5. Die Landkommenda und die Kommanditen.

[339] Die Kommenda ist, wie wir im bisherigen sahen, ein seehandelsrechtliches Institut, sie findet sich in älterer Zeit in den Binnenstädten, soweit bekannt, gar nicht. Wo enorme Entfernungen zu überwinden waren, Verständigung der socii und Kontrolle nicht möglich war, fand sich die Kommenda am Platz. Der Landhandel, in älterer Zeit an den Verkehr von Markt zu Markt gebunden, bedurfte ihrer nicht, auch legte der äußere Gang des Landverkehrs den Gedanken der Risikoteilung nicht so nahe wie die Besonderheit des Schiffsverkehrs.

Trotzdem findet sich in dem »societas terrae«, »compagnia di terra« genannten Institut eine Verwertung der Grundsätze der Seesozietäten, auf welche kurz einzugehen ist.

Für die Hingabe von Kapital gegen Gewinnanteil zum Geschäftsbetrieb auf dem Lande finden sich in den Seesozietäten fast gleichartige Formulare verwendet50.

[339] Als materielle Differenz fällt zunächst wesentlich auf, daß hier die Sozietät nicht auf ein individualisiertes Unternehmen abgeschlossen, sondern auf eine bestimmte zeitliche Dauer des Betriebes eingegangen wird. Der Kapitalist beteiligt sich hier an dem Risiko und Gewinn eines Gewerbebetriebes. Im übrigen kann auch hier im einzelnen Fall sowohl der Gewerbetreibende sich in großer Abhängigkeit vom Kapitalisten befinden51, als der letztere nur als ein Partizipant an dem Gewerbebetriebe des ersteren aufzufassen sein52.

Die Statuten von Genua enthalten über die societas terrae nichts Erwähnenswertes. Die Kapitalanlage zur See war wohl unbedingt lukrativer und ein übermächtiger Konkurrent. Es handelt sich hier ja überhaupt wesentlich um eine Uebertragung seehandelsrechtlicher Grundsätze auf Binnenlandsverhältnisse, denen sie ursprünglich fremd waren. Ein anderes, historisch weit erheblicheres Beispiel hierfür finden wir in den Statuta mercatorum53 von Piacenza, einer Stadt, welche (wie c. 72, 89, 155, 131, 132, 133, 165, 560 der Statuten zeigen) ihr eigenes Recht ganz auf den vorwiegenden Verkehr mit Genua, dessen nächstes Hinterland sie bildete, zugeschnitten hatte.

Schon für den Seehandel war davon die Rede, daß unter mehreren demselben socius tractans gegenüberstehenden socii stantes – ein zweifellos immer häufiger werdendes Verhältnis – das Bestehen einer gewillkürten Sozietät möglich war.

Aber auch für den Fall, daß eine solche nicht bestand, und gerade für diesen war augenscheinlich eine Regulierung ihres gegenseitigen Verhältnisses unent behrlich.

[340] So regeln denn auch in der Tat die genuesischen Statuten54 die Teilung von Sozietätssachen, welche der Kommendatar zurückschickt, die Liquidation unter ihnen, falls er stirbt; die Tendenz liegt vor, eine gewisse Gemeinsamkeit des Risikos und Gewinns aus bestimmten die Reise betreffenden Umständen, unter den stantes herbeizuführen, eine Tendenz, welche bekanntlich im früheren Mittelalter auch sonst, besonders in der Art wirksam war, wie die Grundsätze der lex Rhodia de jactu über ihren römischrechtlichen Geltungsbereich hinaus verwertet wurden55. In Piacenza ergibt sich auf Grund der Statuten folgendes:

Die Stat. antiqua mercatorum Placentiae c. 76 bestimmen, daß bei einem von mehreren »communiter« gemachten »creditum« alles von dem Schuldner Beigetriebene verteilt werden solle, auch das, was ein auswärtiger Schuldner etwa einem der Gläubiger einzahle. Ferner c. 144: Wenn jemand von einem auswärtigen socius einen Brief erhält, in qua aliquid de cambio et negociatione legatur, muß er denselben sofort seinen socii zeigen. Macht er vorher ein Geschäft und nutzt also privatim die Konjunktur aus, so muß er den socii partem dare56. Anschließend ferner an c. 76 noch: Hat einer der in commune creditores den übrigen denunziert, daß er eine Geschäftsreise ad recuperandum creditum, also im gemeinsamen Interesse, unternehmen wolle, und wollen die übrigen zu den Kosten nicht beitragen, so behält er das Beigetriebene bis auf die Höhe seines Anteils allein; hat er »parabola sociorum« etwas beigetrieben und hiervon einen Teil ohne Schuld verloren – »totum damnum de societate sit«. Endlich nach c. 145 sollen, falls ein socius auf der Geschäftsreise ohne Wissen der anderen socii etwas »de suo« mitführt, Gewinn und Kosten, welche darauf entfallen, geteilt werden, als wäre es Sozietätsgut.

Der Tatbestand scheint hiernach zu sein, daß eine Sozietät besteht, welche in Piacenza dauernd domiziliert ist – c. 144, 145, 77 cit. – und von welcher ein oder mehrere socii dauernd sich auf Handelsreisen befinden, die übrigen, mit Kapital beteiligten sich in Piacenza aufhalten. Cap. 582, 583, 509 eod.[341] scheinen von derselben species von Sozietäten, angewendet auf Familiengenossen, zu sprechen57. Hiernach gewinnt man den bestimmten Eindruck, daß es sich hier um ein Verhältnis handelt, bei welchem ein Konsortium von mehreren die Stellung einnimmt, welche bei der einfachen societas maris dem socius stans zukommt; aus ihrer Mitte geht der tractator hervor, welchem gegenüber sie jedoch, so wie dies bei der societas maris ursprünglich auch der Fall ist, eine leitende Stellung einnehmen. Die Gemeinschaft der socii stantes scheint hier der »Unternehmer«, der »Chef« des Geschäfts in dem mehrfach gebrauchten Sinn zu sein, was schon darin seinen Grund hatte, daß die stantes dauernd am Ort der Sozietätsniederlassung sich aufhielten, der jeweilige tractator aber sich auf Reisen befand. Geschah der Betrieb des von einer derartigen Sozietät unternommenen Gewerbes an Ort und Stelle durch den tractator, so mußte es möglich sein, und, der allgemeinen, von uns beobachteten Tendenz des Sozietätsrechtes entsprechend, immer mehr zur Regel werden, daß die nur mit ihrem Kapital beteiligten, assoziierten socii stantes mehr und mehr zu einer species von Partizipanten wurden, unter denen nur eben ein besonderes Assoziationsverhältnis bestand, mit anderen Worten: zu Kommanditisten. Denn, wie sich bei Betrachtung des pisanischen Rechts noch näher ergeben wird: wenn hinter den lückenhaften Stellen der Statuten von Piacenza der geschilderte Tatbestand steckt, so haben wir hier die Anfänge der Kommanditgesellschaft, in sehr unklarer Entwicklung, vor uns. Die Stellung der Kommanditisten zum Komplementar (tractator) ist keineswegs stets entsprechend der heutigen gewesen. Die ältere Sachlage ist die, daß die Kommanditisten (socii stantes) die eigentlichen Unternehmer, der tractator ihr Organ ist. Reste finden sich noch später. Ausdrücklich wird die Herleitung der Kommandite aus diesen Assoziationen mehrerer Kommendanten desselben Kommendatars in der hier dargelegten Weise von Casaregis bezeugt58. Noch Fierli59 unterscheidet accomandita regolare und irregolare und versteht unter[342] der ersteren diejenige Gesellschaft, bei welcher die Kommanditisten Eigentümer ihrer Einlagen blieben; die Form, bei welcher der Komplementar allein Träger der Sozietät ist, gilt ihm für irregulär. Auch der Grundsatz der Nichthaftung der Kommanditisten über den Betrag ihrer Einlage hinaus ist infolge der Verschiedenheit ihrer Stellung gelegentlich immer wieder in Frage gestellt worden, wie noch Fierli berichtet. Das Vorzugsrecht der Sozietätsgläubiger am Sozietätsfonds (lokal später »sportello« genannt) hat, wie Fierlis Zitate ergeben, gleichfalls lange Zeit gebraucht, bis es zu wirklicher juristischer Klarheit gelangt war. Immerhin sind gewisse essentialia der Kommanditgesellschaft, ein persönlich voll haftender und nur mit der Einlage haftende socii, und, wie wir in Genua sehen, auch Anfänge zu einem Sondervermögen vorhanden.

Der Normalfall der societas terrae ist die Gestaltung in Piacenza nicht, derselbe liegt vielmehr in den zitierten genuesischen Urkunden vorgezeichnet; hiernach ist das Institut gegenüber den Seesozietäten durchaus sekundär geblieben. Eine Modifikation scheint im allgemeinen hinsichtlich der Tragung der Gefahr stattgefunden zu haben, welche in höherem Maße dem tractator zur Last fällt, nach dem constit. usus befreit ihn nur der Nachweis von vis major von voller Rückerstattung60, während bei der societas maris den socius stans die Beweislast dafür trifft, daß der tractator durch seine Schuld Verluste herbeigeführt resp. daß er weniger verloren habe, als dieser behauptet61. Im allgemeinen scheint sich für die societas terrae weder für die Art der Tragung der Gefahr und der Kosten, noch für die Gewinnverteilung eine so feste Usance gebildet zu haben, wie bei den Seesocietäten62. Diese Sozietätsform hat denn auch, soviel bekannt, eine erhebliche Rolle nicht mehr zu spielen gehabt; die Partizipation hat sich in den Binnenlandsverhältnissen verschiedener Formen bedient, unter welchen die kommendaartige societas terrae wohl keine der erheblichsten gewesen ist. Wir werden in Pisa noch einmal auf sie zu sprechen kommen.

[343] Unsere bisherige Betrachtung hat ergeben, daß die Grundlagen der solidarischen Haftung in den bisher behandelten Instituten nicht zu suchen ist; gerade die Struktur, welche in der Landsozietät, beim Betriebe eines Ladengeschäftes (apotheka s. Anm. 2 S. 339), das gesamte Rechtsverhältnis annahm, schloß den Gedanken aus, daß der Kapitalist, welcher den Betriebsfonds ganz oder zum Teil hergegeben hatte und nur eine Gewinnquote als Gegenleistung erhielt, überdies irgendwelche Garantie gegenüber den Gläubigern des Geschäfts zu übernehmen gesonnen wäre. Für die als Muster verwendete Seesozietät konstatierten wir schon oben, daß eine persönliche Haftung der socii stantes der Struktur derselben geradezu zuwider gewesen wäre.

Wenn wir ferner auch gewisse Ansätze einer Sondergutsbildung fanden, so kann darin doch nicht die Grundlage des von uns hier gesuchten Sondervermögens liegen. Ob ein indirekter Einfluß denkbar ist, bleibet hier noch dahingestellt63.

Wir haben bisher nur seerechtliche oder an seerechtliche sich anlehnende Institute einer Betrachtung unterzogen und wenden uns nun der Untersuchung der Sozietätsformen des Binnenlandes zu, wobei hier unter dem Recht des »Binnenlandes« stets, der Kürze halber, dasjenige verstanden sein soll, welches mit dem Seehandel nicht prinzipaliter, wie die bisher erörterten Rechtssätze, in Verbindung steht.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988, S. 339-344.
Lizenz:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Horribilicribrifax

Horribilicribrifax

Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon