III. Zum Vortrag von F. Oppenheimer über

»Die rassen-theoretische Geschichtsphilosophie«.

[488] Die eigentliche Frage im Rassenproblem wäre doch wohl: Sind bestimmte historisch, politisch, kulturell, entwicklungsgeschichtlich relevante Differenzen nachweislich ererbt und vererbbar, und welches sind diese Unterschiede? Diese Frage ist heute auf den meisten Gebieten noch nicht einmal exakt zu stellen, geschweige daß schon an ihre Lösung zu denken wäre. Ich selbst habe mich an ihrer Untersuchung auf einem Felde mitbeteiligt, das der exakten Forschung verhältnismäßig leicht zugänglich erscheint: Wir hatten den Versuch machen wollen, Unterschiede der Verwendbarkeit und Rentabilität von Arbeitern verschiedener ethnischer Herkunft an modernen Maschinen unter anderem auch daraufhin zu untersuchen, inwieweit ihnen etwa Unterschiede ererbter und vererblicher Qualitäten zugrunde liegen könnten. Aber obwohl hier die Differenzen der Leistung meßbar sind, direkt durch geeignete Vorrichtungen an den Maschinen (Stuhluhren z.B.), indirekt durch die Lohnverdienste, und obwohl ferner das Akkordsystem ein ungefähr gleiches Maß von Anspannung der Leistungsfähigkeit zu garantieren wenigstens[488] scheinen könnte, mußten wir uns doch überzeugen: Es existieren noch nicht einmal die Mittel, die zu einer derartigen Feststellung selbst auf diesem relativ einfachen Beobachtungsfelde dienen könnten. Und da will man schon mit Rassetheorien Geschichtskonstruktion treiben. Wohin das selbst bei geistreichen Schriftstellern führt, ist leicht zu illustrieren. Der Untergang des römischen Reiches ist Gegenstand vieler rassetheoretischen Deutungsversuche geworden, für welche es charakteristisch ist, daß die gerade entgegengesetzten Konstruktionen alle gleich plausibel sind. Man hat ihn durch die Vernichtung der Herrenrasse in den angeblich besonders blutigen Kriegen des späten Römerreiches erklärt; aber in der Kaiserzeit war gerade Italien nahezu völlig vom persönlichen Kriegsdienst befreit. Man hat daher – eine gerade umgekehrte Erklärung! – argumentiert: Durch eben diese Ausschaltung des Römertums sei der Geist der Armee und Verwaltung geändert worden. Septimus Severus hat in der Tat den Römeradel im Offizierskorps der Armee und in der Verwaltung aus politischen Gründen durch barbarische Emporkömmlinge verdrängt. Aber wenn dadurch unassimilierte, kulturlose Barbaren in die höheren Heeresschichten steigen, so tritt offenbar nicht ihrer Rassenangehörigkeit, sondern: ihrer Barbarei wegen eine Aenderung in der Nachfrage nach »Kultur«, eine Veränderung des Kunstgeschmacks ein. Einige der spezifischsten Römerkaiser waren ebenfalls Barbaren der ethnischen Herkunft nach, – nur eben durch Aufnahme in die Kulturtradition der Antike: assimilierte Barbaren. Man sieht, es läßt sich mit Rassentheorien beweisen und widerlegen, was man mag. Es ist ein wissenschaftliches Verbrechen, heute, mit ganz ungeklärten Begriffen, auf dem Gebiete der Antike durch kritiklosen Gebrauch von Rassenhypothesen die freilich viel schwierigere soziologische Analyse umgehen zu wollen, die keineswegs aussichtslos ist, während wir doch wohl die Hellenen und Römer heute nicht mehr darauf untersuchen können, inwieweit etwa ihre Qualitäten auf ererbten Anlagen beruhen oder nicht. Das gelingt selbst den sorgsamsten und mühseligsten Untersuchungen am heute lebenden Objekt, auch wenn wir es ins Laboratorium nehmen und exakt experimentieren, noch nicht. Wie steht es denn eigentlich mit der Rassenreinheit der Herrenschichten der Vergangenheit, von deren Rassenqualitäten die Rassentheoretiker fortgesetzt sprechen? Die legitime Ehe ist eine verhältnismäßig junge Institution zum Schutz der legitimen Frau und d.h. in Wirklichkeit: im Interesse von Monopolen der ökonomischen oder politischen Genossen des Mannes. Die Sippe der Frau will Schutz dagegen, daß durch die ursprünglich überall anerkannte patriarchalische Willkür des Mannes das Kind irgendeiner Sklavin oder eines Nebenweibes in die Rechte des Erben miteingesetzt wird. Sie verlangt als Gegenleistung für die Mitgift, welche sie der Frau mitgibt, daß nun ihrem, dem legitimen Sohne, die Erbfolge garantiert wird. Die Bürgerschaft oder die Markgenossenschaft oder die religiöse Gemeinschaft will nicht, daß »der Sohn der Magd in Israel erbe«. Damit beginnt erst in den Herrenschichten die Inzucht und Blutsreinheit.[489] Solange aber der polygame Mann der Herrenschicht sich Weiber kauft, wo und wieviele er will und der Held sein Weib gern durch Raub in der Fremde gewinnt, kann von Rassenreinheit gerade in der Herrenschicht am allerwenigsten die Rede sein. Denn daß die rein erotisch determinierte Auswahl keineswegs nach dieser Richtung wirkt, steht unzweifelhaft fest. Man hat zwar behauptet, die blonde Frau sei von den arischen Helden ursprünglich ebenso bevorzugt worden wie der blonde Held von den Dichtern. Aber die Skalden rühmen gerade umgekehrt die brünette Frau, wohl weil sie im Norden ebenso die größere Seltenheit war wie der blonde Held im Süden. Der Uebergang vom blonden Frauenideal zur Verklärung des schwarzhaarigen Weibes in der französischen Belletristik im 17. Jahrhundert fällt allerdings mit einer gewissen Verbürgerlichung des Romans zusammen. Aber ob dies deshalb mit Rassenverschiebung etwas zu tun hat, ist doch recht fraglich, jedenfalls ist dieses Material höchst unsicher für wissenschaftliche Hypothesen. Ob und welche Beziehungen zwischen Kunst und Rassen bestehen, hat Herr Dr. Oppenheimer, wie schon Herr Professor Driesmanns hervorhob, unerörtert gelassen. Die weitgehende Gleichheit primitiver Ornamentik spricht in der Tat noch nicht unbedingt gegen die Bedeutung von Rassenunterschieden. Denn da sprechen die typischen, von der Ethnographie jetzt allmählich aufgedeckten Quellen ornamentaler Motive wohl überwältigend mit. Aber was eigentlich künstlerische Leistungen anlangt, so ist z.B. für Europa die Annahme eines paläolithischen und ziemlich nördlich gelegenen Kunstzentrums immerhin eine Tatsache, die wenigstens denkbarerweise auf spezifische Rassenbegabungen der Nordländer hinweisen könnte. Könnte! Denn in mir ist trotz mancher ähnlicher wesentlich plausiblerer Beobachtungen schließlich doch immer wieder der Glaube an einen besonders intimen Zusammenhang von Rasse und Kunst durch sehr gewichtige umstände erschüttert worden, z.B. auf einem scheinbar so aus dem intimsten Fühlen quellenden Kunstgebiet wie der Musik ist die hellenische Kunst prinzipiell verwandt mit der arabischen, indischen, javanischen, japanischen, ja selbst der chinesischen. Alle die verschiedenen sehr auffälligen Unterschiede scheinen sich teils rational, teils technisch, teils soziologisch erklären zu lassen. Die Tonbildung der spezifischen Instrumente der Hirtenvölker, namentlich des Dudelsacks, spielt dabei z.B. ihre Rolle und viele ähnliche Umstände. Nur im modernen Europa gibt es seit dem Mittelalter ein harmonisches Tonsystem, zu dem sich Vorstufen eigentlich nur in Afrika und der Südsee, nicht aber bei den antiken Völkern finden. In ihren Prinzipien steht die chinesische Musik der hellenischen näher als die deutsche. Zweierlei wäre erforderlich, ehe die Rassetheorien überhaupt diskutabel werden: Die Feststellung unverkennbarer und nie fehlender, exakt psychophysisch zu definierender und zu messender und dabei nachweislich vererblicher Unterschiede in der Art des »Reagierens« auf »Reize« (um es technisch auszudrücken): denn nicht Kulturinhalte unseres Bewußtseins, sondern der psychophysische Apparat ist Objekt der Vererbung.[490] Und dann das zweite: Der einwandfreie Nachweis, daß und inwieweit diese für spezifische Eigentümlichkeiten und Unterschiede der Kulturentwicklung kausale Bedeutung hatten. Nicht eine einzige Tatsache dieser Art liegt bis jetzt vor. – Ich komme jetzt zu den Vorträgen von Dr. Hartmann und Professor Michels. Hartmann erklärte, daß die Nationalität weder im Altertum noch im Mittelalter staatsbildend aufgetreten sei. Das ist wahr und der Grund liegt in der Eigenart der Staatsstruktur jener Zeiten. Dennoch aber ist im Mittelalter das sprachlich oder ethnisch bedingte Kontrastgefühl nicht gleichgültig gewesen. In den Kreuzzügen trat der Gegensatz zwischen französischer und deutscher Ritterschaft ganz schroff zutage. Und die Schlacht von Bouvines, in der das deutsche Reichsbanner erobert wurde, daneben wohl auch der ungerächte Untergang Konradins, gebarenden Nationalstolz der Franzosen dem Deutschen gegenüber. Der englische Nationalstolz wird im 15. Jahrhundert bereits mit fast all den markanten Eigentümlichkeiten geschildert, die er heute noch hat. Um die gleiche Zeit erwacht er auch in Deutschland und Italien. Aber schon längst vorher hatten die Sprache und die Abstammung ihre gemeinschaftsbildende Rolle gespielt. Der Deutsche Orden nahm nur Deutsche, der böhmische König war Kurfürst nur, wenn er ein Deutscher war usw. Weil aber die Staatsformen andere waren, mußten diese Gegensätze damals im ganzen andere Wirkungen und Wirkungen auf andern Gebieten zeigen als heute. – Hartmann hat ferner von der Naturgrenze zwischen den einzelnen Nationalitäten gesprochen, die im wesentlichen unverrückbar festliege. Das mag für Böhmen zutreffen. Für den deutschen Osten trifft es ganz und gar nicht zu. Das Wunder des Zusammenfallens der ethnischen und botanischen Grenze in Böhmen erklärt sich übrigens wohl einfach durch die Ueberlegenheit der deutschen Siedlungstechnik über die slavische, wel che den schwierigen Aufgaben der Rodung der Bergabhänge nicht gewachsen war. Wenn im deutschen Osten eine natürliche geographische, überhaupt eine geschlossene Grenzlinie zwischen den Nationalitäten läge, wenn nicht die unzähligen polnischen und deutschen Enklaven da wären, würde sich die Situation der Nationalitäten dort auf eine weniger komplizierte Formel bringen lassen, als es der Fall ist. – Zu den nebenher noch berührten nordamerikanischen Verhältnissen will ich nur eine Bemerkung machen. Die ungeheure Assimilationsgewalt der Yankees, die übrigens der ungeheuren Einwanderung gegenüber bei dem Rückgang der eigenen Geburtsziffern jetzt wohl ihre Grenze erreicht hat, beruhte nicht auf Rassenqualitäten, sondern auf ihrem Kindererziehungssystem, daß, wie das ganze Leben des genuinen Amerikaners, schon für die jüngsten Schulbuben vom Prinzip der Selbstverwaltung und exklusiver, nur durch Ballotage ergänzter Gemeinschaften und Klubs beherrscht wird; das prägt mit seinem eigentümlichen Zwang zur Selbstbehauptung, den spezifisch amerikanischen Charakter und lehrt die Jungen auch im Leben sich zu behaupten.[491]


Fußnoten

1 Es ist hier namentlich an die Arbeiten von Prof. G. A. Leist gedacht.


2 Als Diskussionsredner.


3 F. Tönnies als Debatteredner.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitk. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988.
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