Debatterede auf der Tagung des Vereins für Sozialpolitik in Mannheim 1905.

[406] Ich spreche nicht für mich, sondern – ich weiß nicht, ob Sie das zulassen wollen – als negotiorum gestor für den Pfarrer Naumann. Was mich persönlich anlangt, so kann ich Herrn Professor Schmoller nur sehr dankbar sein für die sachliche Art, mit der er die Einwände, die ich gegen seine – wie er ja selbst von vornherein zugab – diskussionsbedürftigen Vorschläge gemacht habe, behandelt hat. Um so mehr habe ich bedauert, daß er jenes schöne Maß, welches ich um so mehr an ihm bewundere, als der Himmel in seinem Zorn mir, wie Herr Schmoller ja selbst angedeutet hat, die Gabe einer gewissen Deutlichkeit, die sich schwer unterdrücken läßt, mit auf den Weg gegeben hat, in seiner persönlichen Polemik gegen den abwesenden Pfarrer Naumann verlassen hat. Er hat ihm den Vorwurf des Demagogen nachgeschleudert und hat die Meinung geäußert, Naumann habe, ohne ihn zu nennen, eine Rede, die er offenbar als verletzend empfunden hat, gegen ihn gehalten. Ich glaube, beides widerspricht der Psychologie Naumanns. Er spricht nicht zu demagogischen Zwecken, sondern unter dem Zwang der richtigen idealistischen Leidenschaft, die ihn beseelt, und unter der Wirkung des Glaubens an eindeutige Entwicklungsgesetze von eherner Notwendigkeit, die ich so wenig wie Herr Professor Schmoller in diesem Fall mit ihm teile, und ich glaube ferner, wenn er gegen jemand spricht und vollends scharf spricht, so sagt er auch, wen er gemeint hat und gegen wen sich sein Angriff richtet. Ich persönlich meine allen Grund zu haben, anzunehmen, daß diese Rede Naumanns von ihm nicht als ein Angriff gegen die Person oder Anschauungsweise von Herrn Professor Schmoller aufgefaßt worden ist. Nun, meine Herren, selbstverständlich aber ist es das Recht von Herrn Professor Schmoller als Referent gegenüber einem Diskussionsredner, wenn er dessen Ansichten für verwerflich hält – auch ich war nicht mit allem, was Naumann gesagt hat, einverstanden –, das zu sagen. Das eigentliche Bedenken liegt für mich nun aber darin, daß Herr Professor Schmoller sagte: Der Beifall, den Naumanns Rede fand, könnte ihn stutzig machen, ob er als Leiter dieses Vereins noch weiter mitmachen solle. Am heutigen Tage war Herr Professor Schmoller Referent und also als Partei an der Diskussion beteiligt, und unter diesen Umständen halte ich ein Hereinziehen seiner Eigenschaft als Ausschußvorsitzender für unzulässig; für Naumann ist nach einer solchen Aeußerung von[406] seiten des Vorsitzenden als solchem die weitere Teilnahme an künftigen Verhandlungen des Vereins doch so gut wie ausgeschlossen. Für mich wenigstens würde sie es sein, wenn mir jemand nicht qua Referent und Diskussionsredner, sondern qua Vorsitzender des Vereins sagen würde: Sie sind ein Demagoge, mit Ihnen verhandle ich nicht, und wenn Sie Beifall finden, trete ich zurück. Das ist es, wogegen ich mich habe wenden wollen.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitk. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988, S. 406-407.
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