Irre

[1394] Irre, -r, -ste, adj. et adv. von dem Zeitworte irren, wo es nur noch im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart, und auch hier am häufigsten als ein Nebenwort gebraucht wird. 1.* Ohne bestimmte Absicht, ohne Kenntniß der Gegend sich hin und her bewegend; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. Wenn die jungen Raben irre fliegen, wenn sie nicht zu essen haben, Hiob 38, 41; wenn sie ohne Nahrung herum irren, Michael. 2. Ohne Kenntniß des Weges hin und her gehend; nur noch zuweilen. Irre gehen. 3. Von dem rechten Wege abweichend, irrend. 1) Eigentlich, als ein Nebenwort. Irre gehen, reiten, fahren, im Gehen, Reiten, Fahren, des rechten Weges verfehlen. Jüngst ging ich irr, (irre) Cron. Irre seyn. Wir waren irr, (irre,) wir liefen hin und her, Opitz. Jemanden irre machen, kommt in dieser Bedeutung nur selten vor. Er macht sie irre auf einen Umweg, da kein Weg ist,- und macht sie irre, wie die Trunkenen, Hiob, 12, 24. f. und läßt sie in unwegsamen Wüsten irren- und er läßt sie irren wie Trunkene, Michael. 2) Figürlich. (a) Unrichtige Empfindungen, unrichtige Vorstellungen habend; am häufigsten als ein Nebenwort. Etliche von uns haben euch mit Lehren irre gemacht, und eure Seelen zerrüttet, Apostelg. 15, 24. Wer euch aber irre macht, der wird sein Urtheil tragen, Gal. 5, 10. Zuweilen, obgleich selten, als ein Beywort.

Und eure Weisheit macht, den irren Geist noch irrer, Less. (b) Den Zusammenhang verlierend; nur als ein Nebenwort. In einer Rede irre werden. Jemanden irre machen. Ingleichen gehindert. Mache mich nicht irre. Er läßt sich darin durch nichts irre machen. (c) Unschlüssig; nur als ein Nebenwort. Irre werden. Jemanden irre machen. Die Gemeine war irre, und das mehrere Theil wußte nicht, warum sie zusammen kommen waren, Apostelg. 19, 32. Ingleichen verwirret. Diese Menschen machen unsere Stadt irre, Apostelg. 16, 20. Wie auch, Zweifel habend, Anstoß nehmend. Irre werden. Irre machen. An den ungewöhnlichen Führungen Gottes irre werden. Denn ich bin irre an euch, Gal. 4, 20. (d) * Bestürzt; eine veraltete Bedeutung, in welcher es auch nur als ein Nebenwort üblich war, bey dem Ottfried girrot, geirret. Da das Kriegsvolk hörte, daß Holoferui der Kopf ab war, erschracken sie und wurden irre, Judith 15, 1. Sie entsatzten sich alle und wurden irre, Apostelg. 2, 12. (e) Des Verstandes beraubt, in der höflichen Sprechart des gemeinen Lebens. Irre im Kopfe seyn. Irre reden, fantasiren. Ein irrer Mensch, der aberwitzig, wahnsinnig ist. Daher das Tollhaus an einigen Orten das Irrenhaus genannt wird.

Anm. Bey dem Notker und Ottfried schon irri. Es scheinet, daß man es bloß um des unangenehmen Zusammenstoßes so vieler r in der Gestalt eines Beywortes veralten lassen. Das e euphonicum am Ende ist in der gelindern Hochdeutschen Mundart unentbehrlich, obgleich die härtere Oberdeutsche es verschmähet.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1394-1395.
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