7. Daseinsstufen

[186] Das Einbein beneidet den Tausendfuß; der Tausendfuß beneidet die Schlange; die Schlange beneidet den Wind; der Wind beneidet das Auge; das Auge beneidet das Herz.

Einbein sprach zu Tausendfuß: »Ich mühe mich mit meinem einen Fuße ab umherzukriechen und komme damit nicht[186] zustande. Wie macht Ihr's nur, daß Ihr alle Eure tausend Füße regt?«

Tausendfuß sprach: »Das mache ich ganz anders. Habt Ihr noch nie gesehen, wie ein Mensch ausspuckt? Der Speichel besteht aus lauter Bläschen, von der Größe einer Perle an bis zu der von feinen Nebeltröpfchen. Das kommt alles durcheinander heraus, ohne daß man die Bläschen einzeln zählen könnte. So setze ich einfach mein natürliches Triebwerk in Gang, ohne zu wissen, wie es im einzelnen sich auswirkt.«

Tausendfuß sprach zur Schlange: »Mit all meinen tausend Füßen komme ich noch nicht so schnell voran wie Ihr ohne Füße. Wie kommt das?«

Die Schlange sprach: »Die Bewegungen des natürlichen Triebwerks lassen sich nicht ändern. Was brauche ich Füße?«

Die Schlange sprach zum Wind: »Ich bewege Rückgrat und Rippen und komme so voran. Ich habe so immer noch ein sichtbares Mittel. Ihr aber erhebt Euch brausend im Nordmeer und stürzt Euch brausend ins Südmeer ohne jedes sichtbare Mittel. Wie kommt das?«

Der Wind sprach: »Ja, ich erhebe mich brausend im Nordmeer und stürze ins Südmeer. Und doch, wer mich herbeizuwinken oder auf mir zu stehen vermag, ist mir über, obwohl ich imstande bin, die größten Bäume zu brechen und die größten Häuser zu stürzen. Darum, wen die Menge der Geringeren nicht zu besiegen vermag, der ist ein großer Sieger. Höchster Sieger sein kann der berufene Heilige allein.«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 186-187.
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