Aufziehen

[554] Aufziehen, verb. irreg. (S. Ziehen,) welches in doppelter Gattung üblich ist.

I. Als ein Activum, wo zugleich die eigentliche Bedeutung des Verbi ziehen, trahere, die herrschende ist.

1. Durch Ziehen öffnen. Ein Schloß aufziehen, es durch Zurückziehung des Riegels öffnen. Den Hahn an einem Schießgewehre aufziehen. In uneigentlicher Bedeutung sagt man auch[554] von einem Pflaster, daß es ein Geschwür aufziehe, wenn es dasselbe erweichet und öffnet.

2. Eine Sache auf die andere ziehen oder spannen. a) In eigentlicher und weiterer Bedeutung. Saiten aufziehen, auf ein Instrument. Einen Übelthäter aufziehen, auf die Folter oder auf die Leiter, welches in der Kunstsprache der Henker der Zug genannt wird. Aufziehen bey den Webern, die Fäden der Länge nach ausspannen und sie auf den Weberstuhl ziehen, welches in Niedersachsen reiten, reiien, rijen, ingleichen scheren heißt; S. Aufzug. Ferner für aufkleben. Einen Riß, einen Kupferstich aufziehen, ihn auf eine andere Fläche kleben. b) Figürlich. Eine Sache aufziehen, aufschieben. Ingleichen, jemanden mit einer Sache aufziehen, zur Ungebühr aufhalten. Man ziehet uns mit dem Prozesse nun schon so lange auf. Ohne Zweifel kommt diese figürliche Bedeutung von der ehemahls üblichen R.A. her, eine Sache auf die lange Bank ziehen oder schieben. S. Bank. Gott zeucht die Strafe auf, schiebt sie auf, braucht noch Matthesius in einer sehr ernsthaften Rede.

3. In die Höhe ziehen. a) In eigentlicher und weiterer Bedeutung. Den Weinstock aufziehen, bey den Winzern, ihn aus derjenigen Erde ziehen, mit welcher man ihn im Herbste bedeckt hatte, welches die erste Arbeit im Frühlinge in den Weinbergen ist, so in Franken auch ausschütten genannt wird. So auch Pflanzen, Wurzeln aufziehen, aus der Erde ziehen. Ingleichen vermittelst eines Seiles, Bandes u.s.f. in die Höhe ziehen. Eine Brücke aufziehen. Die Anker aufziehen, welches in der Sprache der Seefahrer, die Anker lichten genannt wird. Die Segel aufziehen, Nieders. brassen, oder aufbrassen. Einen Übelthäter aufziehen, an den Galgen. Eine Uhr aufziehen, die Gewichte an derselben; eine R.A. welche auch von den Federuhren gebraucht wird, ungeachtet sie keine Gewichte haben. Den Vorhang aufziehen, welche Redensart eigentlich auf der Schaubühne gebraucht wird, hernach aber auch figürlich von der Entwickelung oder Entdeckung einer dunkeln Sache üblich ist. Wenn die Ewigkeit vor uns ihren Vorhang aufziehet, Dusch. S. Vorhang. Eine Grube aufziehen, bedeutet bey den Lohgärbern im metonymischen Verstande, das gar gemachte Leder aus der Grube ziehen; indessen kann auch die erste Bedeutung der Öffnung hier Statt finden. Die Sonne ziehet den Nebel, die Dünste u.s.f. auf, sagt man, wenn sie durch Verdünnung der obern Luft macht, daß die Dünste aufwärts steigen. Butter aufziehen, in den Küchen, sie zu manchen Brühen mit Wasser und Mehl schmelzen, und dabey beständig mit einem Löffel in die Höhe ziehen.

b) Figürlich. (1) Durch Hammerschläge nach oben zu ausdehnen. In diesem Sinne nennen die Goldschmiede diejenige Arbeit aufziehen, welche bey den Kupferschmieden auftiefen heißt, wenn sie nehmlich das bereits hohl gegossene Silber mit dem Aufziehhammer auf dem Bechereisen dünner schlagen und zugleich nach oben zu ausdehnen. (2) Wägen, besonders auf der Probierwage wägen, weil dergleichen Wagen vermittelst eines Fadens aufgezogen werden; worauf dieses Wort oft auch von einem jeden Wägen gebraucht wird. Ein Goldstück aufziehen. Brot aufziehen u.s.f. (3) Groß füttern, so wohl von Thieren, als auch von Kindern; von letztern am häufigsten im gemeinen Leben. Kälber, Gänse aufziehen. Ein Kind aufziehen, es ernähren, bis es groß wird; dagegen auferziehen, oder besser erziehen, vorzüglich auf die Bildung des Geistes und der Sitten siehet. (4) Zum Tanze auffordern. Eine Person zum Tanze aufziehen, oder nur schlechthin aufziehen.


Zog dich ein Schäfer auf, sogleich verdroß es mich,

Rost.


[555] (5) Jemanden aufziehen, sich in dessen Gegenwart über seine Mängel lustig machen. Einen mit etwas aufziehen, ihm dasselbe im Scherze oder Spotte vorrücken; gleichsam, ihn öffentlich hervor ziehen, und in seiner Schwäche darstellen.

II. Als ein Neutrum, welches das Hülfswort seyn erfordert; in welcher Gattung es zunächst von ziehen, wandern, zusammen gesetzt ist. 1) Am Horizonte herauf getrieben werden, besonders von Gewitterwolken. Es zieht ein Wetter auf. Ein Sturm zieht auf, Schleg. Noch häufiger aber reciproce. Es zieht sich ein Gewitter auf. 2) Auf die Wache ziehen, von Soldaten. Die Wache zieht auf, ist bereits aufgezogen. 3) Einher gehen, in Ansehung der Kleidung und des äußern Anstandes, gekleidet seyn. Er zieht prächtig auf. Er zog wie ein Bettler auf. Ingleichen mit dem Verbo kommen. Er kommt prächtig, liederlich aufgezogen. 4) Figürlich, vorbringen, im verächtlichen Verstande. Komm mir mit dieser Entschuldigung nicht aufgezogen. Da kommt er wieder mit einer Lügen aufgezogen.

Das Substantiv die Aufziehung, ist nur im Activo, aber auch hier selten gebräuchlich, indem es von dem Hauptworte Aufzug fast überall verdränget worden.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 554-556.
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