Iren

[1392] Iren, eine Endsylbe vieler, besonders aus fremden Sprachen entlehnten Zeitwörter, welche nach dem Muster der Latein. Zeitwörter, auf are, ere und ire gebildet ist, und vermöge welcher man fast allen Lateinischen und Französischen Zeitwörtern ein Deutsches Ansehen geben kann, und im gemeinen Leben wirklich gibt. Dergleichen sind studiren, sormiren, rebelliren, barbiren, tapeziren, spaziren, marschiren, colligiren, amüsiren, complimentiren, parliren, protestiren, flattiren, processiren und tausend andere mehr, welche theils als Kunstwörter in verschiedenen Künsten und Wissenschaften einmahl eingeführet worden, theils aus Unwissenheit der gleichbedeutenden Deutschen Wörter, oder aus kindischer Ziererey im gemeinen Leben von vielen bis zum Ekel gebraucht werden. Einige Zeitwörter, welche vor dem iren noch ein i haben, werden gemeiniglich zur Ungebühr um dasselbe gebracht. Injuriren, vicariren, variren, pronunciren, u.s.f. sollten billig injuriiren, vicariiren, variiren, pronunciiren heißen. Nur copiren ist für copiiren beynahe schon allgemein geworden.

Nach dem Muster dieser aus fremden Sprachen entlehnten Zeitwörter, hat man auch verschiedenen vollkommen Deutschen Wörtern diese Endung angehänget, um daraus Zeitwörter zu bilden, welche dadurch ein ausländisches Ansehen bekommen haben. Z.B. sich erlustiren, halbiren, haseliren, gastiren, stolziren, herbergiren, hansiren, hofiren, schattiren, hantiren, schändiren, (in der niedrigen Sprechart für schmähen, in Baiern maulbiren,) haftiren, inhaftiren, buchstabiren, pitschiren, spintisiren u.a.m. Es ist nicht ausgemacht, was zu dieser, dem Anscheine nach seltsamen Bildung, Anlaß gegeben haben könne. Entstanden diese Wörter etwa zu den Zeiten des ehemahligen üblen Geschmackes, die anständige und zierliche Schreibart mit Brocken aus allen Sprachen anzufüllen, weil man etwa glaubte, ein neues Wort könne unmöglich sein Glück machen, wenn es nicht ein fremdes Ansehen habe? Oder fällt der Ursprung dieser Wörter in diejenige Zeit, da das barbarische Latein noch die gesellschaftliche Sprache der Geistlichen und Gelehrten war, welche Deutschen Wörtern die Lateinische Endung are anhingen und daraus barbarische Lateinische Zeitwörter machten, welche mit dieser Larve nachmahls wieder in das Deutsche übergegangen sind?

Alle Zeitwörter auf iren, sie seyen nun wirklich fremde, oder der ersten Hälfte nach Deutsch, werden in den zusammen gesetzten Zeiten ohne Augment abgewandelt. Complimentirt, protestirt, haselirt, u.s.f. nicht gecomplimentirt, geprotestirt, gehaselirt; ungeachtet solches in der Sprache des großen Haufens nichts seltenes ist.

Das i ist in dieser Endung gedehnt, daher gefragt wird, ob man diese Endung nicht billig ieren schreiben müsse? Die meisten sind für das i; allein das ie hat doch überwiegende Gründe für sich. Es ist das Zeichen eines gedehnten i, und wird im Deutschen fast in allen Fällen gebraucht, wo das i gedehnt ist. Selbst ausländische Wörter, welche in der Ursprache kein ie haben, werden im Deutschen in diesem Falle mit ie geschrieben; Klystier, Thurnier u.a.m. Durch die Endung iren wollte man fremden[1392] Zeitwörtern ein einheimisches Ansehen geben, es ist also billig, daß man es ihnen ganz gebe, und sie, wo es seyn kann, auch in der Schreibart den Regeln der Deutschen Sprache unterwerfe. Es scheinet, daß man schon vor Alters von dieser Nothwendigkeit überzeuget worden, indem einige alte Wörter dieser Art, z.B. regieren, spazieren, fast von je her mit einem ie geschrieben worden. Warum sollen denn andere hier eine Ausnahme machen? Hierzu kommt noch, daß manche Zeitwörter dieser Art von Hauptwörtern herkommen, in welchen das ie nothwendig ist; z.B. quartieren von Quartier, Franz. Quartier, pitschieren von Pitschier, thurnieren von Thurnier, revieren, bey den Jägern, von Revier, rapieren von Rapier, visieren von Vister u.s.f. Soll man diese etwa auch ohne e schreiben, oder soll man gar Quartir, Pitschir, Rapir u.s.f. schreiben, und dadurch einen Unkundigen verleiten Quartirr, Pitschirr zu sprechen?

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1392-1393.
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