1. Dschuang Dsï's Lehrweise

[284] Gleichnisreden biet' ich zumeist

Und alter Reden Worte gar viele,

Aus vollem Becher täglichen Trank,

Nur daß der Ewigkeit Licht ihn umspiele.


Unter meinen Worten sind neun Zehntel Gleichnisreden; das heißt, ich bediene mich äußerer Bilder, um meine Gedanken auszudrücken. Gerade wie ein Vater nicht selbst den Freier macht für seinen Sohn. Denn es ist besser, wenn ein Sohn von einem andern gelobt wird als von seinem eigenen Vater. Daß ich zu diesem Mittel greifen muß, ist aber nicht mein Fehler, sondern der Fehler der andern. Wer eins mit uns ist, wird uns verstehen; wer nicht eins mit uns ist, wird uns widersprechen. Denn jeder billigt das, was ihm entspricht, und tadelt das, was von ihm abweicht.

Unter meinen Worten sind sieben Zehntel Zitate von Worten, die von andern schon früher ausgesprochen sind. Solche Leute nenne ich meine verehrten Vorgänger. Wer aber nur den Jahren nach vorangeht und nicht erfahren ist im Getriebe des Webstuhls der Zeit, der ist deshalb, weil er älter ist, noch lange kein Vorgänger. Ein Mensch, der nichts hat, worin er andern voraus ist, ist kein Führer der Menschen. Wer kein Führer der Menschen ist, ist aber einfach ein Mensch der Vergangenheit. Die Worte endlich, die täglich wie aus einem Becher hervorkommen und gestimmt sind auf die Ewigkeit, sind solche, die einfach hervorquellen und dadurch erhaben sind über die Zeit. Jenseits der Worte herrscht Übereinstimmung. Diese Übereinstimmung aber kann durch Worte nicht zum übereinstimmenden Ausdruck gebracht werden, und die Worte decken sich mit dieser Übereinstimmung niemals ganz übereinstimmend. Darum gilt es ohne Worte auszukommen.[285] Wer sich auf diese Rede ohne Worte versteht, der kann sein ganzes Leben lang reden, ohne Worte gemacht zu haben; er kann sein ganzes Leben lang schweigen und hat doch geredet. Die Möglichkeit hat ihren Grund, und die Unmöglichkeit hat auch ihren Grund; das So-Sein hat seinen Grund, und das Anders-Sein hat auch seinen Grund. Der Grund für das So-Sein liegt in dem So-Sein selber; der Grund für das Anders-Sein liegt in dem Anders-Sein selber. Der Grund für die Möglichkeit liegt in der Möglichkeit selber; der Grund für die Unmöglichkeit liegt in der Unmöglichkeit selber. Nun haben aber alle Einzeldinge einen zureichenden Grund für ihr So-Sein und für ihre Möglichkeit. Es gibt überhaupt kein Ding, das ohne zureichenden Grund für sein So-Sein und seine Möglichkeit bestünde.

Darum gibt es keinen andern Weg, die Dauer der Einzeldinge zu verstehen, als eben die Worte, die täglich wie aus einem Becher hervorkommen und gestimmt sind auf die Ewigkeit. Alle Einzelwesen sind als Gattungen vorhanden, die einander Platz machen infolge der Geschiedenheit ihres körperlichen Daseins. Anfang und Ende schließen sich zusammen wie in einem Ring (obwohl jedes Einzelne unvergleichbar ist). Das ist das Gleichgewicht des Himmels. Dieses Gleichgewicht des Himmels ist die Ewigkeit.

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 284-286.
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