6. Die Zurechtweisung des Konfuzius durch Laotse

[164] Kung Dsï besuchte den Lau Dan und redete über Liebe und Pflicht.

Lau Dan sprach: »Wenn man beim Kornworfeln Staub in die Augen bekommt, so drehen sich Himmel und Erde und alle Richtungen im Kreis. Wenn einem Schnaken und Mücken in die Haut stechen, so kann man die ganze Nacht nicht schlafen. Dieses ewige Gerede von Liebe und Pflicht macht mich ganz verrückt. Wenn Ihr, mein Herr, die Welt nicht um ihre Einfalt brächtet, so könntet auch Ihr, mein Herr, Euch von dem Windhauch tragen lassen (der bläst, wo er will) und würdet Euren Platz finden im allgemeinen LEBEN. Wozu bedürft Ihr denn dieser Energie, die Euch dem Manne gleichmacht, der sich eine große Trommel umhängt und paukt, um seinen entlaufenen Sohn wiederzufinden? Die Schneegans braucht sich nicht täglich zu baden und ist dennoch weiß; der Rabe braucht sich nicht täglich zu schwärzen und ist dennoch schwarz. Über die Schlichtheit ihrer schwarzen und weißen Farbe lohnt es nicht zu disputieren. Die Betrachtungen von Name und Ruhm lohnt es sich nicht, wichtig zu nehmen ...« Als Kung Dsï von seinem Besuch bei Lau Dan zurückgekommen war, unterhielt er sich drei Tage lang nicht mehr.

Da fragten ihn seine Schüler und sprachen: »Meister, Ihr habt den Lau Dan besucht; auf welche Weise habt Ihr ihn zurechtgewiesen?«

Kung Dsï sprach: »Ich habe diesmal wirklich einen Drachen gesehen. Wenn der Drache sich zusammenzieht, so hat er[164] körperliche Gestalt; dehnt er sich aus, so wird er zum Luftgebilde; er fährt durch die Wolken und lebt von der lichten und dunklen Urkraft. Sprachlos stand ich mit offenem Mund daneben. Wie hätte ich es da anfangen sollen, den Lau Dan zurechtzuweisen?«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 164-165.
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