Abstehen

[116] Abstehen, verb. irreg. (S. Stehen,) welches auf gedoppelte Art üblich ist.

I. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn. 1) Von etwas entfernt oder abgesondert stehen. Der Tisch stehet weit von der Wand ab. Der Schrank stehet nicht weit genug ab, von der Mauer. Der Stuhl muß noch weiter abstehen. S. Abstand. 2) Sich in der stehenden Stellung entfernen. (a) Eigentlich, nur in einigen wenigen Fällen. Der Jäger stehet ab, wenn er den Anstand vergebens verläßt. Das große Geflügel stehet bey den Jägern ab, wenn es von einem Baume fliegt, welches auch abbaumen genannt wird. (b) Figürlich. (1) Ablassen, nicht fortsetzen. Von dem Schreiben, Bauen abstehen. Von einem Kaufe, von einer Klage, von einer Forderung, von seinem Vorhaben, seiner Meinung abstehen. Er ist von seinem Rechte, von seinen Ansprüchen abgestanden, hat sich derselbe begeben. Die Wortfügung einer Sache abstehen, z.B.


Noch wollt er dennoch nicht

Seiner poßheit absteen,

Theuerd. Kap. 25.


ist Oberdeutsch. (2) Verderben, besonders von flüssigen Dingen. Der Wein, der Essig, das Bier ist abgestanden. Abgestandener Essig. Ingleichen von den Bäumen, wie abdorren und abfliegen. Der Baum wird bald abstehen. Ein abgestandener Baum. Wie auch von den Fischen, sterben. Die Fische sind abgestanden. Ein abgestandener Aal. Wenn es den Fischen im Winter an Luft mangelt, oder das Wasser in den Teichen verdorben ist, so pflegen sie aus ihrem Lager in der Tiefe herauf und an die Wuhnen zu kommen, und dieses heißt aufstehen. Leistet man ihnen nicht schleunige Hülfe, so sterben sie, und dieß heißt im eigentlichsten Verstande abstehen, weil sie alsdann in einiger Entfernung von dem Ufer stille stehen. Vielleicht ist der Ausdruck von diesem Umstande entlehnet, und hernach auf die Bäume und flüssigen Dinge übergetragen worden.

II. Als ein Activum. 1) Einem etwas abstehen, abtreten, es ihm überlassen; am häufigsten in Niedersachsen. 2) * Eben daselbst sagt man auch ein Amt abstehen, es niederlegen, ein abgestandener (abgegangener) Bürgermeister, bey welcher R.A. man nur nicht an einen abgestandenen Fisch denken muß. Schon die Griechen sagten in dieser Bedeutung,αφισαιθαι τƞς αρχƞς, ein obrigkeitliches Amt niederlegen. 3) Sich abstehen, als ein Reciprocum, sich müde stehen, von vielem Stehen Schaden leiden. Das Pferd hat sich in dem Stalle ganz abgestanden.

Anm. Abstehen, Goth. afstandan, Schwed. afstå, wird in den Provinzen noch auf verschiedene andere Arten gebraucht, die aber im Hochdeutschen unbekannt sind. (a) Einem abstehen, seine Partey verlassen, ist so wohl in Oberdeutschland, als in Niedersachsen gebräuchlich, aber im Hochdeutschen eben so ungewöhnlich, als die R.A. von einem abstehen, in gleicher Bedeutung. (b) Abschlagen, z.B. Theuerd. Kap. 105. (c) Absteigen, aussteigen, wovon im Theuerdank häufige Beyspiele vorkommen, z.B.


Als er nun abgestanden was

Vom scheff, Kap. 43.

‒ Herr steet ab drat

Zu Füßen von eurem pferdt,Kap. 38.


[116] Und Kap. 64. An das Land abstehen. (b) Stille stehen. Die Mühlen stunden mehrentheils ab, Bluntschli, ein Zürchischer Geschichtschreiber.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 116-117.
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