Attes

[82] Attes oder Atys (Kleinas. M.), Sohn der Nana, der Tochter des Flussgottes Sangarius in Phrygien, die ihn, befruchtet durch die Früchte eines gewissen Mandelbaums (S. Agdistis), gebar; ausgesetzt, von einem Bocke gepflegt, von Hirten erzogen und der Cybele als Priester geweiht, unter der Bedingung immerwährender Keuschheit. Als er diese verletzt hatte, wurde er von der Göttin in Wahnsinn versetzt und entmannte sich selbst. Als er darauf sich entleiben wollte, verwandelte ihn die Göttin in eine Fichte, die ihr heilig blieb, und verordnete, dass zu seinem Andenken ihre Priester Eunuchen sein sollten. Dem A. wurde jährlich im Frühlingsanfang ein grosses Fest gefeiert, an dessen erstem Tage (dem Trauerfeste) man eine Pinie umhieb, welche sein Bild trug; sie wurde in den Tempel der Cybele gebracht, man bezeichnete diesen Tag mit dem Namen »arbor intrat«. Der zweite ward unter rauschender Hornmusik hingebracht; am dritten suchten die Priester, unter lärmenden Gesängen und bacchantischer Raserei, in den Wäldern umherirrend, sich selbst Wunden beibringend, ja sich entmannend, den A. mit brennenden Fackeln, bis er am Abend gefunden war; wilde Tänze der bewaffneten Priester endeten die seltsame Feier. Nach den Angaben Anderer wurde A. seiner Schönheit wegen von einem phrygischen Könige verfolgt bis in den Hain der Göttin; hier, durch die Nähe derselben ermuthigt, bestand er einen Kampf mit dem Verfolger, und um ihn zu strafen, machte er ihn unfähig, ferner noch Jemand zu schaden; doch der schwer Verwundete hatte noch Kräfte genug, sich auf gleiche Weise zu rächen. - Diess Alles scheint nur darauf berechnet, durch irgend eine Erfindung, wie sie auch sei, die Sitte der Selbstentmannung zu erklären, welche die Priester der Cybele fortwährend übten.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 82.
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