3. Abschnitt.

Patriarchale und patrimoniale Herrschaft.

[580] Wesen und Entstehung der patriarchalen Herrschaft S. 580. – Honoratiorenherrschaft und reiner Patriarchalismus S. 582. – Patrimoniale Herrschaft S. 583. – Patrimonialstaatliche Herrschaftsstruktur S. 585. – Machtstellung des patrimonialen Herrschers: patrimoniale und extrapatrimoniale Heere; politische Herrschaft des Patrimonialherrn kraft traditioneller legitimer Herrengewalt S. 586. – Patrimoniale Bedarfsdeckung. Leiturgien und Solidarhaftung; Zwangsverbände S. 592. – Patrimoniale Aemter. Patrimoniales im Unterschied vom bürokratischen Beamtentum S. 594. – Versorgung der Patrimonialbeamten. Deputat- und Sportelpfründen S. 598. – Stereotypierung und Dezentralisierung der patrimonialen Verwaltung. Folgen der Appropriierung und Monopolisierung der Aemter; Privilegienstaat S. 602. – Schutz der patrimonialen Herrschaftseinheit gegen Zerfall S. 605. – Beispiele des Funktionierens von Patrimonialverwaltungen: Das antike Aegypten S. 607; Das chinesische Reich S. 608; Dezentralisation der Patrimonialherrschaft: Satrapien und Teilfürstentümer S. 611; Patrimonialherr und lokale Grundherrschaft S. 613; Honoratiorenverwaltung in England durch Friedensrichter der gentry. Herausbildung des »gentleman«-Typus S. 616; Zaristischer Patrimonialismus S. 621; Patrimonialismus und Standesehre S. 623.


Von den vorbürokratischen Strukturprinzipien ist nun das weitaus wichtigste die patriarchale Struktur der Herrschaft. Ihrem Wesen nach ruht sie nicht auf der Dienstpflicht für einen sachlichen, unpersönlichen »Zweck« und der Obödienz gegenüber abstrakten Normen, sondern gerade umgekehrt: auf streng persönlichen Pietätsbeziehungen. Ihr Keim liegt in der Autorität eines Hausherrn innerhalb einer häuslichen Gemeinschaft. Seiner persönlichen autoritären Stellung ist gemeinsam mit der sachlichen Zwecken dienenden bürokratischen Herrschaft: die Stetigkeit des Bestandes, der »Alltagscharakter«. Beide finden ferner ihre innere Stütze letztlich in der Fügsamkeit der Gewaltunterworfenen gegenüber »Normen«. Diese sind aber bei der bürokratischen Herrschaft rational geschaffen, appellieren an den Sinn für abstrakte Legalität, ruhen auf technischer Einschulung; bei der patriarchalen dagegen ruhen sie auf der »Tradition«: dem Glauben an die Unverbrüchlichkeit des immer so Gewesenen als solchen. Und die Bedeutung der Normen ist für beide grundverschieden. Bei der bürokratischen Herrschaft ist es die gesatzte Norm, welche die Legitimation des konkreten Gewalthabers zum Erlaß eines konkreten Befehls schafft. Bei der patriarchalen Herrschaft ist es die persönliche Unterwerfung unter den Herrn, welche die von diesem gesatzten Regeln als legitim garantiert, und nur die Tatsache und die Schranken seiner Herrengewalt entstammen ihrerseits »Normen«, jedoch ungesatzten, durch die Tradition geheiligten Normen. Immer aber geht die Tatsache, daß dieser konkrete Herr eben der »Herr« ist, im Bewußtsein der Unterworfenen allem anderen voraus; und soweit seine Gewalt nicht durch die Tradition oder durch konkurrierende Gewalten begrenzt ist, übt er sie schrankenlos und nach freiem Belieben, vor allem: regelfrei. Während für den bürokratischen Beamten im Prinzip gilt: daß sein konkreter Befehl nur soweit reicht, als er sich dafür auf eine spezielle »Kompetenz«, die durch eine »Regel« festgestellt ist, stützen kann. Die objektive Grundlage der bürokratischen Macht ist ihre durch spezialistische Fachkenntnis[580] begründete technische Unentbehrlichkeit. Bei der Hausautorität sind uralte naturgewachsene Situationen die Quelle des auf Pietät ruhenden Autoritätsglaubens. Für alle Hausunterworfenen das spezifisch enge, persönliche, dauernde Zusammenleben im Hause mit seiner äußeren und inneren Schicksalsgemeinschaft. Für das haushörige Weib die normale Ueberlegenheit der physischen und geistigen Spannkraft des Mannes. Für das jugendliche Kind seine objektive Hilfsbedürftigkeit. Für das erwachsene Kind die Gewöhnung, nachwirkende Erziehungseinflüsse und festgewurzelte Jugenderinnerungen. Für den Knecht seine Schutzlosigkeit außerhalb des Machtbereichs seines Herrn, in dessen Gewalt sich zu fügen, er von Kindheit an durch die Tatsachen des Lebens eingestellt ist. Vatergewalt und Kindespietät ruhen primär nicht auf realem Blutsband, so sehr dessen Bestehen für sie normal sein mag. Gerade die primitiv patriarchale Auffassung behandelt vielmehr, und zwar auch nach der (keineswegs »primitiven«) Erkenntnis der Zusammenhänge von Zeugung und Geburt, die Hausgewalt durchaus eigentumsartig: die Kinder aller in der Hausgewalt eines Mannes stehenden Frauen, sei es als Weib oder [als] Sklavin, gelten ohne Rücksicht auf physische Vaterschaft, sobald er es so will, als »seine« Kinder, wie die Früchte seines Viehs als sein Vieh. Neben Vermietung (in das mancipium) und Verpfändung von Kindern und auch Weibern ist der Kauf fremder und Verkauf eigener Kinder noch entwickelten Kulturen eine geläufige Erscheinung. Er ist geradezu die ursprüngliche Form des Ausgleichs von Arbeitskräften und Arbeitsbedarf zwischen den verschiedenen Hausgemeinschaften. So sehr, daß als Form der Eingehung eines »Arbeitsvertrags« seitens eines freien Selbständigen noch in babylonischen Kontrakten der zeitlich befristete Selbstverkauf in die Sklaverei sich findet. Daneben dient der Kindeskauf anderen, speziell religiösen Zwecken (Sicherung der Totenopfer) als Vorläufer der »Adoption«.

Innerhalb des Hauses entwickelte sich allerdings eine soziale Differenzierung, sobald Sklaverei als reguläre Institution entstand und das Blutsband an Wirklichkeit gewachsen war: nun wurden die Kinder als freie Gewaltunterworfene (»liberi«) von den Sklaven unterschieden. Freilich galt der Willkür des Gewalthabers gegenüber die Scheidewand wenig. Darüber, wer sein Kind sein solle, entschied er allein. Er konnte im römischen Recht noch der historischen Zeit prinzipiell seinen Sklaven letztwillig zum Erbherrn machen (liber et heres esto) und sein Kind als Sklaven verkaufen. Aber solange dies nicht geschah, schied den Sklaven vom Hauskind die Chance des letzteren, selbst Hausherr zu werden. Meist ist ihm diese Gewalt allerdings verwehrt oder beschränkt. Wo ferner sakrale und von der politischen Gewalt, zunächst im militärischen Interesse, geschaffene Schranken der Verfügungsgewalt bestanden, galten sie nur oder doch wesentlich stärker für die Kinder. Aber diese Schranken wurden erst sehr allmählich fest.

Objektive Grundlage der Zusammengehörigkeit ist überall, im vormuhammedanischen Arabien z.B. ganz ebenso wie noch nach der Terminologie mancher hellenischen Rechte der historischen Zeit, überhaupt aber nach den meisten ungebrochen patriarchalen Rechtsordnungen, die rein tatsächliche perennierende Gemeinschaft von Wohnstätte, Speise, Trank und alltäglichen Gebrauchsgütern. Ob Inhaber der Hausgewalt auch ein Weib sein kann, ob der älteste oder (wie zuweilen in der russischen Großfamilie) der ökonomisch tüchtigste Sohn es wurde, konnte sehr verschieden geordnet sein und hing von mannigfachen ökonomischen, politischen und religiösen Bedingungen ab, ebenso, ob die Hausgewalt durch heteronome Satzung Beschränkungen erfuhr und welche, oder ob dies, wie in Rom und China, im Prinzip nicht der Fall war. Bestanden solche heteronome Schranken, so konnten diese, wie heute durchweg, kriminal- und privatrechtlich sanktioniert sein, oder nur sakralrechtlich, wie in Rom, oder, wie ursprünglich überall, nur durch die Tatsache des »Brauchs«, dessen unmotivierte Verletzung Unzufriedenheit der Gehorchenden und soziale Mißbilligung erregte. Auch dies war ein wirksamer Schutz. Denn alles innerhalb dieser Struktur ist letztlich immer durch die eine grundlegende Macht der »Tradition«,[581] des Glaubens an die Unverbrüchlichkeit des »ewig Gestrigen«, festgelegt. Der Talmudsatz: »Niemals ändere der Mensch einen Brauch«, ruht in seiner praktischen Wirksamkeit außer auf der durch die innere »Eingestelltheit« bedingten Macht des Gewohnten rein als solchen ursprünglich auf der Furcht vor unbestimmten magischen Uebeln, welche den Neuerer selbst und die soziale Gemeinschaft, die sein Tun billigt, von Geistern, deren Interessen dadurch irgendwie berührt werden, treffen könnten. Was dann mit Entwicklung der Gotteskonzeption durch den Glauben ersetzt wird: daß die Götter das Althergebrachte als Norm gesetzt haben und es deshalb als heilig schirmen würden. Die Pietät der Tradition und die Pietät gegen die Person des Herrn waren die beiden Grundelemente der Autorität. Die Macht der ersteren, auch die Herren bindenden Motive, kam den formal rechtlosen Gewaltunterworfenen, z.B. den Sklaven, zugute, deren Lage unter dem traditionsgebundenen Patriarchalismus des Orients daher wesentlich geschützter war als dort, wo sie, wie in den karthagisch-römischen Plantagen, Objekt rationaler, durch jene Schranken nicht mehr gebändigter Ausnutzung wurden. –

Die patriarchale Herrschaft ist nicht die einzige auf Traditionsheiligkeit ruhende Autorität. Neben ihr steht vor allem, als selbständige Form einer normalerweise traditionellen Autorität, die Honoratiorenherrschaft, auf deren Eigenart wir schon gelegentlich zu sprechen kamen und noch öfter zu sprechen kommen werden. Sie besteht überall da, wo soziale Ehre (»Prestige«) innerhalb eines Kreises Grundlage einer Herrschaftsstellung mit autoritärer Befehlsgewalt wird, – was bei weitem nicht bei jeder sozialen Ehre der Fall ist. Was sie von der patriarchalen Herrschaft scheidet, ist das Fehlen jener, mit der Zugehörigkeit zu einem Hausverband, [einem] grundherrlichen, leibherrlichen, patrimonialen Verband verknüpften und dadurch motivierten, spezifischen Pietätsbeziehungen persönlicher Art: Kindes- und Diener-Pietät. Die spezifische Autorität des Honoratioren (insbesondere des durch Vermögen, Bildungsqualifikation oder Lebensführung Ausgezeichneten im Kreise der Nachbarn) beruht dagegen gerade nicht auf Kindes- oder Diener-Pietät, sondern auf »Ehre«. Wir wollen diesen Unterschied prinzipiell festhalten, obwohl natürlich hier wie immer die Uebergänge gänzlich flüssige sind. Grundlage, Qualität und Tragweite der Autorität der »Honoratioren« sind untereinander sehr verschieden. Es wird davon bei gelegeneren Anlässen zu reden sein52. Jetzt aber haben wir es nur mit der patriarchalen Herrschaft, als der formal konsequentesten Strukturform einer auf Traditionsheiligkeit ruhenden Autorität, zu tun.

Bei ganz reiner Ausprägung ist die Hausherrschaft mindestens rechtlich schrankenlos und geht beim Tode oder sonstigen Wegfall des alten gleich schrankenlos auf den neuen Hausherrn über, der z.B. auch die geschlechtliche Benutzung der Weiber seines Vorgängers (eventuell also seines Vaters) einfach miterwirbt. Das Nebeneinanderstehen mehrerer Inhaber der Hausgewalt mitkonkurrierender Autorität ist nicht beispiellos, aber naturgemäß selten. Die Abspaltung von Teilen der Hausgewalt, z.B. selbständige Autori tätsstellung einer Hausmutter neben der normalerweise übergeordneten Autorität, kommt vor. Wo sie bestand, hing sie mit der ältesten typischen Arbeitsteilung: derjenigen zwischen den Geschlechtern, zusammen. Die weiblichen Häuptlinge, wie sie sich z.B. unter den Sachems der Indianer finden, die nicht selten vorkommenden weiblichen Nebenhäuptlinge (wie etwa die Lukokescha im Reiche des Muata Jamvo) mit ihrer in ihrem Bereich selbständigen Autorität, gehen historisch meist (wenn auch nicht immer) auf die Funktion der Frauen als ältester Trägerin der eigentlichen »Wirtschaft«: der auf Bodenanbau und Speisenzubereitung ruhenden stetigen Nahrungsfürsorge, zurück oder sind die Folge des durch gewisse Arten der Militärorganisation bedingten gänzlichen Ausscheidens der waffenfähigen Männer aus dem Hause.

Wir haben früher, bei Besprechung der Hausgemeinschaft, gesehen, wie deren urwüchsiger Kommunismus sowohl auf sexuellem wie auf ökonomischem Gebiet[582] zunehmenden Schranken unterworfen wird, die »Geschlossenheit nach innen« immer weiter um sich greift, der rationale »Betrieb« aus der kapitalistischen Erwerbsgemeinschaft des Hauses sich abgliedert und das Prinzip des »Rechnens« und des festen Anteils immer weiter um sich greift, Frau, Kinder, Sklaven persönlich und vermögensrechtlich eigene Rechte gewinnen. Das alles sind ebenso viele Einschränkungen der ungebrochenen Hausgewalt. Als Gegenpol zu der Entwicklung des aus der Erwerbswirtschaft des Hauses entstehenden und von ihr sich aussondernden kapitalistischen »Betriebs« lernten wir ferner die gemeinwirtschaftliche Form einer inneren Gliederung des Hauses: den »Oikos« kennen. Hier haben wir jetzt diejenige Form der Herrschaftsstruktur zu betrachten, welche auf dem Boden des Oikos und damit auf dem Boden der gegliederten Hausgewalt erwachsen ist: die patrimoniale Herrschaft.

Zunächst nur eine Dezentralisation der Hausgemeinschaft ist es, wenn auf ausgedehntem Besitz Unfreie (auch: Haussöhne) mit eigener Behausung und eigener Familie auf Landparzellen ausgesetzt und mit Viehbesitz (daher: peculium) und Inventar ausgestattet werden. Aber gerade diese einfachste Form der Entwicklung des Oikos führt unvermeidlich zu einer inneren Abschwächung der vollen Hausgewalt. Da zwischen Hausherrn und Haushörigen Vergesellschaftungen durch verbindliche Kontrakte ursprünglich nicht stattfinden – die Abänderung des gesetzlichen Inhalts der Vatergewalt durch Kontrakt ist ja in allen Kulturstaaten auch heute noch rechtlich unmöglich –, so regeln sich die inneren und äußeren Beziehungen zwischen Herren und Unterworfenen auch in diesem Fall lediglich nach dem Interesse des Herrn und der inneren Struktur des Gewaltverhältnisses. Dies Abhängigkeitsverhältnis selbst bleibt ein Pietäts- und Treueverhältnis. Eine auf solcher Grundlage beruhende Beziehung aber, mag sie auch zunächst eine rein einseitige Herrschaft darstellen, entfaltet aus sich heraus stets den Anspruch der Gewaltunterworfenen auf Gegenseitigkeit, und dieser Anspruch erwirbt durch die »Natur der Sache« als »Brauch« soziale Anerkennung. Denn während für den kasernierten Sklaven die physische Peitsche, für den »freien« Arbeiter diejenige des Lohnes und der drohenden Arbeitslosigkeit die Leistung garantiert, der Kaufsklave relativ billig zu ersetzen sein muß (sonst rentiert seine Verwendung überhaupt nicht), die Ersetzung des »freien« Arbeiters aber gar nichts kostet, solange andere Arbeitswillige da sind, ist der Herr bei dezentralisierter Ausnutzung seiner Haushörigen in weitem Maß auf deren gutwillige Pflichterfüllung und immer auf die Erhaltung ihrer Prästationsfähigkeit angewiesen. Auch der Herr »schuldet« also dem Unterworfenen etwas, zwar nicht rechtlich, aber der Sitte nach. Vor allem – schon im eigenen Interesse – Schutz nach außen und Hilfe in Not, daneben »menschliche« Behandlung, insbesondere eine dem »Ueblichen« entsprechende Begrenzung der Ausbeutung seiner Leistungsfähigkeit. Auf dem Boden einer nicht dem Gelderwerb, sondern der Deckung des Eigenbedarfs des Herrn dienenden Herrschaft ist eine solche Beschränkung der Ausbeutung ohne Verletzung der Interessen des Herrn namentlich deshalb möglich, weil in Ermangelung qualitativer, prinzipiell schrankenlos ausdehnbarer Bedarfsentfaltung seine Ansprüche nur quantitativ von denen der Unterworfenen verschieden sind. Und sie ist dem Herrn positiv nützlich, weil nicht nur die Sicherheit seiner Herrschaft, sondern auch deren Erträge stark von der Gesinnung und Stimmung der Untertanen abhängen. Der Unterworfene schuldet der Sitte nach dem Herrn Hilfe mit allen ihm verfügbaren Mitteln. Oekonomisch schrankenlos ist diese Pflicht in außerordentlichen Fällen, z.B. zur Befreiung von Schulden, Ausstattung von Töchtern, Auslösung aus der Gefangenschaft usw. Persönlich schrankenlos ist seine Hilfspflicht im Fall von Krieg und Fehde. Er leistet Heerfolge als Knappe, Wagenlenker, Waffenträger, Troßknecht – so in den Ritterheeren des Mittelalters und in den schwerbewaffneten Hoplitenheeren der Antike – oder auch als privater Vollkrieger des Herrn. Dies letztere galt wohl auch für die römischen Klienten, die auf precarium: ein jederzeit widerrufliches, der Funktion nach wahrscheinlich dienstlehenartiges[583] Verhältnis, gesetzt waren. Es galt für die Parzellenpächter (coloni) schon in der Zeit der Bürgerkriege. Ebenso natürlich für die Hintersassen von Grundherren und Klöstern im Mittelalter. Ganz ebenso waren aber schon die Heere des Pharao und der orientalischen Könige und großen Grundherren zum nicht geringen Teil patrimonial aus deren Kolonen rekrutiert, aus dem Herrenhaushalt ausgestattet und ernährt. Gelegentlich, namentlich für den Flottendienst, aber nicht nur für ihn, finden sich Aufgebote von Sklaven, die im antiken Orient mit der Besitzmarke des Herrn versehen waren. Im übrigen leistet der Hintersasse Fronden und Dienste, Ehrengeschenke, Abgaben, Unterstützungen, dem Rechte nach je nach Bedarf und Ermessen des Herrn, der Tatsache nach gemäß eingelebtem Brauch. Von Rechtswegen bleibt es dem Herrn natürlich unbenommen, ihn nach Gutdünken des Besitzes zu entsetzen, und auch die Sitte hält es ursprünglich für selbstverständlich, daß er über die nachgelassenen Personen und Güter nach Gutdünken verfügt. Wir wollen diesen Spezialfall patriarchaler Herrschaftsstruktur: die mittels Ausgabe von Land und eventuell Inventar an Haussöhne oder andere abhängige Haushörige dezentralisierte Hausgewalt, eine »patrimoniale« Herrschaft nennen.

Alles, was an Stetigkeit und zunächst rein tatsächlicher Begrenzung der Willkür des Herrn in die patrimonialen Beziehungen hineinwächst, entsteht durch den zunächst rein faktischen Einfluß der Uebung. An sie knüpft dann die »heiligende« Macht der Tradition an. Neben den überall sehr starken, rein tatsächlichen Reibungswiderständen gegen alles Ungewohnte als solches wirkt die Mißbilligung etwaiger Neuerungen des Hausherrn seitens seiner Umwelt und seine Furcht vorreligiösen Mächten, welche überall die Tradition und die Pietätsverhältnisse schützen. Schließlich und nicht zuletzt aber auch seine begründete Befürchtung, daß jede starke Erschütterung des traditionellen Pietätsgefühls durch unmotivierte, als ungerecht empfundene Eingriffe in die traditionelle Verteilung von Pflichten und Rechten sich an seinen eigenen Interessen, speziell auch den ökonomischen, schwer rächen könnte. Denn der Allmacht gegenüber dem einzelnen Abhängigen steht auch hier die Ohnmacht gegenüber ihrer Gesamtheit zur Seite. So hat sich fast überall eine dem Recht nach labile, faktisch aber sehr stabile Ordnung gebildet, welche den Bereich der freien Willkür und Gnade des Herrn zugunsten des Bezirks der Bindung durch die Tradition zurückschiebt. Diese traditionelle Ordnung kann sich der Herr veranlaßt sehen, in die Form einer Hof- und Dienstordnung zu bringen, nach Art der modernen Arbeitsordnungen in der Fabrik, nur daß diese rational geschaffene Gebilde zu rationalen Zwecken sind, jene Ordnungen dagegen ihre bindende Macht gerade daraus schöpfen, daß sie nicht nach dem zukünftigen Zweck, sondern nach dem von altersher Bestehenden fragen. Die erlassene Ordnung entbehrt natürlich der rechtlichen Verpflichtung für den Herrn. Wenn er aber, entweder infolge des unübersichtlichen Umfangs seines an Haushörige ausgetanen Besitzes oder wegen dessen weit zerstreuter Lage oder wegen kontinuierlicher politisch-militärischer Inanspruchnahme besonders stark auf den guten Willen derjenigen angewiesen ist, von welchen er seine Einkünfte bezieht, so kann sich im Anschluß an solche Ordnungen eine genossenschaftliche Rechtsbildung vollziehen, die eine sehr starke faktische Bindung des Herrn an seine eigenen Verfügungen entwickelt. Denn jede solche Ordnung macht die ihr Unterstellten aus bloßen Interessengenossen zu Rechtsgenossen (einerlei ob im juristischen Sinn), steigert dadurch ihr Wissen von der Gemeinsamkeit ihrer Interessen und damit die Neigung und Fähigkeit, sie wahrzunehmen, und führt dazu, daß die Gesamtheit der Unterworfenen nun dem Herrn, zunächst nur gelegentlich, dann regelmäßig als eine geschlossene Einheit gegenübertritt. Das ist ganz ebenso die Folge der »leges« (= »Statuten«, nicht: »Gesetze«), die namentlich in Hadrians Zeit für die kaiserlichen Domänen erlassen wurden, wie der »Hofrechte« des Mittelalters gewesen. Bei konsequenter Entwicklung wird dann das »Weistum« des »Hofgerichts« unter Beteiligung der Hofhörigen die Quelle authentischer Interpretationen der Ordnung. Es besteht nun eine Art von »Konstitution«, – nur daß eine solche im modernen Sinn[584] der Produktion immer neuer Gesetze und der Machtverteilung zwischen Bürokratie [und Gesetzgebungsorganen] bei der zweckvollen Reglementierung gesellschaftlicher Beziehungen dient, die Weistümer dagegen der Ausdeutung der Tradition als solcher. Nicht nur diese nur stellenweise vollendete Entwicklung, sondern schon die früheren Stadien der Stereotypierung patrimonialer Beziehungen durch die Tradition bedeuten eine starke Zerbröckelung des reinen Patriarchalismus. Ein streng traditionsgebundenes spezifisches Herrschaftsgebilde: die Grundherrschaft, entsteht, welche den Herrn und den Grundholden durch feste, einseitig nicht lösliche, Bande aneinanderknüpft. Dies in der ganzen Welt verbreitete grundlegend wichtige Institut ist in seinen Schicksalen an dieser Stelle nicht weiter zu verfolgen. –

Patrimoniale Herrschaftsverhältnisse haben als Grundlage politischer Gebilde eine außerordentliche Tragweite gehabt. Aegypten erscheint, wie wir sehen werden53, der Sache nach fast wie ein einziger ungeheurer patrimonial regierter Oikos des Pharao. Die ägyptische Verwaltung hat Züge von Oikenwirtschaft immer beibehalten, und das Land wurde von den Römern im wesentlichen wie eine riesige kaiserliche Domäne behandelt. Der Inkastaat und namentlich der Staat der Jesuiten in Paraguay waren vollends ausgeprägt fronhofartige Gebilde. Aber regelmäßig bilden die direkt in Form einer Grundherrschaft verwalteten Besitzungen des Fürsten nur einen Teil seines politischen Machtbereichs, der außerdem noch andere, nicht direkt als Domäne des Fürsten betrachtete, sondern nur politische von ihm beherrschte Gebiete umfaßt. Aber auch die reale politische Macht der Sultane des Orients, der mittelalterlichen Fürsten und der Herrscher des fernen Ostens gruppierte sich dennoch um diese großen, patrimonial bewirtschafteten Domänen als Kern. In diesen letztgenannten Fällen ist das politische Gebilde als Ganzes der Sache nach annähernd identisch mit einer riesenhaften Grundherrschaft des Fürsten.

Von der Verwaltung dieser Domänen geben vor allem die Reglements der Karolingerzeit, nächst ihnen die erhaltenen Ordnungen der kaiserlichen Domänen Roms ein anschauliches Bild. In riesenhaftem Maßstabe enthielten die vorderasiatischen und hellenistischen Herrschaftsgebilde Gebietsteile, deren Bevölkerung als Grundholden oder persönliche Hörige des Monarchen galten und nach Art von Domänen von seinem Haushalt aus verwaltet wurden.

Wo nun der Fürst seine politische Macht, also seine nicht domaniale, physischen Zwang gegen die Beherrschten anwendende Herrschaft über extrapatrimoniale Gebiete und Menschen: die politischen Untertanen, prinzipiell ebenso organisiert wie die Ausübung seiner Hausgewalt, da sprechen wir von einem patrimonial-staatlichen Gebilde. Die Mehrzahl aller großen Kontinentalreiche haben bis an die Schwelle der Neuzeit und auch noch in der Neuzeit ziemlich stark patrimonialen Charakter an sich getragen.

Auf rein persönliche, vornehmlich private Haushaltsbedürfnisse des Herrn ist die patrimoniale Verwaltung ursprünglich zugeschnitten. Die Gewinnung einer »politischen« Herrschaft, das heißt der Herrschaft eines Hausherrn über andere, nicht der Hausgewalt unterworfene Hausherren bedeutet dann die Angliederung von, soziologisch betrachtet, nur dem Grade und Inhalt, nicht der Struktur nach verschiedenen Herrschaftsbeziehungen an die Hausgewalt. Welches der Inhalt der politischen Gewalt ist, entscheidet sich nach sehr verschiedenen Bedingungen. Die beiden für unsere Vorstellung spezifisch politischen Gewalten: Militärhoheit und Gerichtsgewalt, übt der Herr in voller Schrankenlosigkeit über die ihm patrimonial Unterworfenen als Bestandteil der Hausgewalt. Die »Gerichtsgewalt« des Häuptlings den nicht Hausunterworfenen gegenüber ist dagegen in allen Epochen bäuerlicher Dorfwirtschaft eine wesentlich nur schiedsrichterliche Stellung: in dem Fehlen der selbstherrlichen, Zwangsmittel anwendenden Autorität liegt auf diesem Gebiet die kenntlichste Scheidung der »bloß« politischen Herrschaft von der Hausherrschaft.[585] Aber mit steigender Machtstellung strebt der Gerichtsherr durch Usurpation von »Bann«-Gewalten nach immer ausgeprägterer Herrenstellung bis zu, praktisch angesehen, oft völliger Gleichheit mit der prinzipiell schrankenlosen Hausgerichtsgewalt. Eine besondere politische »Militärhoheit« über nicht Haushörige oder – bei Sippenfehden – Versippte kennt die Frühzeit nur in Form der Gelegenheitsvergesellschaftung zum Raubzug oder zur Abwehr eines solchen und dann normalerweise in Unterordnung unter einen ad hoc gewählten oder erstandenen Führer, dessen Herrschaftsgewalt wir in ihrer Struktur noch erörtern werden. Die perennierende Militärhoheit eines politischen Patrimonialherrn wird dann gleichfalls nur eine dem Grade nach von der patrimonialen Heerfolgepflicht verschiedene Aufgebotsgewalt gegenüber den politisch Beherrschten. Das patrimonial verwaltete politische Gebilde selbst aber kennt als vornehmlichste Pflicht der Beherrschten gegenüber dem politischen Herrn, ganz ebenso wie eine patrimoniale Herrschaft und von ihr nur dem Grade nach verschieden, vor allem dessen rein materielle Versorgung. Zunächst, dem intermittierenden politischen »Gelegenheitshandeln« entsprechend, in der Form von Ehrengeschenken und Aushilfe in besonderen Fällen. Mit zunehmender Kontinuierlichkeit und Rationalisierung der politischen Herrengewalt aber in immer umfassenderem, den patrimonialen Verpflichtungen immer gleichartigerem Umfang, so daß im Mittelalter Herkunft von Pflichtigkeiten aus politischer oder aus patrimonialer Gewalt oft sehr schwer zu unterscheiden sind. In klassischer Form vollzieht sich diese Versorgung des Herrn in allen auf Naturalwirtschaft angewiesenen Flächenstaaten der Antike, Asiens und des Mittelalters so, daß die Tafel-, Kleidungs-, Rüstungs-und sonstigen Bedürfnisse des Herrn und seines Hofhalts als Naturallieferungen auf die einzelnen Abteilungen des Herrschaftsgebiets umgelegt sind und der Hof da, wo er jeweils sich aufhält, von den Untertanen zu unterhalten ist. Die auf Naturalleistung und Naturalabgabe rechnende Gemeinwirtschaft ist die primäre Form der Bedarfsdeckung patrimonialistischer, politischer Gebilde. Der uns überlieferte Unterschied der persischen Hofhaltung, welche für die Stadt, in welcher der König sich aufhielt, schwere Lasten bedeutete, von der geldwirtschaftlichen hellenistischen, welche für sie eine Verdienstquelle war, illustriert die ökonomische Wirkung. Mit Entwicklung des Handels und der Geldwirtschaft kann aus jener oiken-mäßigen Bedarfsdeckung des patrimonialen Herrschers ein erwerbswirtschaftlicher Monopolismus herauswachsen, wie im größten Maßstab in Aegypten, wo schon der Pharao der naturalwirtschaftlichen Frühzeit Eigenhandel trieb, die Ptolemäerzeit und erst recht die Römerherrschaft aber ein System der verschiedensten Monopole neben zahllosen Geldsteuern einführte, die an Stelle der alten leiturgischen Bedarfsdeckung der Epochen vorwiegender Naturalwirtschaft getreten waren. Denn mit Rationalisierung seiner Finanzen gleitet der Patrimonialismus unvermerkt in die Bahnen einer rationalen bürokratischen Verwaltung mit geregeltem Geldabgabesystem hinüber. Während das alte Kennzeichen der »Freiheit« das Fehlen der nur aus patrimonialen Beziehungen ableitbaren regelmäßigen Abgabenpflicht und der Freiwilligkeitscharakter der Leistungen für den Herrscher ist, müssen mit voller Entfaltung der Herrengewalt auch »freie«, d.h. nicht der Patrimonialgewalt des Herrn unterworfene Untertanen dazu durch leiturgische oder steuermäßige Leistungen beitragen, die Kosten seiner Fehden und Repräsentation zu bestreiten. Der Unterschied beider Kategorien drückt sich dann regelmäßig nur in der engeren und festeren Begrenzung jener Leistungen und in gewissen Rechtsgarantien für die »freien«, d.h. nur politischen, Untertanen aus.

Welche Leistungen der Fürst von den extrapatrimonial, also politisch Beherrschten in Anspruch nehmen kann, hängt von seiner Macht über sie, also vom Prestige seiner Stellung und von der Leistungsfähigkeit seines Apparates ab, ist aber stets weitgehend traditionsgebunden. Ungewöhnliche und neue Leistungen zu fordern, kann er nur unter günstigen Umständen wagen. Namentlich dann, wenn ihm eine Militärtruppe zur Seite steht, über die er unabhängig von dem guten Willen der Untertanen verfügen kann.

[586] Diese nun kann bestehen: 1. aus patrimonial beherrschten Sklaven, Deputatisten oder Kolonen. Tatsächlich haben schon die Pharaonen und mesopotamischen Könige, ebenso aber private Patrimonialherren der Antike (z.B. die römische Nobilität) und des Mittelalters (die seniores) ihre Kolonen, im Orient auch Leibeigene mit eingebrannten Eigentumsmarken, als persönliche Truppe verwendet. Zu einer ständig zur Verfügung stehenden Militärmacht eigneten sich indessen wenigstens die auf Land ansässigen bäuerlichen Kolonen schon deshalb wenig, weil sie ökonomisch sich selbst und den Herrn zu sustentieren hatten, also normalerweise nicht abkömmlich waren, und weil ein Uebermaß, d.h. eine die Tradition überschreitende Inanspruchnahme ihre lediglich traditionsgebundene Treue ins Wanken bringen konnte. Daher hat der Patrimonialfürst seine Macht über politische Untertanen regelmäßig auf eine speziell dazu gebildete, in ihren Interessen mit ihm völlig solidarische Truppe zu stützen gesucht.

Dies konnte 2. eine vom Landbau gänzlich losgelöste Sklaventruppe sein. Und in der Tat hatten, nach der im Jahr 833 endgültig vollzogenen Auflösung des arabisch-theokratischen, nach Stämmen gegliederten Heerbanns, dessen beutegieriger Glaubenseifer Träger der großen Eroberungen gewesen war, das Khalifenreich und die meisten seiner orientalischen Zerfallsprodukte sich jahrhundertelang auf Kaufsklavenarmeen gestützt. Die 'Abbâsiden machten sich durch den Ankauf und die militärische Ausbildung türkischer Sklaven, welche, stammfremd, mit ihrer ganzen Existenz an die Herrschaft des Herrn geknüpft schienen, vom nationalen Heerbann und seiner im Frieden lockeren Disziplin unabhängig, und schufen sich eine disziplinierte Truppe. Wie alt die ausgekauften Negern bestehenden Sklaventruppen der großen Familien im Hedschas, vor allem der verschiedenen einander die Stadt Mekka streitig machenden Geschlechter waren, ist nicht sicher. Dagegen scheint sicher, daß diese Negersoldaten, im Gegensatz zu den Soldtruppen sowohl wie zu den ebenfalls als Soldaten vorkommenden Freigelassenen hier, in Mekka, tatsächlich ihren Zweck: eine ganz persönlich an den Herrn und seine Familie gekettete Truppe zu sein, erfüllt haben, während jene anderen Kategorien gelegentlich die Rolle von Prätorianern gespielt, den Herrn gewechselt und zwischen mehreren Prätendenten optiert haben. Die Zahl der Negertruppen hing bei den konkurrierenden Familien von der Größe der Einkünfte, diese direkt von dem Umfang des Grundbesitzes und indirekt von der Teilnahme an der Ausbeutung der wallfahrenden Pilger ab, eine Geldquelle, welche die in Mekka residierenden Geschlechter monopolisierten und unter sich repartierten. Ganz anders verlief dagegen die Verwendung der 'abbâsidischen Türkensklaven und der ägyptischen Kaufsklaventruppe: der Mamelûken. Ihren Offizieren gelang es, die Herrschaft über die nominellen Herrscher an sich zu reißen; obwohl die Truppen, speziell in Aegypten, offiziell Sklaventruppen blieben und neben der Erblichkeit durch Ankauf ergänzt wurden, waren sie der Sache und schließlich auch dem Recht nach Pfründner, denen zuletzt das ganze Land zunächst als Pfandinhaber für ihren Sold, dann als Grundherren zugewiesen war und deren Emîre die gesamte Verwaltung beherrschten, bis das Blutbad Muhammed 'Alî's sie [(1811)] vernichtete. Die Kaufsklavenarmee setzte bedeutende Barkapitalien des Fürsten zum Ankauf voraus; außerdem war ihr guter Wille von Soldzahlung abhängig, also von Geldeinnahmen des Fürsten. Die Entwicklung, welche die seldschûkischen und mamelûkischen Truppen nahmen, die Anweisung auf die Steuererträgnisse von Land und Untertanen, schließlich deren Ueberweisung als Dienstland an die Truppen und also die Verwandlung dieser in Grundherren, war dagegen geeignet, die Feudalisierung der Wirtschaft zu befördern. Die außerordentliche Rechtsunsicherheit der steuerzahlenden Bevölkerung gegenüber der Willkür der Truppen, denen ihre Steuerkraft verpfändet war, konnte den Verkehr und damit die Geldwirtschaft unterbinden, und tatsächlich ist der Rückgang oder Stillstand der Verkehrswirtschaft im Orient seit der Seldschûkenzeit in sehr starkem Maß durch diese Umstände bedingt gewesen.

[587] 3. Die osmanischen Herrscher, bis ins 14. Jahrhundert wesentlich nur durch den anatolischen Heerbann gestützt, gingen, da dessen Disziplin und ebenso diejenige ihrer turkmenischen Söldner für die großen europäischen Eroberungen nicht ausreichten, im 14. Jahrhundert (erstmalig 1330) zu der berühmten Form der Knabenaushebung (Dewshirme) aus unterworfenen stammes- und glaubensfremden Völkern (Bulgaren, Beduinen, Albanesen, Griechen) für das neugebildete Berufsheer der »Janitscharen« (jeni chai = neue Truppe) über. Im Alter von 10-15 Jahren alle 5 Jahre, zuerst in Zahl von 1000, dann in steigendem Umfang (Sollstärke zuletzt 135000 Mann) ausgehoben, wurden die Knaben etwa 5 Jahre gedrillt und im Glauben unterrichtet (aber ohne direkten Glaubenszwang), dann in die Truppen eingereiht. Der ursprünglichen Regel nach sollten sie ehelos und asketisch unter dem Patronat des Bektaschiordens, dessen Gründer der Schutzheilige war, in Baracken und von der Teilnahme am Handel ausgeschlossen leben, waren nur der Gerichtsbarkeit der eigenen Offiziere unterstellt und auch sonst hochprivilegiert, hatten Offiziersavancement nach der Anciennität, Alterspension, wurden bei eigener Waffengestellung durch Tagesgelder im Feldzug entlohnt, waren dagegen im Frieden auf bestimmte, gemeinsam verwaltete Einkünfte angewiesen. Die hohen Privilegien machten die Stellen begehrenswert, auch Türken suchten ihre Kinder anzubringen. Die Janitscharen andererseits versuchten, sie für ihre eigenen Familien zu monopolisieren. Die Folge war, daß der Eintritt zunächst auf Verwandte, dann auf Kinder der Janitscharen beschränkt wurde und die Dewshirme seit Ende des 17. Jahrhunderts praktisch wegfiel (letzte – nicht durchgeführte – Anordnung 1703). Die Janitscharentruppe war der wichtigste Träger der großen europäischen Expansion von der Eroberung Konstantinopels bis zur Belagerung Wiens, aber ein Korps von derart rücksichtsloser Gewalttätigkeit und den Sultanen selbst so oft gefährlich, daß 1825 auf Grund eines Fetwâ des Scheich ul-Islâm, wonach die Gläubigen den Kriegsdienst lernen sollten, eine auf Aushebung unter den Moslems beruhende Truppe errichtet [ward] und die revoltierenden Janitscharen [im darauffolgenden Jahr] in einem gewaltigen Blutbad vernichtet wurden.

4. Die Verwendung von Söldnern. Diese war zwar an sich nicht notwendig an Geldformen des Soldes gebunden. In der Frühzeit der Antike finden sich Söldner auch bei stark vorwiegender naturalwirtschaftlicher Entlohnung. Aber das Lockende war doch immer der Teil des Soldes, der in Edelmetall geleistet wurde. Der Fürst mußte also, ebenso wie bei den Kaufsklavenarmeen für deren Ankauf über einen Schatz, so für die Söldner über laufende Betriebsmittel in Form von Geldeinnahmen verfügen, entweder indem er Eigenhandel oder Eigenproduktion für den Absatz trieb, oder indem er von den Untertanen, auf die Söldner gestützt, Geldabgaben erhob, um diese damit zu entlohnen. In beiden Fällen, namentlich aber im letzteren, mußte also Geldwirtschaft bestehen. Wir finden denn auch in den Staaten des Orients, und mit Beginn der Neuzeit auch im Okzident, die charakteristische Erscheinung: daß mit steigender Geldwirtschaft sich die Chancen der Militärmonarchie eines auf Söldner gestützten Despoten wesentlich steigern. Im Orient blieb sie seitdem geradezu die nationale Herrschaftsform, im Okzident haben die Signoren der italienischen Städte ebenso wie seinerzeit die antiken Tyrannen und weitgehend auch »legitime« Monarchen ihre Machtstellung auf Soldtruppen gestützt. Die Soldtruppen waren naturgemäß dann am engsten durch Interessensolidarität mit der Herrschaft des Fürsten verknüpft, wenn sie den Untertanen gänzlich stammfremd gegenüberstanden, mit ihnen also gegenseitigen Anschluß weder suchen noch finden konnten. Tatsächlich haben die Patrimonialfürsten denn auch ganz regelmäßig, von den Krethi und Plethi (Kretern und Philistern) Davids bis zu den Schweizern der Bourbonen mit Vorliebe Landfremde für ihre Leibwache geworben. Fast aller radikale »Despotismus« ruhte auf solcher Basis.

Oder 5. der Patrimonialfürst stützt sich auf Leute, welche ganz wie die Grundholden mit Landlosen beliehen waren, aber statt wirtschaftlicher nur[588] militärische Dienste zu leisten hatten und im übrigen Privilegien ökonomischer oder anderer Art genossen. Die Truppen der altorientalischen Monarchen hatten zum Teil diesen Charakter, so namentlich die sog. Kriegerkaste Aegyptens, die mesopotamischen Lehenskrieger und die hellenistischen Kleruchen, in der Neuzeit die Kosaken. Dies Mittel, sich auf diese Weise eine persönliche Militärmacht zu verschaffen, stand natürlich auch anderen, nicht fürstlichen Patrimonialherren offen und wurde von ihnen verwendet, wovon wir noch bei Erörterung der »plebejischen« Spielarten des Feudalismus zu reden haben54. Auch solche Truppen standen mit besonderer Zuverlässigkeit dann zur Verfügung, wenn sie der Umwelt gegenüber stammfremd, also mit der Herrschaft des Fürsten in ihrer ganzen Existenz verknüpft waren. Auch die Landbeleihung ist daher oft gerade an Landfremde erfolgt. Doch gehört die Stammfremdheit keineswegs zu den unbedingten Notwendigkeiten.

Denn 6. die Interessensolidarität der dem Fürsten als Berufskrieger, als »Soldaten« also, verpflichteten Schicht mit ihm war auch ohnedies tragfähig genug und ließ sich durch die Art der Auswahl der Truppen – wie bei den Janitscharen – oder durch privilegierte Rechtsstellung gegenüber den Untertanen erheblich steigern. Der Patrimonialfürst hat da, wo er sein Heer nicht aus Stammfremden oder Pariakasten, sondern aus Untertanen – also durch »Aushebung« – rekrutierte, ziemlich allgemein bestimmte Maximen sozialen Charakters befolgt. Fast immer sind die herrschenden Schichten, in deren Hand soziale und ökonomische Macht lag, von der Rekrutierung zum »stehenden Heer« ausgenommen oder ist ihnen die Möglichkeit und damit der regelmäßig befolgte Anreiz gegeben worden, sich davon durch Loskauf zu befreien. Der Patrimonialfürst stützte sich insofern also in seiner Militärmacht regelmäßig auf die besitzlosen oder doch die nichtprivilegierten, namentlich die ländlichen Massen. Er entwaffnete so seine möglichen Konkurrenten um die Herrschaft, während umgekehrt das Honoratiorenheer, sei es das Heer einer Stadtbürgerschaft oder eines Stammesverbandes von Vollfreien, regelmäßig die Waffenpflicht und damit die Waffenehre zum Privileg einer Herrenschicht macht. Dieser Auslese aus den negativ Privilegierten, namentlich den ökonomisch negativ privilegierten Schichten pflegte ein ökonomischer Sachverhalt in Kombination mit einer militär-technischen Entwicklung unterstützend entgegenzukommen. Nämlich einerseits die mit zunehmender Intensität und Rationalisierung des ökonomischen Erwerbes zunehmende ökonomische Unabkömmlichkeit, andererseits die mit zunehmender Bedeutung der militärischen Einschulung zunehmende Umwandlung der Kriegstätigkeit zu einem dauernden »Beruf«. Beides konnte unter bestimmten ökonomischen und sozialen Voraussetzungen zur Entwicklung eines Honoratiorenstandes geschulter Krieger führen: das Feudalheer des Mittelalters ebenso wie das Hoplitenheer der Spartaner waren solche Erscheinungen. Beide beruhten letztlich auf der ökonomischen Unabkömmlichkeit der Bauern und einer der kriegerischen Schulung einer Herrenschicht entsprechenden Art von Kriegstechnik. Aber das patrimonial-fürstliche Heer beruht umgekehrt auf der Voraussetzung: daß auch die besitzenden Schichten ihrerseits ökonomisch unabkömmlich waren oder wurden, wie etwa das kaufmännische und gewerbliche Bürgertum der antiken und mittelalterlichen Städte, und daß diese Unabkömmlichkeit in Verbindung mit der Militärtechnik und dem politischen Bedürfnis des Herrn nach einem stehenden Heer die Aushebung von »Soldaten« für den dauernden Dienst, nicht zu Gelegenheitsfeldzügen, erforderte. Daher finden wir die Entstehung des Patrimonialismus und der Militärmonarchie nicht nur als Konsequenz rein politischer Umstände: der Vergrößerung des Herrschaftsgebietes und des dadurch entstehenden Bedürfnisses nach dauerndem Grenzschutz (so im Römerreich), sondern sehr oft auch als Folge ökonomischer Wandlungen: der zunehmenden Rationalisierung der Wirtschaft, in Verbindung also mit einer berufsmäßigen Spezialisierung und Scheidung zwischen »Militär«- und »Zivil«-Untertanen,[589] wie sie der Spätantike und dem modernen Patrimonialstaat in gleicher Weise eignete. Die ökonomisch und sozial privilegierten Schichten aber pflegt alsdann der Patrimonialfürst in der Form in sein Interesse zu ziehen, daß ihnen die leitenden Beamtenstellungen in dem zu disziplinierten und geschulten Dauerverbänden (»Truppenkörpern«) zusammengeschlossenen und gegliederten stehenden Heer zur ausschließlichen Besetzung offengehalten werden, die nun ebenfalls einen spezifischen »Beruf« mit sozialen und ökonomischen Chancen nach Art der bürokratischen Beamten darbieten. Statt Honoratiorenkrieger zu sein, werden sie nun in eine berufsmäßige »Offiziers«-Laufbahn eingegliedert und mit ständischen Privilegien ausgestattet.

Ein entscheidender Bestimmungsgrund endlich für den Grad, in welchem das fürstliche Heer »patrimonialen« Charakter hat, das heißt: rein persönliches Heer des Fürsten ist und ihm also auch gegen die eigenen politisch beherrschten Stammesgenossen zur Verfügung steht, ist vor allem ein rein ökonomischer Sachverhalt: die Equipierung und Verpflegung des Heeres aus Vorräten und Einkünften des Fürsten. Je vollständiger dieser Tatbestand vorliegt, desto unbedingter befindet sich das in diesem Fall ohne den Fürsten zu jeder Aktion unfähige, in seiner ganzen militärischen Existenz auf ihn und seinen nicht militärischen Beamtenapparat angewiesene Heer in seiner Hand, wobei natürlich mannigfache Uebergänge zwischen einem solchen reinen Patrimonialheer und den auf Selbstequipierung und Selbstverpflegung beruhenden Heeresformen existiert haben. Die Beleihung mit Land bildet z.B., wie wir sehen werden, eine Form der Abwälzung der Ausrüstungs- und Unterhaltslasten vom Herrn auf den Soldaten selbst, damit aber auch, unter Umständen, eine empfindliche Abschwächung seiner Verfügungsgewalt. –

Nun aber beruht fast nirgends die politische Herrengewalt des Patrimonialfürsten ausschließlich auf der Furcht vor seiner patrimonialen Militärmacht. Gerade wo dies am meisten der Fall war, bedeutete es im Effekt, daß er dann auch seinerseits von diesem Heer so stark abhängig wurde, daß die Soldaten – beim Tode des Herrn, bei unglücklichen Kriegen und in ähnlichen Fällen – sich einfach verliefen oder auch direkt streikten, Dynastien ein- und absetzten, durch Donative und Versprechungen hohen Lohnes für den Fürsten stets neu gewonnen werden mußten und auch ihm abspenstig gemacht werden konnten, wie dies im Römerreich die Folge des severischen Militarismus und im orientalischen Sultanismus eine regelmäßige Erscheinung war. Der plötzliche Zusammenbruch patrimonialfürstlicher Gewalten und ihre ebenso plötzliche Neuentstehung, eine starke Labilität der Herrschaftsverbände also, war die Folge davon. Im Höchstgrade war dies das Schicksal der Herrscher in dem klassischen Gebiet der Patrimonialheere: dem vorderasiatischen Orient, der zugleich die klassische Stätte des »Sultanismus« war.

In aller Regel aber ist der politische Patrimonialherr mit den Beherrschten durch eine Einverständnisgemeinschaft verbunden, welche auch unabhängig von einer selbständigen patrimonialen Militärgewalt besteht und auf der Ueberzeugung beruht, daß die traditionell geübte Herrengewalt das legitime Recht des Herrn sei. Der von einem Patrimonialfürsten in diesem Sinne »legitim« Beherrschte soll also hier »politischer Untertan« heißen. Seine Stellung unterscheidet sich von der des freien Ding- und Heergenossen dadurch, daß er für politische Zwecke steuer- und dienstpflichtig ist. Von der des patrimonialen leibherrlichen Hintersassen unterscheidet sie sich zunächst durch die wenigstens im Prinzip bestehende Freizügigkeit, die er mit dem freien, also nur grundherrlich, nicht leibherrlich abhängigen Hintersassen teilt. Ferner dadurch, daß seine Dienste und Steuern im Prinzip traditionelle, also fest bemessene sind, ebenfalls wie beim Grundholden. Von beiden aber dadurch, daß er über seinen Besitz, und zwar im Gegensatz zum freien Grundholden einschließlich seines Grundbesitzes, soweit frei verfügen kann, als die geltende Ordnung dies überhaupt zuläßt, und daß er ihn nach allgemeiner Regel vererben, sich ohne Konsens des Herrn verheiraten kann und nicht vor dem grundherrlichen oder HausBeamten,[590] sondern vor einem der verschiedenen Gerichte Recht nimmt, soweit er nicht zur Selbsthilfe durch Fehde greift, wozu er, solange kein allgemeiner Landfriede die Fehde verbietet, als berechtigt gilt. Denn im Prinzip steht ihm das eigene Waffenrecht zu. Und damit auch die eigene Waffenpflicht. Diese aber wird hier zu einer Aufgebotspflicht gegenüber dem Fürsten. Trotz der überwiegenden Bedeutung anfangs der Lehens- und später der Soldheere schärfen die englischen Könige den politischen Untertanen die Pflicht des eigenen Waffenbesitzes und der Selbstequipierung, abgestuft nach dem Vermögen, ein. Und bei den aufrührerischen deutschen Bauern des 16. Jahrhunderts spielte der überkommene eigene Waffenbesitz noch eine Rolle. Nur stand diese »Miliz« der bloß politischen Untertanen prinzipiell lediglich zu traditionellen Zwecken, als Landwehr also, zu Gebote, nicht aber zu beliebigen Fehden des Patrimonialfürsten. Auch das Berufs- oder Patrimonialheer des Fürsten konnte, obwohl der Form nach Soldheer, dennoch der Sache nach, wenn es tatsächlich aus den Untertanen rekrutiert war, dem Charakter eines Milizaufgebotes, und andererseits konnte die Untertanenmiliz gelegentlich dem Berufsheer nahekommen. Die Schlachten im hundertjährigen Krieg sind neben den Rittern sehr stark durch die englische freibäuerliche Yeomanry mit geschlagen worden, und sehr viele Heere von Patrimonialfürsten nahmen eine Mittelstellung zwischen Patrimonialheer und Aufgeboten ein. Je mehr aber solche Streitkräfte Aufgebote und je weniger sie spezifisch patrimoniale Eigenheere des Fürsten waren, desto fester war der Fürst in der Art ihrer Verwendung beschränkt und vor allem, indirekt, in seiner politischen Macht gegenüber den Untertanen an die Tradition gebunden, zu deren Verletzung ein Aufgebotsheer ihm nicht unter allen Umständen Beihilfe geleistet hätte. Es war daher geschichtlich nicht gleichgültig, daß die englische militia etwas anderes war als ein patrimoniales Heer des Königs, daß sie vielmehr auf dem Waffenrecht des freien Mannes ruhte. Die militia ist zum guten Teil militärische Trägerin der großen Revolution gegen die traditionsverletzenden Steueransprüche der Stuarts gewesen, und um die Herrschaft über die militia drehten sich zuletzt, in diesem Punkt unausgleichbar, die Verhandlungen Karls I. mit dem siegreichen Parlament.

Die durch politische Herrschaft bedingte Steuer-und Fronpflicht der Untertanen war im Gegensatz zur grund- und leibherrlichen nicht nur quantitativ regelmäßig durch Tradition eindeutiger und fester begrenzt, sondern sie wurde auch juristisch davon geschieden. In England z.B. lastete die »trinoda necessitas«: 1. Festungs-, 2. Wege- und Brückenbau, 3. Heereslast auf dem Besitze der Freien als solchen im Gegensatz zu den Hintersassen. In Süd- und Westdeutschland wurde die gerichtsherrliche Fron noch im 18. Jahrhundert von den aus der Leibherrschaft folgenden Pflichtigkeiten gesondert und war dort, nach Verwandlung der Leibherrschaft in einen Rentenanspruch, die einzige überhaupt noch bestehende persönliche Fronpflicht. Die Traditionsgebundenheit der Lasten des freien Mannes aber gilt überall. Die traditionswidrig, kraft besonderer Verfügung, der sich die Untertanen mit oder ohne besonderes Uebereinkommen mit dem Herrn gefügt hatten, von ihm erhobenen Steuern behielten oft in ihrem Namen (Ungeld oder Malatolta) das Kennzeichen ihrer ursprünglich abnormen Herkunft. Aber freilich liegt es an sich in der Tendenz der Patrimonialherrschaft, die extrapatrimonialen politischen Untertanen ebenso schrankenlos der Herrengewalt zu unterwerfen, wie die patrimonialen und alle Herrschaftsbeziehungen als einen persönlichen, der Hausgewalt und dem Hausbesitz entsprechenden Besitz des Herrn zu behandeln. Es war im ganzen eine Frage der Machtlage, neben der eigenen Militärmacht vor allem auch, wie später zu erwähnen sein wird, der Art und Macht bestimmter religiöser Einflüsse, wie weit dies gelang. Einen Grenzfall in dieser Hinsicht stellte das neue Reich in Aegypten und auch noch das Ptolemäerreich dar, wo der Unterschied von Königskolonen und freien Bodenbesitzern, Königsdämonen und anderem Lande praktisch so gut wie verschwunden war.

[591] Die Art nun, wie der Patrimonialfürst die Untertanenleistungen sich sichert, zeigt neben Zügen, die denen in anderen Formen der Herrschaft verwandt sind, auch Besonderheiten. Namentlich ist zwar dem Patrimonialfürstentum nicht ausschließlich eigen, wohl aber bei ihm am höchsten entwickelt, die leiturgische Deckung des politischen und ökonomischen Herrenbedarfs. Form und Wirkung können verschieden sein. Hier interessieren uns diejenigen Vergesellschaftungen der Untertanen, welche aus dieser Quelle entstehen. Immer bedeutet für den Herrn die leiturgi sche Organisation der Bedarfsdeckung eine Sicherung der ihm geschuldeten Pflichtigkeiten durch die Schaffung von dafür haftbaren heteronomen und oft heterokephalen Verbänden. Wie die Sippe für die Schuld der Sippengenossen, so haften nun diese Verbände dem Fürsten für die Pflichtigkeiten aller Einzelnen. Tatsächlich waren z.B. bei den Angelsachsen die Sippen die ältesten Verbände, an welche der Herr sich hielt. Sie schuldeten ihm die Garantie der Obödienz ihrer Glieder. Daneben trat die solidarische Haftung der Dorfgenossen für die politischen und ökonomischen Pflichtigkeiten der Dorfinsassen. Wir sahen früher, wie daraus die erbliche Bindung der Bauern an das Dorf als Konsequenz folgen und wie das Recht des Einzelnen auf Teilnahme am Bodenbesitz dadurch eine Pflicht zur Teilnahme an der Herauswirtschaftung des Bodenertrags und damit im Interesse auch der dem Herrn geschuldeten Abgaben werden konnte.

Die radikalste Form leiturgischer Sicherungen ist nun die Uebertragung dieser Art von erblicher Gebundenheit des Bauern an seine Funktionen auf andere Berufsverbände: Haftbarmachung also der zu diesem Zweck vom Herrn geschaffenen oder als zu Recht bestehend anerkannten und obligatorisch durchgeführten Zünfte, Gilden und anderer Berufseinungen für spezifische Fronden oder Abgaben ihrer Angehörigen. Als Entgelt dafür und vor allen Dingen im eigenen Inte resse der Erhaltung der Prästationsfähigkeit pflegt der Herr die betreffenden gewerblichen Betriebe für die Mitglieder dieser Verbände zu monopolisieren und den Einzelnen und seinen Erben mit seiner Person und seinem Besitz an die Mitgliedschaft zu binden. Die dergestalt garantierten Pflichtigkeiten können sowohl Leistungen sein, welche im Bereich des betreffenden spezifischen Gewerbes liegen: z.B. Beschaffung und Reparatur von Kriegsmaterial, als auch andere, z.B. gewöhnliche militärische oder steuerliche Leistungen. Man hat gelegentlich angenommen, daß auch die indischen Kasten wenigstens teilweise leiturgischen Ursprungs seien, doch spricht vorerst kein hinlänglich großes Material dafür. Ebenso ist es sehr zweifelhaft, wie weit die Heranziehung der frühmittelalterlichen Zünfte zu militärischen und anderen politischen oder spezifischen Leistungen und ihre Konstituierung als Offiziat ein wirklich wesentlicher Faktor bei der sehr universellen Verbreitung des Zunftwesens gewesen sei. Im ersten Fall sind jedenfalls magisch-religiöse und ständische neben rassenmäßigen Unterschieden, im letzteren freie Einungen das Primäre gewesen. Dagegen ist im übrigen der leiturgische Zwangsverband eine sehr allgemein verbreitete Erscheinung gewesen. Zwar keineswegs nur in Patrimonialherrschaften, aber allerdings gerade in ihnen häufig mit der rücksichtslosesten Konsequenz durchgeführt. Denn ihnen liegt die Auffassung des Untertanen als eines für den Herrn und die Deckung seines Bedarfs existierenden Wesens besonders nahe, daher auch die Auffassung, daß die Bedeutung seiner ökonomischen Berufstätigkeit für die Fähigkeit entsprechender leiturgischer Dienste an den Herrn die Ratio seiner Existenz sei. Besonders im Orient: in Aegypten und teilweise im Hellenismus, dann wieder im spätrömischen und byzantinischen Reich war demgemäß die leiturgische Bedarfsdeckung vorherrschend. Minder konsequente Durchführungen finden sich aber auch im Okzident und haben z.B. in der englischen Verwaltungsgeschichte eine erhebliche Rolle gespielt. Die leiturgische Bindung pflegt hier keine erhebliche Fesselung der Person, sondern wesentlich eine solche des Besitzes, speziell des Grundbesitzes zu sein. Gemeinsam mit den orientalischen Leiturgien aber ist ihr das Bestehen eines garantierenden Zwangsverbandes mit solidarischer Haftung für die Pflichtigkeiten aller[592] Einzelnen einerseits und die mindestens faktische Verknüpfung mit einer Monopollage andererseits. Dahin gehört zunächst das Institut der Friedensbürgschaft (in England »frank-pledge«): der zwangsweisen kollektiven Bürgschaft der Nachbarn für das polizeiliche und politische Wohlverhalten jedes einzelnen von ihnen. Sie findet sich in Ostasien (China und Japan) ebenso wie in England. Zum Zwecke der polizeilichen Friedensgarantie waren die Nachbarn in Japan in Fünferverbände, in China in Zehnerverbände gegliedert und registriert und wurden solidarisch für einander haftbar gemacht. Ansätze zu einer entsprechenden Organisation waren in England schon in vornormannischer Zeit vorhanden. Die normannische Verwaltung aber arbeitete umfassend mit dem Mittel der Bildung solcher Zwangsverbände. Das Erscheinen des Verklagten vor Gericht, die Auskunfterteilung der Nachbarn über kriminelle Schuld und Unschuld, aus der sich die Jury entwickelt hat, das Erscheinen als Urteilsfinder im Gericht und die Urteilsfällung selbst, die Milizgestellung, die militärische trinoda necessitas und später die verschiedensten anderen öffentlichen Lasten wurden unter solidarischer Strafhaftung der Beteiligten Zwangsverbänden auferlegt, die wenigstens zum Teil eigens zu diesem Zweck gebildet wurden, und innerhalb deren vornehmlich der Grundbesitz für die auferlegte Verpflichtung haftbar gemacht wurde. Die Verbände strafte der König sowohl pro falso iudicio als wegen sonstiger Verstöße gegen die unter ihre Kollektivhaftung gestellten öffentlichen Pflichten. Sie ihrerseits wieder hielten sich an Person und Besitz ihrer Mitglieder, und die politischen Lasten wurden so ganz regelmäßig als mit dem greifbarsten Besitz, dem Grund und Boden, der Einzelnen verknüpft gedacht. Von dieser Funktion aus sind die leiturgischen Zwangsverbände später die Quelle der englischen Kommunalverbände und damit des selfgovernment geworden, hauptsächlich auf dem doppelten Wege, daß 1. die Subrepartition der vom Herrn geforderten Pflichtigkeiten ihre innere, autonom geordnete Angelegenheit wurde, und daß 2. gewisse ihnen obliegende, aber nur von besitzenden Mitgliedern zu erfüllende und daher auf diese abgewälzte Pflichten wegen des Einflusses, den sie gewährten, zu ständischen Rechten der betreffenden Schichten wurden, welche sie nun für sich monopolisierten. So das Friedensrichteramt. Im übrigen aber hatte jede politische Verpflichtung innerhalb patrimonialer Verwaltung die naturgemäße Tendenz, zu einer auf konkreten Vermögensobjekten, vor allem Grundstücken, daneben etwa Werkstätten und Verkaufsstellen, lastenden festen Leistungspflicht zu werden, die sich von der Person des Pflichtigen ganz loslöste. Dies mußte überall da geschehen, wo die leiturgische Kollektivpflicht nicht auch die Person als solche erblich band, sofern die von ihr belasteten Objekte veräußerlich blieben oder wurden. Denn der Herr hatte dann im allgemeinen keine Wahl, als sich für die Erfüllung seiner Forderungen an das zu halten, was dauernd sichtbar und für ihn greifbar blieb: an die »visible profitable property«, wie es in England hieß, und das waren eben wesentlich Grundstücke. Es hätte einen sehr bedeutenden Zwangsapparat des Herrn erfordert, um auch der pflichtigen Personen jeweils direkt habhaft zu werden, und eben darauf beruhte das System der Zwangsverbände, welches diese Aufgabe ihnen zuschob. Aber auch für sie bestanden, wenn kein Zwangsapparat des Herrn ihnen zur Seite stand, die gleichen Schwierigkeiten. – Eine leiturgische Bedarfsdeckung konnte also im Effekt in sehr verschiedene Gestaltungen ausmünden: im einen Grenzfall in eine dem Herrn gegenüber weitgehend selbständige lokale Honoratiorenverwaltung, verbunden mit einem System von traditionell der Höhe und Art nach gebundenen und je auf spezifischen Vermögensobjekten haftenden spezifischen Lasten. Im anderen Grenzfall in eine universelle persönliche Patrimonialhörigkeit der Untertanen, welche den Einzelnen an die Scholle, den Beruf, die Zunft, den Zwangsverband erblich band, und die Untertanen dabei, innerhalb höchst labiler Schranken, welche letztlich nur durch die Rücksicht auf deren dauernde Prästationsfähigkeit sich bestimmten, ganz willkürlichen Forderungen des Herrn aussetzte. Je entwickelter technisch die eigene patrimoniale Machtstellung des Herrn und vor allem seine[593] patrimoniale Militärmacht war, deren er gegebenenfalls auch gegen die politischen Untertanen sicher sein konnte, desto mehr konnte der zweite Typus: das universelle Untertanenverhältnis, durchgesetzt werden. Die Mehrzahl der Fälle lag naturgemäß in der Mitte zwischen beiden. Von der Bedeutung und Art der Militärmacht des Herrn, seines Patrimonialheeres also, war schon die Rede. Neben dem Heer aber waren Art und Grad der Entwicklung des amtlichen Zwangsapparats, über den er verfügte, von Bedeutung für Art und Maß der Inanspruchnahme der Untertanen, welche er technisch durchsetzen konnte. Und stets war es weder möglich, noch, wenn der Herr ein Optimum von persönlicher Machtstellung erstrebte, für ihn zweckmäßig, alle Dienste, deren er benötigte, die Form von durch Kollektivhaftung gesicherten Leiturgien annehmen zu lassen. Er bedurfte unter allen Umständen eines Beamtentums.

Schon die großen Domänengebilde, die des Fürsten, die also im einfachsten Fall einen Herrenhofhalt mit einem Komplex von grundherrlich abhängigen Besitzungen und diesen Besitzungen dauernd zugehörigen Grundholdenhaushalten umfassen, erfordern eine organisierte »Verwaltung« und also, je größer ihr Umkreis wird, desto mehr: zweckmäßige Funktionsteilung. Erst recht die angegliederte politische Verwaltung. Es entstehen dadurch die patrimonialen Aemter. Die Kronämter, welche aus der Haushaltsverwaltung stammten, finden sich in irgendwie ähnlicher Art durch die ganze Welt wieder: neben dem Hauspriester und eventuell Leibarzt vor allem die Leiter der ökonomischen Verwaltungszweige: Aufseher über Speisevorräte und Küche (Truchseß), über den Keller (Kellermeister und Mundschenk), über die Stallungen (Marschall, Connetable = comes stabuli), über das Gesinde und die Vasallen (Hausmeier), über die Frondienstpflichtigen (Fronvogt), über die Kleidungs- und Rüstungsvorräte (Intendant), über Schatzkammer und Einkünfte (Kämmerer), über den prompten Gang der Hofhaltsverwaltung als ganzes (Seneschall) und welche Funktionen sonst die Bedürfnisse der Verwaltung des Hauses herausdifferenzieren mögen, wie dies in groteskem Grade noch in diesem Jahrhundert der Hofhalt der alten Türkei zeigte. Alles was über die direkt hauswirtschaftlichen Geschäfte hinausgeht, wurde zunächst demjenigen dieser Hausverwaltungszweige angegliedert, dem es dem Objekt nach am nächsten lag. So etwa die Führung des Reiterheeres dem Stallaufseher (Marschall). Allen Beamten liegt neben der eigentlichen Verwaltung persönliche Bedienung und Repräsentation ob, und es fehlt, im Gegensatz zur bürokratischen Verwaltung, die berufsmäßige Fachspezialisierung. Wie die bürokratischen Beamten, so pflegen die Patrimonialbeamten gegenüber den Beherrschten ständisch differenziert zu werden. Die »sordida munera« und »opera servilia« der grund-oder leibherrlich Beherrschten werden überall, in der Spätantike ebenso wie im Mittelalter, von jenen höheren, höfischen, administrativen amtlichen Diensten und Leiturgien geschieden, welche den »Ministerialen« zufallen und, wenigstens im Dienste großer Herren, späterhin als auch eines freien Mannes nicht unwürdig gelten.

Der Herr rekrutiert seine Beamten zwar zunächst und in erster Linie aus den ihm persönlich kraft leibherrlicher Gewalt Unterworfenen, Sklaven und Hörigen. Denn ihres Gehorsams ist er unbedingt sicher. Aber eine politische Verwaltung ist nur sehr selten mit ihnen allein ausgekommen. Nicht nur die Mißstimmung der Untertanen, unfreie Leute an Macht und Rang über alle anderen emporsteigen zu sehen, sondern auch der direkte Bedarf und die Anknüpfung an die vorpatrimonialen Formen der Verwaltung nötigte die politischen Herren fast durchweg, ihr Beamtentum auch extrapatrimonial zu rekrutieren. Und andererseits bot der Herrendienst freien Leuten so erhebliche Vorteile, daß die anfangs unvermeidliche Ergebung in die persönliche Herrengewalt in den Kauf genommen wurde. Denn allerdings: wo immer möglich, hielt der Herr darauf, daß der Beamte extrapatrimonialer Provenienz in die gleiche persönliche Abhängigkeit von ihm sich begab, wie die aus Unfreien rekrutierten Beamten. Das ganze Mittelalter hindurch mußte in politischen Gebilden von spezifisch[594] patrimonialer Struktur der Beamte »familiaris« des Fürsten werden (so z.B. auch, wie der beste Sachkenner mir bestätigte, im anjouvischen Patrimonialstaat in Süditalien). Der freie Mann, der in Deutschland Ministeriale wird, trägt seinen Grundbesitz dem Herrn auf und empfängt ihn, entsprechend vermehrt, als Dienstland wieder zurück. Wenn bei der ausgedehnten Erörterung über die Herkunft der Ministerialen ihr unfreier historischer Ursprung heute nicht mehr zweifelhaft erscheint, so ist auf der andern Seite auch sicher, daß das spezifische Gepräge dieser Schicht als eines »Standes« gerade durch jenen massenhaften Eintritt freier, ritterlich lebender Leute geschaffen wurde. Ueberall im Okzident, besonders früh in England, sind die Ministerialen in der Schicht des »Rittertums« als ebenbürtiger Bestandteil aufgegangen. Das bedeutete praktisch eine weitgehende Stereotypierung ihrer Stellung und also eine feste Begrenzung der Ansprüche des Herrn, denn es verstand sich darnach von selbst, daß er von ihnen nur die ständisch-konventionellen ritterlichen Dienste, keine anderen, verlangen konnte und daß überhaupt sein Verkehr mit ihnen sich in den Formen der ritterlichen Standeskonvention zu bewegen hatte.

Die Stellung der Ministerialen stereotypierte sich weiter, wenn der Herr »Dienstordnungen« erließ und so ein »Dienstrecht« schuf, welches sie ihm gegenüber als Rechtsgenossen zusammenschloß, wie dies die Dienstrechte des Mittelalters taten. Dann monopo lisierten die Genossen die Aemter, setzten feste Grundsätze und insbesondere das Erfordernis ihrer Zustimmung für die Aufnahme Fremder in den Verband der Ministerialen durch, fixierten die Dienste und Gebührnisse und bildeten in jeder Hinsicht einen ständisch abgeschlossenen Verband, mit dem der Herr paktieren mußte. Der Herr kann nun den Ministerialen seines Dienstlehens nicht mehr entsetzen, ohne daß ein Urteil, und das heißt im Okzident: ein Urteil eines aus Dienstmannen zusammengesetzten Gerichts, ihn des Verlusts schuldig erkennt. Und der Gipfel der Macht der Beamten wird schließlich erstiegen, wenn sie oder ein Teil von ihnen, etwa die Großbeamten am Hofe, den Anspruch erhoben, der Herr solle seine leitenden Großbeamten nur nach Vorschlag oder maßgeblichem Gutachten der anderen wählen. Versuche, diese Forderung durchzusetzen, sind gelegentlich aufgetaucht. Allerdings sind in fast allen denjenigen Fällen, wo dem Herrn wirklich mit Erfolg ein maßgebliches Gutachten seiner Berater über die Wahl seiner höchsten Beamten aufgedrängt wurde, diese Berater nicht Beamte (und speziell nicht Ministerialen), sondern es ist der versammelte »Rat« seiner großen Lehensträger oder der Honoratioren des Landes, speziell ständischer Vertreter. Wenn aber die klassischchinesische Tradition den Idealkaiser seinen ersten Minister nach Befragung der am Hof anwesenden Großen, wer der Tüchtigste sei, berufen läßt, so ist es immerhin fraglich, ob dabei eigenständige Honoratioren und Vasallen oder doch Beamte gemeint sind; die Barone Englands, welche im Mittelalter wiederholt die gleiche Forderung erhoben, waren dagegen nur zum kleinen Teil Beamte und erhoben sie nicht in dieser ihrer Qualität.

Solchen ständischen Monopolen auf die Aemter und Stereotypierungen der Amtsleistungen sucht der Herr überall, wo er kann, durch Berufung entweder von ihm leibherrlich Abhängiger oder umgekehrt gänzlich Landfremder, deren ganze Existenz nur auf der Beziehung zum Herrn ruht, zu entgehen. Je mehr Aemter und Amtspflichten stereotypiert sind, desto näher liegt der Versuch, sich bei der Entstehung zugleich neuer Amtsaufgaben und der Kreierung von Aemtern für sie von jenen Monopolen zu emanzipieren, und tatsächlich ist auch speziell bei solchen Gelegenheiten der Versuch gemacht und unter Umständen durchgeführt worden. Allein naturgemäß stößt der Herr dabei stets auf den entrüsteten Widerstand der einheimischen Amtsanwärter und unter Umständen auch der Untertanen. Soweit es sich dabei um einen Kampf der lokalen Honoratioren um das Monopol der Lokalämter handelt, ist davon später zu sprechen55. Aber überall, wo der Herr typische[595] und einträgliche Aemter schafft, stößt er auf Versuche, sie für eine bestimmte Schicht zu monopolisieren, und es ist Machtfrage, wieweit er diesen wuchtigen Interessen sich zu entziehen vermag.

Die monopolistische Rechtsgenossenschaft der Dienstleute und dadurch auch die genossenschaftliche Verbindung des Herrn mit seinen Dienstmannen war zwar vornehmlich dem okzidentalen Recht bekannt. Aber Spuren davon finden sich auch anderwärts. Auch in Japan galt (nach Rathgen) der »Han« (= »Zaun«), die Gemeinschaft des Daimyô mit seinen freien Antrustionen oder Ministerialen (Samurai), als der Inhaber der dem Herrn zustehenden nutzbaren Herrenrechte. Aber allerdings ist – aus früher erörterten Gründen – die Durchbildung des Genossenrechts nirgends so konsequent wie im Okzident vollzogen worden.

Die Stereotypierung und monopolistische Appropriation der Amtsgewalten durch die Inhaber als Rechtsgenossen schafft den »ständischen« Typus des Patrimonialismus.

Das Monopol der Ministerialen auf die Hofämter ist ein Beispiel auf dem Gebiet der Hofdienstpräbenden; dem [Gebiet] der politischen Aemter gehört das Monopol der englischen Anwälte (»bar«) auf die Richterstellen (»bench«) an. Im Kirchendienst endlich sind die Monopole der Ulemâs auf die Qâḍî-, Muftî-und Imâm-Stellen und die zahlreichen Monopole ähnlicher Graduierter im Okzident auf die geistlichen Pfründen erwachsen. Aber während im Okzident die Stereotypierung der Amtsstellungen der Ministerialen zugleich ein ziemlich festes ständisches Genossenrecht des Einzelnen in dem speziell ihm verliehenen Amt mit sich führte, war dies im Orient im ganzen weit weniger der Fall. Hier wurde zwar die Aemterverfassung in starkem Maße stereotypiert, dagegen blieb die Person des Amtsinhabers in sehr weitem Grade frei amovibel, – wie wir sehen werden, eine Folge des Fehlens bestimmter ständischer Voraussetzungen der okzidentalen Entwicklung und der teils politisch, teils ökonomisch bedingten, andersartigen militärischen Machtstellung des orientalischen Herrschers.

Das patrimoniale Beamtentum kann mit fortschreitender Funktionsteilung und Rationalisierung, namentlich mit dem Anwachsen des Schreibwerks und der Herstellung eines geordneten Instanzenzuges, bürokratische Züge annehmen. Aber seinem soziologischen Wesen nach ist das genuin patrimoniale Amt von dem bürokratischen um so verschiedener, je reiner der Typus jedes von beiden ausgeprägt ist.

Dem patrimonialen Amt fehlt vor allem die bürokratische Scheidung von »privater« und »amtlicher« Sphäre. Denn auch die politische Verwaltung wird als eine rein persönliche Angelegenheit des Herrn, der Besitz und die Ausübung seiner politischen Macht als ein durch Abgaben und Sporteln nutzbarer Bestandteil seines persönlichen Vermögens behandelt. Wie er die Macht ausübt, ist daher durchaus Gegenstand seiner freien Willkür, soweit nicht die überall eingreifende Heiligkeit der Tradition ihr mehr oder minder feste oder elastische Schranken zieht. Soweit es sich nicht um traditionell stereotypierte Funktionen handelt, also namentlich in allen eigentlich politischen Angelegenheiten, entscheidet sein rein persönliches jeweiliges Belieben auch über die Abgrenzung der »Kompetenzen« seiner Beamten. Diese – wenn man den spezifisch bürokratischen Begriff überhaupt hier zuläßt – sind zunächst völlig flüssig. Selbstverständlich enthält das Amt irgend einen inhaltlichen Zweck und Auftrag. Aber sehr häufig in ganz unbestimmter Begrenzung zu anderen Beamten. Dies ist allerdings bei den meisten Trägern von Herrenrechten ursprünglich überhaupt so, nicht nur bei den patrimonialen Beamten. Nur konkurrierende Herrenrechte schaffen zunächst stereotypische Abgrenzungen und damit etwas der »festen Kompetenz« ähnliches. Dies ist aber bei den patrimonialen Beamten Folge der Behandlung des Amts als persönlichen Rechts des Beamten, nicht, wie im bürokratischen Staat, Folge sachlicher Interessen: der Fachspezialisierung und daneben des Strebens nach Rechtsgarantien für die Beherrschten. Es sind daher vor allem konkurrierende ökonomische Interessen der verschiedenen[596] Beamten, welche diese »kompetenz«-artige feste Begrenzung der Amtsgewalten schaffen. Soweit nicht heilige Tradition bestimmte Amtshandlungen des Herrn oder der Diener verlangt, sind diese Produkte freien Beliebens, und Herr und Beamter lassen sich daher jeden Fall ihres Tätigwerdens bezahlen. Entweder von Fall zu Fall oder nach typischen Taxen. Die Verteilung dieser Sportelquellen ist alsdann ein treibendes Motiv für die allmählich fortschreitende Abgrenzung der Amtsbefugnisse, wie sie dem Patrimonialstaat für politische Zwecke ursprünglich fast ganz fehlte. Um ihrer Sportelinteressen willen erzwangen die englischen Anwälte die Rekrutierung der Richter ausschließlich aus ihrer Mitte, und ihre eigene Rekrutierung ausschließlich aus ihren von ihnen selbst vorgebildeten Lehrlingen, und schlossen dadurch im Gegensatz zu anderen Ländern die im römischen Recht von den Universitäten Graduierten, mithin die Rezeption dieses Rechts selbst aus. Um Sportelinteressen kämpften die weltlichen Gerichtshöfe mit den kirchlichen, die Common Law-Gerichte mit den Kanzleigerichten, die drei großen Gerichtshöfe (Exchequer, Common Pleas, Kings Bench) untereinander und mit allen lokalgerichtlichen Gewalten. Meist nicht in erster Linie, nie ausschließlich rationale sachliche Erwägungen, sondern Kompromisse von Sportel-Interessen entschieden über die Zuständigkeit, die sehr oft für die gleiche Sache eine konkurrierende war, in welchem Fall dann die Gerichte durch allerhand Lockungsmittel, besonders bequeme Prozeßfiktionen, billigere Tarife usw. miteinander um die Gunst des rechtsuchenden Publikums konkurrierten.

Allein dies ist schon ein Zustand sehr weit vorgeschrittener Perennität und Stereotypierung der Aemter, wie er selbst bei großen und dauernden politischen Bildungen erst allmählich erreicht wurde. Der Anfang ist durchaus der Zustand des »Gelegenheits«-Beamten, der durch den konkreten sachlichen Zweck umschriebenen Vollmacht und der Auslese nach persönlichem Vertrauen, nicht nach sachlicher Qualifikation. Wo die Verwaltung großer politischer Gebilde patrimonial organisiert ist, da führt uns, wie in charakteristischer Art z.B. in Assyrien noch in der Periode höchster Expansion, jeder Versuch einer Ermittlung von »Kompetenzen« ins Bodenlose einer Flut von Amtstiteln mit fast ganz willkürlich wechselndem Sinn. Denn bei der Angliederung der politischen an die rein ökonomischen Geschäfte des Herrn erscheinen die ersteren sozusagen als Außenschläge, die nur je nach Bedarf und Gelegenheit ausgenutzt werden: die politische Verwaltung ist zunächst »Gelegenheitsverwaltung«, mit deren Erledigung der Herr jeweils denjenigen Mann – meist einen Hofbeamten oder Tischgenossen – betraut, der ihm im konkreten Fall der persönlich qualifizierte [zu sein] scheint und vor allem: der persönlich nächststehende ist. Denn ganz persönliches Belieben und persönliche Gunst oder Ungnade des Herrn sind nicht nur der Tatsache nach – was natürlich überall vorkommt –, sondern dem Prinzip nach der letzte Maßstab für alles. Auch für das Verhältnis der Beherrschten zu den Beamten. Diese letzteren »dürfen«, was sie gegenüber der Macht der Tradition und den Interessen des Herrn an der Erhaltung der Fügsamkeit und Leistungsfähigkeit der Untertanen »können«. Es fehlen die festen bindenden Normen und Reglements der bürokratischen Verwaltung. Nicht nur für jede ungewohnte oder sachlich erhebliche Aufgabe wird von Fall zu Fall verfügt, sondern ebenso im ganzen, nicht durch feste Rechte von Einzelpersonen beschränkten, Bereich der Herrenmacht. Deren gesamte Ausübung durch die Beamten bewegt sich so auf zwei oft unvermittelt nebeneinander liegenden Gebieten: demjenigen, wo sie durch bindende und geheiligte Tradition oder feste Rechte Einzelner in gebundener Marschroute verläuft, und demjenigen der freien persönlichen Willkür des Herrn. Der Beamte kommt dadurch unter Umständen in Konflikte. Ein Verstoß gegen die alten Bräuche kann ein Frevel gegen vielleicht gefährliche Mächte sein, ein Ungehorsam gegen Befehle des Herrn ist ein frevelhafter Bruch seiner Banngewalt, welcher den Frevler, nach englischer Terminologie, der »misericordia« des Herrn: seinem arbiträren Bußrecht, anheimfallen läßt. Tradition und Herrenbann liegen überall in unschlichtbarem Grenzstreit. Auch wo schon längst typische politische Amtsgewalten mit festen Amtssprengeln[597] bestehen – wie z.B. für den englischen Sheriff der Normannenzeit –, suspendiert, eximiert, korrigiert der Herr im Prinzip nach freier Willkür.

Die gesamte Stellung des patrimonialen Beamten ist also, im Gegensatz zur Bürokratie, Ausfluß seines rein persönlichen Unterwerfungsverhältnisses unter den Herrn, und seine Stellung zu den Untertanen nur dessen nach außen gewendete Seite. Auch wo der politische Beamte persönlich kein Hofhöriger ist, beansprucht der Herr schrankenlosen Amtsgehorsam. Denn die Amtstreue des patrimonialen Beamten ist nicht sachliche Diensttreue gegenüber sachlichen Aufgaben, welche deren Ausmaß und Inhalt durch Regeln begrenzen, sondern sie ist Dienertreue, streng persönlich auf den Herrn bezogen und Bestandteil seiner prinzipiell universellen Pietäts- und Treuepflicht. In den Germanenreichen bedroht der König auch freie Beamte im Fall des Ungehorsams mit Ungnade, Blendung, Tod. Weil und insofern der Beamte persönlich der Gewalt des Herrn unterworfen ist, nimmt er Anderen gegenüber Teil an dessen Würde. Nur der Königsbeamte, einerlei welchen Standes, hat in den Germanenreichen erhöhtes Wehrgeld, nicht der freie Volksrichter, und der hofhörige Beamte steigt, obwohl ein Unfreier, überall leicht über die freien Untertanen. Alle, nach unseren Begriffen ein »Reglement« darstellenden Dienstordnungen bilden also, wie alle öffentliche Ordnung eines patrimonial regierten Staates überhaupt, letztlich ein System rein subjektiver, auf die Verleihung und Gnade des Herrn zurückgehender Rechte und Privilegien von Personen. Es fehlt die objektive Ordnung und die auf unpersönliche Zwecke ausgerichtete Sachlichkeit des bürokratischen Staatslebens. Das Amt und die Ausübung der öffentlichen Gewalt geschieht für die Person des Herrn einerseits und des mit dem Amt begnadeten Beamten andererseits, nicht im Dienst »sachlicher« Aufgaben. –

Die Patrimonialbeamten finden ihre typische materielle Versorgung ursprünglich, wie jeder Hausgenosse, am Herrentisch und aus der Herrenkammer. Die Tischgemeinschaft, als urwüchsiger Bestandteil der häuslichen Gemeinschaft, hat von da aus eine weitreichende symbolische Bedeutung erlangt und weit über den Umfang ihres autochthonen Gebietes hinausgegriffen, was uns hier nicht weiter interessiert. Die Patrimonialbeamten jedenfalls, speziell ihre höchsten Chargen, haben überall sehr lange Zeit das Recht auf Speisung an der Tafel des Herrn in Fällen ihrer Anwesenheit bei Hofe bewahrt, auch wenn längst die Herrentafel aufgehört hatte, für ihren Unterhalt die entscheidende Rolle zu spielen.

Jedes Ausscheiden der Beamten aus dieser intimen Gemeinschaft bedeutet naturgemäß eine Lockerung der unmittelbaren Herrengewalt. Der Herr konnte zwar den Beamten in seinem ökonomischen Entgelt völlig auf Gnade und Willkür, also ganz prekär, stellen. Aber bei einem größeren Beamtenapparat war dies nicht durchführbar und, einmal maßgebend gewordene Reglements darüber zu verletzen, ist gefährlich. Aus der Versorgung im Haushalt entwickelte sich daher naturgemäß sehr früh für die Patrimonialbeamten mit eigenem Hausstand die Ausstattung mit einer »Pfründe« oder einem »Lehen«. Wir bleiben zunächst bei der Pfründe. Dies wichtige Institut, welches in aller Regel zugleich die Einräumung eines festen »Rechts auf das Amt«, eine Appropriation also, bedeutet, hat die mannigfachsten Schicksale erfahren. Sie war zunächst – so in Aegypten, Assyrien, China – ein auf die Kammer- und Speichervorräte des Herrn (Königs oder Gottes) angewiesenes, in aller Regel lebenslängliches Naturaldeputat. Durch die Auflösung des gemeinsamen Tisches der Tempelpriester im alten Orient z.B. entstanden Naturaliendeputate, angewiesen auf die Speicher des Tempels. Diese Deputate wurden später veräußerlich und auch in Bruchteilen (z.B. Deputatsansprüche für einzelne Tage jedes Monats) Gegenstand des Verkehrs, also eine Art von naturalwirtschaftlichem Vorläufer der modernen Staatsschuldrenten. Wir wollen diese Art von Pfründen Deputatpfründen nennen. Die zweite Art der Pfründe ist die Sportelpfründe: die Anweisung auf bestimmte Sporteln, welche der Herr oder sein Vertreter für Amtshandlungen zu erwarten hat. Sie schichtet den Beamten von dem Haushalt[598] des Herrn noch weiter ab, weil sie auf Einnahmen ruht, die noch mehr extrapatrimonialen Ursprungs sind. Diese Art von Pfründen sind schon in der Antike Gegenstand rein geschäftlicher Verwertung gewesen. Ein sehr großer Bruchteil derjenigen Priestertümer z.B., welche den Charakter eines »Amts« besaßen (und nicht freie Berufe oder umgekehrt Erbbesitz von Geschlechtern waren), wurden in der antiken Polis im Wege der Versteigerung besetzt. Wieweit ein faktischer Pfründenhandel in Aegypten und im antiken Orient sich entwickelt hat, ist unbekannt. Bei der herrschenden Auffassung des Amts als »Nahrung« lag aber auch dort die Entwicklung an sich nahe. Die Pfründe konnte schließlich – dann stand sie dem »Lehen« am nächsten – auch als Landpfründenzuweisung von Amts- oder Dienstland zur eigenen Nutzung bestehen, und dies bedeutete ebenfalls eine sehr fühlbare Verschiebung der Lage des Pfründners in der Richtung der Selbständigkeit gegenüber dem Herrn. Keineswegs haben die Beamten und »Degen« des Herrn die Abschichtung von der Tischgemeinschaft, welche ihnen eigene Wirtschaft und eigenes ökonomisches Risiko aufbürdete, durchweg gern gesehen. Aber überwiegend drängte der Wunsch nach Begründung von Familien und nach Selbständigkeit auf ihrer Seite, auf seiten des Herrenhaushalts aber schon die Notwendigkeit dahin, die mit wachsender Zahl der Tischgenossen in ihren Ausgaben ins Ungeheure und Unkontrollierbare wachsende, und dabei allen Wechselfällen der Einnahmeschwankungen ausgesetzte Eigenwirtschaft zu entlasten. Nur war es klar, daß bei einem weltlichen Beamten mit Familie die Abschichtung sofort über die bloße lebenslängliche Appropriation der Pfründe hinaus zur erblichen Appropriation drängte. Soweit diese in der Form des Lehens erfolgte, werden wir diesen Prozeß in einem andern Zusammenhang erörtern56. Auf dem Boden der Pfründe spielte er sich besonders in den ersten Zeiten des patrimonial-bürokratischen modernen Staats ab. Und zwar über die ganze damalige Welt hin, am stärksten aber bei der päpstlichen Kurie, in Frankreich und – infolge der geringen Beamtenzahl in geringem Maße – in England. Es handelte sich dabei durchweg um Sportelpfründen, mit welchen persönlich Vertraute oder Günstlinge mit der Erlaubnis aus gestattet, einen mehr oder minder proletarisch gestalteten Vertreter zu bestellen, der die wirkliche Arbeit tat, oder welche gegen feste Pachten oder Pauschalsummen an Reflektanten vergeben wurden. Dabei wurde die Pfründe ein patrimonialer Besitz des Pächters oder Käufers, und die mannigfachsten Uebungen bis zur Erblichkeit und Veräußerlichkeit finden sich. Zunächst so, daß der Beamte gegen eine Abfindungssumme eines Reflektanten auf seine Pfründe verzichtet, dabei aber dem Herrn gegenüber, da er jene ja gegen Entgelt gepachtet bzw. gekauft hat, das Recht in Anspruch nimmt, ihm den Nachfolger vorzuschlagen. Oder das Beamtengremium als Ganzes, z.B. ein Gerichtskollegium, nimmt das Recht dieses Vorschlages in Anspruch und regelt dann im gemeinsamen Interesse der Kollegen die Bedingungen der Abtretung an einen andern. Natürlich aber wünschte der Herr, der die Pfründe doch vergeben und ursprünglich nie lebenslänglich vergeben hatte, an dem Gewinn dieser Aemterabtretung irgendwie beteiligt zu bleiben und suchte auch seinerseits Grundsätze für sie aufzustellen. Das Resultat sah sehr verschieden aus. Für die Kurie ebenso wie für die Fürsten wurde der Aemterhandel, also die Kapitalisation der Sportelchancen durch massenhafte Schaffung von Sportelpfründen als Sinekuren, eine höchst wichtige Finanzoperation zur Deckung ihres außerordentlichen Bedarfs. Im Kirchenstaat rührten die Vermögen der »Nepoten« zu einem erheblichen Teil aus der Ausbeutung von Sportelpfründen her. In Frankreich ergriff die faktische Erblichkeit und der Handel mit den Pfründen, von den Parlamenten (höchsten Gerichtsbehörden) aus, alle Staffeln des Beamtentums, Finanz- ebenso wie Verwaltungsbeamte bis zu den prévôts und baillis. Der resignierende Beamte verkaufte seine Pfründe an den Nachfolger. Die Erben eines verstorbenen Beamten nahmen das gleiche Recht (survivance) in Anspruch, da das Amt ein Vermögensobjekt geworden war. 1567 wurde nach allerhand vergeblichen Versuchen[599] der Abstellung die königliche Kasse durch Zahlung einer festen Summe (droit de résignation) durch den Nachfolger finanziell am Geschäft beteiligt, 1604 aber in Gestalt der nach ihrem Erfinder Charles Paulet so genannten »Paulette« das Ganze in ein System gebracht. Die survivance wurde anerkannt, das droit de résignation der Krone bedeutend reduziert, dagegen hatte der Beamte jährlich 12/3% des Kaufpreises des Amtes an die Krone zu zahlen, und die Erträge wurden ihrerseits von der Krone jährlich verpachtet (zuerst an Paulet). Steigende Sportelchancen der Beamten bedingten steigende Kaufwerte der Pfründen, diese steigende Gewinne des Pächters und der Krone. Die Folge dieser Appropriation des Amts aber war die faktische Unabsetzbarkeit der betreffenden Beamten (vor allem: der Parlamentsmitglieder). Denn um ihn abzusetzen, mußte ihm der Kaufwert der Pfründe zurückerstattet werden, und dazu entschloß sich die Krone nicht leicht. Erst die Revolution beseitigte die Amtsappropriation am 4. August 1789 radikal und hatte dafür über 1/3 Milliarde zu zahlen. Der König dagegen konnte durch die Parlamente, wenn er ihnen seinen Willen aufzwingen wollte, äußersten Falles durch Generalstreik (Massen-Demission, die ihn zur Rückzahlung des gesamten Kaufwerts der betreffenden Pfründen genötigt hätte) lahm gelegt werden, wie dies auch bis zur Revolution wiederholt geschehen ist.

Appropriierte Pfründen waren eine der wichtigsten Grundlagen der in Frankreich so wichtigen »Noblesse de robe«, einer ständischen Gruppe, die zu den Führern des »tiers état« gegen König und Grund- oder Hofadel gehörte.


Dem Schwerpunkt nach ist die Ausstattung der christlichen Geistlichkeit im Mittelalter in dieser Art durch Land- und Sportelpfründen beschafft worden. Das Ursprüngliche, seit überhaupt eine ökonomische Sicherstellung des Kirchendienstes nach Art eines »Berufs« nötig geworden war, bildete ihre Versorgung aus den durch Opfer dargebotenen Mitteln der Gemeinde, verbunden mit völliger persönlicher Abhängigkeit des Klerus vom Bischof, der über jene Mittel verfügte. Dies war in der alten Kirche auf dem Boden der Städte, der damaligen Träger des Christentums, die normale Form. Also eine – neben anderen Besonderheiten – patriarchal abgewandelte Form der Bürokratie. Im Okzident schwand der städtische Charakter der Religion, und das Christentum breitete sich auf das in der Naturalwirtschaft steckende flache Land mit aus. Die Stadtsässigkeit der Bischöfe hört teilweise, im Norden, auf. Die Kirchen werden zum erheblichen Teil »Eigenkirchen«, sei es der Bauerngemeinde, sei es des Grundherrn, die Geistlichen nicht selten Hörige des letzteren. Und auch die rücksichtsvollere Form der Ausstattung der Kirchen mit festen Renten oder mit Pfarrhufen durch deren weltliche Erbauer und Eigentümer bedingte, daß diese auch das Einsetzungs- und selbst Absetzungsrecht der Pfarrer beanspruchten, bedeutete also naturgemäß eine tiefgehende Schwächung der Herrengewalt des Bischofs und außerdem ein starkes Abflauen der religiösen Interessen bei der Geistlichkeit selbst. Die Bischöfe suchten schon im Frankenreich, aber meist vergebens, durch Herstellung des gemeinsamen Lebens wenigstens die Kapitelgeistlichkeit vor der Verpfründung zu bewahren. Die Klosterreformationen hatten den Kampf gegen den Ersatz des Klosterkommunismus durch die – für die orientalische Kirche ganz typische – Verwandlung der Mönche in (oft aushäusig wohnende) Pfründner und der Klöster selbst in Versorgungsanstalten des Adels stets aufs Neue zu führen. Dagegen die Präbendalisierung der geistlichen Stellen konnte [der Bischof] nicht hindern. Die Bischofssprengel des Nordens, zumal wo man wirklich an der städtischen Residenz festhielt, waren im Gegensatz zum Süden, wo jede der zahlreichen Städte ihren Bischof hatte, sehr groß und bedurften der Teilung. Die Entstehung der Kirchen und ihrer Einnahmequellen als Eigenkirchen hinderte, mochte auch versucht werden, allmählich die kanonischen Zustände durchzusetzen, doch eine Behandlung der Unterhaltsmittel als freies Amtsvermögen in der Hand des Bischofs. Mit der Parochie entstand die Pfründe. Nur teilweise verleiht sie der Bischof. Die Pfründenbestellung und das Pfründenvermögen waren im okzidentalen Missionsgebiet durch mächtige weltliche Stifter beschafft, welche den Grundbesitz, der Substanz nach, in der eigenen Hand behalten wollten. Das Gleiche galt für die Stellung der von den, die Kirche akzeptierenden und ordnenden, weltlichen Herrschern zunächst fast ganz frei eingesetzten und als wichtige Vertrauensmänner mit politischen Rechten beliehenen Bischöfe selbst gegenüber den Primatansprüchen der Zentralgewalt. Die Entwicklung der Kirchenhierarchie glitt so in die Bahn einer Dezentralisierung, zugleich aber einer Appropriation der Patronage und damit einer Unterwerfung der Kirchenbeamten[600] unter die Macht der weltlichen Herren, deren präbendale Hauspriester oder feudale Gefolgsleute jene zu werden begannen. Keineswegs nur feudale Fürsten waren es, welche die schriftgelehrten, dabei aus den Banden der Sippe losgelösten Kleriker als billige und qualifizierte Arbeitskräfte begehrten, in deren Hand eine erbliche Appropriation des Amts nicht zu befürchten stand. Auch die überseeische Verwaltung Venedigs z.B. lag in den Händen von Kirchen und Klöstern, bis zum Investiturstreit, der in der Schaffung der städtischen Bürokratie Epoche machte, weil nun, infolge der Trennung von Staat und Kirche, der Treueid der Geistlichen, die Wahlinitiative, Wahlkontrolle, Wahlbestätigung und Investitur durch den Dogen fortfiel. Die Kirchen und Klöster hatten bis dahin die Kolonien entweder direkt gepachtet und verwaltet oder doch faktisch den Mittelpunkt der Niederlassung gebildet, als Schiedsrichter nach innen, Interessenvertreter nach außen fungiert. Die deutsche Reichsverwaltung der salischen Kaiser und deren politische Machtstellung ruhte vornehmlich auf der Verfügung über das Kirchengut und speziell auf der Obödienz der Bischöfe. Gegen diese Ausnutzung der geistlichen Pfründen für weltliche Zwecke richtete sich ebenso die bekannte Reaktion der gregorianischen Epoche. Ihr Erfolg war bedeutend, aber nur ein höchst begrenzter. Zunehmend zwar bemächtigten sich die Päpste der eigenen Verfügung über erledigte Pfründen, ein Prozeß, der zu Anfang des 14. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte. Damals wurde die Pfründe einer der Gegenstände des »Kulturkampfs« des 14. und 15. Jahrhunderts. Denn die geistliche Pfründe stellte den Grundstock derjenigen Güter dar, welche im Mittelalter überhaupt Zwecken der »Geisteskultur« dienten. Zumal im späteren Mittelalter bis zur Reformation und Gegenreformation entwickelte sie sich zur materiellen Basis für die Existenz derjenigen Klasse, welche damals deren Träger war. Denn indem die Päpste die Universitäten mit der Verfügung über Pfründen ausstatteten, außerdem aber ihrerseits massenhaft solche an persönliche Günstlinge, darunter aber speziell auch Gelehrte unter Entbindung von der eigenen Wahrnehmung der Amtspflichten verliehen, ermöglichten sie die Entstehung jener spezifischen mittelalterlichen Intellektuellenschicht, welche neben den Mönchen den erheblichsten Anteil an der Erhaltung und Entwicklung wissenschaftlicher Arbeit hatte. Sie schufen aber zugleich, durch rücksichtslose Ignorierung der nationalen Unterschiede bei der Pfründenverleihung, jenen heftigen nationalistischen Widerstand der Intellektuellen, namentlich der nordischen Länder, gegen Rom, welcher einen so starken Einschlag in der konziliaren Bewegung bildete. Vor allem aber bemächtigten sich trotz der kanonischen Verbote stets erneut Könige und Barone der Verfügung über geistliche Pfründen. In größtem Maßstabe die englischen Könige seit dem 13. Jahrhundert. Vor allen Dingen, um sich billige und zuverlässige Arbeitskräfte für ihre Büros zu sichern und sich von dem Angewiesensein auf die Ministerialen zu befreien, deren Dienste an erblich appropriiertem Dienstland hafteten, stereotypiert und für eine rationale Zentralverwaltung unbrauchbar waren. Ein eheloser Kleriker war billiger als ein Beamter, welcher eine Familie zu unterhalten hat. Und er kommt ferner nicht in die Lage, nach erblicher Appropriation seiner Pfründe zu streben. Kraft seiner Gewalt über die Kirche, die hier ihre sehr materielle Bedeutung hatte, verschaffte der König den Klerikern, die so massen haft an die Stelle des älteren Beamtentypus traten, daß noch heute der Name der ständigen Beamten (clerc) daran erinnert, Pensionen (collatio) aus Kirchengut. Die Macht der großen Barone brachte eigene oder dem König abgenötigte Verfügungen über massenhafte Pfründen in deren Hand. Ein umfangreicher Pfründenhandel (brocage) begann. Daher die wechselnden Frontstellungen im Kampf der Beteiligten: Kurie, König, Barone um die Pfründen in der Zeit des Konziliarismus. Bald stehen König und Parlament in der Monopolisierung der Pfründen für die einheimischen Verfügungsberechtigten und Anwärter dem Papst gegenüber, bald verständigt sich der König mit dem Papst zu beiderseitigem Vorteil auf Kosten der einheimischen Interessenten. Vor allem aber ist die Präbendalisierung der geistlichen Aemter als solche durch die Päpste nicht angetastet worden. Auch die tridentinische Reform hat an der Präbendalisierung der Masse der geistlichen Stellen, speziell der regulären Parochialgeistlichen, und das heißt an einem begrenzten, aber doch fühlbaren »Recht auf das Amt« auf deren Seite, nicht rütteln können. Und die Säkularisationen der Neuzeit in Verbindung mit der Uebernahme der ökonomischen Lasten für die Kirche und ihre Beamten auf das Staatsbudget legten diese erst recht fest. Erst die »Kulturkämpfe« und namentlich die »Trennung von Staat und Kirche« gaben der hierarchischen Gewalt Möglichkeit und Anlaß, ihr Streben nach Beseitigung des »Rechts am Amt«, nach Ersetzung der Präbendalisierung durch »ad nutum amovible« Kirchenbedienstete in der ganzen Welt in steigendem Maße durchzusetzen – eine der ohne allen Lärm sich vollziehenden, aber wichtigsten Verschiebungen der Kirchenverfassung.

Der Pfründenhandel ist im wesentlichen auf die Sportelpfründe beschränkt, also Produkt eindringender Geldwirtschaft mit ihren Folgen: Anwachsen der Geldsporteln und steigende Möglichkeit und Neigung, sie zu einer Vermögensanlage zu[601] machen, ist durch die Bildung von Geldvermögen bedingt. Eine Entwicklung des Pfründenhandels von dem Umfang und der Art des späteren Mittelalters und namentlich der beginnenden Neuzeit – 16.-18. Jahrhundert – haben andere Epochen nicht gekannt. Wohl aber waren prinzipiell gleichartige Vorgänge sehr verbreitet. Die immerhin bedeutenden Ansätze in der Antike wurden schon besprochen. In China war die Amtspfründe infolge der noch zu besprechenden Eigenart der dortigen Amtsverfassung nicht appropriiert, daher auch nicht formell käuflich. Die Erlangung eines Amts war freilich auch dort meist nur durch Geld – aber in Form der Bestechung – möglich. Mit Ausnahme des eigentlichen formell zugelassenen Pfründenhandels ist dagegen im übrigen die Pfründe eine universelle Erscheinung. In prinzipiell gleicher Art wie im Okzident ist insbesondere Pfründenversorgung das Ziel des Studiums und der akademischen oder anderweitigen Grade in China und im Orient. Die charakteristische Strafe für politisches Uebelverhalten in China: Einstellung der Examina in einer Provinz und also zeitweiliger Ausschluß ihrer Intellektuellenschicht von den Amtspfründen, bringt dies amplas tischsten zum Ausdruck. Und auch die Tendenz zur Pfründenappropriation findet sich überall, nur mit verschiedenem Resultat. Namentlich wirkt ihr nicht selten das eigene Interesse der qualifizierten Pfründenanwärter wirksam entgegen. Die Pfründe der islâmischen »Ulemâ's«, d.h. des Standes der geprüften Aspiranten auf die Aemter des Qâḍî (Richter), Muftî (durch »Fetwâ« respondierender geistlicher Jurist) und Imâm (Priester), wurde z.B. vielfach nur auf kurze Zeit (1-11/2 Jahre) verliehen, um ihren Besitz unter den Anwärtern reihum gehen lassen zu können und auch um den Gemeingeist nicht zugunsten von Appropriationsgelüsten der Einzelnen zu schädigen.


Zu den ständigen, normalen Bezügen des patrimonialen Beamten: Deputat, eventuell Landrente und Sporteln, treten noch, unstet ihrer Natur nach, die Geschenke seines Herrn bei besonderen Verdiensten oder außergewöhnlich guter Laune des letzteren. Der Thesauros, Hort, Schatz des Herrn, in natura aufgespeicherte Edelmetall-, Schmuck- und Waffenvorräte und eventuell seine Gestüte liefern das Material dafür. Vor allem aber die Edelmetalle. Weil von der Möglichkeit, die konkreten Verdienste der Beamten zu lohnen, deren guter Wille abhängig war, so war überall der Besitz des »Hortes« die unentbehrliche Grundlage der patrimonialen Herrschaftsgewalt. In dem Rotwelsch der Skaldenkunstsprache wird der König durch den Decknamen »Ringbrecher« bezeichnet. Der Gewinn oder Verlust des Hortes entscheidet oft Prätendentenkriege, denn gerade inmitten der Herrschaft der Naturalwirtschaft bedeutet ein Edelmetallschatz eine nur um so größere Macht. Wir werden auf die ökonomischen Zusammenhänge, welche dadurch bedingt sind, späterhin noch einzugehen haben. –

Jede präbendale Dezentralisation der patrimoníalen Verwaltung, jede durch die Verteilung der Sportelchancen unter die Konkurrenten bedingte Fixierung der Kompetenzen, jede Pfründenappropriation vollends bedeutet im Patrimonialismus nicht eine Rationalisierung, sondern eine Stereotypierung. Insbesondere die Appropriation der Pfründe, welche die Beamten oft – wie wir sahen – faktisch unabsetzbar macht, kann im Effekt wie eine moderne Rechtsgarantie der »Unabhängigkeit« der Richter wirken, obwohl sie ihrem Sinn nach etwas völlig anderes ist: Schutz des Rechts des Beamten auf sein Amt, während man im modernen Beamtenrecht durch die »Unabhängigkeit«, d.h. Unabsetzbarkeit der Beamten außer durch Urteil, Rechtsgarantien für ihre Sachlichkeit im Interesse der Beherrschten erstrebte. Die rechtlich oder faktisch im appropriierten Besitz der Pfründe befindlichen Beamten konnten die Regierungsgewalt des Herrn höchst fühlbar beschränken, insbesondere jeden Versuch einer Rationalisierung der Verwaltung durch Einführung einer straff disziplinierten Bürokratie vereiteln und die traditionalistische Stereotypierung der politischen Gewaltenverteilung aufrecht erhalten. Die französischen »Parlamente«, Kollegien von Amtspfründnern, in deren Hand die formale Legalisierung und teilweise auch die Ausführung königlicher Befehle lag, haben Jahrhunderte lang stets erneut dem König Schach geboten und die Durchführung aller ihrem traditionellen Recht abträglichen Neuerungen vereitelt. Zwar galt im Prinzip der patrimoniale Grundsatz: daß ein Beamter seinem Herrn nicht widersprechen darf, auch hier. Wenn der König in Person sich in die Mitte der Amtspfründnerschaft begab (»lit[602] de justice«), so konnte er formell die Legalisierung jedes beliebigen Befehls erzwingen, denn in seiner Gegenwart hatte jeder Widerspruch zu schweigen, und das gleiche versuchte er durch direkte schriftliche Anweisung (lettre de justice). Allein kraft ihres appropriierten Eigenrechts am Amt pflegten selbst dann die Parlamente sofort nachher sehr oft durch »remontrance« die Gültigkeit der der Tradition zuwiderlaufenden Verfügung dennoch wieder in Frage zu stellen und ihren Anspruch, selbständige Träger von Herrenmacht zu sein, nicht selten durchzusetzen. Die praktische Geltung der für diese Situation grundlegenden Pfründenappropriation freilich blieb selbstverständlich labil und von der Machtlage zwischen Herrn und Pfründeninhaber abhängig. Insbesondere auch davon, ob der Herr die finanziellen Mittel hatte, die appropriierten Pfründnerrechte abzulösen und an ihrer Stelle eine ganz von ihm persönlich abhängige Bürokratie schaffen zu können. Noch 1771 hat Louis XV. durch einen Staatsstreich versucht, das beliebte Generalstreik-Mittel der in den »Parlamenten« sitzenden Amtspfründner: Massenkündigung des Amts, um so den König, der ja die nun zurückzuerstattenden Amtskaufsummen nicht erschwingen konnte, gefügig zu machen, zu brechen. Die Demission der Beamten wurde angenommen, eine Rückzahlung der Kaufgelder aber fand nicht statt, die Beamten wurden als ungehorsam interniert, die Parlamente wurden aufgelöst, Ersatzbehörden auf neuer Grundlage geschaffen, die Appropriation der Aemter für die Zukunft abgeschafft. Aber dieser Versuch der Herstellung des arbiträren Patrimonialismus und das hieß: des vom Herrn frei absetzbaren Beamtentums, schlug fehl. Gegenüber dem Sturm der Interessenten nahm 1774 Louis XVI. die Dekrete zurück, die alten Kämpfe zwischen König und Parlament lebten aufs neue auf, und erst die Einberufung der Generalstände von 1789 schuf eine völlig neue, sehr bald über die Privilegien der beiden kämpfenden Gewalten: des Königtums und des Amtspfründnertums, in gleicher Weise zur Tagesordnung übergehende Situation.

Eine spezifisch besonderte, später noch näher kasuistisch zu betrachtende Situation ergab sich für diejenigen Beamten, durch welche der Herr die lokale Verwaltung der einzelnen, ursprünglich meist [von den] alten Dingverbänden überkommenen, zuweilen aber auch im Anschluß an die einzelnen großen Domänen gebildeten Verwaltungsbezirke leitete. Neben der auch hier (namentlich in Frankreich) häufigen Appropriation der Pfründen durch Kauf als Motiv der Stereotypierung und der Abspaltung selbständiger Gewalten von der Herrenmacht, wirkte hier die unvermeidliche Rücksichtnahme auf die allgemeinen Bedingungen der Autorität eines auf solchen exponierten Posten, fern von dem Rückhalt an der persönlichen Machtgeltung des Herrn, stehenden Beamten dezentralisierend und stereotypierend ein. Nur unter dafür günstigen Verhältnissen konnte dort ein ganz und gar, ökonomisch und sozial, von Herrengunst abhängiger reiner Beamter persönliche Autorität gewinnen. Das war, im allgemeinen wenigstens, dauernd nur auf dem Boden eines so präzis funktionierenden rationalen Apparats, wie ihn die moderne Bürokratie mit all ihren ökonomischen und verkehrstechnischen Voraussetzungen darstellt, möglich, schon weil unter diesen Bedingungen das Fachwissen auch die Macht gibt. Unter den allgemeinen Bedingungen des Patrimonialismus, also einer Verwaltung, welche zwar an »Erfahrung« und allenfalls an konkrete »Fertigkeiten« (Schreiben), aber nicht an rationales »Fachwissen« als Bedingung geknüpft ist, war dagegen für die Stellung des lokalen Beamten sein Eigengewicht an sozialer Autorität innerhalb seines lokalen Amtssprengels entscheidend, die überall in erster Linie aufständischer Prominenz der Lebensführung zu beruhen pflegt. Die besitzende, zumal grundbesitzende, Schicht der Beherrschten kann daher leicht die lokalen Aemter monopolisieren. Wir werden davon bald näher zu reden haben. Nur bei ganz straffer Selbstregulierung eines dazu spezifisch befähigten Herrn gelingt es diesem, das gerade entgegengesetzte Prinzip: Regierung durch ökonomisch und sozial völlig von ihm abhängige Besitzlose, aufrecht zu erhalten, in stetem, fast durch die ganze Geschichte patrimonialer Staaten sich hinziehenden Kampf mit den lokalen Honoratioren. Die als Interessentenkreis fest[603] zusammenhaltende ämterbesitzende Honoratiorenschicht ist meist auf die Dauer übermächtig gegenüber dem Herrn. Der Fall, daß Beamte sich vom Herrn in Zeiten, wo er ihrer dringend bedarf, versprechen lassen, er werde sie lebenslänglich und nach ihnen ihre Kinder im Amt lasssen, kehrt über die ganze Erde hin ebenso wieder wie im Merowingerreich. –

Mit jedem Fortschritt der Appropriation der Aemter zerfällt die Herrengewalt, namentlich auch die politische, nun einerseits in ein Bündel von persönlich durch spezielle Privilegien appropriierten, höchst verschieden umgrenzten, in ihrer einmal gegebenen Umgrenzung aber für den Herrn nicht ohne gefährlichen Widerstand der Amtsinteressenten antastbaren, Herrschaftsrechten Einzelner – ein Gebilde also, welches starr, neuen Aufgaben nicht anpassungsfähig, der abstrakten Reglementierung unzugänglich [ist und also] ein charakteristisches Gegenbild gegen die zweckvoll abstrakt geordneten und gegebenenfalls jederzeit neu zu ordnenden »Kompetenzen« der bürokratischen Struktur darstellt. Und auf der anderen Seite steht, auf denjenigen Gebieten, wo jene Appropriation des Amtes nicht vollzogen ist, die prinzipiell ganz freie Willkür des Herrn, welche insbesondere neue, nicht in die appropriierten Befugnisse fallende Verwaltungsaufgaben und Machtstellungen, frei schaltend, persönlichen Günstlingen überträgt. Der politische »Patrimonialverband« kann als Ganzes mehr dem stereotypierten oder mehr dem arbiträren Schema zuneigen. Ersteres ist mehr im Okzident, letzteres in ziemlich starkem Maße im Orient der Fall gewesen, wo die theokratischen und patrimonial-militärischen Grundlagen der durch stets neue Eroberer usurpierten Gewalt den sonst naturgemäßen Dezentralisations- und Appropriationsprozeß weitgehend kreuzten.

Die alten Hofbeamten werden im Verlauf jenes Stereotypierungsprozesses rein repräsentierende Würdenträger und pfründengenießende Sinekuristen, ganz besonders gerade bei den Beamten der größten Herren, welche zunehmend nicht mehr Unfreie, sondern vornehme Herren als Hofbeamte in ihren Dienst nehmen, die naturgemäß die Befassung mit Alltagsgeschäften ablehnen.

Das patrimoniale politische Gebilde kennt weder den Begriff der »Kompetenz« noch den der »Behörde« im heutigen Sinn, und zwar bei zunehmender Appropriation besonders wenig. Die Trennung von amtlichen und privaten Angelegenheiten, amtlichem und privatem Vermögen und Herrenbefugnissen der Beamten ist nur beim arbiträren Typus einigermaßen durchgeführt, mit zunehmender Präbendalisierung und Appropriation schwindet sie. Die Kirche hat zwar im Mittelalter die freie Verfügung über den aus Pfründeneinkommen stammenden Erwerb wenigstens für den Todesfall zu verhindern gesucht. Auf der anderen Seite hatte die weltliche Gewalt ihr »ius spolii« zeitweise auch auf den Privatnachlaß des toten Geistlichen erstreckt. Aber mindestens bei voller Appropriation fällt Amts- und Privatvermögen praktisch einfach in Eins.

Ganz allgemein fehlt dem auf rein persönlichen Unterordnungsbeziehungen beruhenden Amt der Gedanke der sachlichen Amtspflicht. Was von ihm existiert, schwindet vollends mit der Behandlung des Amts als einer Pfründe oder eines appropriierten Besitztums. Die Ausübung der Gewalt ist in erster Linie persönliches Herrenrecht des Beamten: außerhalb der festen Schranken heiliger Traditionen entscheidet auch er, wie der Herr, von Fall zu Fall, d.h. nach persönlicher Willkür und Gnade. Infolgedessen ist der Patrimonialstaat auf dem Gebiete der Rechtsbildung der typische Vertreter eines Nebeneinander von unzerbrechlicher Traditionsgebundenheit einerseits und andererseits eines Ersatzes der Herrschaft rationaler Regeln durch »Kabinettsjustiz« des Herrn und seiner Beamten. Statt der bürokratischen »Sachlichkeit« und des auf der abstrakten Geltung gleichen objektiven Rechtes ruhenden Ideals der Verwaltung »ohne Ansehen der Person« gilt das gerade entgegengesetzte Prinzip. Schlechthin alles ruht ganz ausgesprochenermaßen auf »Ansehen der Person«, d.h. auf der Stellungnahme zu dem konkreten Antragsteller und seinem konkreten Anliegen und auf rein persönlichen Beziehungen,[604] Gnadenerweisen, Versprechungen, Privilegien. Auch die Privilegien und Appropriationen, die der Herr verleiht, gelten – so namentlich Landschenkungen auch in noch so definitiver Form – sehr oft als im Fall einer höchst schwankend bestimmbaren »Undankbarkeit« widerruflich und sind überdies infolge der persönlichen Deutung aller Beziehungen in ihrer Geltung über seinen Tod hinaus unsicher. Man legt sie also dem Nachfolger zur Bestätigung vor. Das kann, je nach der stets labilen Machtlage zwischen Herrn und Beamten, sowohl als Forderung einer Pflicht gelten und also den Weg von der Widerruflichkeit zur dauernden Appropriation als »wohlerworbenes Sonderrecht« abgeben, wie es auch umgekehrt dem Nachfolger den Anlaß geben kann, durch Kassierung von solchen Sonderrechten der eigenen Willkür wieder freie Bahn zu schaffen, – ein Mittel, welches bei der Herausbildung des okzidentalen patrimonial-bürokratischen Staates der Neuzeit wiederholt angewendet worden ist.

Auch wo die Befugnisse der Beamten in ihrem Verhältnis zum Herrn und dessen Macht über sie durch Genossenrechte und Appropriation der Aemter stereotypiert sind, bleibt die rein faktische Uebung im weitesten Umfange maßgebend für ihre Machtlage zueinander und gibt daher jede zufällige längere, auch rein persönlich bedingte Schwäche der Zentralgewalt Anlaß zu Abbröckelungen ihrer Macht durch Entstehung von neuen, ihr abträglichen Gewohnheiten. Auf dem Boden dieser Verwaltungsstruktur ist daher in einem spezifisch hohen Grade die rein persönliche Befähigung des Herrn, seinen Willen zur Geltung zu bringen, absolut entscheidend für das stets labile Maß an realem Gehalt seiner nominellen Macht. Insoweit mit Recht hat man die »Mittelalter« die »Zeitalter« der Individualitäten genannt. –

Der Herr sucht auf die verschiedenste Art die Einheit seiner Herrschaft zu sichern und sie sowohl gegen Appropriation der Aemter seitens der Beamten und ihrer Erben wie gegen andere Arten der Entstehung von ihm unabhängiger Herrschaftsgewalten in der Hand von Beamten zu schützen. Zunächst durch eigene regelmäßige Bereisung seines Machtgebiets. Nicht nur weil sie infolge mangelhafter Verkehrsmittel ihren Unterhalt abwechselnd aus den Vorräten der Domänen an Ort und Stelle verzehren mußten, waren namentlich die deutschen Monarchen des Mittelalters fast ständig unterwegs. Dies Motiv war nicht unbedingt zwingend: sowohl die englischen und französischen Könige wie – worauf es ja allein ankommt – ihre Zentralbehörden hatten schon früh eine faktisch (wenn auch, wie das »ubicunque fuerimus in Anglia« zeigt, erst allmählich eine rechtlich) feste Residenz und ebenso schon die Perserkönige. Vielmehr war entscheidend, daß nur ihre stets erneute persönliche Gegenwart ihre Autorität den Untertanen lebendig erhielt. Der Regel nach ist dies persönliche Reisen des Herrn weiterhin durch das »missatische« System, d.h. systematisches Bereisenlassen des Landes durch von ihm geschickte Sonderbeamte (die karolingischen missi dominici, die englischen reisenden Richter) ergänzt oder ersetzt worden, welche periodisch die Gerichts- und Beschwerdeversammlungen der Volksgenossen abhielten. Von den Beamten ferner, welche der Herr auf nicht jederzeit kontrollierbare Außenposten setzt, verschafft er sich allerhand persönliche Garantien: in gröbster Form durch Stellung von Geiseln, in feinerer Art durch Zwang zu regelmäßigem Besuch des Hofes – die ein um das andere Jahr alternierende Residenzpflicht der japanischen Daimyô's am Hofe des Shôgun in Verbindung mit dem Zwang, die Familie dauernd dort zu belassen, war ein Beispiel dafür –, durch obligatorische Einstellung der Beamtensöhne in den Hofdienst (Pagenkorps), durch Besetzung der wichtigen Stellen mit Verwandten oder Verschwägerten – ein, wie schon bemerkt, sehr zweischneidiges Mittel –, durch kurze Amtsfristen (wie sie ursprünglich den Grafen des Frankenreichs und ebenso einem erheblichen Teil der islâmischen Amtspfründen eigneten), durch Ausschluß der Beamten von Amtssprengeln, in welchen sie Grundbesitz oder Sippenanhang haben (China), durch möglichste Verwendung nur von Zölibatären zu gewissen wichtigen[605] Aemtern (darauf beruht die große Bedeutung nicht nur des Zölibats für die Bürokratisierung der Kirche, sondern vor allem auch der Verwendung der Kleriker im Königsdienst, vor allem dem englischen). Ferner durch planmäßige Ueberwachung der Beamten mittels geheimer Spione oder offizieller Kontrollbeamter (so der chinesischen »Zensoren«), die namentlich gern aus den Kreisen der ganz vom Herrn abhängigen Hörigen oder unbemittelten Pfründner genommen werden, endlich durch Schaffung konkurrierender Amtsgewalten innerhalb desselben Bezirks (wie etwa des coroner gegenüber dem sheriff). Namentlich die Verwendung von Beamten, welche nicht aus sozial privilegierten Schichten stammten und daher über keine eigene soziale Macht und Ehre verfügten, sondern diese gänzlich vom Herrn entlehnten, womöglich von Ausländern, war ein universelles Mittel, sich ihrer Treue zu versichern. Wenn Claudius dem Senatsadel drohen ließ, das Reich im Gegensatz zu den ständischen Ordnungen des Augustus gänzlich mit Hilfe seiner Freigelassenenklientel zu regieren, Septimius Severus und seine Nachfolger die gemeinen Soldaten ihrer Armee statt des Römeradels in die Offiziersstellen beriefen, sehr viele orientalische Großwesire und zahlreiche »Günstlinge« der Monarchen der Neuzeit, speziell die technisch erfolgreichsten Machtinstrumente der Fürsten und eben deshalb die dem Adel verhaßtesten, so oft aus dem Dunkel emporgehoben wurden, so wirkten dabei stets die gleichen Interessen der Fürsten.

Zu den verwaltungsrechtlich in ihren Konsequenzen wichtigsten Mitteln, die Kontrolle der Zentralverwaltung des Fürsten über die Lokalbeamten aufrecht zu erhalten, gehörte die Spaltung der Kompetenzen der letzteren. Entweder so, daß nur die Finanzverwaltung in die Hand besonderer Beamter gelegt, oder so, daß für jeden Verwaltungssprengel Zivil- und Militärbeamte nebeneinandergestellt wurden, was ja auch technisch nahe lag. Der militärische Beamte blieb dann in der Beschaffung der ökonomischen Mittel seiner Verwaltung abhängig von der ihm gegenüber selbständigen Zivilverwaltung, und diese bedurfte für die Erhaltung ihrer Macht der Mitwirkung des militärischen Beamten. Schon die Pharaonenverwaltung des neuen Reichs schied offenbar die Magazinverwaltung vom Kommando, – wie dies auch technisch nicht wohl anders möglich war. Die hellenistische Zeit, namentlich im Ptolemäerreich, brachte dann in der Entwicklung und Bürokratisierung der Steuerpacht das Mittel, die Finanzen, gesondert vom Militärkommando, in der Hand des Fürsten zu behalten. Die römische Prinzipatsverwaltung stellte – außer, aus konkreten politischen Gründen, in bestimmten Gebieten (namentlich Aegypten und einigen Grenzmarken) – dem kaiserlichen Oberkommandanten ebenso wie dem senatorischen Statthalter den kaiserlichen Prokurator für das Finanzwesen als selbständigen und zweithöchsten Provinzialbeamten zur Seite und schuf gesonderte Avancements für die eine und die andere Verwaltung. Die diokletianische Staatsordnung spaltet die gesamte Verwaltung des Reichs in Zivildienst und Militärverwaltung, von den praefecti praetorio als Reichskanzlern und den »magistri militum« als »Reichsfeldherren« angefangen bis zu den »praesides« einerseits, den »duces« andererseits hinab. Im späten, namentlich im islâmischen, Orient wurde die Scheidung des Militärkommandanten (Emîr) vom Steuereinnehmer und -pächter ('Amil) fester Grundsatz aller starken Regierungen. Man hat mit Recht bemerkt, daß fast jeder Fall einer dauernden Vereinigung dieser beiden Kompetenzen, also die Vereinigung von militärischer und ökonomischer Macht jedes Verwaltungssprengels in einer Hand, die alsbaldige Tendenz zur Loslösung des betreffenden Statthalters von der Macht der Zentralgewalt zur Folge gehabt hat. Die steigende Militarisierung des Reichs in der Zeit der Kaufsklavenheere mit den entsprechend steigenden Ansprüchen an die Steuerkraft der Untertanen, dem stets erneuten Zusammenbruch der Finanzen und der pfandweisen Ueberlassung oder Okkupation der Steuerverwaltung durch die Truppen endete dann auch entweder im Zerfall des Reichs oder im Benefizialwesen. –

Wir wollen uns das Funktionieren patrimonialer Verwaltungen und namentlich[606] die Mittel, durch welche der Herr seine Machtstellung gegenüber den Appropriationstendenzen der Beamten zu behaupten suchte, mit ihren Konsequenzen an einigen historisch wichtigen Beispielen veranschaulichen.

Die erste mit voller Konsequenz durchgeführte patrimonial-bürokratische Verwaltung, die wir kennen, war die des antiken Aegypten. Sie war offenbar ursprünglich gänzlich aus der Königsklientel entwickelt, d.h. aus einem Personal heraus, welches der Pharao seiner hofhörigen Dienerschaft entnahm, während später allerdings die Rekrutierung der Beamten notgedrungen auch extrapatrimonial, durch Avancement aus der technisch dafür allein brauchbaren Schreiberklasse erfolgte, immer aber den Eintritt in ein patrimoniales Abhängigkeitsverhältnis zum Herrn bedeutete. Die alles überragende Bedeutung der von oben her systematisch geordneten Wasserregulierung und die Bauten in Verbindung mit der langen von Feldarbeit freien Zeit, welche die Heranziehung der Bevölkerung zu Frondiensten in einem sonst nirgends möglichen Umfang gestattete, führten schon im alten Reich dazu, daß die gesamte Bevölkerung in eine Klientelhierarchie eingespannt wurde, innerhalb deren der Mann ohne Herrn als gute Prise galt und gegebenenfalls einfach in die Fronkolonnen des Pharao eingegliedert wurde. Das Land war ein Fronstaat, der Pharao führte u.a. auch die Geißel als Attribut, und die zuerst von Sethe korrekt übersetzten Immunitätsprivilegien aus dem 3. Jahrtausend betreffen Dispens von Tempelhintersassen oder Beamtenpersonal von der Aushebung zu Frondiensten. Teils in Eigenbe trieb, teils in unfreier gewerblicher Heimarbeit, teils im landwirtschaftlichen Kolonenbetrieb, teils durch monopolisierten Eigenhandel, teils durch Abgaben deckte der Pharao den Bedarf seines Oikos. Verkehrswirtschaftliche Erscheinungen, Markttausch insbesondere, mit geldartigem Tauschgut (Uten, Metallstäbe) bestanden. Aber die Bedarfsdeckung des Pharao ruhte, wie die erhaltenen Rechnungen beweisen, dem Schwergewicht nach auf Magazinen und Naturalwirtschaft, und zu außerordentlichen Bau- und Transportleistungen bot er die Untertanen, wie die Quellen ergeben, zu Tausenden auf. Nachdem die großen privaten Grundherrschaften und Nomarchenherrschaften, deren Entstehen und Bedeutung die Quellen des alten Reichs bezeugen und welche im mittleren Reich eine Zwischenzeit feudalen Regimes heraufführten, nach der Fremdherrschaft, ähnlich wie in Rußland nach der Tatarenzeit, geschwunden waren, standen als privilegierte Schichten über der Masse wesentlich nur die schon im alten Reich mit Immunitäten versehenen, von den Ramessiden mit enormem Besitz bewidmeten Tempel und die Beamten. Den Rest bildeten die Untertanen, politische und patrimoniale, ohne sichere Scheidung. Auch innerhalb der zweifellos patrimonial Abhängigen stehen eine Fülle von Bezeichnungen für Hörige und Unfreie nebeneinander, deren ökonomische Lage und sozialer Rang offenbar verschieden waren, für uns aber vorerst nicht auseinanderzuhalten sind und vielleicht auch nicht streng voneinander geschieden waren. Soweit die Untertanen nicht zu Fronden herangezogen waren, scheint ihre Steuerleistung gegen Pauschalien an die Beamten vergeben worden zu sein. Durch Prügel und ähnliche Mittel erzwangen diese die Deklaration des abgabepflichtigen Besitzes, so daß sich die Steuererhebung typisch als ein plötzlicher Ueberfall der Beamten mit Flucht der Pflichtigen und Jagd auf sie abspielte. Der Unterschied von patrimonialen Kolonen des Pharao und der freien politischen Untertanen, von Eigenland des Pharao und privatem Besitz der Bauern bestand offenbar, war aber augenscheinlich von wesentlich technischer und vielleicht labiler Bedeutung. Denn die Bedarfsdeckung des fürstlichen Haushalts wurde, wie es scheint, zunehmend leiturgisch. Der Einzelne wurde an seine fiskalische Funktion dauernd gebunden und durch die Funktion an den lokalen Verwaltungsbezirk, dem er durch Abstammung oder Grundbesitz oder Gewerbebetrieb – das einzelne ist unbekannt – zugehörte oder zugewiesen war. Die Berufswahl war faktisch weitgehend frei, ohne daß doch zu sagen wäre, ob nicht, im Fall der Notwendigkeit für die fürstliche Bedarfsdeckung, Zwang zur erblichen Bindung geübt worden wäre.[607] Kasten im spezifischen Sinn existieren nicht. Ebenso konnte der politische sowohl wie der patrimo niale Untertan faktisch freizügig sein, rechtlich aber war diese Freizügigkeit durchaus prekär, sobald die Bedürfnisse des fürstlichen Haushalts die Heranziehung des Untertanen zu seinen Pflichten an dem Ort erforderten, in den er gehörte. Diesen Ort bezeichnete die spätere hellenistische Terminologie als die 'idía, die römische als die origo des Einzelnen, und dieser Rechtsbegriff hat in der ausgehenden Antike eine weittragende Rolle gespielt. Aller Landbesitz oder Gewerbebetrieb galt als belastet mit den Robot- oder anderen Leistungspflichten: als Funktionsentgelt, und hatte also die Tendenz, sich dem Charakter einer Pfründe anzunähern. Deputatpfründen oder Landpfründen waren das Entgelt für spezifische Amtsfunktionen sowohl wie für die militärischen Dienstpflichten. Patrimonial – und dies war der für die Machtstellung des Pharao entscheidende Punkt – war auch das Heer. Es wurde mindestens im Kriegsfall aus den Magazinen des Königs equipiert und verpflegt. Die Krieger, deren Nachfahren die Máchimoi der ptolemäischen Zeit darstellten, waren mit Landparzellen bewidmet und wurden sicher von jeher auch zum Polizeidienst verwendet. Zu ihnen traten, bezahlt aus dem durch Eigenhandel gespeisten Hort des Königs, Söldner. Die vollkommene Entwaffnung der Massen, deren Widerstand nur etwa in Form von Renitenz oder Streik wegen ungenügender Ernährung bei den Fronleistungen aufflammte, machte ihre Beherrschung zu einer einfachen Aufgabe. Die geographischen Bedingungen, vor allem die bequeme Wasserstraße des Flusses und die sachliche Notwendigkeit einheitlicher Wasserpolitik erhielten die Einheitlichkeit der Herrschaft bis zu den Katarakten mit geringen Unterbrechungen aufrecht. Die Avancementschance und die Abhängigkeit von königlichen Magazinen genügte anscheinend, um eine weitgehende Appropriation der Beamtenpfründen zu hindern, welche ja überhaupt bei Sportelpfründen und Landpfründen technisch näher liegt als bei den hier vorherrschenden Deputatpfründen. Die zahlreichen Immunitätsprivilegien zeigen durch ihre eigene Fassung, die gehäuften Versprechungen der Unverletzlichkeit und die Strafdrohungen gegen Beamte, welche sie verletzen werden, daß der Herrscher seinerseits, gestützt auf seine patrimoniale Macht, tatsächlich diese Privilegien als prekär behandeln durfte, so daß Ansätze zu einem ständischen Staatswesen hier völlig fehlen und der Patriarchalismus voll erhalten blieb. Die weitgehende Aufrechterhaltung der Naturalpfründe einerseits, das starke Zurücktreten privater Grundherrschaften andererseits im neuen Reich wirkten zusammen zugunsten der Erhaltung der Patrimonialbürokratie. Die völlig durchgeführte Geldwirtschaft der Ptolemäerzeit hat sie nicht erschüttert, sondern eher befestigt, indem sie die Mittel zur Rationalisierung der Verwaltung an die Hand gab. Die leiturgische Bedarfsdeckung, speziell die Fronden, traten zurück zugunsten eines höchst umfassenden Steuersystems, ohne daß doch jemals der Anspruch des Fürsten auf die Arbeitskraft der Untertanen und die Bindung der letzteren an ihre 'idía aufgegeben wäre, die denn auch beide sofort wieder praktisch wurden, als mit dem 3. Jahrhundert n. Chr. die Geldwirtschaft verfiel. Das ganze Land erschien fast als eine einzige große Domäne des königlichen Oikos, neben welchem als annähernd gleichwertig in der Hauptsache nur die Oiken der Tempelgeistlichkeit standen. Dementsprechend ist es denn auch von den Römern rechtlich behandelt worden. –

Einen ganz wesentlich anderen Typus stellte das chinesische Reich dar. Wasserregulierung, vor allem Kanalbau – aber hier, wenigstens in Nord- und Mittelchina, vorwiegend zu Verkehrszwecken – und ungeheure militärische Bauten, möglich natürlich auch hier nur durch Anspannung der Untertanenfronden, Magazine zur Aufspeicherung der Abgaben, aus denen die Beamten ihre Pfründen bezogen und das Heer equipiert und verpflegt wurde, und in der sozialen Schichtung ein noch vollständigeres Fehlen der Grundherrschaft als in Aegypten waren auch hier die Grundlagen der Macht der Patrimonialbürokratie. In historischer Zeit aber fehlte die leiturgische Bindung, welche vielleicht in der Vergangenheit einmal bestanden[608] hatte oder doch einzuführen versucht worden war, worauf gewisse Andeutungen der Tradition und einige Rudimente allerdings schließen lassen könnten. Die tatsächliche Freizügigkeit und freie Berufswahl – offiziell existierte eigentlich keines von beiden – scheint jedenfalls in historischer Vergangenheit nicht dauernd angetastet worden zu sein. Einige faktisch erbliche unreine Berufe existierten, sonst fehlt jede Spur von Kaste oder sonstigen ständischen oder Erbprivilegien, außer einem praktisch gleichgültigen, auf einige Generationen verliehenen Titularadel. Der Patrimonialbürokratie standen hier als bodenständige Macht, neben Kaufmannsgilden und Zünften, wie sie sich überall finden, wesentlich nur die im engeren Kreis der Familie durch Ahnenkult und für den weiteren Kreis der Namensgleichheit durch Exogamie verbundenen Sippen gegenüber, deren Älteste in den Dörfern eine praktisch höchst wirksame Machtstellung behielten. Entsprechend dem ungeheuren Umfang des Reichs und der im Verhältnis zur Volkszahl geringen Anzahl von Beamten war die chinesische Verwaltung nicht nur extensiven Charakters, sondern entbehrte unter durchschnittlichen Herrschern auch der Zentralisation. Die Anweisungen der Zentralbehörden wurden von den Unterinstanzen vielfach mehr als unmaßgebliche Ratschläge, denn als bindende Vorschriften behandelt. Das Beamtentum war hier wie überall unter solchen Umständen genötigt, mit den Widerständen des Traditionalismus, deren Träger die Sippenältesten und Berufsverbände waren, zu rechnen und sich irgendwie mit ihnen zu vertragen, um überhaupt fungieren zu können. Andererseits wurde aber, gegenüber der ungemein zähen Macht dieser Gewalten, offenbar nicht nur eine relativ weitgehende Vereinheitlichung des Beamtentums in seinem allgemeinen Charakter erreicht, sondern vor allem dessen Umwandlung in eine auf lokaler Honoratiorenmacht ruhende und daher der Reichsverwaltung gegenüber selbständige Schicht von Territorialherren oder Lehensbaronen gehindert. Dies, obwohl einerseits die Anlage von legal und illegal im Amt erworbenen Vermögen in Grundbesitz hier wie überall beliebt war und obwohl andererseits die chinesische Ethik die Pietätsbande zwischen dem Amtsanwärter und seinen Lehrern, Amtspatronen und Vorgesetzten ganz besonders eng knüpfte. Namentlich die Patronage und die Sippenbeziehungen der Beamten mußten die Tendenz haben, faktisch erbliche Amtsbaronien mit festen Klientelen zu schaffen. Solche waren auch offenbar immer wieder im Entstehen begriffen, und vor allen Dingen verklärt die Tradition den Feudalismus57 als das historisch Ursprüngliche, und zeigen die klassischen Schriften faktische Erblichkeit der Aemter als ganz normal und überdies das Recht der großen Zentralbeamten, bei der Ernennung der Kollegen gehört zu werden. Die kaiserliche Patrimonialherrschaft hat nun, um sich der stets wieder drohenden Appropriation der Aemter zu erwehren, die Patronageklientelen und die Entstehung lokaler Honorationremonopole auf die Aemter hintanzuhalten, neben den sonst üblichen Maßregeln: kurze Amtsfristen, Ausschluß der Anstellung in Gebieten, wo der Beamte seinen Sippenanhang hat, Ueberwachung durch Spione (die sog. Zensoren), das hier in der Welt zum erstenmal auftauchende Mittel amtlicher Qualifikationsprüfungen und amtlicher Führungszeugnisse eingeführt. Rang- und Amtsfähigkeit bestimmen sich in der Theorie ausschließlich, in der Praxis sehr weitgehend nach der Zahl der bestandenen Examina, die Belassung des Beamten in seinem Amt, sein Avancement in ein höheres oder seine Degradation zu einem niederen vollzogen sich auf Grund seiner Konduite, deren Resümee bis in die Gegenwart periodisch nebst Motiven, etwa nach Art der Quartalszeugnisse deutscher Gymnasiasten, öffentlich bekanntgegeben wurde. Formal betrachtet ist dies die radikalste Durchführung bürokratischer Sachlichkeit, die es geben kann, und also eine ebenso radikale Abkehr von den auf persönlicher Gunst und Gnade ruhenden Amtsstellungen der genuinen Patrimonialbeamten. Und ob auch immer die Käuflichkeit der Pfründen und die Bedeutung persönlicher Patronage bestehen blieben – was selbstverständlich war –, so ist dennoch, teils negativ durch das intensive Konkurrenzverhältnis[609] und Mißtrauen, welches die Beamten untereinander trennte, teils positiv durch die universell gewordene soziale Wertung der durch Examina erworbenen Bildungspatente, sowohl die Feudalisierung wie die Appropriation und die Amtsklientel soweit gebrochen worden, daß die ständischen Konventionen des Beamtentums jene ganz spezifisch bürokratischen, utilitarisch orientierten, durch den klassizistischen Bildungsunterricht geprägten bildungsaristokratischen, als höchste Tugenden die Würde der Geste und der contenance pflegenden, Züge annahmen, welche seitdem das chinesische Leben sehr stark geprägt haben.

Das chinesische Beamtentum wurde trotzdem keine moderne Bürokratie. Denn die sachliche Scheidung der Kompetenzen wurde nur in einem, angesichts des ungeheuren Verwaltungsobjekts sehr geringen Maße durchgeführt: die Möglichkeit dazu war technisch eine Folge davon, daß die gesamte Verwartung des befriedeten Reichs Zivilverwaltung war, das relativ sehr kleine Heer einen Sonderkörper bildete und, wie gleich zu erörtern, andere Maßregeln als die Kompetenzspaltung die Obödienz der Beamten gewährleisteten. Aber die positiven Gründe des Unterlassens der Kompetenzspaltung waren prinzipieller Art. Der spezifisch moderne Begriff des Zweckverbands und Spezialbeamtentums, welcher z.B. bei der allmählichen Modernisierung der englischen Verwaltung eine solche Rolle spielte, ist radikal antichinesisch und würde allen ständischen Tendenzen des chinesischen Beamtentums zuwiderlaufen. Denn dessen durch die Examina kontrollierte Bildung war in fast keiner Hinsicht Fachqualifikation, sondern das gerade Gegenteil davon. Neben der den Charakter einer Kunst an sich tragenden kalligraphischen Fähigkeit spielten vor allem stilistische Vollkommenheit und die vorschriftsmäßig an den Klassikern orientierte Gesinnung die weit überwiegende Rolle bei der Bearbeitung der zuweilen etwa an die Themata unserer traditionellen patriotischen und moralischen deutschen Aufsätze erinnernden Prüfungsarbeiten. Die Prüfung war eine Art Kulturexamen und stellte fest, ob der Betreffende ein Gentleman, nicht aber, ob er mit Fachkenntnissen ausgerüstet war. Die konfuzianische Grundmaxime, daß ein vornehmer Mensch kein Werkzeug sei, das ethische Ideal also der universellen persönlichen Selbstvervollkommnung, dem okzidentalen sachlichen Berufsgedanken radikal entgegengesetzt, stand der Fachschulung und den Fachkompetenzen im Wege und hat ihre Durchführung immer erneut verhindert. Darin lag die spezifisch antibürokratische und patrimonialistische Grundtendenz dieser Verwaltung, welche ihre Extensität und technische Gehemmtheit bedingte. China war andererseits dasjenige Land, welches die ständische Privilegierung am exklusivsten auf die konventionelle und offiziell patentierte literarische Bildung abgestellt hat, insofern also formal der vollkommenste Repräsentant der spezifisch modernen befriedeten und bürokratisierten Gesellschaft, deren Pfründenmonopole einerseits und deren spezifisch ständische Schichtung andererseits überall auf dem Prestige der patentierten Bildung beruht. Ansätze zu einer spezifischen Bürokratenethik und Bürokratenphilosophie finden sich zwar in einigen literarischen Denkmälern Aegyptens. Aber nur in China hat eine bürokratische Lebensweisheit: der Konfuzianismus, systematische Vervollkommnung und prinzipielle Geschlossenheit gefunden. Von der Wirkung auf die Religion und auf das Wirtschaftsleben war schon früher die Rede. Die Einheit der chinesischen Kultur ist wesentlich die Einheit derjenigen ständischen Schicht, welche Trägerin der bürokratischen klassischliterarischen Bildung und der konfuzianischen Ethik mit dem dieser spezifischen, schon früher erörterten Vornehmheitsideal ist. Der utilitarische Rationalismus dieser Standesethik hat eine feste Schranke in der Anerkennung traditioneller magischer Religiosität und ihres Ritualkodex als Bestandteil der Standeskonvention, darunter vor allem der Pflicht der Ahnen- und Elternpietät. Wie der Patrimonialismus genetisch aus den Pietätsbeziehungen der Hauskinder gegenüber der hausväterlichen Autorität entstanden ist, so gründet der Konfuzianismus die Subordinationsverhältnisse der Beamten zum Fürsten, der niederen zu den höheren Beamten, vor allem auch der Untertanen zu den Beamten und zu dem Fürsten auf[610] die Kardinaltugend der Kindespietät. Der spezifisch mittel- und osteuropäische patrimoniale Begriff des Landesvaters und etwa die Rolle, welche die Kindespietät als Grundlage aller politischen Tugenden in dem streng patriarchalischen Luthertum spielt, ist die entsprechende, nur im Konfuzianismus weit konsequenter durchgeführte Gedankenreihe. Außer durch das Fehlen einer Grundherrenschicht, also eines lokalen herrschaftsfähigen Honoratiorentums, ist diese Entwicklung des Patrimonialismus in China ermöglicht worden durch die hier besonders weitgehende Befriedung des Weltreichs seit der Fertigstellung der großen Mauer, welche die Hunneneinbrüche für lange Jahrhunderte nach Europa hin ablenkte, und seitdem die Expansion nur auf Gebiete sich richtete, welche mit den Streitkräften eines relativ überaus geringen Berufsheeres in Abhängigkeit zu halten waren. Den Untertanen gegenüber hat die konfuzianische Ethik die Theorie des Wohlfahrtsstaats sehr ähnlich, nur weit konsequenter, entwickelt, wie etwa die patrimonialistischen Theoretiker des Okzidents im Zeitalter des aufgeklärten Despotismus, und wie, theokratisch und seelsorgerisch gefärbt, auch die Edikte des buddhistischen Königs Ashoka sie repräsentieren. Ansätze von Merkantilismus finden sich. Aber die Praxis sah wesentlich anders aus. In die zahlreichen lokalen Fehden der Sippen und Dörfer griff der Patrimonialismus normalerweise nur im Notfall ein, und auch Eingriffe in die Wirtschaft waren fast stets fiskalisch bedingt und, wo dies nicht der Fall war, scheiterten sie, bei der unvermeidlichen Extensität der Verwaltung, fast immer an der Renitenz der Interessenten. Die Folge scheint in normalen Zeiten eine faktisch weitgehende Zurückhaltung der Politik gegenüber dem Wirtschaftsleben gewesen zu sein, welche dann schon sehr früh auch in theoretischen »laissez-faire«-Prinzipien ihre Stütze fand. Innerhalb der einzelnen Sippenverbände kreuzte sich das Bildungsprestige des geprüften Amtsanwärters, der von allen Sippenmitgliedern als Vertrauensmann und Berater und, wenn er im Amte saß, als Spender von Patronagen angegangen wurde, mit der traditionellen Autorität der Sippenältesten, welche in den lokalen Angelegenheiten zumeist ausschlaggebend blieb. –

Alle Mittel der Verwaltungstechnik hinderten nicht, daß auch für rein bürokratische Patrimonialgebilde das Normale ein Zustand blieb, bei welchem die einzelnen Bestandteile des Machtgebiets, je entlegener vom Herrensitz, desto mehr, sich der Beeinflussung durch den Herrn entziehen. Das nächstgelegene Gebiet bildet den Bereich direkter patrimonialer Verwaltung des Herrn vermittels seiner Hofbeamten: die »Hausmacht« des Herrn. Daran schließen sich die Außenprovinzen, deren Statthalter ihr Gebiet ihrerseits patrimonial verwalten, aber, schon infolge der unzulänglichen Verkehrsmittel, die Abgaben nichr mehr in brutto, sondern die Ueberschüsse nach Deckung des lokalen Bedarfs, regelmäßig aber nur feste Tribute abführen und dabei mit zunehmender Entfernung immer selbständiger in der Verfügung über die Militär- und Steuerkraft des Bezirks dastehen. Dies erzwingt schon die aus dem Fehlen moderner Verkehrsmittel folgende Notwendigkeit selbstständiger schneller Entschließungen der Beamten bei feindlichen Angriffen auf die »Marken«, deren Beamte überall mit sehr starker Amtsgewalt bewidmet sind (in Deutschland daher die Träger der stärksten Territorialstaatsentwicklung: Brandenburg und Oesterreich). Bis endlich zu den entferntesten Gebieten, deren nur noch nominell abhängige Herren zur Zahlung eines Tributes lediglich durch stets erneute Erpressungskampagnen anzuhalten waren, wie sie der Assyrerkönig ganz ebenso wie noch in der neuesten Zeit die Herrscher vieler Negerreiche alljährlich abwechselnd nach irgendeinem der Außenschläge ihrer prätendierten, durchweg labilen, teilweise direkt fiktiven Machtgebiete unternahmen. Die beliebig absetzbaren, aber auf festen Tribut und feste Militärkontingente gesetzten persischen Satrapen einerseits, die einem »Landesherrn« sehr nahestehenden, immerhin im Fall der Pflichtverletzung versetzbaren japanischen Daimyô's andererseits, bilden zwei Typen, zwischen denen in der Mitte die »Statthalter« der meisten orientalischen und asiatischen großen Reiche mit ihrer praktisch stets labilen Abhängigkeit zu stehen pflegen. Unter[611] den großen Kontinentalreichen war jene Art von politischen Konglomeratsgebilden von jeher der verbreitetste, bei großer Konstanz der entscheidenden Grundzüge in der Einzelgestaltung naturgemäß sehr variable Typus. Auch das chinesische Reich bis in die Neuzeit wies trotz der Einheitlichkeit seiner Beamtenschicht diese Züge eines Konglomerats von zum Teil nur nominell abhängigen Satrapien auf, welche sich um die direkt verwalteten Kernprovinzen gruppierten. Insbesondere behielten auch hier, wie in den persischen Satrapien, die lokalen Behörden die Einnahmen aus ihren Provinzen in der Hand und bestritten daraus die Kosten der lokalen Verwaltung vorab; die Zentralregierung erhielt nur ihren zwar rechtlich, aber nur schwer und gegen leidenschaftlichen Widerstand der Provinzialinteressenten faktisch zu erhöhenden Tribut. Die Frage, wieweit die sehr fühlbaren Reste dieses Zustandes zugunsten rationaler Gliederung der Zentral- und Lokalgewalt und der Schaffung einer kreditwürdigen Zentralgewalt beseitigt werden sollen und können, bildet wohl das wichtigste Problem der modernen chinesischen Verwaltungsreform und hängt natürlich mit der Frage jener Beziehungen der Zentral- zu den Provinzialfinanzen, also ökonomischen Interessengegensätzen zusammen58.

Die Dezentralisation erreicht, wie einerseits in der bloßen Kontingents- und Tributpflicht, so andererseits im Teilfürstentum einen Grenzfall. Da alle Herrschaftsbeziehungen, ökonomische wie politische, als privater Besitz des Herrn gelten, so ist Teilung im Erbgang eine durchaus normale Erscheinung. Diese Teilung gilt aber regelmäßig nicht als eine Konstituierung ganz selbständiger Gewalten: sie ist keine »Totteilung« im deutsch-rechtlichen Sinn, sondern meist zunächst nur eine Verteilung der Einkünfte und Herrenrechte zur selbständigen Ausübung unter mindestens fiktiver Aufrechterhaltung der Einheit. Diese rein patrimoniale Auffassung der Fürstenstellung äußerte sich z.B. im Merowingerreich in der geographisch höchst irrationalen Art der Teilung: es mußten die besonders stark mit ertragreichen Domänen oder anderen Quellen hoher Einkünfte, besetzten Gebietsteile so verteilt werden, daß die Einnahmen der einzelnen Teilfürsten ausgeglichen wurden. Die Art und das Maß von Realität der »Einheit« kann sehr verschieden stark sein. Unter Umständen bleibt ein reiner Ehrenvorrang bestehen. Der Metropolitensitz Kiew mit dem Großfürstentitel spielt in der Teilfürstenperiode Rußlands dieselbe Rolle wie Aachen und Rom mit dem Kaisertitel bei der Teilung des Karolingerreichs. Das Reich Dschingis Khans galt als Gesamtbesitz seiner Familie, der Großkhantitel sollte theoretisch dem jüngsten Sohne zufallen, tatsächlich wurde er durch Designation oder Wahl vergeben. Faktisch entziehen sich die Teilfürsten freilich überall regelmäßig der zugemuteten Unterordnung. Gerade die Vergebung großer Amtsgewalten an Mitglieder der herrschenden Familie kann statt der Erhaltung der Einheit den Zerfall oder – wie in den Rosenkriegen – Prätendentenkämpfe begünstigen. Wieweit sich dementsprechend, bei Umgestaltung der patrimonialen Aemter in erblich appropriierte Gewalten, die Erbteilung auch auf sie überträgt, hängt von verschiedenen Umständen ab. Einerseits insbesondere von dem Maß des Verfalls oder umgekehrt der Aufrechterhaltung ihres Amtscharakters. Bei hoher Entwicklung der Machtstellung des Patrimonialbeamtentums kann daher gerade in Teilfürstenreichen ein einheitlicher Beamter dem Teilfürsten gegenüber die reale Reichseinheit repräsentieren (so der karolingische Hausmeier), dessen Wegfall die definitive Teilung begünstigte. Aber naturgemäß verfielen auch gerade diese patrimonial voll appropriierten höchsten Aemter – so das karolingische Hausmeiertum – leicht der Teilung. Die Abstreifung dieses die Dauerhaftigkeit der Patrimonialgebilde sehr stark gefährdenden Erbteilungsprinzips ist in sehr verschiedenem Maße und auch aus verschiedenen Motiven durchgeführt worden. Ganz generell stehen der Erbteilung in politisch bedrohten Ländern politische Bedenken entgegen und empfahl sich jedem Monarchen überhaupt auch im offensichtlichen Interesse der Erhaltung seiner Familie der Ausschluß der Erbteilung. Aber dies[612] machtpolitische Motiv hat doch nicht immer genügt. Teils ideologische, teils technisch-politische Motive mußten jener Tendenz zu Hilfe kommen. Der chinesische Monarch wurde, nach der Durchführung der bürokratischen Ordnung, einerseits mit einer derartigen magischen Würde bekleidet, daß diese begrifflich unteilbar blieb, andererseits wirkten die ständische Einheit der Bürokratie und ihre Avancementsinteressen im Sinn der technischen Unteilbarkeit des politischen Gebildes. Der japanische Shôgun und Daimyô blieben begrifflich »Aemter«, und der besondere vasallitische Charakter der Amts-und Militärverfassung (der »Han«-Begriff, von dem schon die Rede war) begünstigte die Erhaltung der Einheit der Herrenstellung. Die religiös bedingte Einheit des islâmischen Khalifats hinderte nicht den Zerfall des rein weltlichen Sultanats, welches in den Händen der Sklavengenerale entstand, in Teilreiche. Aber die Einheit der disziplinierten Sklavenheere wirkte hier in der Richtung der Erhaltung der Einheit der einmal konstituierten Throne: die Teilung ist im islâmischen Orient schon deshalb niemals heimisch geworden. Wenn sie schon im antiken Orient fehlte, so war wohl wesentlich die notwendige Einheit der staatlichen Wasserwirtschaft der technische Grund für die Erhaltung dieses Grundsatzes, dessen Entstehung aber wohl in dem ursprünglichen Charakter des Fürstentums als Stadtkönigtum ihren historischen Ausgangspunkt hatte. Denn naturgemäß ist eine Herrengewalt über eine einzelne Stadt technisch gar nicht oder schwer teilbar im Vergleich mit einer ländlichen Territorialherrschaft. Jedenfalls aber waren teils religiöse, teils amtsrechtliche, teils und namentlich technische und militärische Gründe für das Fehlen der Erbteilung orientalischer patrimonialer Monarchengewalten maßgebend. Eine Teilung, wie etwa die der Diadochen, fand statt, wo mehrere selbständige stehende Heere unter besonderen Herren nebeneinander stehen, nicht aber aus Anlaß von Erbfällen im Herrenhause. Der Amtscharakter wirkte auch im Okzident in der gleichen Richtung, wo immer er der Herrengewalt anhaftete. Dem Kaisertum Roms blieb die Teilung fremd. Erst mit dem endgültigen Schwinden des Magistratscharakters des römischen »princeps« zugunsten des »dominus« der diokletianischen Ordnung zeigt sich eine Tendenz zur Teilung, die aber rein politisch-militärisch und nicht patrimonial bedingt war und alsbald wieder an der Geschlossenheit jeder militärisch (in der Rekrutierung) schon längst gesonderten Reichshälfte Halt machte. Der Ursprung der Magistratur und Monarchie aus der Kommandogewalt über das Bürgerheer blieb derart wirksam bis in die späteste Zeit. Auch im Okzident blieb unteilbar in erster Linie, was ganz und gar als »Amt« galt: neben den nicht appropriierten Aemtern vor allem die Kaiserwürde. Im übrigen wirkten im Okzident wie überall alle weitblickenden Machtinteressen der Monarchen in der Richtung der Beschränkung oder des Ausschlusses der Teilbarkeit. Namentlich daher bei erobernden Neugründungen. Sowohl das englische wie das süditalische Normannenreich und die spanischen Eroberungsreiche blieben unteilbar, wie es die ersten Völkerwanderungsreiche auch waren. Sonst aber ist die Unteilbarkeit unter starker Mitwirkung zweier untereinander sehr verschiedener Motive durchgeführt worden. Für die Königtümer Deutschlands und Frankreichs dadurch, daß sie – auch Frankreich wenigstens der Form nach – Wahlmonarchien wurden. Dagegen für die sonstigen patrimonialisierten Länder vor allem auf Grund einer dem Okzident spezifischen Voraussetzung: der Entwicklung der ständischen Territorialkörperschaften. Weil und soweit diese – die Vorläufer der modernen Staatsanstalt – als Einheit gelten, gilt auch die Gewalt des »Landesherrn« als unteilbar. Indessen hier kündigt sich schon der moderne »Staat« an. Innerhalb des Patrimonialismus dagegen findet sich vom haushörigen Patrimonialbeamten bis zum Tributärfürsten und bis zum nur nominell abhängigen Teilkönig eine ganze Stufenleiter von faktischen Selbständigkeitsgraden der lokalen Gewalten innerhalb des patrimonialen Herrschaftsverbandes.

Eine spezifische Problematik erzeugt nun das stete Ringen der Zentralgewalt mit den verschiedenen zentrifugalen lokalen Gewalten für den Patrimonialismus dann,[613] wenn der Patrimonialherr mit seinen ihm persönlich zur Verfügung stehenden Machtmitteln: eigenem Grundbesitz und anderen Einkommensquellen [sowie] mit ihm persönlich solidarischen Beamten und Soldaten, nicht einer bloßen in sich nur nach Sippen und Berufen gegliederten Masse von Untertanen gegenübersteht, sondern wenn er als ein Grundherr neben und über anderen Grundherren steht, welche als eine lokale Honoratiorenschicht eine eigenständige Autorität innerhalb ihrer Heimatsbezirke genießen. Dies war, im Gegensatz zu China und Aegypten seit dem neuen Reich, schon in den antiken und mittelalterlichen politischen Patrimonialgebilden Vorderasiens der Fall, am stärksten aber in den okzidentalen politischen Herrschaftsverbänden seit der römischen Kaiserzeit. Eine Vernichtung dieser eigenständigen lokalen patrimonialen Gewalten kann der Patrimonialfürst nicht immer wagen. Einzelne römische Kaiser (Nero) haben zwar, besonders in Afrika, in starkem Umfang zu dem Mittel der Ausrottung der privaten Grundherren gegriffen. Allein dann müssen entweder, wenn die eigenständige Honoratiorenschicht ganz verdrängt werden soll, eigene Mittel der Verwaltungsorganisation zur Verfügung stehen, welche sie mit annähernd gleicher Autorität innerhalb der lokalen Bevölkerung ersetzen. Oder es entsteht in Gestalt der Pächter oder Grundherren, welche nun an die Stelle der einheimischen gesetzt werden, nur ein neuer Honoratiorenstand mit ähnlichen Prätentionen. In gewissem Umfang schon für den vorderasiatischen, prinzipiell für den hellenistischen und kaiserlich-römischen Staat war das spezifische Mittel der Schaffung eines lokalen Verwaltungsapparates die Städtegründung, und eine ganz ähnliche Erscheinung finden wir auch in China, wo noch die Unterwerfung der Miaotse im letzten Jahrhundert mit ihrer Urbanisierung identisch war. Wir werden uns mit dem allerdings sehr verschiedenen Sinn, den dies Mittel in diesen Fällen gehabt hat, später zu befassen haben. Jedenfalls aber erklärt sich daraus, daß, ganz allgemein gesprochen, die zeitliche und örtliche ökonomische Grenze der Städtegründung im Römerreich auch die Grenze der überkommenen Struktur der antiken Kultur wurde. Die Grundherrschaften gewannen naturgemäß um so mehr an politischem Gewicht, je mehr die Städtegründung versagte, und das hieß im allgemeinen: je mehr das Reich ein Binnenreich wurde. Für den spätantiken Staat sollte dann seit Konstantin die Bischofsgewalt die Stütze der Reichseinheit werden. Die ökumenischen Konzilien wurden die spezifischen Reichsversammlungen. Es wird noch zu erwähnen sein, warum die durch den Staat universalisierte und politisierte Kirche, weil sie gerade infolge dieser Politisierung sich ungemein schnell regionalisierte, diese Stütze nicht in genügendem Maße bleiben konnte. Im frühmittelalterlichen Patrimonialstaat wurde wiederum in anderer Form die Kirche zu einer ähnlichen Rolle ausersehen. So im Frankenreich und in anderer Art innerhalb der Feudalstaaten. Speziell in Deutschland versuchte der König, zunächst mit dem größten Erfolg, den lokalen und regionalen Gewalten ein Gegengewicht gegenüberzustellen durch Schaffung eines mit dem weltlichen konkurrierenden, kirchlichen politischen Honoratiorenstandes der Bischöfe, welche, weil nicht erblich, und nicht lokal rekrutiert und interessiert, in ihren universell gerichteten Interessen mit dem König völlig solidarisch schienen, und deren vom König ihnen verliehene grundherrliche und politische Gewalten auch rechtlich ganz in der Hand des Königs blieben. Deshalb war speziell für das deutsche Königtum das Unternehmen der Päpste, die Kirche entweder direkt bürokratisch zu organisieren, also die Kirchenämter ganz in die eigene Hand zu bekommen, oder doch ihre Besetzung nach kanonischer Regel unabhängig vom Königtum durch Klerus und Gemeinde vornehmen zu lassen, – d.h. der Sache nach: durch einen lokalen geistlichen Honoratiorenstand von Domkapitularen, welche mit den lokalen weltlichen Honoratioren durch verwandtschaftliche und persönliche Beziehungen verknüpft waren, – ein Kampf um die Grundlage seiner spezifischen politischen Machtmittel gegenüber den lokalen Gewalten. Und eben deshalb fand die Kirchengewalt dabei leicht die Unterstützung der weltlichen Honoratioren gegen den König. Eine Kombination[614] von Entwaffnung und Theokratisierung (so bei den Juden und in Aegypten) verbunden mit der Ausnutzung der schroffen nationalen Gegensätze und der Interessenkollisionen lokaler Honoratioren hat, soviel sich sehen läßt, die labile Einheit des Perserreichs über zwei Jahrhunderte lang erhalten. Jedenfalls aber finden sich schon im babylonischen und persischen Reich Spuren jener typischen Auseinandersetzungen zwischen den lokalen Honoratiorenschichten und der Zentralgewalt, wie sie später im okzidentalen Mittelalter zu einer der wichtigsten Determinanten der Entwicklung wurden.

Die lokale Grundherrenschicht verlangt überall zunächst und vor allem: daß der Patrimonialfürst ihre eigene patrimoniale Gewalt über ihre Hintersassen unangetastet lasse oder direkt garantiere. Also vor allem Ausschluß von Eingriffen der Verwaltungsbeamten des Herrschers auf dem Gebiet ihrer Grundherrschaft: Immunität. Der Grundherr als solcher soll die Instanz sein, durch deren Vermittlung der Herrscher mit den Hintersassen überhaupt in Beziehung tritt, an ihn soll man sich wegen krimineller und steuerlicher Haftung dieser letzteren halten, ihm soll die Gestellung der Rekruten, die Leistung und Subrepartition des Steuersolls für sie überlassen bleiben. Daneben wird natürlich, da der Grundherr die Prästationsfähigkeit der Hintersassen an Fronden und Abgaben für sich selbst auszunutzen wünscht, deren Leistung an den Patrimonialfürsten möglichst herabgesetzt oder doch fixiert werden. Immunitätsprivilegien, welche verschieden große Bruchteile solcher Ansprüche erfüllen, finden sich schon im 3. Jahrtausend in Aegypten (zugunsten von Tempeln und Beamten) und dann im babylonischen Reich (hier auch zugunsten privater Grundherren). Bei konsequenter Durchführung bedeuten jene Prätentionen die Exemtion der Grundherrschaftem von den vom Patrimonialherrn sonst als Trägern von Rechten und Pflichten ihm gegenüber konstituierten Kommunalverbänden, Dorfgemeinden also und eventuell Städten. In der Tat zeigt schon die Antike in dem hellenistischen Reich und ebenso die römische Kaiserzeit diesen Zustand. Zunächst gehört der grundherrliche Besitz des Monarchen selbst meist zu den von allen Kommunalverbänden eximierten Gebieten. Die Folge war, daß hier (neben den monarchischen Beamten) eventuell der Domänenpächter als solcher neben den patrimonialen auch politische Herrschaftsrechte ausübte. Daneben aber auch, wachsend im römischen Reich, private Großgrundherrschaften, deren Territorien nun neben den Stadtgebieten etwa eine solche Stellung einnahmen wie die aus der feudalen Epoche überkommenen preußischen Gutsbezirke im Osten. Mit noch ganz anderer Wucht aber machten sich die Ansprüche der lokalen grundherrlichen Gewalten innerhalb der okzidentalen Reiche des Mittelalters geltend, wo die auf eine nach festen Traditionen geschulte Bürokratie und auf ein stehendes Heer gestützte Monarchie der Antike fehlte. Hier hat noch die Monarchie der beginnenden Neuzeit gar keine Wahl gehabt, als mit den Grundherren Kompromisse zu schließen, solange die [erstere] nicht ein eigenes Heer und eine eigene Bürokratie schaffen und aus eigenen Mitteln beide besolden und das [Militär] equipieren konnte. Die spätantike, vollends die byzantinische Monarchie hatte gleichfalls den regionalen Interessen Konzessionen machen müssen. Selbst die Heeresrekrutierung war schon vom 4. Jahrhundert an zunehmend eine regionale geworden. Die rein lokale Verwaltung legte die Dekurionatsverfassung der Städte und die Verwaltung durch die Grundherren in die Hände der lokalen Honoratioren. Immerhin lagerte über diesen Schichten doch die Kontrolle und Reglementierung der spätrömischen und dann der byzantinischen Zentralgewalt. Im Okzident fehlte dies völlig. Im Gegensatz zu den (offiziellen) Grundsätzen der chinesischen Verwaltung und auch zu Prinzipien, welche okzidentale Herrscher immer wieder einmal zu erzwingen suchten, gelang es hier den Grundherren sehr bald durchzusetzen, daß der Lokalbeamte des Herrschers mit Grundbesitz in seinem Amtsbezirk ansässig sein – wie dies bei den englischen Sheriffs und Friedensrichtern ebenso der Fall war und ist wie bei den preußischen Landräten –, also der lokalen grundherrlichen Honoratiorenschicht angehören[615] mußte. Das Präsentationsrecht für lokale staatliche Aemter hat sich in Preußen für die Landräte bis in den Staat des 19. Jahrhunderts erhalten. Die präsentationsberechtigten Gremien waren der Sache nach in Händen der Grundherren des Kreises. Und den ganz großen Baronen gelang es im Mittelalter, weit darüber hinaus, wenn auch nicht rechtlich, so doch faktisch, Aemterpatronagen großer Gebiete an sich zu reißen. Ueberall ging die Tendenz der Entwicklung dahin: die Gesamtheit der Untertanen des Patrimonialfürsten zu »mediatisieren«, zwischen sie und den Fürsten die lokale Honoratiorenschicht als alleinige Innehaberin der politischen Aemter aller Art einzuschieben, beiden die direkte Beziehung zueinander abzuschneiden, den Untertan wie den Fürsten für ihre gegenseitigen Ansprüche auf Steuer- und Heeresdienst einerseits, auf Gewährung von Rechtsschutz andererseits allein an den lokalen Amtsinhaber unter Ausschluß jeder Kontrolle des Fürsten zu weisen und zugleich das politische Amt selbst rechtlich oder faktisch erblich in eine Familie oder doch in einen lokalen Honoratiorenkonzern zu appropriieren.

Der Kampf zwischen patrimonialer Fürstengewalt und den natürlichen Tendenzen der lokalen patrimonialen Interessenten hat die verschiedensten Resultate gezeitigt. Der Fürst nimmt vor allem fiskalisches und militärisches Interesse an den der Mediatisierung unterworfenen Untertanen: daß ihre Zahl, die Zahl der Bauernnahrungen also, komplett bleibt und daß sie nicht von den patrimonialen Lokalgewalten für deren Zwecke so ausgebeutet werden, daß ihre Prästationsfähigkeit für den Fürsten leidet, daß der Fürst die Macht behält, sie direkt für seine Zwecke zu besteuern und militärisch aufzubieten. Die lokalen Patrimonialherren ihrerseits beanspruchen, die Bauern dem Fürsten gegenüber in allen Dingen zu vertreten. Der Satz: »nulle terre sans seigneur« hatte im Mittelalter, neben der noch zu erörternden lehensrechtlichen, insbesondere auch die praktisch verwaltungsrechtliche Bedeutung, daß vom Standpunkt der fürstlichen Verwaltung aus eine Dorfgemeinde der Bauern als Verband mit eigenen Befugnissen nicht zu existieren habe, jeder Bauer in einen Patrimonialverband gehöre und durch seinen Patrimonialherrn vertreten werde, so daß der Fürst sich nur an den Herrn, nicht an dessen Hintersassen zu wenden befugt sei. Nur ausnahmsweise ist dieser letztere Standpunkt restlos durchgeführt worden und dann stets nur zeitweilig. Jedes Erstarken der Fürstenmacht bedeutet irgendwelche direkte Interessiertheit des Fürsten an allen Untertanen. Allein in aller Regel hat der Fürst sich zu Kompromissen mit den lokalen Patrimonialgewalten oder anderen Honoratioren veranlaßt gesehen. Neben der Rücksicht auf den zu befürchtenden, oft gefährlichen Widerstand, dem Fehlen des eigenen militärischen und bürokratischen Apparats zur effektiven Uebernahme der Verwaltung, waren dafür vor allem die lokalen Honoratioren entscheidend. Die lokale Verwaltung des spätmittelalterlichen England und vollends des ostelbischen Preußen im 18. Jahrhundert hätte vom Fürsten überhaupt ohne Benutzung des Adels schon rein finanziell nicht bestritten werden können. Ein Produkt dieser Situation waren in Preußen wohl die faktische Monopolisierung der Offiziersstellen und [die] starken Vorzugschancen in der staatlichen Aemterlaufbahn (vor allem gänzliches Absehen von den sonst gültigen Qualifikationserfordernissen oder doch faktisch weitgehender Dispens davon) durch den Adel, und die noch bis heute59 bestehende Uebermacht des Rittergutsbesitzes in allen lokalen ländlichen Verwaltungskörperschaften. Wollte der Fürst eine solche Appropriation der gesamten lokalen Staatsverwaltung durch die lokalen Patrimonialherren vermeiden, so hatte er, solange ihm nicht sehr bedeutende eigene Einnahmen zu Gebote standen, keine Wahl, als sie in die Hände einer anderen Honoratiorenschicht zu legen, deren Zahl und Machtstellung bedeutend genug war, um sich gegenüber den großen Patrimonialherren zu behaupten. In England entsprang dieser Situation das Institut der Friedensrichter, welches seine charakteristischen Züge in der Zeit der großen Kriege mit Frankreich empfing. Die reine Patrimonialverwaltung der Grundherren und ihre Gerichtsbarkeit, ebenso aber die von[616] dem Feudaladel beherrschten lokalen Aemter (der sheriff) waren infolge der ökonomisch bedingten Auflösung der Hörigkeits verhältnisse nicht zur Bewältigung neuer Verwaltungsaufgaben imstande, und die Krone hatte auch das Interesse, die patrimonialen und feudalen Gewalten beiseite zu schieben, worin sie von den »Commons« entschieden unterstützt wurde. Die neuen Verwaltungsaufgaben aber waren hier wie anderwärts wesentlich polizeilicher Natur und hingen mit dem ökonomisch bedingten steigenden Bedürfnis nach Befriedung zusammen. Denn daß eine infolge der Kriegszustände gestiegene Unsicherheit den Grund abgegeben habe, wie meist gesagt wird, ist unglaubhaft, da das Institut dauernd bestehen blieb. Es war die wachsende Marktverflechtung der Wirtschaften, welche die Unsicherheit wachsend stark empfinden ließ. Dazu traten dann, charakteristisch genug, die Arbeitslosen- und Nahrungsmittelpreisfrage, welche die steigende Geldwirtschaft aufrollte. Sicherheits-, Gewerbe- und Konsumpolizei waren daher die ursprünglichen Kernpunkte der höchst vielseitigen Friedensrichtergeschäfte. Ihr Personal aber stellten die privaten Interessenten. Die Krone suchte, indem sie für jede Grafschaft eine beliebig große Anzahl lokaler Honoratioren – faktisch und bald auch rechtlich vorwiegend der Schicht der durch ein Grundrentenminimum qualifizierten, ritterlich lebenden Grundbesitzer des betreffenden Bezirks entnommen – unter Ernennung zu conservatores pacis mit einem Komplex von sich im Lauf der Zeit stetig vermannigfaltigenden polizeilichen und kriminal-richterlichen Befugnissen, formell widerruflich, faktisch lebenslänglich, ausstattete und dabei die Ernennung sich selbst, die Oberaufsicht den Reichsgerichten vorbehielt, diese Schicht der sogenannten »gentry« im Gegensatz zu den ganz großen Patrimonialherren, den Baronen, auf die Seite des Fürsten zu ziehen. Einem der Friedensrichter, dem Lord Lieutenant, fiel die Kommandogewalt über die Miliz zu. Ein regulärer bürokratischer »Instanzenzug« von den Entscheidungen des Friedensrichters existierte nicht, oder doch nur – auf der Höhe der patrimonialen Machtansprüche der Krone – in Gestalt der sogenannten »Star Chamber«, welche eben deshalb von der Gentry in der Revolution des 17. Jahrhunderts vernichtet wurde. Es gab nun nur – in der Praxis in wachsendem Umfang – die Möglichkeit, konkrete Angelegenheiten durch besondere Verfügung (writ of Certiorari) vor die Zentralinstanzen zu ziehen, was ursprünglich ganz nach freiem Belieben erfolgen konnte. Praktisch bedeutete dies alles: daß auf die Dauer kein König wirksam gegen diejenige Schicht, welche die Friedensrichter stellte, zu regieren vermochte. Es gelang der Krone, die oft wiederholten Versuche, die Friedensrichterbestellung von der Wahl der lokalen Honoratioren direkt abhängig zu machen, abzuschlagen und die Ernennung in der eigenen Hand, unter Vorbehalt des Vorschlagsrechtes bestimmter Ratgeber der Krone, zu behalten. Dies bedeutete, daß jenen Großbeamten, namentlich dem Kanzler, damit eine oft direkt pekuniär ausgenutzte Patronage in die Hand gegeben war. Allein sowohl dieser Patronage der Kontrollbeamten wie der offiziellen Rechtsstellung der Krone selbst gegenüber war die Solidarität der Gentry stark genug, um es zu erzwingen, daß die Friedensrichterstellen ihr Monopol blieben, und unter Elisabeth [I.] beschwerte man sich darüber, daß tatsächlich die Empfehlung der vorhandenen Friedensrichter über die Neueinstellung von solchen entscheide.

Wie alle königlichen Beamten, war der Friedensrichter ursprünglich auf Sporteln und Tagegelder angewiesen. Allein bei der Niedrigkeit dieser Einnahmen wurde es Standeskonvention der Grundbesitzer, die Sporteln zu verschmähen. Die Zensus-Qualifikation der Friedensrichter wurde noch im 18. Jahrhundert erheblich erhöht. Als normale Vorbedingung wurde ein bestimmter Grundwert mindestens gefordert. Die typische und zunehmende englische Verpachtung des Besitzes setzte die Arbeitskraft gerade der ländlichen Gentry für diese Amtsgeschäfte frei. Was das Stadtbürgertum anlangt, so war die Beteiligung aktiver Geschäftsleute aus jenem Grund schwierig, der sie überall aus dem Kreise der »Honoratioren« ausschließt: wegen ihrer ökonomischen Unabkömmlichkeit. Aus ihren Kreisen traten wohl öfters ältere,[617] vom aktiven Geschäft zurückgezogene Leute, weit häufiger aber jene zunehmenden Schichten der Gildegenossen, welche aus Unternehmern nach Erwerb hinlänglichen Vermögens zu Rentiers geworden waren, in das Friedensrichteramt ein. Die charakteristische Verschmelzung der ländlichen und der bürgerlichen Rentnerkreise zum Typus des »Gentleman« wurde durch die gemeinsame Beziehung zum Friedensrichteramt kräftig gefördert. Bei all diesen Kreisen wurde es nun Standessitte, die Söhne schon in jungen Jahren, nach absolviertem humanistischem Bildungsgang, sich zum Friedensrichter ernennen zu lassen. Das Friedensrichteramt war nun eine unbesoldete Amtstellung, dessen, für die Qualifizierten, obligatorische Uebernahme an sich, formell betrachtet, eine Leiturgie darstellte, deren effektive Ausübung oft nur auf kurze Frist übernommen wurde. Nur ein Teil (allerdings in der Neuzeit ein zunehmender Teil) der Friedensrichter versah überhaupt seine Amtsfunktionen tatsächlich. Für den Rest war das Amt titular und eine Quelle von sozialer Ehre. Soziales Prestige und soziale Macht waren auch der Grund, daß diese, bei wirklicher Teilnahme an den Amtsgeschäften sehr wesentliche Arbeit verursachende, Stellung dennoch dauernd in genügendem Maße auch zur effektiven Ausübung gesucht war und blieb. Die anfänglich vorhandene und Jahrhunderte hindurch sehr scharfe Konkurrenz von Berufsjuristen unterlag: sie wurden durch die Niedrigkeit der Einnahmen und den späteren faktischen Verzicht der Gentry [dar]auf allmählich aus dem Amt herausgedrängt. Der einzelne Laienfriedensrichter ließ sich durch seinen persönlichen Anwalt beraten; im ganzen aber wurde mit Hilfe der zur Verfügung gestellten Clercs nach Tradition und sehr weitgehend auch nach billigem Ermessen entschieden, was der Friedensrichterverwaltung ihre Volkstümlichkeit und ihr eigentümliches Gepräge verlieh. Es liegt also hier einer der äußerst seltenen Fälle vor, wo trotz zunehmender Amtsgeschäfte dennoch das Berufsbeamtentum durch das Honoratiorenamt in friedlichem Wettkampf vollkommen verdrängt wurde. Nicht irgend ein spezifischer »Idealismus« der interessierten Kreise, sondern der immerhin bedeutende und von außen her so gut wie ganz selbständige – formell nur durch die Vorschrift, daß alle irgend erheblichen Angelegenheiten nur kollegial, von mindestens 2 Friedensrichtern gemeinsam erledigt werden konnten, materiell aber durch die starken, aus der Standeskonvention folgenden Pflichtvorstellungen kontrollierte – Einfluß, welchen [dieses Amt] verlieh, waren der Anreiz für die Gentry, sich dazu zu drängen. Diese Verwaltung vermittels der Friedensrichter hat in England alle anderen lokalen Verwaltungsinstanzen (außerhalb der Städte) praktisch fast bedeutungslos werden lassen. Die Friedensrichter in der Zeit der Blüte dieses, als nationales Palladium gepriesenen »selfgovernment« waren faktisch fast die einzigen, effektive Verwaltungsarbeit leistenden Beamten in den lokalen Verwaltungssprengeln (Grafschaften), neben denen sowohl die alten Zwangsleiturgieverbände, wie die patrimoniale Verwaltung durch Grundherren, wie jede Art von patrimonial-bürokratischem Regime des Königs zur Bedeutungslosigkeit zusammengeschrumpft waren. Es war einer der radikalsten Typen der Durchführung einer reinen »Honoratiorenverwaltung«, welche die Geschichte auf dem Boden großer Länder gekannt hat. Dem entsprachen Art und Inhalt der Amtsführung. Die Justiz der Friedensrichter, diejenige also, welche für die Masse der Bevölkerung praktisch bedeutsam war – denn die Reichsgerichte in London waren für sie räumlich und, vor allem, wegen der ungeheuren Sporteln ökonomisch ebenso weit entfernt wie für die römischen Bauern der Prätor oder die russischen der Zar –, trug bis in die Gegenwart hinein sehr stark den Charakter der »Kadijustiz« an sich. Ihre Verwaltung zeigt als einen aller Honoratiorenverwaltung unvermeidlich charakteristischen Zug die »Minimisierung« und den Gelegenheitscharakter der verwaltenden Amtstätigkeit. Diese hatte nicht den Charakter eines »Betriebes«. Sie war vor allem, so weit sie nicht in Listenführung (wie zuerst namentlich beim custos rotulorum) bestand, überwiegend repressiven Charakters, unsystematisch, der Regel nach faktisch nur auf direkt fühlbare grobe Verstöße oder auf Anrufung eines Geschädigten reagierend,[618] zu einer stetigen und intensiven Bearbeitung positiver Verwaltungsaufgaben aber, oder zu einer konsequenten, von einheitlichen Gedanken ausgehenden »Wohlfahrts«-Politik, technisch ganz ungeeignet, weil sie grundsätzlich als nebenamtliche Arbeit von »gentlemen« galt. Zwar wurde es Grundsatz, daß bei den »Quarter Sessions« der Friedensrichter mindestens einer von ihnen rechtskundig sein müsse: dieser oder diese wurden in der erteilten »commission« namentlich aufgeführt (Quorumklausel); dadurch wahrte sich die Zentralverwaltung zugleich einen gewissen Einfluß auf die Persönlichkeit der effektiv fungierenden Friedensrichter. Allein seit dem 18. Jahrhundert verlor selbst dies seine Geltung: alle aktiv Mitwirkenden wurden unter die »Quorum« aufgenommen.

Zwar hatte der Untertan zu gewärtigen, daß er bei allen nur denkbaren Vorgängen seines Lebens, vom Wirtshausbesuch und Kartenspiel oder der standesgemäßen Wahl seiner Tracht angefangen bis zur Höhe der Kornpreise und Zulänglichkeit gezahlter Löhne, von der Arbeitsscheu bis zur Ketzerei, die Polizei-und Strafgewalt der Friedensrichter zu spüren bekommen könne. Endlos waren die Statuten und Verordnungen, welche von den Friedensrichtern und nur von ihnen die Durchführung ihrer durch Zufallsanlässe bedingten Vorschriften erwarteten. Aber ob und wann, durch welche Mittel und wie nachhaltig sie eingriffen, stand der Sache nach weitgehend in ihrem Belieben. Der Gedanke einer planvollen Verwaltungsarbeit im Dienste bestimmter Ziele konnte in ihren Kreisen nur ausnahmsweise entstehen, und nur die kurze Periode der Stuarts, vor allem der Laudschen Verwaltung, sah den Versuch, von oben her ein konsequentes System einer »christlichen Sozialpolitik« durchzuführen, welcher aber, begreiflicherweise, schließlich am Widerstand eben jener Kreise scheiterte, denen die Friedensrichter vorwiegend entnommen wurden.

Der extensive und intermittierende Charakter der Friedensrichterverwaltung als solcher, ebenso aber die Art des Eingreifens der Zentralbehörden in ihren Gang, teils abrupt für konkrete Einzelfälle und dann praktisch wirksam, teils generell durch Anweisungen, welche praktisch oft nur den Wert von guten Ratschlägen hatten, erinnert in manchem scheinbar an die Art des Funktionierens der chinesischen Verwaltung, auf deren Gang diese Merkmale äußerlich auch zutreffen. Allein der Unterschied ist ein ungeheurer. Hier wie dort freilich ist der entscheidende Sachverhalt der: daß die patrimonial-bürokratische Verwaltung auf lokale Autoriäten stößt, mit denen sie sich irgendwie ins Einvernehmen setzen muß, um funktionieren zu können. Allein in China standen den gebildeten Verwaltungsbeamten die Sippenältesten und Berufsverbände gegenüber. In England den fachgebildeten Richtern der gebildete Honoratiorenstand der grundbesitzenden Gentry. Die Honoratioren Chinas waren die klassisch-literarisch für die Beamtenlaufbahn Gebildeten, Pfründeninhaber oder Pfründenanwärter, und standen also auf der Seite der patrimonial-bürokratischen Gewalt; in England war dagegen gerade der Kern der Gentry ein freier, nur empirisch in der Beherrschung von Hintersassen und Arbeitern geschulter, zunehmend humanistisch gebildeter Großgrundbesitzerstand, eine Schicht also, die in China ganz fehlte. China stellte den reinsten Typus des von jedem Gegengewicht, soweit überhaupt möglich, freien und dabei noch nicht zum modernen Fachbeamtentum raffinierten Patrimonialbürokratismus dar. Die englische Friedensrichterverwaltung dagegen bildete in ihrer Blütezeit eine Kombination des ständischen Patrimonialismus mit der reinen eigenständigen Honoratiorenverwaltung und gehörte der letzteren weit mehr als dem ersteren an. Diese Verwaltung war ursprünglich formal eine solche kraft Untertanen-Leiturgie, – denn eine solche stellt die Uebernahmepflicht des Amtes dar. Im Effekt aber waren es, der faktischen Machtlage nach, nicht Untertanen, sondern freie »Genossen« eines politischen Verbandes, »Staatsbürger« also, durch deren freie Mitwirkung der Fürst seine Gewalt ausübte. Vor allem steht deshalb diese Verwaltung abseits des typischen politischen Uebereinander eines fürstlichen Patrimonialhofhalts und privater Patrimonialherrschaften[619] mit Privatuntertanen; denn gerade parallel mit dem Zerfall der Privathörigkeit entwickelte sie sich. Der Sache nach war freilich die englische »Squirearchie«, deren Ausdruck sie war, eine Honoratiorenschicht durchaus grundherrlichen Gepräges. Ohne spezifische, feudale und grundherrliche Antezedenzien wäre der eigenartige »Geist« der englischen Gentry nie entstanden. Die besondere Art von »Männlichkeitsideal« des angelsächsischen Gentleman trug und trägt unvertilgbar die Spuren davon an sich. Wesentlich in der formalen Strenge der Konventionen, in dem sehr stark entwickelten Stolz und Würdegefühl, in der geradezu ständebildenden gesellschaftlichen Bedeutung des Sports äußert sich dieser Einschlag. Aber er wurde durch die steigende Vermischung mit spezifisch bürgerlichen, städtischen Rentner- und auch aktiven Geschäftskreisen angehörigen Schichten schon vor dem Eindringen des Puritanismus ziemlich stark inhaltlich umgestaltet und rationalisiert, in ähnlicher Richtung, wie die später zu besprechende Mischung von Geschlechtern und popolo grasso in Italien es hervorbrachte. Der moderne Typus ist daraus aber erst durch den Puritanismus und dessen über den Bereich seiner strikten Anhänger hinausreichenden Einfluß geworden, und zwar im Wege einer sehr allmählichen Angleichung der squirearchischen, halbfeudalen und der asketischen, moralistischen und utilitarischen Züge, die noch im 18. Jahrhundert schroff nebeneinander in unversöhntem Gegensatz standen. Das Friedensrichteramt war eines der wichtigsten Mittel, gegenüber dem Ansturm kapitalistischer Gewalten jenem eigentümlichen Vornehmheitstypus [seinen] Einfluß nicht nur auf die Verwaltungspraxis und die hohe Intaktheit des Beamtentums, sondern auch auf die gesellschaftlichen Anschauungen über Ehre und Sitte zu erhalten. Für die Bedingungen moderner Städte war die ehrenamtliche Friedensrichterverwaltung durch gebildete Laien technisch nicht durchführbar. Langsam nahm die Zahl der besoldeten städtischen Friedensrichter zu (Mitte des vorigen Jahrhunderts ca. 1300 von über 18000; von letzteren ca. 10000 Titulare). Aber die fehlende Systematik der englischen Verwaltungsorganisation und die Mischung patriarchaler mit reinen Zweckverbands-Organisationen blieb die Folge davon, daß die rationale Bürokratie nur als Flickwerk, je nach ganz konkreten Einzelbedürfnissen, in die alte Honoratiorenverwaltung eingefügt wurde. Politisch wichtig war diese letztere durch die starke Schulung der besitzenden Klassen in der Führung von Verwaltungsgeschäften [in Verbindung mit] der starken konventionellen Hingabe und Identifikation mit dem Staat. Oekonomisch wichtig war vor allem die unvermeidliche Minimisierung der Verwaltung, welche, bei immerhin starker konventioneller Bindung der »Geschäftsethik« doch der Entfaltung der ökonomischen Initiative fast ganz freie Bahn gab. Vom Patrimonialismus aus gesehen, bildet die Friedensrichterverwaltung einen äußersten Grenzfall desselben. –

In allen anderen historisch bedeutsamen Fällen eines Miteinander von Patrimonialfürstentum und grundherrlichen Honoratioren waren diese letzteren ihrerseits Patrimonialherren und ging beim Entstehen der Patrimonialbürokratie in der beginnenden Neuzeit das ausdrückliche oder stillschweigende Kompromiß der beiden Gewalten dahin: daß den lokalen Patrimonialherren die Herrschaft und die ökonomische Verfügung über ihre Hintersassen soweit garantiert wird, als das Steuer- und Rekruten-Interesse des Fürsten es zuläßt, daß sie die lokale Verwaltung und niedere Gerichtsbarkeit über ihre Hintersassen gänzlich in der Hand haben und diese [letzteren] dem Fürsten und seinen Beamten gegenüber vertreten, daß ferner alle oder doch ein großer Teil aller Staatsämter, namentlich alle oder doch fast alle Offizierstellen ihnen reserviert werden, daß sie ferner für ihre Person und ihren Grundbesitz von Steuern befreit sind und als »Adel« weitgehende ständische Privilegien in bezug auf Gerichtsstand, Art der Strafen und Beweismittel genießen, darunter namentlich (meist): daß nur sie fähig sind, eine Patrimonialherrschaft auszuüben, also »adlige« Güter mit leibeigenen, hörigen oder anderen patrimonial abhängigen Bauern zu besitzen. Von derartigen ständischen Privilegien eines vom Fürsten unabhängigen Adels waren in dem England der Gentryverwaltung nur noch Reste vorhanden. Die[620] Machtstellung der englischen Gentry innerhalb der lokalen Verwaltung ist die Kehrseite der Uebernahme einer leiturgie-artigen Belastung mit einer höchst zeit[raubenden] und kostspieligen Ehrenamtspflicht. Dergleichen kannte die kontinentale europäische Ordnung wenigstens in der Neuzeit nicht mehr. Eine Art von Dienst-Leiturgie lag allerdings in der Zeit von Peter dem Großen bis zu Katharina II. auf dem russischen Adel. Die Maßregeln Peters des Großen beseitigten die bisherigen sozialen Rang- und Rechtsverhältnisse des russischen Adels zugunsten zweier einfacher Grundsätze: 1. Sozialen Rang (tschin) verleiht nur der Dienst im patrimonial-bürokratischen (bürgerlichen oder militärischen) Amt, und zwar der Höhe nach je nachdem in 14 Rangklassen der patrimonial-bürokratischen Aemterhierarchie: da für den Eintritt in die Amtskarriere kein Monopol des bestehenden Adels und auch keine Grundbesitzqualifikation erforderlich war, sondern (wenigstens der Theorie nach) eine Bildungsqualifikation, so schien dies dem chinesischen Zustand nahezustehen. – 2. Nach zwei Generationen erlöschen in Ermangelung der Uebernahme von Aemtern die Adelsrechte. Auch dies scheint dem chinesischen Zustand verwandt. Aber die russischen Adelsrechte enthielten nun neben anderen Privilegien vor allem auch das ausschließliche Recht: mit Leibeigenen besiedeltes Land zu besitzen. Dadurch war der Adel mit dem Vorrecht grundherrlichen Patrimonialismus in einer Art verknüpft, welche China durchaus fremd war. Der Verlust der Adelsrechte als Folge nicht geleisteten Fürstendienstes wurde unter Peter III. und Katharina II. abgeschafft. Aber der tschin und die amtliche Rangliste (tabel' o rangach) blieben die offizielle Grundlage der sozialen Schätzung und der mindestens zeitweilige Eintritt in ein Staatsamt blieb eine Standeskonvention für junge Adlige. Zwar war die Patrimonialherrschaft der adligen Grundherren auf dem Gebiet des Privatgrundeigentums so gut wie universell im Sinn des Satzes »nulle terre sans seigneur«, da es außerhalb des adligen Grundbesitzes nur Grundherrschaften der fürstlichen Domänen- und Apanagengüter und der Geistlichkeit und Klöster gab, freies Grundeigentum in anderen Händen dagegen gar nicht oder nur in einzelnen Resten (die Odnodwórzy) oder als Militärlehen (Kosaken). Die ländliche Lokalverwaltung lag also, soweit sie nicht Domänenverwaltung war, ganz in den Händen des grundbesitzenden Adels. Aber eigentliche politische Macht und soziales Prestige, vor allem auch alle Chancen ökonomischen Aufstiegs, wie sie die Handhabung politischer Macht hier wie überall, ganz nach chinesischer Art, zeigt, hingen nur am Amt oder direkt an höfischen Beziehungen. Es war natürlich eine Uebertreibung, wenn Paul I. einem fremden Besucher erklärte: ein vornehmer Mann sei der und nur der, mit dem er spreche, und nur, so lange er mit ihm spreche. Allein tatsächlich konnte sich die Krone gegenüber dem Adel, selbst Trägern der gefeiertsten Namen und Besitzern der ungeheuersten Vermögen, Dinge gestatten, welche kein abendländischer noch so großer Potentat sich gegenüber dem letzten seiner, dem Recht nach unfreien Ministerialen herausgenommen hätte. Diese Machtstellung des Zaren ruhte einerseits auf der festen Interessensolidarität der einzelnen, die Verwaltung und das durch Zwangsrekrutierung beschaffte Heer leitenden Tschin-Inhaber mit ihm und andererseits auf dem völligen Fehlen einer ständischen Interessensolidarität des Adels untereinander. Wie die chinesischen Pfründner, so fühlten sich die Adligen als Konkurrenten um den Tschin und alle Chancen, welche die Fürstengunst bot. Der Adel war daher in sich durch Koterien tief gespalten und dem Fürsten gegenüber vollkommen machtlos, und er hat sich auch bis in die Zeiten der modernen Organisation der Lokalverwaltung, die eine teilweise neue Situation schuf, nur ganz ausnahmsweise und dann stets vergeblich zu Versuchen gemeinsamen Widerstandes zusammengefunden, obwohl er durch Katharina II. ausdrücklich das Versammlungs- und Kollektiv-Petitionsrecht erhalten hatte. Dieser durch die Konkurrenz um die Hofgunst bedingte völlige Mangel an Standessolidarität des Adels war nicht erst die Folge der Ordnungen Peters des Großen, sondern entstammte bereits dem älteren System des »Mjéstnitschestwo«, welches seit der Aufrichtung des moskowitischen Patrimonialstaats die soziale Klassifikation der Honoratioren[621] beherrschte. Der soziale Rang hing von Anfang her an der Würde des vom Zaren, dem universellen Bodeneigentümer, verliehenen Amts, an welchem als materielles Entgelt der Besitz des Dienstlehens – »pomjéstje«: von mjêsto, Stellung – hing. Der Unterschied des alten Mjéstnitschestwo gegenüber der petrinischen Ordnung war im letzten Grunde lediglich, daß einerseits das Dienstlehen, andererseits der dem ersten Erwerber oder einem späteren Vorbesitzer durch Amtsstellung zugewachsene Rang erblich allen seinen Nachfahren appropriiert war und nun das gegenseitige Rangverhältnis der adligen Familien untereinander relativ dauernd regelte. Je nach 1. dem Amtsrang seines in der Amtshierarchie höchstgestiegenen Vorfahren, und 2. je nach der Zahl der Generationen, die zwischen der höchsten bisherigen, von einem von diesen Vorfahren innegehabten Amtsstellung und seinem eigenen Eintritt in den Dienst lagen, begann der junge Adlige mit einer verschiedenen Amtsstellung. Kein Adliger von höherem Amtsadel seiner Familie konnte nach feststehender Standessitte ein Amt annehmen, welches ihn dem Befehl eines Beamten aus einer Familie mit niedrigerem Amtsadel unterstellte, so wenig wie er an einer Tafel – auch auf Lebensgefahr, wenn es die Tafel des Zaren war – jemals einen Platz unterhalb eines nach dem »Mjéstnitschestwo« ihm dem Familienrang nach untergeordneten Beamten noch so hoher persönlicher Amtsstellung akzeptieren durfte. Das System bedeutete einerseits eine empfindliche Einschränkung des Zaren in der Auswahl seiner höchsten Verwaltungsbeamten und Heerführer, über die er sich nur unter großen Schwierigkeiten und dem Risiko, daß die Proteste und Widersetzlichkeiten selbst auf dem Schlachtfelde nicht schwiegen, hinwegsetzen konnte. Auf der anderen Seite nötigte es den Adel, und je höher sein ererbter Rang war, desto mehr, in den höfischen und patrimonialbürokratischen Dienst hinein, um seine soziale Geltung und seine Aemter chancen nicht zu verlieren, und verwandelte ihn so fast restlos in einen »Hofadel« (dworjánstwo: von dwor, Hof).

Der eigene Grundbesitz als Grundlage der Rangstellung trat immer weiter zurück. Die wótschinniki, Inhaber einer wótschina, einer nicht ursprünglich als Dienstland verliehenen, sondern »allodialen« und von den Vorfahren vererbten Grundherrschaft, schwanden dahin zugunsten der pomjéschtschiki, bis dieses die heute alleinherrschende Bezeichnung für »Gutsherr« wurde. Nicht der Besitz adligen Landes, sondern der eigene und ererbte Amtsrang schuf den sozialen Rang. Der Anknüpfungspunkt der Entwicklung dieses von dem Patrimonialfürstentum des Zaren raffiniert benutzten Systems der Verknüpfung aller sozialen Macht mit Herrendienst ist zu finden 1. in einem erst später zu erörternden Institut (der Königsgefolgschaft) in Verbindung mit 2. der Sippensolidarität, welche den einmal erworbenen Dienstrang und die damit verbundenen Chancen der Gesamtheit der Sippengenossen zu appropriieren suchte. Diesen Zustand traf Peter der Große an und suchte, ihn zu vereinfachen, indem er die Familienranglisten (rasrjádnaja pérepis'), welche über die Rangansprüche der adligen Sippen Auskunft gab, verbrennen ließ und sein fast rein an der persönlichen Amtsstellung haftendes Tschin-Schema an die Stelle setzte. Es war der Versuch, die Sippenehre, welche bisher der Entwicklung der Standessolidarität ebenso wie den Interessen des Zaren an der freien Auslese seiner Beamten im Wege gestanden hatte, auszuschalten, ohne doch eine gegen den Zaren sich wendende Standessolidarität entstehen zu lassen. In der Tat gelang dies. Der Adel blieb, soweit er den sozialen Rang des tschin suchte, durch rücksichtslose Konkurrenz darum, soweit er aber reiner Grundherr blieb, durch den haßerfüllten Gegensatz gegen den tschinównik – die allgemeine Bezeichnung für Beamte – tief in sich gespalten. Das Monopol des Leibeigenenbesitzes schuf keinen solidarischen Stand, weil die Tschinkonkurrenz dazwischentrat und nur das Amt nebenher die großen Gelegenheiten zur Bereicherung bot. Der Zustand war in dieser Hinsicht der gleiche wie im spätkaiserlichen und byzantinischen Reich, ebenso schon in den antiken babylonischen, persischen und hellenistischen Vorläufern und ebenso auch in ihren islâmitischen Erben: die Bedeutung des grundherrlichen Patrimonialismus – welche, wie wir sahen, in China[622] gänzlich fehlte – führte auch dort überall weder zu einer bestimmt gearteten Verknüpfung der Grundherrenschicht mit den staatlichen Aemtern, noch zur Entstehung eines einheitlichen Adelsstandes auf der Basis der Grundherrschaft, soviele Ansätze dazu auch vorhanden waren. Der für die spätrömische Verwaltung zunehmend wichtigen Schicht der »possessores« stand, ebenso wie in den hellenistischen Reichen, das fürstliche Patrimonialbeamtentum, im spätrömischen Reich: eine nach der Höhe des Pfründeneinkommens in Rangklassen gegliederte Schicht, beziehungslos gegenüber, wie schon in den frühantiken orientalischen Reichsbildungen. Und in den islâmischen Reichen gab, ihrem theokratischen Charakter entsprechend, sozialen Rang zunächst das Bekenntnis zum Islâm, Aemterchancen aber die kirchlich geleitete Vorbildung und sonst die freie Gunst des Herrn ohne dauernd und nachhaltig wirksame Adelsmonopole. Vor allem konnte auf diesem Boden ein grundlegendes Element alles mittelalterlichen westeuropäischen Adels nicht entstehen: eine zentrale Orientierung der Lebensführung durch eine bestimmte Art von traditioneller und durch Erziehung gefestigter Gesinnung: die persönliche Beziehung der ganzen Lebensweise, die gemeinsame ständische Ehre als eine Anforderung an jeden Einzelnen und ein alle Standeszugehörigen innerlich einigendes Band. Zahlreiche ständische Konventionen entwickelten sich auf russischem Boden ebenso wie innerhalb der Honoratiorenkreise aller jener Reiche. Aber es lag nicht nur in jener schon erwähnten Zwiespältigkeit der Grundlagen sozialen Ranges, daß sie zu einem einheitlichen gesinnungsmäßigen Zentrum der Lebensführung auf der Grundlage der »Ehre« nicht führen konnten. Sondern sie setzten überhaupt nur sozusagen von außen ökonomische Interessen oder das nackte soziale Prestige-Bedürfnis in Bewegung, nicht aber boten sie einheitlichen Impulsen des Handelns einen elementaren inneren Maßstab der Selbstbehauptung und Bewährung der eigenen Ehre dar. Die eigene soziale Ehre und die Beziehung zum Herrn fielen entweder innerlich ganz auseinander: so bei den eigenständigen Honoratioren; oder aber sie waren eine nur an äußerliches Geltungsbedürfnis appellierende »Karriere«chance, so beim Hofadel, dem Tschin, dem Mandarinentum und allen Arten von nur auf freier Herrengunst beruhenden Stellungen. Andererseits waren wieder die appropriierten Pfründen aller Art als solche zwar eine geeignete Grundlage für ein Gefühl von Amts- und Honoratioren»würde« nach Art der noblesse de robe, aber keine spezifische Basis für eine eigene persönliche, auf »Ehre« abgestellte Beziehung zum Herrn und einer darauf beruhenden spezifischen inneren Lebenshaltung. Der okzidentale Ministeriale auf seiten der durch Herrengunst, der alte englische Gentleman der »Squirearchie« auf seiten der durch eigenständige Honoratiorenqualität, bedingten sozialen Ehre waren beide, in untereinander sehr verschiedener Art, Träger eines eigentümlichen, persönlichen ständischen Würdegefühls, welches die persönliche »Ehre«, nicht nur das amtsbedingte Prestige, zur Grundlage hatte. Aber bei dem Ministerialen ist es völlig offenkundig und bei dem altenglischen Gentleman leicht einzusehen, daß die innere Lebenshaltung beider durch das okzidentale Rittertum mitbedingt war. Die Ministerialen sind mit diesem vollständig verschmolzen; der englische Gentleman hat umgekehrt neben den mittelalterlichen, rein ritterlichen Zügen mit zunehmender Entmilitarisierung der Honoratiorenschicht zunehmend andere, bürgerliche Züge in sein Männlichkeitsideal und seinen Lebensstil aufgenommen, und in dem puritanischen Gentleman erstand neben der Squirearchie ein dieser ebenbürtiger Typus sehr heterogener Provenienz, mit welchem nun die verschiedensten gegenseitigen Angleichungs-Entwicklungen einsetzten. Immerhin aber lag das ursprüngliche spezifisch mittelalterliche Orientierungszentrum beider Schichten außerhalb ihrer selbst im feudalen Rittertum. Dessen Lebenshaltung aber wurde zentral durch den feudalen Ehrbegriff und dieser wieder durch die Vasallentreue des Lehensmannes bestimmt, des einzigen Typus einer Bedingtheit ständischer Ehre sowohl einerseits durch eine dem Prinzip nach einheitliche Stellungnahme von innen heraus, wie andererseits durch die Art der Beziehung zum Herrn. Da die spezifische Lehensbeziehung stets ein extrapatrimoniales Verhältnis[623] darstellt, liegt sie in dieser Hinsicht jenseits der Grenzen der patrimonialen Herrschaftsstruktur. Allein es ist leicht einzusehen, daß sie andererseits durch die ihr eigene, rein persönliche Pietätsbeziehung zum Herrn so stark bedingt ist und so sehr den Charakter einer »Lösung« eines praktischen »Problems« der politischen Herrschaft eines Patrimonialfürsten über und vermittels lokaler Patrimonialherren darstellt, daß sie systematisch am richtigsten als ein spezifischer äußerster »Grenzfall« des Patrimonialismus behandelt wird.[624]


Quelle:
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Besorgt von Johannes Winckelmann. Studienausgabe, Tübingen 51980, S. 580-625.
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