Mahnen

[32] Mahnen, verb. reg. act. welches im Hochdeutschen nur noch einen Theil seiner alten weiten Bedeutung erhalten hat. Es bedeutete,

1. * Eigentlich, ziehen, in welcher Bedeutung in Baiern noch die Zugochsen Mähndochsen genannt werden. Noch häufiger gebrauchte man es als ein Factitivum, ziehen machen, d.i. antreiben, in welcher Bedeutung es gemeiniglich mähnen lautet, und noch in vielen Oberdeutschen Gegenden üblich ist.


Mit den sporn er sein pferdt mandt,

Theuerd. Kap. 41.


Christus wurde als ein Vieh mit Gärten (Ruthen) von den Juden gement, ein alter Dichter in Eckards Script. bey dem Frisch. Den Zug mähnen, in Franken, fahren, die Pferde vor dem Wagen lenken und antreiben, wo der Mähnjunge derjenige Junge ist, welcher die Ochsen vor dem Pfluge antreibet. Im Holländ. gleichfalls mennen, für führen, Schwed. mana, Lat. minare, Franz. mener.

2. Figürlich. 1) Zu Leistung einer Pflicht anhalten; eine ihrem ganzen Umfange nach veraltete Bedeutung, in welcher man es nur noch im engern Verstande gebraucht, an die Erfüllung eines Versprechens erinnern, zur Erfüllung eines gethanen Versprechens auffordern. Jemanden mahnen. Am häufigsten, zur Bezahlung einer Schuld auffordern, an die Bezahlung einer Schuld erinnern. Jemanden wegen einer Schuld mahnen. Er läßt sich täglich mahnen, und bezahlt doch nicht. Ich lasse mich nicht gern mahnen. 2) * Vor Gericht laden, auffordern vor Gericht zu erscheinen; eine veraltete Bedeutung, in welcher im mittlern Lateine mannire sehr häufig vorkommt. In weiterer Bedeutung gebraucht Ottfried manen auch für einladen. 3) * Bewegungsgründe zur Ausübung seiner Pflichten vorstellen, und in weiterer Bedeutung, mit Worten an seine Pflicht erinnern; eine veraltete Bedeutung, in welcher wir jetzt ermahnen gebrauchen. In diesem Verstande kommt manon noch oft bey dem Ottfried und Kero vor. In noch weiterer Bedeutung gebraucht man es noch zuweilen im Oberdeutschen für aufmuntern, besonders zur Arbeit. 4) Erinnern überhaupt, mit dem Vorworte an, im Oberdeutschen auch mit der zweyten Endung.


So manent mih diu liehten tage

Miner alten senden klage,

Rudolph von Rotenburg


Ich sach da rosebluomen stan

Die manent mich der gedanken vil

Die ich hin zeiner frouwen han,

Dietmar von Ast.


[32] In diesem Verstande wird es, so wie das verlängerte gemahnen, nur noch im gemeinen Leben gebraucht. Dieß Buch mahnt mich an die Zeit, da man noch lauter Robinsons schrieb. Der Mensch mahnt, oder gemahnt mich an meinen Bruder. 5) * Scheinen, vorkommen, als ein Neutrum; in welchem Verstande doch nur das zusammen gesetzte gemahnen noch zuweilen im gemeinen Leben vorkommt, S. dasselbe.

Das Hauptwort die Mahnung kommt seltener vor als der Infinitiv das Mahnen.

Anm. In den figürlichen Bedeutungen von des Kero Zeiten an manon, im Nieders. manen, im Angels. manian, manigian, bey dem Ulphilas gamunan, im Dän. mane, im Schwed. mana, im Finnischen manaan, im Lat. monere, im Griech. μναειν. Da es in den vier ersten Bedeutungen ein Factitivum ist, erinnern machen, so wurde es ehedem auch häufig als ein Neutrum für erinnern gebraucht, und diente hierauf in seinen Abkömmlingen nicht nur die Erinnerungskraft, sondern auch das Gemüth, den Geist überhaupt zu bezeichnen, wohin das Engl. Mind, Gemüth, unser meinen u.a.m. gehören. S. auch Miene, Mond.

Daß unser Activum mahnen, erinnern, eine Figur von mahnen, antreiben, ist, ist wohl mehr als wahrscheinlich. Auf ähnliche Art druckten die Lateiner ermahnen durch hortari aus, welches eine sehr sichtbare Verwandtschaft mit dem alten hurten, Franz. heurter, stoßen, treiben, hat. Zergliedern wir unser Zeitwort, so fern es ziehen und factitive ziehen machen, antreiben, bedeutet, genauer, so zeigt uns die Endung -nen, daß es ein Iterativum oder Intensivum ist, und da kommen wir wieder auf das Zeitwort mähen, so fern es überhaupt bewegen bedeutet, und eine fruchtbare Mutter einer sehr großen Menge davon abstammender Wörter ist, wovon mit den ähnlichen Ableitungssylben unter andern auch die Zeitwörter mahlen und mähren, rühren, mit ihren Familien herkommen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 32-33.
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