Beywohnen

[993] Beywohnen, verb. reg. neutr. welches das Hülfswort haben erfordert, bey oder neben etwas wohnen. 1. * Eigentlich, in welcher im Hochdeutschen veralteten Bedeutung ehedem auch das Hauptwort ein Beywohner für Anwohner üblich war.

2. Figürlich. 1) Den Beyschlaf vollbringen, in edlen und anständigen Ausdrücken. Einer Person ehelich beywohnen; im mittlern Lateine habitare und cohabitare. 2) Mit bestimmter Absicht bey etwas gegenwärtig seyn; größten Theils nur von höhern Personen, von denen man mit Achtung spricht. Einer Schlacht, einem Spiele, einem Leichenbegängnisse, einer Rathsversammlung beywohnen. So wohnt er Geistern bey, Dusch.


Sie wohnt den Engelschaaren

Und deiner Mutter bey,

Opitz.


Wirke du in meinen Sinnen,

Wohne mir im Schatten bey,

Can.


3) Haben, besitzen, am häufigsten von den Fähigkeiten und Eigenschaften des Geistes. Es wohnt ihm große Klugheit bey. In welcher im Hochdeutschen größten Theils veralteten Bedeutung[993] man nur noch zuweilen gegen Höhere sagt, die Ew. – – beywohnende Einsicht, Klugheit u.s.f. Im Oberdeutschen ist dieses Wort von einem desto weitern Umfange der Bedeutung.


Sit mir wont di froide bi,

Gottfr. von Nifen.


Mir wont vil vngemaches bi,

Dietmar von Ast.


Ob mir ir gnade wonet bi,

Reinmar der Alte.


Den das Recht wonet pey,

Hornegk. Kap. 13,


die das Recht haben.


Und wonet im noch so viel bey

Schicklichait mit gelückes vall,

Theuerd. Kap. 17.


Ihm wohnt viel Gutes bey,

Opitz.


Dergleichen wohnet nichts des Helden Söhnen bey,

Opitz.


Dem Zorne wohnt kein Maaß und Glanz der Wahrheit bey,

Opitz.


Den Frommen wohnet bey

Viel Ungemach, viel Kreutz und Noth,

Opitz.


Wofür eben derselbe auch das einfache Zeitwort mit dem Vorworte bey gebraucht:


Wohnt Kunst und Witz bey dir.


4) * Beystehen, welche Bedeutung im Hochdeutschen gleichfalls veraltet ist.


Drum hat der Herr der Unschuld beygewohnet,

Opitz.


Wer ihn, den Herren, liebt,

Bey diesen hält er Stand,

Wo er sich hingewandt,

Wohnt ihnen kräftig bey,

Opitz. Ps. 97.


5) Bekannt, bewußt seyn, welche Bedeutung gleichfalls mehr im Oberdeutschen, als im Hochdeutschen vorkommt. Es wohnt mir nicht bey, es ist mir nicht bekannt, ich kann mich nicht darauf besinnen.


Mir wohnt kein Wort von Freunden bey,

Das tröstlich oder nicht, gut oder böse sey,

Opitz.


Denn dieß wohnt ihm genugsam bey,

Was unser Zeug und Ursprung sey,

Opitz.


Es wohnt mir eine dunkele Erinnerung bey, die Stelle schon anderswo gelesen zu haben, Litter. Briefe.

So auch die Beywohnung, in allen obigen Fällen, besonders von dem ehelichen Beyschlafe.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 993-994.
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993 | 994
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