13. Unholdfrei und Arglos

[139] Unholdfrei und Arglos blickten auf die Heerscharen des Königs Wu. Arglos sprach: »Wir leben nicht mehr in den Zeiten des heiligen Schun: darum herrscht dieses Leid auf Erden.«

Unholdfrei sprach: »War eigentlich die Welt in Ordnung, als Schun sie ordnete, oder war sie in Verwirrung, und er hat sie erst hinterher geordnet?«

Arglos sprach: »Daß die Welt in Ordnung ist, ist jedem recht. Wenn das der Fall gewesen wäre, brauchte man sich nichts von Schun zu erzählen. Schun hatte für jede Beule ein Pflaster, für jede Glatze eine Perücke, und für jede Krankheit suchte er ein Heilmittel. Er machte es wie solch ein ›pflichtgetreuer‹ Sohn, der erst seinen lieben Vater krank werden läßt und nachher mit bekümmerter Miene ihm Arzneien darbringt. Der Berufene schämt sich solchen Gebarens.«

Wenn höchstes LEBEN auf Erden herrscht, so achtet man die Würdigen nicht für etwas Besonderes und sucht sich nicht die Tüchtigen aus. Die Oberen sind auf ihrem Platz wie die Zweige am Baum, und die Leute sind wie das Reh auf dem Feld. Sie sind ehrlich und aufrichtig und wissen nicht, daß sie damit ihre Pflicht tun. Sie haben einander gern und wissen nicht, daß sie damit Liebe üben. Sie sind wahrhaft und wissen nicht, daß sie damit Treue üben. Sie sind zuverlässig und wissen nicht, daß sie damit Glauben üben. Bieder in ihrem Wesen sind sie einander zu Gefallen und wissen nicht, daß sie damit Gnade üben. Darum hinterlassen ihre Taten keine Spur, und ihre Werke werden nicht erzählt.

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 139.
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