenzen von Leibniz und seiner Schule verschmilzt.

Eine erschöpfende Sonderdarstellung der Aufklärungsphilosophie im ganzen besitzen wir noch nicht. Gute allgemeine[85] Gesichtspunkte gibt das bekannte Werk des Literaturhistorikers H. Hettner, Literaturgeschichte des 18. Jahrh., 6 Teile, 5. Aufl. 1894. Außerdem wird gerühmt das auf England sich beziehende Buch von L. Stephen, History of English thought in the 18. century, 2 Bde., London 1876-80. Im übrigen ist auf die Bd. I, S. 292 angegebenen Werke und auf die Spezialliteratur zu verweisen. Besonders reichhaltig ist für diesen Zeitraum das dort genannte Buch von Franz Vorländer. Wir schildern nunmehr: 1. die englische, 2. die französische, 3. die deutsche Aufklärungsphilosophie.

Quelle:
Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie. Band 2, Leipzig 51919, S. 85-86.
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