8. Das Erwachen des Konfuzius

[166] Kung Dsï redete zu Lau Dan und sprach: »Ich habe das Buch der Lieder, das Buch der Urkunden, die Riten, die Musik, das Buch der Wandlungen und die Frühling- und Herbstannalen in Ordnung gebracht. Ich kann wohl sagen, daß ich mich lange damit beschäftigt habe und den Sinn jener Werke verstehe. In der Geschichte von zweiundsiebzig schlechten Herrschern habe ich den SINN der alten Könige erläutert und die Vorbilder der alten Fürsten Dschou und Schau beleuchtet. Keinen einzigen Herrscher gibt es, der bereit wäre, diese Lehren anzuwenden. Wahrlich schwer ist es, sich durchzusetzen unter den Menschen, schwer ist es, den SINN ihnen klarzumachen!«

Lau Dan sprach: »Es ist das größte Glück, daß Ihr keinen Fürsten gefunden habt, der die Welt in Ordnung bringen wollte. Jene sechs Schriften enthalten die hinterlassenen Fußspuren der früheren Könige, aber nicht das, wodurch sie diese Spuren hinterlassen haben. Worüber Ihr redet, das sind alles nur Fußspuren. Eine Spur wird von einem Tritt erzeugt, aber ist nicht selbst der Tritt. Die weißen Reiher blicken einander unverwandt an, und so findet die Befruchtung statt. Bei den Insekten zirpt das Männchen in den oberen Luftschichten, und das Weibchen antwortet ihm in den unteren Luftschichten, und so findet die Befruchtung statt. Andere Tiere gibt's, die sind hermaphroditisch, und so findet die Befruchtung statt. Die Natur ist unwandelbar, das Schicksal unveränderlich. Die Zeit läßt sich nicht zum Stehen bringen, dem SINN kann nichts Einhalt tun. Darum, wer den SINN erlangt hat, für den ist kein Ding unmöglich; wer den SINN verloren hat, für den ist nichts möglich.«

Als Kung Dsï das gehört, zog er sich drei Monate lang zurück.

Dann kam er wieder, besuchte den Lau Dan und sprach: »Ich hab' es erreicht! Die Raben und Eltern brüten ihre Jungen aus, die Fische laichen, und die Insekten machen Verwandlungen durch. Kommt ein jüngerer Bruder an, so weint der ältere. Lange Zeit hat es gedauert, daß ich nicht[167] imstande war, mich als Mensch diesen Wandlungen anzupassen. Wer sich selbst nicht diesen Wandlungen anzupassen vermag, wie kann der andere wandeln?«

Lau Dan sprach: »Es geht an, du hast's erreicht!«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 166-168.
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