§ 2. Zauberer – Priester.

[259] Die soziologische Seite jener Scheidung aber ist die Entstehung eines »Priestertums« als etwas von den »Zauberern« zu Unterscheidendem. Der Gegensatz ist in der Realität durchaus flüssig, wie fast alle soziologischen Erscheinungen. Auch die Merkmale der begrifflichen Abgrenzung sind nicht eindeutig feststellbar. Man kann entsprechend der Scheidung von »Kultus« und »Zauberei« als »Priester« diejenigen berufsmäßigen Funktionäre bezeichnen, welche durch Mittel der Verehrung die »Götter« beeinflussen, im Gegensatz zu den Zauberern, welche »Dämonen« durch magische Mittel zwingen. Aber der Priesterbegriff zahlreicher großer Religionen, auch der christlichen, schließt gerade die magische Qualifikation ein. Oder man nennt »Priester« die Funktionäre eines regelmäßigen organisierten stetigen Betriebs der Beeinflussung der Götter, gegenüber der individuellen Inanspruchnahme der Zauberer von Fall zu Fall. Der Gegensatz ist durch eine gleitende Skala von Uebergängen überbrückt, aber in seinen »reinen« Typen eindeutig, und man kann dann als Merkmal des Priestertums das Vorhandensein irgendwelcher fester Kultstätten, verbunden mit irgendwelchem sachlichen Kultapparat behandeln. Oder aber man behandelt als entscheidend für den Priesterbegriff: daß die Funktionäre, sei es erblich oder individuell angestellt, im Dienst eines vergesellschafteten sozialen Verbandes, welcher Art immer er sei, tätig werden, also als dessen Angestellte oder Organe und lediglich im Interesse seiner Mitglieder, nicht wie die Zauberer, welche einen freien Beruf ausüben. Auch dieser begrifflich klare Gegensatz ist natürlich in der Realität flüssig. Die Zauberer sind nicht selten zu einer festen Zunft, unter Umständen zu einer erblichen Kaste, zusammengeschlossen, und diese kann innerhalb bestimmter Gemeinschaften das Monopol der Magie haben. Auch der katholische Priester ist nicht immer »angestellt«, sondern z.B. in Rom nicht selten ein armer Vagant, der von der[259] Hand in den Mund von den einzelnen Messen lebt, deren Wahrnehmung er nachgeht. Oder man scheidet die Priester als die durch spezifisches Wissen und festgeregelte Lehre und Berufsqualifikation Befähigten von den kraft persönlicher Gaben (Charisma) und deren Bewährung durch Wunder und persönliche Offenbarung Wirkenden, also einerseits den Zauberern, andererseits den »Propheten«. Aber die Scheidung zwischen den meist ebenfalls und zuweilen sehr hochgelernten Zauberern und den keineswegs immer besonders hochgelernt wirkenden Priestern ist dann nicht einfach. Der Unterschied müßte qualitativ, in der Verschiedenheit des allgemeinen Charakters der Gelerntheit hier und dort gefunden werden. In der Tat werden wir später (bei Erörterung der Herrschaftsformen) die teils durch irrationale Mittel auf Wiedergeburt ausgehende »Erweckungserziehung«, teils auch eine rein empirische Kunstlehre darstellende Schulung der charismatischen Zauberer von der rationalen Vorbildung und Disziplin der Priester zu scheiden haben, obwohl in der Realität auch hier beides gleitend ineinander übergeht. Nähme man aber dabei als Merkmal der »Lehre« – als einer das Priestertum auszeichnenden Differenz – die Entwicklung eines rationalen religiösen Gedankensystems und, was für uns vor allem wichtig ist, die Entwicklung einer systematisierten spezifisch religiösen »Ethik« auf Grund einer zusammenhängenden, irgendwie festgelegten, als »Offenbarung« geltenden Lehre an, etwa so wie der Islâm seine Unterscheidung von Buchreligionen und einfachem Heidentum machte, so wären nicht nur die japanischen Shintopriester, sondern z.B. auch die machtvollen Hierokratien der Phöniker aus dem Begriff der Priesterschaft ausgeschlossen, und [es wäre] eine allerdings grundlegend wichtige, aber nicht universelle Funktion des Priestertums zum Begriffsmerkmal gemacht.

Den verschiedenen, niemals glatt aufgehenden, Möglichkeiten der Unterscheidung wird es für unsere Zwecke am meisten gerecht, wenn wir hier die Einge stelltheit eines gesonderten Personenkreises auf den regelmäßigen, an bestimmte Normen, Orte und Zeiten gebundenen und auf bestimmte Verbände bezogenen Kultusbetrieb als wesentliches Merkmal festhalten. Es gibt kein Priestertum ohne Kultus, wohl aber Kultus ohne gesondertes Priestertum: so in China, wo ausschließlich die Staatsorgane und der Hausvater den Kultus der offiziell anerkannten Götter und Ahnengeister besorgen. Unter den typisch reinen »Zauberern« andererseits gibt es zwar Noviziat und Lehre, wie etwa in der Bruderschaft der Hametzen bei den Indianern und ähnliche in der ganzen Welt, welche zum Teil eine sehr starke Macht in Händen haben und deren dem Wesen nach magische Feiern eine zentrale Stellung im Volksleben einnehmen, denen aber ein kontinuierliecher Kultusbetrieb fehlt und die wir deshalb nicht »Priester« nennen wollen. Sowohl beim priesterlosen Kultus aber wie beim kultlosen Zauberer fehlt regelmäßig eine Rationalisierung der metaphysischen Vorstellungen, ebenso wie eine spezifisch religiöse Ethik. Beides pflegt in voller Konsequenz nur eine selbständige und auf dauernde Beschäftigung mit dem Kultus und den Problemen praktischer Seelenleitung eingeschulte Berufspriesterschaft zu entwickeln. Die Ethik ist daher in der klassisch chinesischen Denkweise zu etwas ganz anderem als einer metaphysisch rationalisierten »Religion« entwickelt. Ebenso die Ethik des kultus- und priesterlosen alten Buddhismus. Und die Rationalisierung des religiösen Lebens ist, wie später zu erörtern, überall da gebrochen oder ganz hintangehalten worden, wo das Priestertum es nicht zu einer eigenen ständischen Entwicklung und Machtstellung gebracht hat, wie in der mittelländischen Antike. Sie hat sehr eigenartige Wege da eingeschlagen, wo ein Stand ursprünglicher Zauberer und heiliger Sänger die Magie rationalisierte, aber nicht eine eigentlich priesterliche Amtsverfassung entwickelte, wie die Brahmanen in Indien. Aber nicht jede Priesterschaft entwickelt das der Magie gegenüber prinzipiell Neue: eine rationale Metaphysik und religiöse Ethik. Dies setzt vielmehr der – nicht ausnahmslosen – Regel nach das Eingreifen außerpriesterlicher Mächte voraus. Einerseits eines Trägers von metaphysischen oder religiös-ethischen »Offenbarungen«: des Propheten. Andererseits die Mitwirkung[260] der nicht priesterlichen Anhänger eines Kultus: der »Laien«. Ehe wir die Art betrachten, wie durch die Einwirkung dieser außerpriesterlichen Faktoren die Religionen nach Ueberwindung der überall auf der Erde sehr ähnlichen Stufen der Magie fortentwickelt werden, müssen wir gewisse typische Entwicklungstendenzen feststellen, welche durch das Vorhandensein priesterlicher Interessenten eines Kultus in Bewegung gesetzt werden.


Quelle:
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Besorgt von Johannes Winckelmann. Studienausgabe, Tübingen 51980, S. 259-261.
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