Reis, das

[1060] Das Reis, des -es, plur. die -er, Dimin. das Reischen, Oberd. Reislein, ein jeder dünner, schwanker Zweig eines Baumes, wo dieses Wort auf doppelte Art gebraucht wird. 1) Als ein Collectivum und ohne Plural, mehrere solche dünne Reiser zusammen; doch nur in einigen Fällen. Die Birken geben vieles Reis. Am häufigsten in den zusammen gesetzten Birkenreis, Besenreis u.s.f. Ruthen von Birkenreis. 2) Von einzelnen dünnen Zweigen dieser Art, welche in gewisser Betrachtung auch Ruthen genannt werden. Da Paulus einen Haufen Reiser zusammen raffelte, (raffte,) Apostg. 28, 3. Dürre Reiser. Birkenreiser. In engerer Bedeutung ist das Reis ein junger dünner Zweig eines Baumes, besonders so lange er noch nicht älter als ein Jahr ist; ein Sprosse, Sprößling, Schuß, Schößling. Ein Reis in einen andern Stamm pfropfen. S. Propfreis. Im Forstwesen und bey den Jägern werden auch ganze junge Bäume, ingleichen dünne, lange Stangen, Reiser und in einigen Mundarten auch Reitel genannt. So sind die Laß- oder Hägereiser, Laßreitel, Bannreitel, junge Stämme Laubholzes, welche man auf den Gehauen zum neuen Anwuchse stehen läßt; und bey den Jägern sind die Lappreiser dünne Stangen, mit welchen die Lappen gestellet werden.

Anm. Bey den Schwäbischen Dichtern Ris, im Nieders. Ries, im Hannöv. Rispe, in der Schweiz mit vorgesetztem Gaumenlaute Kres, im Angels. Hris, im Schwed. Ris, im Isländ. Hrijs, im Irländ. Ras, im Finnländ. Riso, im Griech. ῥιφ, im mittlern Lat. Rauseum; im Bretagnischen mit dem nahe verwandten t Red und Ret, woraus zugleich die Verwandtschaft mit unserm Ruthe, dem Oberd. Reitel, dem Lat. Radius u.s.f. erhellet. Es stammet von dem alten noch im Oberdeutschen üblichen Zeitworte risen her, welches mit unserm reisen ein und eben dasselbe Wort ist, aber ursprünglich den Laut einer Bewegung nachahmet, und im weitesten Verstande eine Bewegung nach allen Richtungen ausdruckt; vermuthlich so fern das Reis aus dem Baume hervor wächst oder schießet, daher es auch Schuß und Schößling heißt, so wie das Lat. Surculus von surgere abstammet. Auf ähnliche Art stammen Sprosse, Rebe, Ranke u. a. m. von ähnlichen Zeitwörtern der Bewegung ab. Übrigens heißt ein Reis im Niederdeutschen auch ein Quasen und eine Lade, welches letztere zu unserm Latte gehöret. S. Reisen, Riese, Rieseln und Ruthe.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1060.
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